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19.Juni – Tor zu den Göttern – Odyssee 2022

Nach dem Bad des Hades, welches sorgfältig in den Kammern von Pierre-André versteckt war, folgte nun, wie konnte es anders sein – das Heilige Land. Heilig, halig oder heligo – wenn man tiefer gräbt findet man ungeahnte und ungezählte weitere Formen; egal wo ihr sucht, ihr findet immer mehr Varianten – gleich dem Apfelmännchen – ganz besonders vor Ort.

Ich rede von Helgoland.

Bis vor wenigen Stunden befand ich mich auf diesem magischen Flecken Erde. Gleich der Büchse der Pandora selbst, oder einem kosmischen Pfau, der ihr entsprang, der Vergangenheit und Zukunft auf seinem Kleid trägt, spreizt dies kleine Eiland seine Federn. Mögen Erde und Milchstraße uns mit ihrer Gewaltigkeit noch so erschlagen, verweigern wir auch noch länger das Verstehen, was sie für uns vorbereiteten,

so findet sich dennoch hier im Kleinen,

hochverdichtet, vergraben und verschanzt, in alle Ritzen der Vergangenheit gepresst, gleich einem klitzekleinen schwarzen Loch, das mit seiner unfassbaren Dichte alles an sich zieht, jeden Meter zum Marathon, jedes Licht zum Prisma, jede Welle zum Tsunami im Sonnensystem aufbläst, weil Götter auf dieser Nadelspitze ihre Alchimistenküche bauten.

Wen Neugier und Fragen quälen, findet hier sein Nirvana.

Wer feine Antennen hat, spürt, wie einen hier das Sonnensystem attackiert; keine Sekunde vergeht, ohne dass es an dir zieht; gebt fein Acht, auf was ihr Menschen euch einlasst; überlegt euch genau was ihr anderen und euch antut; nutzt eure Sinne; nicht jeder ist bereit für diese Erfahrung; alles präsentiert sich in Wahrheit klarer Form und Absicht – UND –

du kannst nicht vor dir selbst fliehen.

Alles hat stattgefunden und findet doch immer noch statt; den Hellenen gleiches Schicksal teilen sie; jeder wollte das Heilige Land; Mächtige, selbst die Kirchen, einfach alle; und war es nicht möglich, wollte man es zerstören. Hass oder Liebe, Freund oder Feind, gut oder böse, schwarz oder weiß – nirgendwo liegen Nerven, Wahrheit und Geschichte so offen, so blank vor einem, wie in dieser kleinen Streichholzschachtel,

inmitten der rauen Nordsee.

Doch niemand zu verstehen vermag,, wovon ich spreche; nur jene die dort wahren; so überlasse ich es der Verantwortung eines Jeden, kleines, großes, alles und selbiges herauszufinden und zu erleben. Ausguck der Welt, Schambein des Nordens, Glaskugel der Weisen, frisch begrünt und bis auf die Knochen kurzgeschoren; zerzaust von Wind, Wasser und Erde; gehegt, gepflegt, verbrannt, gerodet, zerstört und wiederaufgebaut,

ewiger Phönix aus der Asche.

Beim Entern des Oberlandes fing mich die Wirklichkeit ein. Zu lange flog ich am Himmelszelt herum; dem Ikarus gleich verbrannte ich beim Betrachten des Horizontes und landete mit versengten Flügeln auf den heiligen Schenkeln von Helgoland.

Was ich sah haute mich aus den Schuhen.

Nur langsam begriff ich. 30 gewaltige Containerschiffe dümpelten vor sich hin, bis zur Halskrause mit Ware beladen. What the fuck! dachte ich. Was läuft hier schief? Natürlich informiere ich mich – hatte ich eventuell was in der Zeitung überlesen? Mir war nicht entgangen, dass die wachsende Automatisierung Arbeitsplätze vernichtet.

Haben wir nicht seit Jahren Container-Terminals automatisiert?

Angeblich arbeiten kaum noch Menschen bei Be.- und Entladung; wenn aber keine Hundertschaften mehr Kaffeesäcke schleppen, wie vor hundert Jahren, dachte ich so bei mir, wo klemmt es dann? Fehlen uns LKW-Fahrer? Oder gar Container? Wieso kommt die Ware nicht mehr zum Kunden?

Was fehlt?

Während ich mit dem Eiland Kontakt aufnahm und seine schönen Hügel bestieg, schien mir der Blick zum Horizont was sagen zu wollen; was, habe ich noch nicht herausgefunden; das eine stetig ansteigende Waren-Verknappung zu beobachten ist, scheint niemanden entgangen zu sein – nicht mal mir. Ob sie das Ergebnis von vielen Verkettungen und Umständen ist, oder bewusst herbeigeführt ist?

Keine Ahnung!

Es hat mich nicht abgehalten, schöne Sonnenuntergänge zu erleben; auch habe ich bestes Wetter gehabt, speiste wie ein König und Trank Weine, die auch erfahrene Sommeliers zufrieden gestellt hätten; ich atmete unglaublich saubere Luft, schlief wie ein griechischer Gott, träumte wie Morpheus und schrieb viel; was auch immer die 30 Stahlriesen geladen haben, es mussten weniger wichtige Waren sein.

Zeit meinen Konsum zu überdenken…

Toulouse – Interview Teil4 – Odyssee 2020 CW29

Am 14.Juli – am Tag der Bastille, flog D zurück nach Toulouse. Nachdem er sein Motorrad am Flughafen bestieg, um in den alten Stadtkern zu reiten und ein paar Waschmaschinenladungen zum Trocknen aufgehängt hatte, kam eine Nachricht aus dem Lektorat seines Verlags. Man hatte dort die ersten 50% seines Finanzkrimis bearbeitet, war grundsätzlich zufrieden, wenngleich es ein paar Anmerkungen gab, die auch D berechtigt schienen, auf denen er dennoch länger als üblich herumkaute.

Auch stand das nächste Telefonat mit Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso an, um das Interview fortzusetzen. Wie sich schnell herausstellte, sollte ihr Gespräch eine kleine Kehrtwendung nehmen. Es kamen mehrere Dinge zusammen, so dass sie die kritische Masse schneller als erwartet erreichten, so dass D ständig am Rande des brodelnden Vulkans entlangbalancierte, mit dem permanenten Gedanken, sich in den glühenden Schlund zu werfen.

D saß mit Rosé-Wein, Zigarette, sowie seinem Headset bewaffnet vor dem Laptop und grummelte vor sich hin, während er sich einwählte. Kurz darauf tauchte seine Gesprächspartnerin vor der Kamera auf.

CMP: Hallo, wie geht es dir?

DT: Ich bin wütend, danke – und selbst?

CMP: Was? Wieso denn das? Was ist passiert?

DT: Willst du es wirklich wissen, oder bekomme ich gerade ungefragt Mitleid von dir?

CMP: Ich würde es gerne wissen! Warte mal, könnten wir es eventuell als Teil des Interviews sehen?

DT: Warte, warte – okay, warum nicht. Ich bin die ewigen Schichten leid. Lass uns loslegen.

CMP: Was für Schichten meinst du?

DT: Na welche schon, Anstand, Höflichkeit und all das andere. Bist du bereit ein pures, ungefiltertes Interview zu erleben?

CMP: Klar, lass es uns versuchen. Wir sollten aber ein Zeichen verabreden, wenn wir ein Timeout brauchen, damit man den anderen nicht überfordert – einverstanden?

DT: Gute Idee! Lass uns den Satz von Balou dem Bären aus dem Dschungelbuch nehmen „Versuchs mal mit Gemütlichkeit!“ – okay?

CMP: Haha, Klasse Idee. Let’s go! Hallo Herr Tango, aus gegebenem Anlass lassen wir heute die auflockernden Fragen weg und fangen direkt an. Wie geht es ihnen?

DT: Ich bin wütend!

CMP: Warum, was ist passiert?

DT: Vor der C-Krise schienen die Leute kalkulierbar zu sein. Man wusste irgendwie was sie mochten. In Deutschland zum Beispiel mochte man schon immer gerne Krimis. Danach kamen dann Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg, mit oder ohne Familie und wenn Daniel Kehlmann und die anderen neue Romane von der Leine ließen, trieb man die durch die Hitlisten, bis das Jahr rum war; alles war beschaulich, wie in einem kleinen Märchen aus 1001 Nacht, so wie im Auenland.

CMP: Und heute nicht mehr?

DT: Nein, natürlich nicht! Überall regiert Angst und Furcht. Alles bleibt zuhause, jeder kocht in seinem eigenen Käfig vor sich hin und verkümmert, ohne es zu merken.

CMP: Und wieso betrifft Sie das?

DT: Weil das meine Mitmenschen und Leser sind. Ein Buch in Erzählform bezieht ganz besonders die Fantasie des Lesers mit ein. Man muss genug Details geben, um Spaß am Lesen zu haben, aber nicht zu viele, damit der Leser seinen eigenen Film drehen kann. Aber ich kenne deren Bedürfnisse gar nicht mehr. Es ist wie einen zu langen Brief an einen Unbekannten schreiben.

CMP: Aber ist das nicht spannend? Warum sind sie deswegen wütend?

DT: Weil die Menschen gebrainwashed sind! Niemand setzt sich mit der aktuellen Lage auseinander. Niemand begehrt auf, bei der permanenten Negativpresse. Ich fühle mich massiv in meinen Freiheitsrechten beschnitten, weil diese bescheuerte Fürsorge der Staaten uns noch unfreier macht, als schon zuvor. Es ist mein verdammtes Recht selbst zu entscheiden wie lange ich leben will! Wenn ich keine Lust mehr habe, dann gehe ich wann ich will. Wenn ich mich daher von einer Brücke schmeiße, wird das niemand verhindern, aber diese schwachsinnigen Vorsichtsmaßnahmen sind wie Fangzäune, die man über jede Brücke spannt, damit sich niemand runterstürzt, zum Kotzen!

CMP: Entschuldigen Sie mal, was hat das mit ihrem Buch zu tun? Und ganz unabhängig davon, was ist mit den vielen Corona-Toten? Die sind doch kein Fake?

DT: Ich werde mich in Sachen Corona-Statistiken nicht äußern; erinnern Sie sich an unsere Einkaufsliste von letzter Woche?

CMP: Natürlich, aber was hat das mit……

DT: Alles! Handeln Sie danach?

CMP: Wonach?

DT: Nach ihrer Liste!

CMP: Ähm, war die nicht fiktiv?

DT: Sehen Sie das Problem nicht klar vor sich?

CMP: Ich glaube nicht, was hat das mit ihrem Buch…

DT: Natürlich alles! Wenn Sie ständig fiktive Listen machten, wann machen Sie dann ihre Echte? Und wann fangen Sie endlich an, danach zu leben?

CMP: Ist das nicht meine Privatsache? Was hat das mit ihrem Buch……

DT: Verdammt noch mal, das ist es doch! Alle Menschen sind zurzeit Blätter im Wind. Niemand hat mehr seine Vision vom Leben. Aber ohne die, bleibt man eben anfällig für Alles und genauso sieht es ja aus. Schauen Sie sich doch mal die Nachrichten und die Politiker an – die haben aus braven Bürgern Europas einen Haufen ängstlicher Schafe gemacht. Alles kann man ihnen vorsetzen, sie löffeln brav den Nachrichten-Trog leer und warten, bis er wieder gefüllt wird. Nicht dass es vorher besser war, aber zumindest schienen sie nicht ständig ängstlich zu sein; irgendwie hatte jeder seinen Roten Faden, verstehen Sie?

CMP: Natürlich, aber noch einmal, was hat das mit Ihrem Buch zu tun?

DT: Jetzt fangen Sie an mich aufzuregen – Sie drehen sich im Kreis……

CMP: Den Eindruck habe ich eher von Ihnen…….

DT: Merken Sie etwas? Sie lassen mein Argument gar nicht erst an sich ran, stattdessen reagieren Sie nur verteidigend, oder nennen wir es ablehnend……es geht nicht um mich, sondern um Sie und die Anderen, verstehen Sie?

CMP: Nein, wenn ich ehrlich bin nicht so richtig……

DT: Okay, also: Es geht mir NICHT darum, dass ich die Bedürfnisse des Lesers nicht kenne; die kannte ich vorher auch nicht richtig, aber da war der Leser standfester und traute sich mehr. Es geht darum, dass ich ausschließlich Dinge schreibe, um Menschen zu bewegen. Wenn die Menschen das aber nicht mehr wollen, weil sie durch die derzeitige Corona-Krise an einem „Wohlfühldefizit“ leiden, dann hört morgen eben keiner mehr die Egmont-Ouvertüre, sondern stattdessen Schlagermusik und liest nur noch Liebesromane mit Romantikgarantie, die verlässlich schön und leidenschaftlich enden.

CMP: Aber wie kommen Sie darauf, dass es so ist?

DT: Weil uns Menschen die ganze Zeit Märchen erzählt werden, die wir brav glauben; niemand ist mehr an konkretem Wissen interessiert. Niemand zweifelt und ist neugierig und nutzt seinen gesunden Menschenverstand. Es ist so, als würde man ihnen im Restaurant Tische zum drauf sitzen geben und einen großen Stuhl, auf dem man das Essen serviert und niemand fragt sich, ob nicht etwas verdreht ist.

CMP: Okay, ich ahne worauf Sie hinauswollen, aber…….

DT: Nichts aber! Wir richten das Spotlight ausschließlich auf das Negative, weil es auch mehr Aufmerksamkeit bekommt als das Gute! Es gibt mehr Klicks bei Horrornachrichten, als bei Friede-Freude-Eierkuchen. Wir selbst sind die Quelle für den Bordelle, weil wir Blätter im Wind sind.

CMP: Einverstanden, aber wie ändern wir das?

DT: Jeder einzelne muss den Antrieb haben, die rote Pille zu nehmen!

CMP: Sie können nichts dazu beitragen?

DT: Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Meine Bücher tun ausschließlich das!

CMP: Dann haben Sie doch alles richtig gemacht, oder nicht?

DT: Wenn Sie zu den Wenigen zählen, die ihre Freiheit der Sicherheit vorziehen, wohin wollen Sie gehen und wie wollen Sie leben, wenn Ihre Umgebung so geartet ist, wo, frage ich Sie?

CMP: Eine schwere Frage, aber sind wir nicht ein wenig von Ihrem dritten Buch abgekommen?

DT: Es geht doch nicht nur um mein Buch, es geht darum, dass man nicht zurück kann……

CMP: Sie meinen, wenn man die Rote Pille genommen hat, kann man nicht…?

DT: Natürlich! Wer bereits auf dem Rand des brodelnden Vulkankraters wandelt, der tut sich schwerer zurück ins Tal zu gehen, anstatt zu springen, wie es der große Empedokles getan hat.

CMP: Wollen Sie springen?

DT: Meine Arbeit ist noch nicht getan. Aber zur Zeit habe ich das Gefühl, dass der Krater täglich höher wird, auf dem ich stehe. Deswegen bin ich wütend, weil meine Mitmenschen am Fuße des glühenden Schlundes dafür sorgen könnten, dass er nicht weiter wächst, doch er sprießt in die Höhe wie ein Pilz, obwohl ich mich kaum bewege – DAS lässt mich verzweifeln und meine Haare raufen.

CMP: Wie geht es ihrem dritten Buch?

DT: Gut! Ende kommender Woche sollte es komplett sein. Es ist auf jeden Fall für eine breitere Masse gedacht, daher ringe ich auch so mit mir. Ich hatte dem Projekt vor vielen Jahren zugestimmt – ich kann mich nicht aus der Verantwortung stehlen, so wie es Politiker und Vorstände machen – also ringe ich solange mit mir, bis es fertig ist.

CMP: Sie versprechen, nicht in den Vulkan zu springen?

DT: Ich verspreche gar nichts, aber ich habe bereits gesagt, dass es viel zu tun gibt, weswegen jetzt noch nicht die Zeit dafür ist.

CMP: Was können Sie Ihren Lesern heute zum Schluss noch mitgeben?

DT: Macht eure Einkaufslisten und lebt danach, so gut es geht.

CMP: Das ist alles?

DT: Das ist bereits mehr als genug. Wer danach lebt, der ist nicht mehr Blatt, sondern wurde zum Wind.

CMP: Ein schöner poetischer Schluss.

DT: Danke.

CMP: Gerne! Haben Sie vielen Dank Herr Tango. Was werden Sie im Anschluss machen?

DT: Mein Glas nachschenken, mich kurz in die Sonne legen und dann schreiben und Sie?

CMP: Meine Einkausliste machen und einen Apéro zu mir nehmen….

DT: Sehr gut….dann santé.

CMP: Auf wiedersehen.

D legt auf, modifiziert nicht seine Reihenfolge und schreibt später an seinem Finanzkrimi weiter.