Schlagwort-Archive: Götter

Glory day – Odyssee 2024

Strahlend schöne Sonnenstrahlen … Ägäisblau der Himmel … Ich schaue und staune täglich auf’s Neue … Kann ein Mensch sowas erfinden? … Selbst wenn er wollte? … Menschen bauen doch eher Maschinen und erfinden den Lohnsteuerjahresausgleich …

Aber den Himmel?

Sonne, Mond und Sterne? … Und selbst wenn jemand all das erfunden … Vielleicht ein Gott … Oder ein Obdachloser mit Zauberkräften … Eine Katze mit magischen Kräften … Wie viele schauen in diesem Moment hoch hinauf …

denken & sehen das Gleiche …

erfreuen sich an einfachen Dingen … Am Leben! … Mein Kaffee ist pünktlich … Neun Pakete aus Marseille … Musik plättschert aus meiner Box … dazu Sonnenstrahlen, blauer Koma-Himmel, der betrunken macht … schau nur lang genug hinein … frag dich …

was du da siehst …

was dahinter ist … die unendlichen Weiten des Kosmos … direkt vor deinem kleinen Fenster … Stell dir das mal vor … Schon Mozart und Beethoven staunten … und fanden Zeit Wunder zu vollbringen … pure Magie … das Alles …

zum Verrücktwerden …

Und überhaupt … was machte es schon, wen interessiert es, was hinter der nächsten Kurve auf dich wartet … ein neuer Mensch … ein Wunder … oder gar ein heiliger Krieger, samt Krieg … im Auftrag des ehrwürdigen Estrella Gallicia Braumeisters …

Linkes Ufer …

Oder rechtes … dazwischen, der Fluss … mit und ohne Fährmann … muss raus … Luft, Menschen, Stadtzentrum voller Bourgeoisie … Markt „Les Carmes“ voller Gemüse und Obst … Fischgeschäfte voller Waren … meterlange Schlangen …

und dies Licht …

1,5h später der Sonnenuntergang … als Hamburg … weicheres Sonnenlicht … weniger frontal … dafür überm Kopf … kein Torero … kein Stier … dafür über uns der große Wagen … vor mir an der Ampel, das Auto … Menschen wimmeln, wuseln umher …

Ameisen und ihre Nester …

Spaziergang im Viertel … Kebab auf der Faust … essen am rechten Ufer … zwei Saxophone werben um Zuhörer … Einrad mit drei brennenden wirbelnden Fackeln … Zirkus für alle … Leben als Theater, als Kunst … als …

was du willst …

Place de la Daurade … ein Meer von Menschen … Vogelgezwitscher, keinen hält es mehr drinnen … denn selbst dort wacht der Andromeda-Nebel über uns … und fühlst du dich in deiner kleinen Ecke auch noch so klein …

Umarme die Welt …

Versuche es … lass nicht locker … bleib heiter, gerade in jenen Momenten … schmeiß Geld in Hüte und Dosen … gebe Trinkgeld … verschwende dich und dein letztes Bisschen Jugend … am Ende wartet der Regenbogen …

Und ein Topf aus Gold …

Finde Rapunzel … deine Prinzessin … deinen Prinzen … fertige deinen Schlüssel zur Himmelspforte … bewege dich, reise, sei ein Beatnik … male deine Horizonte in fetten Farben, doch gib Acht, dass du sie gleich wieder einreißt …

Die nächsten werden schöner …

Viel schöner … mache gleich einfach weiter … keine Pause … besuch Agamemnon … in seinem Zuhause, nicht im Museum … König Minos & Ariadne … Schenke Wein nach … trinke mit den Zauberkräften von Dionysos …

Reise ins gelobte Land …

Wo auch immer es für dich sein mag … was für dich gelobt und gepriesen … fülle weiße Blätter mit Strichen, erst kleine, dann lange Kräftige … dann Farbe … satt und tief … sei episch … und kosmisch … hin und wieder chaotisch …

Impulsiv …

Sei alles … einzeln und gleichzeitig … wandle und verwandle … dich und andere … suche absichtslos … grabe tief … scheue dich nicht vor der Undurchdringlichen … Dunkelheit … Stille … suche, so lange du kannst … doch warte mit dem Finden …

Den Funken hast du schon …

12.Juni – das Bad des Hades – Odyssee 2022

Nach langer Planung besuchte ich meinen Kumpel Pierre-André. Für mich ist PA in Wahrheit Druide. Offiziell ist er Winzer und lebt bei Langon, genauer gesagt in Toulenne. Wenn er sich nicht um Wein kümmert, kocht oder trinkt, oder beides zugleich, liest er die Zukunft aus Knochen, Eingeweiden eines Kaninchens, oder von den Schenkeln seiner Freundin. Letzteres hat mich auch immer interessiert; oft habe ich mich versucht,

gefunden habe ich meistens was anderes.

Es liegt daran, dass ich leicht abgelenkt bin, besonders wenn Frauen im Spiel sind; hier sind PA und ich uns sehr ähnlich. Schon vor Jahren vermutete ich, dass er in Wahrheit der Präsident des Universums sein müsste, natürlich ohne davon zu wissen;

solche Ämter bekommt man verliehen.

Diesmal fand ich nicht nur Indizien, sondern echte Beweise. An diesem Wochenende lernte ich die Wahrheit über ihn. Es gehen nämlich nicht nur die griechischen Götter bei PA ein und aus, nein, es ist viel beeindruckender. Sein Haus ist der Beweis dafür, dass die Milchstraße schon vor Jahren implodierte!

Sie krempelte ihr Innerstes nach außen – und umgekehrt.

Seit dem Zeitpunkt, befindet sich die Milchstraße im Haus von Piérre-André. Ganz erstaunlich wie ich finde ist dabei, dass es vor den Augen von Hawking und all den anderen Wissenschaftlern passierte. Als ich gestern sein Haus betrat, da geschah es. Ich spürte es sofort. Ein unaufhaltsamer Sog, wie ich ihn nur von schwarzen Löchern kenne.

Doch das war es nicht.

Je länger ich grübelte, erinnerte es mich mehr ans Verbrennen durch’ne Supernova, wenn sie sich aufbläht und man verschlungen wird. Gegenüber vom Eingang thronte der viel zu große Kamin, vor dessen Feuer ein aufgespießtes Kaninchen seine Runden drehte; zur Linken prunkte eine mächtige Anrichte. Hier erlebte ich das Gleiche. Kaum sah ich genauer hin, gab’s einen weiteren Strudel. Wohin ich auch sah, überall wuchsen neue Welten und Milchstraßen.

Und alles direkt vor meinen Augen.

Ein paar Türen der Anrichte hatten kleine Fenster, aus den weitere Planeten neugierig herausschielten. Auch Flaschen und Gläser standen dort, viele halbvoll, vor langer Zeit geöffnet, nicht ganz ausgetrunken, für später weggestellt, es mochte Jahre her sein; ein beachtlicher Berg Tabletten und jegliche Form von Medizin, die man PA verschrieben,

die er jedoch nie eingenommen hatte.

Eine nicht minder eindrucksvolle Auswahl Werkzeuge, Feuerzeuge, Aschenbecher, Rechnungen, Bücher und ein meine ganze Anerkennung und Aufmerksamkeit auf sich ziehender Vorratskarton Kondome, der Bordellbesitzer*innen in der gesamten Galaxis

feuchte Augen geschenkt hätte.

Schon dieser Kosmos verschlang mich mit Haut und Haaren. Nie würde ich hier wieder wegkommen, soviel stand fest. Doch das war längst nicht alles. Irgendwann musste ich aufs Klo. Auf dem Weg dahin, durchschritt ich auf leisen Sohlen die Küche, um nicht die gewaltigen Berge Töpfe, Pfannen Gemüsereste beim Plausch aufzuschrecken,

deren Gesprächs-Takt ein stetig tropfender Wasserhahn gab,

der wie ein galaktisches Metronom unendlich weit und tief klang; erfolgreich, ohne Aufsehen zu erwecken und Wegzoll zahlen zu müssen, passierte ich diesen Isthmus, der mich beim Durchschreiten an ein Wurmloch erinnerte, in dem die Zeit still steht.

Endlich bin stehe ich vor der Tür vom WC.

Langsam öffnete ich die Tür. Ein elegisch-schummriges Licht glomm darin, obwohl keine Lampe brannte. Noch ahnte ich nicht, welchen großen Schritt ich für die Menschheit wagte. Vorsichtig schob ich mich hinein, aus mir unbekannten Gründen war ich sprungbereit. Endlich traute ich mich und knipste Licht an. Beim Aufblitzen zuckte ich zusammen, gefolgt von Stöhnen:

„Oh mein Gott….!“,

entfuhr es mir. Denn ich stand im Bad des Hades. Ihr kennt ihn, jenen einen Moment im Leben, der Alles ändert. Nun kam er zu mir. Jener stumpfe totenbleiche Spiegel, in dem sich schon die gesamte Unterwelt rasiert hatte lächelte wie aus anderen Welten; eine unzählbare Menge Tassen, Gläser und Tuben breiteten sich hier unaufhaltsam

wie die Wüste Gobi aus.

PA scheint jede Woche ’ne neue Zahnbürsten zu verwenden, bei den vielen Sträußen, die in bunt bedruckten Senfgläsern das Bad bewachen. Gewaltige Berge Cremes und Shampoos warten auf Benutzung oder Entsorgung; kein Zweifel, jede seiner Freundin bestand auf ihre eigene Pflegeserie; war dies alleine schon eine Fahrt in der kosmischen Achterbahn, entschied ich mich glücklicherweise doch dafür,

kein genaueres Auge zur Dusche zu werfen.

Ein aus hellblauer Keramik geschmiedetes Tor ließ all meine Hoffnungen und Ängste wahr werden: Hier stand ich nun – einsam und alleine vor der Pforte zum Tartaros. Und dieser Moment ließ mich erzittern. Wie hätte ich mich auf diese unbeschreibliche Unterwelt hätte setzen können? Mit zitternder Hand klappte ich die Brille hoch und versuchte meinen Reißverschluss zu öffnen – vergeblich.

Vor diesem gähnenden Schacht gab alles klein bei.

Doch wie entstand dies Kunstwerk? War es ein Akt des Zufalls, bei dem Musen und Götter nachhalfen? Hatte PA ein klares Bild im Kopf, an dem er aktiv drauf hin arbeitete? Oder entstand alles aus reinem Zufall, was bedeuten musste, dass des Künstlers Botschaften und Anliegen, mit dem Werk selbst mitwuchsen und sich so

zu einem unsterblichen Gesamtwerk aufschwangen?

Das Bad des Hades verlässt du als anderer Mensch. Das änderte sich auch nicht, als PA zum Abend hin nach ausgiebiger Siesta, die bei größeren Weinmengen wichtig sind, eine zweite Genusswelle aus „Trüffel-Eier-Champignon-Suppe“ sowie wild gewachsene Jacobsmuscheln über uns zusammenbrechen ließ, was seinen Gipfel in einem Côte du Boeuf fand.

PA wissendes Lächeln setzte Allem die Krone auf.

Wusste er mehr als er preisgab? Vermutlich. War es wichtig, ob er Winzer, Druide, Magier, Präsident des Universums, Künstler, Frauenheld, Vagabund oder mit den Göttern im Bunde war? Nein. Sein Universum, seine Zeit mit mir zu teilen, noch dazu mit solchen Speisen und Weinen zeichnet wahre Freundschaft aus. Sie bleibt Motor des Universums und macht

ehrerbietend andächtig…

Ochsen und Messer – Odyssee 2021 CW13

Oster-Sonntag, 04.Apil – Richtig, falsch oder neutral blieben die Kategorien, in denen D seine Welt erschloss. D bemühte sich, seinen philosophischen Anspruch in seinem Alltag anzuwenden; besonders leicht ging ihm dies bei Wein von der Hand.

Natürlich kannte D nicht alle Rotweine der Welt, vermutlich blieb es ein verschwindend kleiner Teil, den er in seinem Leben bis heute kosten durfte, was nichts daran änderte, dass es mehr als Beispielsweise zehn waren; realistischen Einschätzungen nach mussten es bereits mehr als hundert gewesen sein, womit D zumindest für sich eine statistisch beweisbare Aussage machen konnte, woraus sich über die Jahre passende Begrifflichkeiten weiterentwickelt hatten, wie eben richtig und falsch.

Ein für D’s Gaumen, leichter Rotwein aus dem Ahrtal blieb für ihn so leichtgewichtig, dass er sie tendenziell zu den falschen als zu den neutralen Rotweinen einordnete, abhängig davon, wieviel Charakter sie hatten; kamen sie mit heraus-schmeckbarem Körper daher, schafften sie es in D’s Wein-Liga immerhin auf einen soliden neutralen Platz.

Natürlich wollte D nicht jeden Tag den gleichen Wein trinken, was alleine schon deshalb schwierig blieb, weil er ja täglich in anderen Stimmungen und Momenten lebte, weswegen er auch mit anderen Geschmacks-Idealvorstellungen daherkam, so dass sich in der Familie der „Richtigen“ eine bunte Mischung südeuropäischer Rotweine angesammelt hatte, die D’s Leben verschönerten.

So auch diesen Ostersonntag.

Perikles von Korinth hatte sich nach langem wieder mal angekündigt. P, wie D ihn gerne nannte, hatte einen ähnlichen Weingeschmack und auch sonst sich ähnelnde Rituale, weswegen sie sich vorgenommen hatten, mal wieder einander physisch zu-zu-prosten.

Ein Krug „Sang de Bou“ stand auf dem Tisch, den D leichthändig über dem Tisch kreisen ließ, das P an Kettenkarusselle und Achterbahnen dachte, als der Krug dann leicht nachwippend vor ihm halt machte und mit lautem Gluckern seinen Kelch füllte.

D war in Hochstimmung.

Durchaus mochte es an den Tonbechern liegen, die er sich bereits zu Gemüte geführt hatte, bevor P seine gute Stube betat, die ihm bereits einen nicht zu unterschätzenden Vorsprung gaben, sowie Kredit auf Nachmittag und Abend auszahlten, das Perikles sich achtungsvoll am Tisch festhielt, als D seinen Trinkspruch hinterherschob – que fa rem – was auf mallorquinisch so viel hieß wie „man kann nichts machen / oder was soll man machen?“ und D seinen Becher augenzwinkernd zum Mund führte, nicht ohne zufriedene Seufzer aus tiefster Kehle strömen zu lassen.

Nachdem die andächtige Stille, kulturell angemessen untermalt durch das gurgelnde Schlucken der zwei angegrauten Kater, ausreichend gefüllt und schlussendlich vertrieben wurde, machten sich beide mit einem erwartungsvollen Dialog-Sparring warm, dass sich beide wohlig fühlten und am Zusammensein labten.

„So, mein Lieber – da wären wir mal wieder; und..?“

„Wie und…?“

„Du weißt mindestens so gut wie ich, dass es sich hier um eine Art Einleitung, quasi eine Brücke handelt, um einen angeregten Dialog mit dir zu beginnen, in dessen Zentrum eine hoffentlich anspruchsvolle These steht; du weißt, wie sehr mich belangloses Palieren langweilt…“

„Aber natürlich…wenngleich ich hinzufügen muss, dass ich noch nicht ganz verstanden habe, was diesen Wein, zu einem „Richtigen“ macht; ja, ich mag ihn, aber es gibt doch sicherlich noch viele andere, die ebenfalls richtig sein dürften, oder etwa nicht?“

„Natürlich! Es ist wie mit dem Guten; auch dort gibt es ja mehr als ein „Gutes“ – und so ist es natürlich auch mit den „Richtigen“ Weinen; wenn du dir eine Skala von links nach rechts vorstellst, befinden sich auf der einen Seite…“

„Ich kann es mir vorstellen, lieber D; weiter weiter…“

„Okay; dann spule ich vor; wie weit…?“

„Wie du magst…“

„Okay; wir müssen uns den Weinen, wie bei Allem übrigens im Leben, über Extreme annähern; welche sind trinkbar, aber nicht besonders charaktervoll, also vielleicht neutral, welche gehen gar nicht und welche sind schlicht und ergreifend „richtig“; ein Beispiel mit etwas völlig Anderem, aber repräsentativ für quasi Alles; kennst du das Messer-Experiment?“

„Nein, noch nie gehört; kommt das wieder aus deiner dunklen Psycho-Kiste? Von wem hast du das…?“

„Nein, es ist ne Eigenkreation…“ Im Hintergrund schenkt D erneut die Tonbecher gluckernd voll. Sich fröhlich zunickend stoßen die zwei Männer erneut an und heben dabei die tulpenförmigen Gefäße in die Höhe.

„Na, dann bin ich gespannt…“ P lächelt breit und erwartungsvoll und legt sich ein paar stramme Argumente, als Dialog-Munition zurecht, um den derart motivierten D schnell zurück auf den Boden zu holen, bevor er in zu große Höhen abdriftet, von denen er nur langsam wieder hinuntersegelt, meist erst nach Stunden, wenn seine sprudelnden Gedanken zur Ruhe kamen.

„Also…“ D stand auf und machte sich in der Küche zu schaffen.

„Ich höre…“ Überrascht sah sich P um und versuchte zu ergründen, was D anstellte, als dieser mit Holzbrett und großem Messer zurückkam; überrascht blickte Perikles auf.

„Was soll denn das..?“ Perikles rückte unbewusst vom Tisch ab.

„Leg deine Hand auf das Brett, los doch…“

„Wie bitte? Und dann…?“

„Los doch…“

„Welche denn…?“

„Ist völlig egal…“, worauf P seine linke Hand auf das Holzbrett legte.

„Gut! Jetzt nehme das Messer in deine Rechte….“

„Was? Wieso, was soll denn das alles…?“

„Wirst du gleich sehen; es ist nicht gefährlich und schmerzhaft, aber im wahrsten Sinne einschneidend…“

„Jetzt machst du mich ein wenig unruhig…“, dennoch nahm Perikles von Korinth das große scharfe Messer in seine rechte Hand, genauso, worum ihn D gebeten hatte.

„So! Jetzt streck deinen kleinen Finger aus und lege das Messer mit der Klinge auf das Ende deiner Fingerkuppe, so als würdest du sie abschneiden…“

„Wie bitte, spinnst du…?“

„Nein, sei unbesorgt, es passiert dir nichts…“

„Na gut; und jetzt?“ Tatsächlich tut P wie ihm geheißen und zuckt zusammen, als die kalte scharfe Klinge auf der Fingerkuppe seines kleinen Fingers lag; schon alleine durch das Eigengewicht von Hand und Arm, spürte P, wie die Haut angeritzt wurde, wenngleich ohne dass Blut hervortrat.

„Wie fühlt sich das an, mein teurer Freund…?“

„Merkwürdig, irgendwie falsch…und jetzt?“

„Was würdest du jetzt üblicherweise tun…?“

„Wie meinst du „üblicherweise“; so etwas hätte ich ja nie getan, wenn du mich nicht darum gebeten hättst; wie soll ich also jetzt wissen, was ich als nächstes tun würde…?“

„Ganz genau! Du machst das zum ersten Mal und hast keine Ahnung, was als Nächstes kommt…dann frag ich dich jetzt, was tust du als Nächstes, wenn du ab dieser Sekunde frei bist, zu tun und lassen, was du willst?“

„Wie bitte?“

„Du hast ganz richtig gehört; los doch, was machst du als Nächstes?“

„Ich würde das Messer entfernen und weglegen…“

„Warum?“

„Wie warum? Wieso denn nicht? Was denn auch sonst?“

„Du würdest dir also nicht die Fingerkuppe abtrennen, wie ein Yakuza-Mitglied, das einen Auftrag nicht völlig zufriedenstellend ausgeführt hat?“

„Natürlich nicht, was soll denn der Quatsch?“ Perikles nimmt das Messer von seinem Finger weg und legt es etwas skeptisch auf den Tisch, neben das Holzbrett.

„Du würdest dir also keinen Schaden zufügen und stattdessen das Messer weglegen, habe ich dich richtig verstanden? Waum…?“

„Wie warum? Ich verstehe ich nicht, was soll das alles?“

„Warum fügst du dir keinen Schaden zu? Versuche die Frage so präzise wie möglich zu beantworten…“

„Weil ich mir keinen Schaden zufügen möchte; ich fühle mich unversehrt und gesund wohler!“

„Ganz genau! Sehr gut…“

„Und?“ Perikles nimmt jetzt einen großen Schluck aus dem Becher.

„Nichts, das war das Experiment…“

„Wie bitte? Und was ist die Erkenntnis?“

„Das du dich offensichtlich ungerne selber beschädigst…“

„Dafür brauchte ich kein Experiment…!“, gab Perikles ziemlich forsch und angespannt heraus und zündet sich eine Zigarette an, während D immer zufriedener lächelt.

„Vorsichtig! Was denkst du, wobei kann dir dies Experiment helfen, wenn es dir offenkundig so wenig Mehrwert gibt? Wozu könnte es anregen…?“

„Hm, lass mich mal nachdenken…“

„Nur zu…“

„Hmm……“ Perikles runzelte die Stirn und stemmte seine Hand unter das Kinn, so wie man es bei alten Statuen. Doch es kam nichts Nennenswertes aus seinem Mund, auch nach mehreren Minuten nicht, so das D sich eingeladen fühlte, seinen Erkenntnisprozess auf andere Art und Weise anzuregen, weil er ein großer Freund der Mäeutik blieb.

„Wieso brauchst du nicht lange grübeln, ob du dir deine Fingerkuppe abschneiden willst…?“

„Na weil ich recht gut weiß, was mir guttut und was nicht…“

„Ganz genau! Doch wieso ist etwas offensichtlich Einfaches dennoch im Alltag sehr hilfreich, auch wenn es dir so simpel und selbsterklärend erscheint…?“ Langsam erhellte sich die Miene von Perikles; mehr und mehr lächelte er, bis er D breit anstrahlte.

„Aber natürlich; die offensichtlichen Dinge, entschlüpfen uns am schnellsten, weil wir quasi den einzelnen Baum vorm Wald nicht mehr erkennen können…!“ D schwieg und ließ seinen Freund allen gedanklichen Auslauf.

„…und weil wir uns daher sehr häufig im Leben gar nicht sicher sein können, was gut oder schlecht für uns ist, weil wir nie genug Distanz aufbauen, um eine vernünftige Lösung zu finden…“ D trank aus seinem Becher und schenkte lächelnd und nickend nach; er konnte förmlich spüren, wie Perikles den Kreis in den nächsten Minuten schließen dürfte.

„Ha, jetzt hab ich es! Du kleiner Schlawiner, du ausgekochtes Schlitzohr! Es geht bei dem Experiment gar nicht um Messer und Finger…du benutzt dies haptische, in der Tat sehr einschneidendes Beispiel als psychologischen Anker für jeden Moment, in dem ich mir unsicher sein könnte….das ist wirklich perfide, mein Lieber…so scheuche ich mich in Zukunft selber zur ausreichenden Distanz auf, dank der kalten scharfen Schneide, die mir in der Tat den Finger geritzt hat…um mit genügend Distanz und Ruhe meine eigene, statt übernommene Entscheidungen der anderen unbewusst zu kopieren…herzlichen Dank dafür…also, dann lass uns auf den Osterhasen, den Leib der Herren da draußen, die griechischen Götter und das Blut kastrierter Bullen anstoßen:

Santé!“

Götter und Komödien – Odyssee 2020 CW41

11.Oktober – am Vormittag hatte D ein bewegendes Telefonat mit einem guten Freund; er lernte nicht nur, wie resolut man in Deutschland die bereits anrollende zweite Corona-Welle anging, sondern auch, dass man unverändert vergeblich nach Solidarität in Europa suchte.

Anstelle auf EU-Ebene für alle EU-Bürger gültige EU-Richtlinien abzustimmen, wurschtelte jede Nation vor sich hin, nicht müde darin werdend, die Nachbarländer reihenweise als Risiko-Gebiete zu kennzeichnen, als würde man Oblaten, oder Verdienstorden vergeben. Soziale und psychische Beschädigungen von Menschen und deren Familien wuchsen und gediehen munter weiter, als gäbe es kein Morgen.

Seit das RKI und durchsetzungsstarke deutsche Amtsinhaber auf Bundes und Länderebene mit hochgekrempelten Ärmeln drohten, fragte D sich schon länger, warum er in dieser Glorreichen Zeit, in der Freiheit und Wärme so rar geworden sind, dass man sich dabei ertappen konnte, im Kühlschrank danach zu suchen, keine Anleitung zum Unglücklichsein schrieb.

Wie immer hatten die Götter eine ebenso geniale, wie einfache Antwort parat – es gab sie bereits! Mit Freuden blätterte D darin herum, nachdem er das verstaubte Buch in seiner kleinen Bibliothek wiedergefunden hatte. Paul Watzlawick hieß der kluge Mann, der die Menschen nicht nur sehr mochte, sondern ihnen ausdauernd auf die nervösen und ungeduldigen Finger sah.

Seine Gleichnisse blieben schlicht und ergreifend das Beste, was man finden konnte, um unsere menschliche Misere darzustellen – völlig unabhängig, ob es die Geschichte mit dem Hammer, dem Elefanten, oder dem verlorenen Schlüssel ist.

D nahm sich daher vor, sein Leben ab sofort noch mehr durch die humoristische Brille zu sehen und erkannte zum tausendsten Mal, welch sagenhaft göttergleiches Wesen der Mensch ist – er hat schlicht und einfach jede Anlage für wirklich und wahrhaftig alles.

Seien es Ausnahmemenschen wie Mozart, Beethoven, Heraklit, Empedokles, Dante – aber auch Schatten-Talente wie Hitler, Stalin, Franco und viele andere, die auch heute noch Anhänger haben, obwohl ihre Egos menschenverachtende Konsequenzen nach sich zogen, deren Narben bis heute nicht vollständig verheilt sind.

Ein lockeres Gespräch mit Monsieur Thalamus sollte D’s Gedanken belüften und neu ordnen.

MT: Nun, lieber D, wie geht sich das Leben an?

DT: Ganz okay soweit, ich sehe halt zu, einen möglichst großen Bogen ums Glück zu machen…

MT: Wieso denn das auf einmal? Hattest du nicht vor…

DT: Schau uns Menschen doch an…

MT: Tue ich in jeder Sekunde meiner Existenz…

DT: Ich weiß, aber jetzt mal im Ernst…sobald wir am Ziel unserer Wünsche sind, scheinen wir nach kurzer Zeit wieder unzufrieden zu sein…es ist ein ewiges auf und ab…entweder sind wir glücklich, oder unglücklich…und wenn wir keinen Krieg oder Stress haben, brechen wir welchen vom Zaun…wir sind unfähig zufrieden in Frieden zu leben…es ist eine kosmische Satire, wenn sie nicht so viele Abermillionen Tote nach sich ziehen würde…daher meine Theorie: Es kann sich nur um eine absurde göttliche Komödie handeln…weil die Götter betrunken waren, als sie uns mit dem Ego ausstatteten…

MT: Wie wahr, lieber D – und jetzt?

DT: Na nichts – ich halte mir halt den Bauch vor Lachen…

MT: Dann ist unser Gespräch also schon zu Ende?

DT: Im Grunde ja. Es ist doch schon alles gesagt worden…ich habe eben nur mal kurz durch Watzlawicks Buch geblättert, dann lacht man Tränen der Verzweiflung und der Freude…

MT: Beides zusammen…?

DT: Aber hallo…

MT: Kannst du mir das ein wenig erklären? Du weißt, ich orchestriere dich nur, ich bin nicht verantwortlich für Inhalt und Content…

DT: Nehm doch mal die Bürger der USA…

MT: Wie kommst du denn jetzt auf die, wegen der Wahl…?

DT: Keine Ahnung, das müsstest du doch eigentlich besser wissen, oder nicht?

MT: Jetzt wirst du aber pingelig…

DT: Der Ami gibt dreimal so viel Geld für Rüstung und Sicherheit aus wie ganz China und fühlt sich trotzdem unsicher…er hat 20.000€ mehr Jahreseinkommen, als der durchschnittliche Europäer und ist trotzdem unzufrieden…also in anderen Worten: Egal wie viel du den Menschen an Vermögen und Glück gibt’s, sie werden immer unzufrieden bleiben…was ist da los?

MT: Der menschliche Makel…

DT: Und wie! Wenn du krank bist, sehnst du dir nichts mehr als gesund zu werden, bis es dann drei Wochen bis zwei Monate dauert, bis du dies Gefühl wieder verloren hast…

MT: Natürlich…was hast du denn gedacht…?

DT: Es ist doch erstaunlich…man kann jederzeit zufrieden sein, entscheidet sich aber für das Gegenteil…

MT: Natürlich…im Mangel zu leben ist einfacher…nach oben schauen auch…natürlich liebt ihr Menschen Helden, aber wer will schon gerne einer sein…ist viel zu anstrengend…das ist richtig Arbeit…aber mal etwas ganz anderes…was unternimmst du denn dagegen, nicht unzufrieden und maulig zu sein…und auf kurz oder lang einen Krieg mit dem Nachbarn vom Zaun zu brechen, weil sein Apfelbaum über den Zaun wächst?

DT: Habe ich doch gesagt…nie hörst du mir zu…!

MT: Jetzt sei nicht wieder die beleidigte Leberwurst…nun sag es halt noch einmal, bitte…!

DT: Du nimmst 1000 Menschen und mich, du gibt’s uns allen ein Glas voller Glück…wenn wir es bis auf den Grund leeren, werden wir bis ans Ende unserer Tage glücklich sein…was tun die 1001 Menschen…?

MT: Sie trinken das Glas restlos aus…

DT: Falsch!

MT: Sondern?

DT: Ich werde nur daran riechen und es ohne zu kosten wieder abstellen…

MT: Bravo…dann war ja nicht alles in deinem Leben umsonst…die Götter sein Dank…

DT: Lass diese Heinis da raus…die haben uns den ganzen Kram eingebrockt…

MT: Schon gut, reg dich wieder ab…was gedenkst du denn noch so zu machen, wo du doch in einem gefährlichen Risiko-Gebiet lebst, nach Aussage des RKI…?

DT: Wenn das Berliner RKI Frankreich mit der roten Flagge markiert, dann erscheint mir das eher eine Art Orden zu sein, den wir uns, nicht ganz ohne Stolz erarbeitet haben, denn das Leben in Toulouse lässt sich wunderbar an, wie vor Corona…wenn das umgekehrt genauso ist, dann könnten wir auf die Idee kommen, dass diese von außen kommenden Bewertungen nichts in der Wirklichkeit bewirken, weswegen wir sie aufheben könnten, was wir natürlich nicht machen, weil ja alle in Lohn und Brot sein sollen und wir froh sein sollten, so viele Corona-Tests machen zu dürfen – was schlussendlich nichts anderes ist, als eine indirekte Wirtschaftshilfe, daher – Vive L’Europe, vive le Con…

Monsieur Thalamus und D liegen sich lachend in den Armen, jegliche Regeln für soziale Distanz missachtend…und prosten sich mit einem Schluck Rotwein zu, um auf weitere unzufriedene Jahre anzustoßen…