Archiv für den Monat: Juni 2022

26.Juni – Tartaros – Odyssee22

Mein Kumpel Ede ist gestürzt; Ellenbogen und Nase sind verletzt; aus einer Unaufmerksamkeit heraus dachte ich, lag aber woanders dran; seine Frau rief den Notarzt, jetzt liegt Ede im Krankenhaus, Diagnose 2,0 Promille; fand sogar er beachtlich, wie er am Telefon sagte; lange haben wir telefoniert, über eine Stunde; Ede hat ‘ne Menge Kummer und greift deswegen zur Flasche; genau das geht mir an die Nieren; Ede lebt lang genug und hat ausreichend Gründe,

dass es ihm jetzt richtig Scheiße geht.

Nur Ignoranten*innen, Alpha-Vollpfosten*innen und Dummbeutel*innen kapieren‘s nicht. Man kann unmöglich 50 werden, ohne nicht mindestens 10 Mal gezweifelt und 5 Bauchlandungen hingelegt zu haben. Wieviel ist genug? Wieviel zu wenig? Wieviel zu viel? Wie kann man all das wissen, ohne auszuprobieren – ohne – hin und wieder zu scheitern?

Noch dazu ist Ede sensibel und empathisch.

Beides schätze ich sehr an ihm; nie stellt er sich ins Rampenlicht, oder fordert Sachen ein; meist bleibt er konstruktiv, dem Leben zugewandt – meistens, nicht immer; manchmal ist genug einfach genug. Das sein Fass am Überlaufen war, hat er vielleicht nicht flott genug gemerkt, erst nach und nach, vermutlich mehr unterschwellig, so wie eingewachsene Fußnägel, oder Splitter in Fingern, die sich – hin und wieder – bemerkbar machen. Sensibilität als Begriff schon ist komplex.

Nie weiß ich, von welcher man spricht.

Bei Empathie ist‘s einfacher. Man erkennt schnell, wieviel jemand hat. Sprache ist ein gutes Indiz. Je achtsamer jemand spricht, desto respektvoller ist der Umgang mit anderen – und – desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen empathischen Menschen handelt. Deswegen habe ich eine metaphorisch-visuelle Empathie-Skala erfunden. Weit und offen ist sie, wie die Menschen und reicht von

Schmetterling bis Panzer.

Empathie, Takt und Sensibilität sind vermutlich die stärksten Eigenschaften, die Menschen charakterisieren. Spannend hierbei ist, wie die glorreichen drei heranwachsen und ab wann sie ihre Eigenständigkeit zurückgewinnen. Französisch zum Beispiel ist eine recht höfliche und diskrete Sprache, die dennoch

keine Auskunft über die drei Glorreichen gibt.

Oft vermischen Menschen Höflichkeit mit Empathie und Sensibilität. Dabei kann man höchstens Takt in die Nähe bringen. Nicht selbstausgewählte Sprachprinzipien und Methoden stellen keine persönlichen Werte, sondern gutfunktionierende Werkzeuge dar, was zumindest gewaltfreie Kommunikation unterstützt.

Ede hat alles und doch hat’s nichts genützt. Warum?

Es sich einfach machen und zu sagen, dass es eine Verkettung von Schicksalsschlägen ist, plus den üblichen Beziehungsproblemen, ist nicht meine Art. Außerdem würd‘s Ede nicht gerecht werden; daher drehe ich den Spieß um: Was treibt uns an? Was lässt uns leuchten, was lässt unsere Leidenschaft brennen?

Wie können wir Sonne bei all dem Schatten sehen?

Ich glaube Ede muss mal aus-checken, mal irgendwo alleine wohnen, weg vom gewohnten Umfeld, raus aus täglichen Ritualen, hin zu Neuerfindung, mit Natur, Stille, Frieden, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Gilt vermutlich auch für seen Fru. Ich habe gehört, das sich Menschen aus Angst vorm Alleinsein aneinanderklammern, obwohl sie sich nicht gut tun.

Wie erkennt man sowas, bei aller Achtsamkeit?

Fünf Tage steckt Ede im tiefsten Verlies der Unterwelt. Was kann ich tun für ihn? Meine Wohnung hab ich ihm angeboten. Vielleicht hilft‘s ihm den Kopf klarzubekommen. Sowieso sind zur Zeit viele nachdenklich und am Grübeln. Viele versuchen Eigentum loswerden und wollen in den Süden. Würde sowas Ede helfen? Vielleicht erst mal kleine Schritte.

Von 2,0 zu 0,2 Promille – könnte ‘n erster Schritt sein.

Hoffentlich bekommt er‘s ohne Hilfe hin. Nostradamus lag auch nicht immer richtig, warum sollte Ede es nicht schaffen – ich glaube an ihn. Und Ede ist nicht allein. Frankreich und Deutschland geht‘s ähnlich. Man ist mit der Gesamtsituation unzufrieden, sieht wenig Licht im Tunnel, will sich nicht verändern, will alles lassen wie es ist und bleibt doch – unzufrieden.

Wie können wir machen, dass alles anders wird…?   

19.Juni – Tor zu den Göttern – Odyssee 2022

Nach dem Bad des Hades, welches sorgfältig in den Kammern von Pierre-André versteckt war, folgte nun, wie konnte es anders sein – das Heilige Land. Heilig, halig oder heligo – wenn man tiefer gräbt findet man ungeahnte und ungezählte weitere Formen; egal wo ihr sucht, ihr findet immer mehr Varianten – gleich dem Apfelmännchen – ganz besonders vor Ort.

Ich rede von Helgoland.

Bis vor wenigen Stunden befand ich mich auf diesem magischen Flecken Erde. Gleich der Büchse der Pandora selbst, oder einem kosmischen Pfau, der ihr entsprang, der Vergangenheit und Zukunft auf seinem Kleid trägt, spreizt dies kleine Eiland seine Federn. Mögen Erde und Milchstraße uns mit ihrer Gewaltigkeit noch so erschlagen, verweigern wir auch noch länger das Verstehen, was sie für uns vorbereiteten,

so findet sich dennoch hier im Kleinen,

hochverdichtet, vergraben und verschanzt, in alle Ritzen der Vergangenheit gepresst, gleich einem klitzekleinen schwarzen Loch, das mit seiner unfassbaren Dichte alles an sich zieht, jeden Meter zum Marathon, jedes Licht zum Prisma, jede Welle zum Tsunami im Sonnensystem aufbläst, weil Götter auf dieser Nadelspitze ihre Alchimistenküche bauten.

Wen Neugier und Fragen quälen, findet hier sein Nirvana.

Wer feine Antennen hat, spürt, wie einen hier das Sonnensystem attackiert; keine Sekunde vergeht, ohne dass es an dir zieht; gebt fein Acht, auf was ihr Menschen euch einlasst; überlegt euch genau was ihr anderen und euch antut; nutzt eure Sinne; nicht jeder ist bereit für diese Erfahrung; alles präsentiert sich in Wahrheit klarer Form und Absicht – UND –

du kannst nicht vor dir selbst fliehen.

Alles hat stattgefunden und findet doch immer noch statt; den Hellenen gleiches Schicksal teilen sie; jeder wollte das Heilige Land; Mächtige, selbst die Kirchen, einfach alle; und war es nicht möglich, wollte man es zerstören. Hass oder Liebe, Freund oder Feind, gut oder böse, schwarz oder weiß – nirgendwo liegen Nerven, Wahrheit und Geschichte so offen, so blank vor einem, wie in dieser kleinen Streichholzschachtel,

inmitten der rauen Nordsee.

Doch niemand zu verstehen vermag,, wovon ich spreche; nur jene die dort wahren; so überlasse ich es der Verantwortung eines Jeden, kleines, großes, alles und selbiges herauszufinden und zu erleben. Ausguck der Welt, Schambein des Nordens, Glaskugel der Weisen, frisch begrünt und bis auf die Knochen kurzgeschoren; zerzaust von Wind, Wasser und Erde; gehegt, gepflegt, verbrannt, gerodet, zerstört und wiederaufgebaut,

ewiger Phönix aus der Asche.

Beim Entern des Oberlandes fing mich die Wirklichkeit ein. Zu lange flog ich am Himmelszelt herum; dem Ikarus gleich verbrannte ich beim Betrachten des Horizontes und landete mit versengten Flügeln auf den heiligen Schenkeln von Helgoland.

Was ich sah haute mich aus den Schuhen.

Nur langsam begriff ich. 30 gewaltige Containerschiffe dümpelten vor sich hin, bis zur Halskrause mit Ware beladen. What the fuck! dachte ich. Was läuft hier schief? Natürlich informiere ich mich – hatte ich eventuell was in der Zeitung überlesen? Mir war nicht entgangen, dass die wachsende Automatisierung Arbeitsplätze vernichtet.

Haben wir nicht seit Jahren Container-Terminals automatisiert?

Angeblich arbeiten kaum noch Menschen bei Be.- und Entladung; wenn aber keine Hundertschaften mehr Kaffeesäcke schleppen, wie vor hundert Jahren, dachte ich so bei mir, wo klemmt es dann? Fehlen uns LKW-Fahrer? Oder gar Container? Wieso kommt die Ware nicht mehr zum Kunden?

Was fehlt?

Während ich mit dem Eiland Kontakt aufnahm und seine schönen Hügel bestieg, schien mir der Blick zum Horizont was sagen zu wollen; was, habe ich noch nicht herausgefunden; das eine stetig ansteigende Waren-Verknappung zu beobachten ist, scheint niemanden entgangen zu sein – nicht mal mir. Ob sie das Ergebnis von vielen Verkettungen und Umständen ist, oder bewusst herbeigeführt ist?

Keine Ahnung!

Es hat mich nicht abgehalten, schöne Sonnenuntergänge zu erleben; auch habe ich bestes Wetter gehabt, speiste wie ein König und Trank Weine, die auch erfahrene Sommeliers zufrieden gestellt hätten; ich atmete unglaublich saubere Luft, schlief wie ein griechischer Gott, träumte wie Morpheus und schrieb viel; was auch immer die 30 Stahlriesen geladen haben, es mussten weniger wichtige Waren sein.

Zeit meinen Konsum zu überdenken…

12.Juni – das Bad des Hades – Odyssee 2022

Nach langer Planung besuchte ich meinen Kumpel Pierre-André. Für mich ist PA in Wahrheit Druide. Offiziell ist er Winzer und lebt bei Langon, genauer gesagt in Toulenne. Wenn er sich nicht um Wein kümmert, kocht oder trinkt, oder beides zugleich, liest er die Zukunft aus Knochen, Eingeweiden eines Kaninchens, oder von den Schenkeln seiner Freundin. Letzteres hat mich auch immer interessiert; oft habe ich mich versucht,

gefunden habe ich meistens was anderes.

Es liegt daran, dass ich leicht abgelenkt bin, besonders wenn Frauen im Spiel sind; hier sind PA und ich uns sehr ähnlich. Schon vor Jahren vermutete ich, dass er in Wahrheit der Präsident des Universums sein müsste, natürlich ohne davon zu wissen;

solche Ämter bekommt man verliehen.

Diesmal fand ich nicht nur Indizien, sondern echte Beweise. An diesem Wochenende lernte ich die Wahrheit über ihn. Es gehen nämlich nicht nur die griechischen Götter bei PA ein und aus, nein, es ist viel beeindruckender. Sein Haus ist der Beweis dafür, dass die Milchstraße schon vor Jahren implodierte!

Sie krempelte ihr Innerstes nach außen – und umgekehrt.

Seit dem Zeitpunkt, befindet sich die Milchstraße im Haus von Piérre-André. Ganz erstaunlich wie ich finde ist dabei, dass es vor den Augen von Hawking und all den anderen Wissenschaftlern passierte. Als ich gestern sein Haus betrat, da geschah es. Ich spürte es sofort. Ein unaufhaltsamer Sog, wie ich ihn nur von schwarzen Löchern kenne.

Doch das war es nicht.

Je länger ich grübelte, erinnerte es mich mehr ans Verbrennen durch’ne Supernova, wenn sie sich aufbläht und man verschlungen wird. Gegenüber vom Eingang thronte der viel zu große Kamin, vor dessen Feuer ein aufgespießtes Kaninchen seine Runden drehte; zur Linken prunkte eine mächtige Anrichte. Hier erlebte ich das Gleiche. Kaum sah ich genauer hin, gab’s einen weiteren Strudel. Wohin ich auch sah, überall wuchsen neue Welten und Milchstraßen.

Und alles direkt vor meinen Augen.

Ein paar Türen der Anrichte hatten kleine Fenster, aus den weitere Planeten neugierig herausschielten. Auch Flaschen und Gläser standen dort, viele halbvoll, vor langer Zeit geöffnet, nicht ganz ausgetrunken, für später weggestellt, es mochte Jahre her sein; ein beachtlicher Berg Tabletten und jegliche Form von Medizin, die man PA verschrieben,

die er jedoch nie eingenommen hatte.

Eine nicht minder eindrucksvolle Auswahl Werkzeuge, Feuerzeuge, Aschenbecher, Rechnungen, Bücher und ein meine ganze Anerkennung und Aufmerksamkeit auf sich ziehender Vorratskarton Kondome, der Bordellbesitzer*innen in der gesamten Galaxis

feuchte Augen geschenkt hätte.

Schon dieser Kosmos verschlang mich mit Haut und Haaren. Nie würde ich hier wieder wegkommen, soviel stand fest. Doch das war längst nicht alles. Irgendwann musste ich aufs Klo. Auf dem Weg dahin, durchschritt ich auf leisen Sohlen die Küche, um nicht die gewaltigen Berge Töpfe, Pfannen Gemüsereste beim Plausch aufzuschrecken,

deren Gesprächs-Takt ein stetig tropfender Wasserhahn gab,

der wie ein galaktisches Metronom unendlich weit und tief klang; erfolgreich, ohne Aufsehen zu erwecken und Wegzoll zahlen zu müssen, passierte ich diesen Isthmus, der mich beim Durchschreiten an ein Wurmloch erinnerte, in dem die Zeit still steht.

Endlich bin stehe ich vor der Tür vom WC.

Langsam öffnete ich die Tür. Ein elegisch-schummriges Licht glomm darin, obwohl keine Lampe brannte. Noch ahnte ich nicht, welchen großen Schritt ich für die Menschheit wagte. Vorsichtig schob ich mich hinein, aus mir unbekannten Gründen war ich sprungbereit. Endlich traute ich mich und knipste Licht an. Beim Aufblitzen zuckte ich zusammen, gefolgt von Stöhnen:

„Oh mein Gott….!“,

entfuhr es mir. Denn ich stand im Bad des Hades. Ihr kennt ihn, jenen einen Moment im Leben, der Alles ändert. Nun kam er zu mir. Jener stumpfe totenbleiche Spiegel, in dem sich schon die gesamte Unterwelt rasiert hatte lächelte wie aus anderen Welten; eine unzählbare Menge Tassen, Gläser und Tuben breiteten sich hier unaufhaltsam

wie die Wüste Gobi aus.

PA scheint jede Woche ’ne neue Zahnbürsten zu verwenden, bei den vielen Sträußen, die in bunt bedruckten Senfgläsern das Bad bewachen. Gewaltige Berge Cremes und Shampoos warten auf Benutzung oder Entsorgung; kein Zweifel, jede seiner Freundin bestand auf ihre eigene Pflegeserie; war dies alleine schon eine Fahrt in der kosmischen Achterbahn, entschied ich mich glücklicherweise doch dafür,

kein genaueres Auge zur Dusche zu werfen.

Ein aus hellblauer Keramik geschmiedetes Tor ließ all meine Hoffnungen und Ängste wahr werden: Hier stand ich nun – einsam und alleine vor der Pforte zum Tartaros. Und dieser Moment ließ mich erzittern. Wie hätte ich mich auf diese unbeschreibliche Unterwelt hätte setzen können? Mit zitternder Hand klappte ich die Brille hoch und versuchte meinen Reißverschluss zu öffnen – vergeblich.

Vor diesem gähnenden Schacht gab alles klein bei.

Doch wie entstand dies Kunstwerk? War es ein Akt des Zufalls, bei dem Musen und Götter nachhalfen? Hatte PA ein klares Bild im Kopf, an dem er aktiv drauf hin arbeitete? Oder entstand alles aus reinem Zufall, was bedeuten musste, dass des Künstlers Botschaften und Anliegen, mit dem Werk selbst mitwuchsen und sich so

zu einem unsterblichen Gesamtwerk aufschwangen?

Das Bad des Hades verlässt du als anderer Mensch. Das änderte sich auch nicht, als PA zum Abend hin nach ausgiebiger Siesta, die bei größeren Weinmengen wichtig sind, eine zweite Genusswelle aus „Trüffel-Eier-Champignon-Suppe“ sowie wild gewachsene Jacobsmuscheln über uns zusammenbrechen ließ, was seinen Gipfel in einem Côte du Boeuf fand.

PA wissendes Lächeln setzte Allem die Krone auf.

Wusste er mehr als er preisgab? Vermutlich. War es wichtig, ob er Winzer, Druide, Magier, Präsident des Universums, Künstler, Frauenheld, Vagabund oder mit den Göttern im Bunde war? Nein. Sein Universum, seine Zeit mit mir zu teilen, noch dazu mit solchen Speisen und Weinen zeichnet wahre Freundschaft aus. Sie bleibt Motor des Universums und macht

ehrerbietend andächtig…

5.Juni – Miller und die Anderen – Odyssee 2022

Bin seit einer Woche wieder in Toulouse. Fühlt sich aber schon wie ein Monat an. Sag ich ja immer: Während Mehrheiten sagen, die Zeit vergeht im Flug, ist’s bei mir umgekehrt. Manchmal ist’s regelrecht ermüdend, so intensiv. In der Nacht hatten wir ein Unwetter. Ich liebe die Luft danach. Schon als Kind bildete ich mir ein die größeren Mengen Sauerstoff schmecken und riechen zu können.

Im Momen schreibe ich viel.

Sogar in meiner geliebten Lederschwarte. Wenn ich nicht schreibe, lese oder griechisch lern, schaue ich zur Zeit Dokus über Schriftsteller. Die Beatniks liebe ich, angefangen von Ferlinghetti, Burroughs, Kerouac und Ginsberg, die saftige Brücken zu Bukowski und Henry Miller bauten. Was für befreiende Literatur, nach Blechtrommel, Buddenbrooks, Homo Faber und dem deutschsprachigen Mischwald.

Besonders Miller.

Sein bestes Buch – aus meiner Sicht – ist keiner seiner fleischlichen Romane, sondern seine Reise nach Griechenland. (Der Koloss von Marussi). Doch wenn man Bukowski oder Miller nennt, rollen auch heute noch viele vor 1970 Geborenen mit Augen & Ohren. Aber ich glaub nur, weil die Mehrheit selten hinter die vielen Medien-Fassaden blicken und sich stattdessen von schulischer Eindimensioniertheit haben einhegen lassen. In vielen Dingen geht’s mir nämlich wie Miller. Nicht nur in Empfindungen und Vorlieben für Wein und Frauen.

Sondern vielmehr in Wahrnehmung und Sicht auf die Welt.

Denn das die Welt verrückt ist, muss man keinem erklären – das weiß jedes Kind! Vielmehr ist’s das uniformhafte, angepasste, bürgerliche Leben, mit seinen Ritualen und Pflichten, inklusive Herdentrieb und nie enden wollenden Vergleichen untereinander und gegeneinander. Mehr als das: Alles ist verkehrt herum und zu einer grotesken gesichtslosen Effizienz zusammengezimmert, die sich einzig & allein um Geld dreht.

Wie tragisch, trist – und irgendwie – erbärmlich.

Was wollen wir vom Leben, wenn wir vierzig bis sechzig Stunden für Arbeit investieren? Von insgesamt 168 Stunden pro Woche, bleiben 42 bis 62 übrig, wenn wir acht Stunden für Schlaf ansetzen, inklusive Vor- und Nachbereitung. Im Mittel können wir also von 50 Stunden sprechen, indem wir irgendetwas tun, was wir auf die eine oder andere Art und Weise – Leben nennen – unabhängig davon, ob wir Partner, Kinder, Haustiere oder Aquarien betreuen.

Denn all das findet in genau diesen 50 Stunden statt.

Und nicht vergessen, da sind die Wochenenden mitgezählt. Ist schon beängstigend wenig, findet ihr nicht? Muss man da nicht achtsam mit Zeit umgehen und gut überlegen mit wem man sie teilt?

Natürlich verbringe ich meine Zeit lieber mit Frauen.

Nur wenige Männer unterliegen keinem Alpha- / Macho-Schwachsinn, mit dem sie die Welt seit Jahrtausenden mit Gewalt und Krieg überziehen. All das alberne Gedröhn und Grundrauschen, bei dem es in Wahrheit nur darum geht die genetisch beste Frau für Nachkommen zu finden.

Darum vermutlich fahren Männer Harley und Porsche.

Und machen ungezählte Dinge, über die man bei genauem Hinblicken schmunzeln kann, erst Recht Frau, wenn sie klar bei Verstand ist. Wenn wir dann – teuflisch wie wir sind – das Ganze mit Religion und Prüderie würzen, haben wir unser explosives Gemisch, dass wir in unseren eisernen Gefängnissen ausleben, wo wir uns – nicht selten unter der Schirmherrschaft heiliger Ehe – selber einpferchen,

bis uns Tot und Langeweile scheiden.

Ständig müssen wir was machen und bekommen dann zur rechten Zeit keine gescheiten Sätze heraus, geschweige können über interessante Themen reden, weil wir in unserem Alltag derart von Leere und Desinteresse bis zur Halskrause gefüllt sind, dass wir froh sein können, nicht in ständige Depressionen abzurutschen – die ja bekanntermaßen längst eine der größten Volkskrankheiten geworden ist.

Warum nur? Wo kommt das her?

Geschickte (siehe unten youtube-video) nutzen sie gar als Plattform. Chapeau – kann ich nur sagen. Wo und wann sind uns Unbekümmertheit und Müßiggang verloren gegangen? Wann haben wir begonnen uns zu optimieren? Wann wollten wir das erste Mal mehr aus unsere Zeit herausholen?

Quality-Time – was für ein Scheißwort – zum Kotzen!

Wo sind denn die all die anderen Wissenschaften gewesen, als die Ökonomie uns ihre Eichenpflöcke ins Herz rammte? Wo sind die Soziologen, Philosophen, Dichter und Denker? Gibts niemanden mehr, weil jeder von der fetten Hure Kapitalismus gesäugt wird? Dreht sich wirklich alles um schnöden Mammon? Und sollte es so sein und wir beginnen, unsere Realität anzunehmen, worauf warten wir dann?

Wann beginnen wir endlich etwas zu ändern?

Bon, genug rumgezetert. Ich für meinen Teil warte auf niemanden mehr. Nietzsche hatte Recht. Man muss das Leben tanzen. Am Besten mit Wein, Frau und Gesang. Soll mir keiner erzählen, dass er ständig mit Freude acht Stunden in Bank, Versicherung, Krankenhaus oder sonstwo verbringt, wenn nicht, um im Schweiße seines Angesichts, den Lebensunterhalt zu verdienen. Danach braucht man doch eine Form von Ausgleich und Kompensation.

Aber gebt Acht auf euch.

Wenn Kumpel F. mir erzählt was im Altonaer Krankenhaus abgeht, dann springt man entweder aus dem nächstbesten Fenster, schenkt reichich nach, oder sucht das Weite. Wenn man seriös und ernsthaft wie F. ist, geht man in den Betriebsrat, um was zu ändern, selbst wenn die Chancen gering sind. Nur eins geht nicht – aufgeben. Aufstecken & Seele verkaufen, wie Hank es nannte – ist verboten! Dann stirbst du innerlich,

inklusive Zerstörung deines Körper.

Lieber wütend, erbost, neugierig, lebendig und mit rastloser Unruhe tanzend durchs Leben treiben, idealerweise ausbalanciert mit Müßiggang und produktivem Leben. Verschwende deine Jugend. Verausgabe dich, hol das Beste und Letzte aus dir raus, solange du kannst. Und vor Allem:

Nehm dir Zeit – und nicht das Leben…