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7.Mai – Wahres Leben – Odyssee 2023

Es passierte gestern. Kumpel F. und ich hatten uns zur medialen Aufgeregtheit in Sachen Stuckrad-Barre ausgetauscht. Treffender und nüchterner als ich, ordnete er den derzeitigen Tumult ein, was mir doppelt guttat.

Zum Einen zeigte es mir die Tatsache auf,

dass meine Übersicht des deutschsprachigen Literaturmarktes nach wie vor unverändert, mit einer derart rudimentären Ungepflegtheit daherkommt, was mich zugegebenermaßen dennoch wenig einlädt etwas dagegen zu unternehmen,

sondern im Gegenteil,

das Ergebnis multifunktionaler Langeweile und tiefverwurzelter Ablehnung gegenüber Mainstream bleibt, ohne genau festzulegen was genau ich mit Mainstream meine, was F. selbstverständlich weiß, aber nonchalant wie immer gekonnt übergeht und höflich, diskret und nüchtern wie er ist, weder

kommentiert noch interpretiert

ins kosmische Klassenbuch der Zeit eintrug, so wie man Bekannte, Familienmitglieder, Freunde, oder auch unbekannte Menschen Dank Kinderstube, Höflichkeit und Achtsamkeit, nicht auf den Popel im Nasenloch, die Laufmasche in der Nylonstrumpfhose, den offenen Hosenschlitz,

den ungeplanten Rülpser und Furz,

oder die beharrlich insistierende jugendliche Akne hinweist. Auch heißt es mitnichten, das mein lieber Kumpel F. an Mainstream interessiert ist, sondern das seine Übersicht und sein Horizont zu dieser Thematik besser entwickelt sind, als die Meinigen, was ich nur schwerlich aufholen dürfte.

Und zum Anderen,

wie schnell ich mich von alltäglichem Lärm ablenken lasse. So erkannte ich, dass es bei aller Disziplin und Arbeit am geschriebenen Wort, natürlich nahezu überlebenswichtig für die eigene Kreativität und Inspiration ist, regelmäßig auf Abstand zu gehen,

ich nenne es, ‘ne Runde fliegen gehen,

um sich von Medien-Tsunamis nicht vereinnahmen, runterziehen, ja gänzlich metaphorisch gesprochen, nicht unterdukern zu lassen. Ganz besonders, wenn man genug zu tun hat. Zu schnell verlaufe ich mich in meinem Gedächtnispalast, wo dann

sämtliche Türen und dunkle Schächte auffliegen,

je nachdem wo ich langlaufe, bis ich betrunken vor Rennerei, Erinnerungen und Eindrücken, die Orientierung verliere und mich von meiner Aufgabe entferne, nicht selten ablenken lass, bis ich weinselig im Bett liege. Auf diesem Erlebnis kaute ich rum.

Heute morgen dann – Heureka – die Befreiung.

Wie ein Phönix aus der Asche. Neun Stunden schlief ich tief und fest. Ich träumte üppig, intensiv und bunt, welch ein Geschenk. Beim Wachwerden fuhr mir ein Geistesblitz, ein Gedanke in die Glieder, den ich sofort raus ließ:

„Bleibt mir vom Leib,

mit Kriegen, Mord und Totschlag; verschont mich mit dem Neusten von Emmanuel, Olaf, Christine, Robert, Uschi, Wladimir, Elon, Julie, Wim, Mathias, Hillary, Bastian, Julian, Alice, Klima und dem Wäldersterben;

bleibt mir gestohlen,

mit eurer Aufgeregtheit, eurer falschen Empörung, die uns alle nur ablenkt, wo wir doch genug mit uns selbst zu tun haben, noch dazu gibt‘s so unendlich viel Unbekanntes, was wir nicht wissen, gekostet und ausprobiert haben, und sei es,

ein Tag Müßiggang,

um ungeplant, ohne gnadenlos effizienten Plan in den Tag zu leben. Genau das und ein wenig mehr nahm ich mir vor. Gemütlich Kaffee trinken, Zeitung lesen, aus’m Fenster schauen, Nelken-Wasser nippend, meine Lilien bewundernd.

„Welch Luxus!“,

dachte ich, als ich um 10 wach wurde, mir ’ne kleine Poesie-Sammlung von Konstantinos Kavafis griff, um darin zu schmökern. Ich nahm mir vor „Ewigkeit“ in Griechisch auf Papier zu schreiben, aus Freude und Hingabe für

schöne Worte und berührende Sprache.

„Glück muss nicht groß sein“, dachte ich, wenngleich das hier erwähnte für ungezählt viele Menschen unerreichbar im Leben blieb. „Ich weiß“, seufzte ich andächtig, schwieg, stand auf, machte mir Kaffee und tat, wie mich mein Geist bereits anwies.

Drei Stunden lang – herrlich.

Um 13 Uhr erinnerte mich die Schließung unseres Marktes in Les Carmes daran, dass es eben doch Dinge gibt, wo wir abhängig sind, wie zum Beispiel Öffnungszeiten, Flüge, Versicherungen, Beerdigungen und andere Dinge, die zum grauen Alltag zählen.

„Für frisches Gemüse musst du dich bewegen!“,

sprach ich, sprang in meine Schuhe, schwang mir Rucksack und Jacke über und schlenderte rüber. MÄRKTE – das wirklich wahre unverfälschte Leben. Hier sind wir alle gleich. „Schau nur die leidenschaftlichen Marktbeschicker,

ihre großen Herzen und leeren Bäuche“,

seufzte ich, beim Bestaunen der vielen bunten Stände, hier Fische, Oktopusse, aufgeschnittene Thunfische, eisgekühlte Austern, orange leuchtende Gambas, dort bordeauxrot gereiftes Rindfleisch, Berge von Würsten, Töpfe voller Rillette, Foie Gras, und Pasteten, nebenan mein Gemüse-Mann, dahinter der sprachlos machende Käsestand, wunderschöne Reizüberflutung.

„Hier zählen keine Diplome“,

oder anderer Unfug, hinter denen wir uns verstecken, in der Hoffnung von ihnen aufgewertet zu werden, dass unser Selbstbewusstsein daran wächst, wie eine Weinrebe, sich stetig an Allem entlang, möglichst hochrankend, immer höher, noch höher, bis wir glauben den Göttern nahe,

für Besseres, für Höheres geboren worden zu sein.

Dabei sitzen wir auf der gleichen Toilette. Hose runter, „ist genug Papier da?“, ach-ja, das ist schön, alle Formen von Hosen in Knien oder Knöcheln, mit und ohne Bier und Zeitschrift, Hauptsache wohlfühlen; Märkte, Klo’s und Motorräder machen Menschen gleich, brüderlich und ebenbürtig.

Dazwischen Heulen und Zähneklappern,

bis das der Tot uns scheidet. Nicht heute, oder morgen, aber dennoch ganz bald, wirklich, ganz bestimmt. Was fangen wir solange an? WAS? Aufregen über Nachbarn, weil sein Apfelbaum über’n Zaun wächst? Weil wir früher in der Schule verprügelt, im Sport als Letzter gewählt wurden? Weil schräge Vögel bleiben was sie immer waren,

nämlich schräge und komisch?

Oder doch lieber alles im Hier und Jetzt abstreifen, erkennend, „wir sind immer noch da, halbwegs bei Sinnen, mit Resten von Verstand, könn‘ alleine auf Klo gehen, kochen was wir wollen, tolle Weine nachschenken, Männern und Frauen staunend hinterhersehen,

ich muss nicht zum Mars…

Da-sein – Odyssee 2022 CW13

27.März – Endlich wieder regelmäßig laufen! Meine Güte, wie schnell macht mich ewiges Rumsitzen porös. Ich sach nur – Anima-Sana-In-Corpore-Sano. Mit diesem Motto hat Asics mal‘n schön-sinniges Motto gewählt, wenngleich ich nicht mehr mit denen laufe. Seit ich wieder meine Runden um die Garonne drehe, ist das Happyness-Level höher. Vielleicht liegt es auch an der Sonne, die seit Tagen länger scheint.

Zur Zeit buddel ich mich durch mein neues Buch.

Und bin gerade dabei, alte Geschichten aus tiefem Lebens-Gestein heraus-zu-schürfen, als wieder dies merkwürdige Gefühl des totalen Nichtwissens ausbrach. Wieder saß ich da und wusste nicht wer und wo ich bin. Woher das bloß kam? Es hat nichts Beängstigendes an sich. Eher ist es ein zutiefst merkwürdiges Gefühl, als würde ich hinter einem Vorhang stehen, der wie‘n milchiger Filter zwischen mir und dem wahren Leben schwebt.

Ich kann es nicht besser erklären.

Es ist, als wenn ich in einem unbekannten Leben, auf einem unbekannten Planeten wachwerde. Wie beim re-booten eines Computers, wenn „Es“ noch nicht weiß, was „Es“ geladen bekommt. Schon der alte Siegmund Freud hatte die Erfindung des „ES“ für sich in Anspruch genommen, was allerdings nicht ganz korrekt ist, wenn man pingelig sein will und wie ich glaube, wenn ich rückwärts blickend,

Nietzsche und die alten Griechen richtig verstehe.

Doch wenn grauhaarige Männer mit Pfeife oder Zigarre grimmig und humorfrei aus der Wäsche schauen, dann widerspricht man denen nur unter dem Einfluss von Drogen oder Wein. Wie der arme Wilhelm Reich das alles aushielt, bleibt mir ewig ein Rätsel. Nun, in Wahrheit hat er es ja auch nicht…

Auch Günni Grass kam mit Pip und Tweet-Jacket daher….

Aber worauf will ich eigentlich hinaus? Ach ja: Jedenfalls hat Sigi mit seinem „Das ich und das Es“ eine anständige Schrift hingelegt, was mich vor Jahren einlud, diesen Zustand des totalen „Nicht-Wissens“ mit dem Zustand des „Über-ES“ gleichzusetzen, dass am ehesten das „Äußere / Weltliche / Kosmische“ beschreibt, all das, was nicht Teil meiner Ich-Facetten ist, quasi das große Ganze, minus mir und meiner Natur, das sich wieder mal so stark meiner bemächtigte,

dass es für kurze Zeit Sigi’s 3er-Facette in mir hinfort-wischte.

Ähnlich, wie bei einer tiefen Meditation. Nur das ich ganz klar im „HIER UND JETZT“ und nicht im „ÜBERALL“ zu sein schien. Schon öfter hab ich‘s erlebt. In letzter Zeit allerdings häufigerer, wo ich regelmäßig in Untiefen herumfische und mich mit dem Da-Sein als Solches und Meinem im speziellen auseinandersetze. Da geht es unter anderem ums alltägliche Dasein und wie‘s mit Heisenbergs Unschärferelation zusammenhängt – in anderen Worten:

Warum 100% bewusstes Leben in Wahrheit – unmöglich bleibt!

Es bleibt eine unendlich dichte Annäherung. Vollständige dauerhafte Erlangung ist jedoch nicht drin. Man kann kleine Zeitfenster eines erhöhten Bewusstseins erreichen, Hindu‘s und Buddhisten zeigen das, jedoch bleiben es Inseln des Runter- oder Raufkommens, je nachdem wie man’s sieht. Was das mit mir zu tun hat?

Das versuche ich herauszufinden. Was bedeutet Da-sein – und wie empfinde ich meines, rückblickend und im Jetzt verharrend?

Nun, wir werden sehen…

Ist Kultur lebenswichtig? – Odyssee 2021 CW07

21.Februar – Erst vor wenigen Tagen las D in den Medien, dass in Frankreich, wie auch Deutschland die Frisöre wieder offen hatten. Grundsätzlich eine durchaus begrüßbare Nachricht, wenn man sich vorstellte, wie die Haartracht beider Staaten bereits ins wahrhaftig Unermessliche gesprossen sein musste.

Vermutlich hatten sich Herr und Frau Biedermeyer es sich längst selber besorgt, bevor sie wookiee-gleich durch die Straßen schlurften.

Aber wie war das mit Kunst und Kultur? War Kultur schützenswert? Gehörte Kunst nicht bis vor Kurzem zur Kultur, so wie Ying zum Yang? Wie sah es in der Pandemie damit aus? Bekamen Künstler genauso Arbeitslosenunterstützung, wie alle anderen, eher Ökonomie getriebenen?

D wusste es nicht.

Das Einzige, was D kristallklar vor seinen Augen aus der tiefsten Steppe der Erkenntnis entgegensprang, war das Bedürfnis zu helfen!

Noch konnte man sich vermutlich über Wasser halten, doch wie lange noch? Was passierte bis Sommer? Wie würden sich die unzähligen Pleiten auf Arbeitsmarkt und viel dramatischer, Immobilienmarkt auswirken?

Stundenlang brütetet D über diese ernste Situation nach und merkte, wie sich der Ernst der Lage auf seine Unbeschwertheit auswirkte. Es konnte nicht mehr lange dauern und seine Inspiration würde erste Signale senden; Einfälle und Eingebungen mussten ganz zwangsläufig weniger werden, viellicht sogar irgendwann ausbleiben, denn selbst wenn man selber vielleicht noch die Nase überm Wasser halten konnte, musste man ganz natürlich zutiefst berührt um sich herum erblicken, wie die Mitmenschen nacheinander absoffen.

Wen ließ sowas kalt? Wer konnte noch fröhliche Lieder pfeifen, wenn er damit alleine war?

D jedenfalls lief es ein wenig kalt den Rücken runter, wenn er sich vorstellte, welche Auswirkungen es haben könnte und welche es garantiert haben musste!

Beides war nicht von Pappe. Doch es war vielmehr die Frage, was für die Europäer wirklich lebenswichtig blieb; noch spannender fand D die Frage, wer darüber entschied; wer legte fest, welche Dinge lebenswichtig blieben und welche nicht meh; wonach wurde gemessen?

Offenkundig standen Frisöre ganz oben auf der Liste.

Wie konnte ein flotter Haarschnitt wichtiger als Musik, Kunst und Literatur sein? War es nicht eher umgekehrt, dass alles ein großes Nichts blieb, wenn man die großen Drei nicht um sich hatte?

Wie hielten es die Nachbarländer, wie sah es die Eurokommission?

Waren Frisuren wichtiger als kosmisches Benzin? Könnte sich nicht jeder einen Haarschnitt verpassen, der eine Schere bedient? Natürlich, über die Ausführungen müsste man nicht weiter diskutieren; mit Sicherheit dürften einige Varianten wüst bis unmöglich aussehen.

Aber wenn ein Forstwirt, der die Motorsäge bedient und den Baum nicht mehr sieht, weil seine Matte zu lang geworden ist, sich den Pony selber schneidet, um wieder frei auf das schreiende Schwert blicken zu können, dann erfüllt es zumindest seinen Zweck!

Vielleicht lieben Forstwirte die Kunst?

Könnte er nicht eher ohne Kultur am Leben zerbrechen, anstatt mit schnittiger Frisur im kulturfreien Wohnzimmer zu vertrockne, weil er weder Geist noch Seele gießen kann?

D kannte tatsächlich ein paar Forstwirte und war durchaus erfreut, über deren Literaturgeist und Kunstverstand; einer malte soga; wie konnte man also den Friseuren, ohne schlechtes Gewissen wieder erlauben, zu öffnen, während der Rest sehen konnte, wo er bleibt?

D wusste es nicht, im Gegenteil.

Die derzeitige Verrohung, bedingt durch die ungebrochene Taktlosigkeit der Politiker, ließ erahnen, was da noch auf Europa zukommen würde; Fragen wie „was ist lebenswichtig“ konnte und durfte man nur durch Volksentscheide treffen; niemals dürften das Politiker im eigenen Kreis tun; hier ging es um Demokratie und Mitbestimmung, gerade in Zeiten wie diesen, was D letztendlich wieder zur Anfangsfrage zurückbrachte, nämlich, wie half man den freischaffenden Künstlern?

Gab es so etwas wie Rettungsfonds für erwerbslose Künstler? Auch dies wusste D nicht – was er aber wusste war, dass er handeln wollte.

Zwar hatte er nicht die leiseste Ahnung wie, aber es musste einen Weg der Solidarität für alle geben und wenn nicht, musste man sie wieder herstellen und sei es in der Not durch Eigeninitiative.

D grübelte noch ein wenig herum und merkte noch kurz, wie ihn Morpheus heimsuchte, der ihn mit komplexen Träumen in weit entfernte Länder entführte, wo es noch Freiheit und Förderung von Kunst gab……bis er dann selig udn erleichtert…..

………davonsegelte……….

 

Musik vom Wurzelshakra – Odyssee 2020 CW07

Heute Mittag ging ich spazieren. Sie Sonne dröhnte frech vom Himmel, als würde es kein Unrecht im Universum geben. Fast die halbe Welt schien draußen zu sein, so voll war es an der Garonne. In langsamen Tempo schlenderte ich dem gemächlich dahinfließenden Strom entlang, der sich auf die Canneles in Bordeaux im Geiste vorbereitete.

Ich näherte mich einer Bank, auf dem ein Mann um die Sechzig saß, der entspannt dem Gleiten des Wassers zusah, wie es sich um die Biegung an der Pount Neuf schlängelte, an der man vor 400 Jahren den ersten Spatenstich tat und über 100 Jahre brauchte, um sie fertig zu stellen. Sowas nenn ich mal Geduld und langen Atem. Dagegen ist der BER ein Witz, wenn man bedenkt, wie schnell man den errichtet hat. Vielleicht hat man ganz bewusst ein paar Architekten aus Südeuropa einfliegen lassen, um dem BER eine barocke Eleganz und Nonchalance einzuhauchen, bevor er fertig genannt wird.

Eine Zeit sitze ich so da und höre, wie uns aus weiter Entfernung angenehme Musik, sanft wie der Strom umwabert. Nichts dabei ahnend höre ich mich rein. Bald bin ich ganz darin abgetaucht, vergessen sind Zeit und Raum. Nach einer Weile schaltet sich mein Gedächtnis-Palast ein, was nicht immer automatisch Gutes heißen muss. Monsieur Thalamus fragt mich, wo denn die Musik herkommen mag. Ich sag ihm, dass es mich nicht interessiert, solange sie da ist. Natürlich lässt mein Unterbewusstsein nicht locker. Anscheinend kommt die Musik von dem Mann neben mir, der glücklich in die Welt lächelt. Ich horche ganz bewusst hin – und tatsächlich: Sie kommt von ihm. Zufrieden lehne ich mich zurück und lausche den angenehmen Tönen.

Nach einer Weile, es war mir klar, dass Monsieur M. nicht ruhig sitzen konnte, bohrte er mir eine weitere Frage ins Großhirn – wie zum Teufel macht er die Musik? Hat er so einen kleinen Bluetouth-Speaker in der Tasche? Ich hatte wenig Lust, an so einem unwichtigen Thema herumzuspekulieren und sprach ihn an:

„Entschuldigen Sie; ich höre, dass Sie Musik dabei haben; wo kommt die her? Haben Sie einen kleinen Lautsprecher in der Jackentasche?“ Freundlich und beseelt lächelt er mich an.

„Sie kommt aus meinem Arsch!“ Erschrocken und ein wenig angewidert, von dieser derben, rohen, im Grunde unerwartet schmutzigen Antwort, pralle ich zurück, in der Hoffnung mich verhört zu haben. Sekundenlang ringe ich mit mir, mich angeekelt abzuwenden, mit der Ahnung, irgendeinen Perversen erwischt zu haben, entschließe mich aber aus irgendeinem Grund dagegen.

„Entschuldigen Sie, wie bitte? Woher kommt die Musik?“

„Sie haben richtig gehört, aus meinem Arsch! Übrigens sind Sie der Erste, der nachfragt und nicht schockiert davonläuft.“

„Aus ihrem Arsch? Wie macht er das?“

„Ganz einfach; dort, wo sie ihr Arschloch haben, habe ich einen Lautsprecher.“ Anscheinend bin ich in einem surrealen Traum, der sich überraschend real anfühlt und fühle mich eingeladen nachzufassen.

„Wie soll ich mir das vorstellen? Müssen sie nicht auch hin und wieder, ich meine wie wir alle, zum Klo gehen? Haben sie etwa einen zweiten Ausgang, als wären sie der eine, mit drei Nasenlöchern?“

„Nein, ganz im Gegenteil; ich habe wirklich eine Art Lautsprecher, anstelle einem Darmausgang, wissen Sie…“

„Aber wie funktioniert denn ihr Stoffwechsel? Essen und Trinken Sie nichts?“

„Doch natürlich und sogar reichlich, schauen Sie….“

„Und wo landet das alles? Sie können doch unmöglich….“

„Das versuche ich Ihnen ja gerade zu erklären; was meinen Sie, wie viele Ärzte mich schon untersucht haben; anscheinend funktioniert mein Körper wie jeder andere; er zieht aus der Nahrung die wertvollen Stoffe raus, damit ich am Leben bleibe, mit dem kleinen Unterschied, dass er den vermeintlichen unbrauchbaren Rest wirklich in Musik verwandelt, sozusagen….“

„Das ist ja Wahnsinn, Sie sind das erste Lebewesen, das die vollständige Resteverwertung erreicht hat, was für ein Wahnsinn; was für Musik spielen Sie denn so? Sind die Ärzte nicht auf…..?“

„Natürlich! Man hat mich ungezählte Male untersucht, in der Hoffnung mein System zu kopieren; stellen Sie sich mal vor, wenn wir den ganzen Müll der Welt in Musik verwandeln könnten? Abwasser, Verpackungen, jegliche Form von Schrott; alleine der ganze Atommüll, all die vielen Brennstäbe, die wir in der Erde verscharren; wir könnten…..!“

„Natürlich, ganz genau – überall würde schöne Musik erschallen, wenn Abfälle verwertet werden; was für ein Wahnsinn; wie können Sie denn die Musik beeinflussen? Haben sie eine Art Hitparade entwickeln können, bei welchen Speisen, ich denke da zum Beispiel an die Unterschiede zwischen Fisch und Fleisch; wie wirkt sich das…..?“

„In der Tat ist das ein gewaltiger Unterschied; aus irgendeinem Grund macht mein Körper aus Fisch und Gemüse klassische Musik, vornehmlich Beethoven und Mozart, während er bei Rind und Lamm, also dunklem Fleisch eher zu Elektro tendiert. Schwein und schwere Sachen im Allgemeinen lässt Rock’n’Roll und Post-Punk Musik entstehen. Nur wie ich Chansons hinbekomme, das entzieht sich leider meiner….….“

„Sie retten die Welt, wissen Sie das? Mit Ihnen als Beispiel, kann die Wissenschaft riesige Fortschritte, die ganze Menschheit einen gewaltigen Schritt, bei der Rettung des Planeten machen – Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich…..“

„Freuen Sie sich nicht zu früh; es gibt auch andere Meinungen die behaupten….“

„Sie nehmen mich auf den Arm, oder? Welcher geistig gesunde Mensch….?“

„Zum Beispiel die Gewerkschaft der Müllwirtschaft; die wollen mir ein Musikverbot erteilen, weil ich sie um ihre Arbeit bringe, wenn plötzlich aller Müll vom Planeten verschwindet; auch die Recycle.- und Transport-Industrie; sie glauben gar nicht, wie viele am Unrat, an der Beschädigung des Planeten verdienen; neulich hat mich sogar die Kirche scharf angegriffen, ob ich denn meine christlichen Werte verloren hätte, wo ich so viel Arbeitslosigkeit und unwiderrufliche Veränderungen auslösen würde, was zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Verwerfungen zwangsläufig führen muss; sie können sich das gar nicht vorstellen, mit was man mich da täglich konfrontiert….!“ Sprachlos sitze ich ihm still gegenüber, unfähig meinen offenen Mund zu schließen. Langsam finde ich Worte, die ich nur mühsam zusammengefegt bekomme.

„Wollen Sie mir allen Ernstes sagen, dass……?“

„Ja, so ist es; niemand ist in Wahrheit daran interessiert; weder an Musik, noch an der musikalischen Müllbeseitigung, bei der ich….……“

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche; ich habe da eine sehr technische Frage; wie soll ich mir das denn vorstellen…?“ In diesem Moment steht er auf, öffnet seinen Gürtel, lässt die Hose heruntergleiten, was die Passanten zu weiten Bögen und erschrockenen Blicken animiert, während er sich seine Unterhose runterzieht, sich wie beim Proktologen elegant nach vorne beugt und mir seinen haarigen Arsch entgegenstreckt, in dem in der Mitte, wahrhaftig, so wahr mir Zeus helfe, ein kleiner Lautsprecher prangt, mit vielleicht fünf Zentimetern im Durchmesser, einfach unglaublich!

Entsetzte Mütter ziehen ihre beugierigen Töchter vorbei, murmeln hinter vorgehaltenen Händen ihr Entsetzen, während sein Hinterteil wunderbare Melodien dahinsäuselt. Nachdem er sich die Hosen wieder hochgezogen hat und mir die staunende Verwunderung die Sprache wiedergegeben hat, will ich mehr Details haben.

„Wie sieht es denn hinter dem Lautsprecher aus; haben die Ärzte dazu etwas….?“

„Natürlich; sie meinen nachgewiesen zu haben, dass sich mein Enddarm zu einem echten und wahrhaftigen physischen Wurzelshakra transformiert hat, das alles in Frequenzen, in Musik verwandelt.“

„Wie wunderbar; geben Sie auch Konzerte?“

„Nein, um Gottes Willen; ich habe es einmal versucht; als ich für den besseren Klang meine Hose runterlassen wollte, so wie eben, haben ein paar Frauen die Polizei geholt, die mich schnurstracks abführen ließ; es war der helle Wahnsinn, dass kann ich ihnen sagen….!“

„Und dann?“

„Ich verbrachte ein paar Monate in der geschlossenen Anstalt, bis Ärzte mir Glauben schenkten! Sie müssen übrigens sehr aufpassen, weil…..“

„Wieso, wovor?

„Wenn Sie genug Zeit mit mir verbringen, kann sich ihr Wurzelshakra auf meines einschwingen und dann machen Sie die gleiche Transformation durch, geben Sie fein Acht…deswegen lasse ich Sie jetzt besser alleine; ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass Sie auch einen Arsch bekommen, der Musik macht……“

Seit gestern sitze ich jetzt länger auf Klo und horche vorsichtig in die Stille hinein, in der Hoffnung etwas Neues zu hören; manchmal meine ich schon zarte Klänge, ähnlich wie eine Mozartserenade zu hören…….“