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6.August – Homer – Odyssee 2023

Heureka! Gestern landete ich wieder in Athen … nicht gerade vorbildlich, mein CO2-Fußabdruck … ich hätte Juni einfach bleiben sollen … daran wird gearbeitet … Wenn ich Griechisch höre, werde ich sentimental! … Keine Ahnung warum … Gibt vermutlich viele Gründe … Es fing in Toulouse an …

als Kapitän Giannis Petrakis uns willkommen hieß …

Während des Fluges meditierte ich … bereitete mich vor … Hellas besuchen ist eine Pilgerfahrt für mich … Kaum aus dem Aerodromio Eleftherios Venizelos raus, ertappte ich mich, dass ich stiller werde … lautlos schlich ich über Hellas Boden … Eleftheria wartete auf mich mit dem Mietwagen …

wir hatten 30min Verspätung …

trotzdem ist sie nett und geduldig … kein Wunder … bei dem Namen … Elefteria heißt Freiheit in der Sprache Homers … Wahlspruch der Griechen … „Freiheit oder Tod!“ … bei Deutschland ist es „Gerne und Sofort!“ oder so ähnlich, wenn man einen hätte … wenn du deine Tochter Elefteria nennst hat das auf jeden Fall Tiefe …

Einschläge kommen dichter …

Habe jedes Mal ‘nen Kloß im Hals, wenn mich durch die Straßen von Homer, Sokrates, Platon, Aristotelis und all den Anderen hindurchschlängle … es ist, als liefe ich barfuß durchs Nordsee-Watt … bei jedem Schritt sackst du ein … nach kurzen Metern ist dir warm …

du beginnst zu schwitzen …

ich kämpfe mich durch Hellas Geschichte … die wenig Platz für Neues lässt … zu viel hat man erlebt … hier ist man Europa nah und fern zugleich … man spürt, dass dies hier die Quelle von Allem ist … Sprachen, Kultur, Wissenschaften, Demokratie … Mensch gewordener Widerspruch und doch bist du den Göttern hier näher als nirgends …

ständig liegt man in den Wehen …

Nie wird man fertig, nie kommt man an … immer ist man verzweifelt, am Limit, oft drüber … genau deswegen freundlich und nett … gastfreundlich … Hier spürst du es körperlich … Nichts hat Sinn … Aufmüpfen zwecklos … Man weiß am Ende sowieso nichts … Nicht mal den Auftraggeber kennen wir …

Muss man auch nicht …

in Hellas spürst du, das du zwischen Tier und Göttern stehst … deswegen legen wir uns ins Zeug … operieren am offenen Herzen … immer schon … hier schmiedet man das Eisen, während es noch glüht … täglich, stündlich, immerzu … hier haben Menschen wenig und doch …

mehr als alle Reichen der Welt …

Menschen leben hier so, wie es sich für solche ziemt … Erleuchtet im Widerspruch des großen Ganzen … verzweifelt im Angesicht des Unausweichlichen … man lebt Werner Heisenbergs Unschärfe-Relation … hier steht Newtons Physik Kopf … Schrödingers Katze … Liantinis Gemma …

Hellas ist das Laboratorium des Kosmos …

Stehe deswegen fassungslos in der Gegend rum … und kapiere nichts … und doch ahne ich tief drinnen … Alles … vier Stunden später … es ist dunkel geworden … Ich komme 1,5h Stunden später als verabredet … Dimitrios Vater wartet auf mich … heißt mich willkommen … fragt, wie es mir geht … wo ich herkomme … was ich mache …

Alles auf Griechisch …

Und obwohl mein griechischer Wortschatz unauffindbar klein ist … klappt es … wir reden über Gott und die Welt … er mehr als ich … zeigt mir Garten, Grill, das Wassersystem … plötzlich regnets … wir lachen einfach weiter … 15min später verabschiedet er sich … lädt mich morgen zum Suflaki ein … spätestens da ist klar …

Es ist noch weit bis Elysion …

Am nächsten Morgen erstrahlt alles im Sonnenlicht … was ein Anblick … hab einen Kloß im Hals … mache meinen Rundgang … Aristotelis ist mit von der Partie … was für ein unglaubliches Blau hat das Meer … die Berge Manis … Taygetos … Profitis Ilias …

Mit Dimitris letzter Kammer …

Dahinter Sparta … mit Kaiadas … dem steingewordenen Verhängis der Spartiaten … dem Lindwurm für hre Gegner … nur wenig weiter Argos, Nafplio … Mykene und Epidavros … wie soll ich davon jemals wieder loskommen …

Muss ich vielleicht gar nicht …

Heute bleibe ich hier … einen Tag staunen … den Gänsen und Hühnern zuhören … dem Wind … wie er Bäume und Sträucher sachte … dann urplötzlich heftig durchpflügt … wie er kleine weiße Schaumkronen auf Poseidons Rücken zaubert … das Zirpen der Zikaden … Symphonie des Mittelmeeres …

Hier kann ich begreifen …

26.Februar – wegen Thomas – Odyssee 2023

Gestern ist Thomas gestorben. Mit Anfang sechzig, einfach so. Ist die Treppe runtergefallen. Wir wissen nicht warum. Nur, das er nicht mehr da ist. Wenige Tage vor Geburtstag und wohlverdienter Pension. Keine Ahnung welche Gefühle stärker sind, Wut oder Trauer.

Schon mein ganzes Leben kenne ich ihn.

Oft haben er und seine Frau Carin, Cousine meines kleinen Bruders und mir, auf uns aufgepasst. Später als Teenies besuchten wir regelmäßig Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg. Kontakt hielten wir auch später, als wir Führerscheine hatten und in alle Winde verstreut blieben.

Lehrer war er aus Leidenschaft.

Gourmet und Weinliebhaber auch. Immer kochte er mit Leidenschaft, wusste alles über Whiskeys und Weine. Wenn er an seinem Jaguar E-Type Cabriolet schraubte, trug er karierte Holzfällerhemden, was den Vollbart mit stattlicher Größe wie einen kanadischen Holzfäller aussehen ließ.

Nie hab ich ihn sauer gesehen.

Oder ungehalten, gar ungeduldig. Immer ein Ausbund an Ruhe und Ausgeglichenheit, mit Pfeife zwischen den Zähnen. Englische Lebensart, britischer Gentleman durch und durch. Immer hilfsbereit, aber in Echt, nicht gespielt. Durch ihn habe ich gelernt, was ein netter zuvorkommender Kerl ist, der ich im Geheimen immer sein wollte und es,

trotz meiner Anstrengungen – nie wurde.

Merkwürdig, vor Wochen fing ich an mich am Treppengeländer meiner Bude festzuhalten. Ich sagte mir, nein ich schwor mir laut ins Weltall hinaus-dozierend, niemals, unter keinen Umständen wegen einer Absurdität abzutreten. Als meine Großmutter mit Ende Achtzig die Treppe runterfiel trug sie außer blauen Flecken und wüsten Flüchen nichts davon.

Warum dann jetzt dieser Scheiß mit Thomas?

Jetzt, wo ich genau das aufschreibe überwiegt Wut, ja mehr noch, richtiger Zorn. Verzweifelt kommen beide daher, weiß ich doch, wie schwer es ist, Hades zu entkommen. Einzig übrig bleibt mir, wie immer, die Hoffnung, dass es Thomas wie Herakles und König Sisyphos gelingt, den Herrn der Unterwelt zu überlisten und zurückzukommen.

Schlau genug ist er.

Erst mal müssen wir ohne ihn weitermachen. Mal schauen wie das läuft. Irgendwie geht es ja immer weiter, in Wahrheit wundere ich mich darüber. Anscheinend steckt in uns allen ein wenig Sisyphos und Prometheus. In Thomas auf jeden Fall.

Haarsträubend, wenn er aus seinem Schulalltag berichtete.

Obwohl immer höflich und liebevoll vorgetragen, waren Verzweiflung und wachsende Hoffnungslosigkeit herauszuhören, dass der Schleswig-Holsteinische Schulbetrieb ungebremst aufs offene Meer der juristischen Verfahren gegen Lehrerautoritäten hinsteuerte.

Oft blieb ich unsicher,

ob das alles so stimmte und rügte mich gleichzeitig für meine Zweifel, wusste ich doch wie ehrlich und aufrecht Thomas bei Allem blieb. Denn immer war ebenfalls offensichtlich, das es auf ein immer raueren schulischen Umgang hinauslief. Mehr als einmal sprach Thomas den Gedanken offen aus,

dass man eigentlich nur noch bewaffnet unterrichten dürfe,

wenn man nicht gerade Kampfsportler war, oder andere körperliche Überzeugungskraft besaß. Mehr als einmal trug er Schüler samt Stuhl hinaus, um dem Rest der Klasse das Lernen zu ermöglichen. Dank Statur und Charisma war ihm sowas möglich.

Doch wie machten es die anderen?

Dies und eine unüberschaubare Menge von Dingen, blieben mir unklar, bis zum heutigen Tag. Zum Schluss trat er von seiner Rolle als Abteilungsleiter zurück, ein kluger Schachzug, um sich auf den Ruhestand vorzubereiten. Letzten Sommer besuchten wir ihn.

Freudestrahlend skizzierte er, was er ab März 23 vorhatte.

Merkwürdig. Da ordnet man alles, ist höflich, hilfsbereit, bleibt sein Leben lang altruistisch, noch dazu als Lehrer an der Berufsschule, rackert sich ab, schluckt hinunter, macht weiter, unermüdlich, watet täglich durch ein Meer aus Bürokratie und Heuchelei, um Dienst am Menschen zu tun Und bekommt – trotz allem,

verfrühten Besuch vom Fährmann des Styx.

Noch dazu Thomas, der Wasser und Boote nicht sonderlich mochte. Angeblich fließt der Styx neunmal um den Hades herum, da wird ihm bestimmt schwindelig. Doch halt, vielleicht hat er Glück und hat keinen Wegzoll / Obolus dabei. Vielleicht findet er einen Weg zurück.

Oder er unterrichtet Hades und Persephone.

Auch ‘ne schöne Vorstellung. Vielleicht kann er seinen Charme bei der Dame des Hauses einsetzen, wer weiß. Einen Schlag hat er ja bei Frauen, ganz ohne Zweifel, wenngleich er sich nie dafür abstrampelte, das kam für ihn nie in Frage. Immer die Eleganz in Person.

Nun bist du uns vorausgefahren, mein Lieber.

Ich werde hier weiter die Stellung halten. Alleine schon aus Bosheit hab ich mir vorgenommen, mindesten 100 Jahre alt zu werden, nicht müde werdend, der Welt den Spiegel vorzuhalten, und im Zweifel auch zu drastischen Worten zu greifen, immer ganz nach dem Motto,

Worte sind stärker als Waffen!

Denn, ganz genau, da waren wir uns immer einig, weswegen Machthaber jeglicher Couleur, Politik, Wirtschaft, Medizin, Götter, alle jene, die Macht ausüben, das Unwissen der Menschen ausnutzen, um sie zu übervorteilen, ihnen Mist zu verkaufen, oder gar – beizubringen.

 Ich werde weitermachen, versprochen…

Kugelmenschen – Odyssee 2022 CW02

09.Januar – Immer noch Wilstedt-Siedlung. Nieselregen, grauer Himmel und Kälte sorgen für gute Stimmung. Bin mit merkwürdigen Träumen wach geworden und schlurfe langsam die Treppe runter. Zünde als erstes ’n Räucherstäbchen an, mag den Duft. Dann griechischen Kaffee. Wenn schon nicht Attika, dann wenigstens ‘n Andenken davon.

Genau!

Blubbernd kippe ich den Sud in mein Becher, knabber ein wenig vom gestrigen Brot, hiefe mich ins Wohnzimmer und setz mich vors Fenster, wie es alte Männer machen. Aquarium mit Teakholzumrandung. Zwei Goldfische schweben mit Pudelmütze vorbei. Krebse spielen verstecken und rangeln mit widerspenstigen Algen. Ein Seepferdchen von nebenan hüpft ein wenig herum, bis es meine Augen erblickt und sie zu hypnotisieren versucht.

Sonst nichts.

Blubberblasen schweben durchs Wasser. Schiffe fahren ziellos herum. Nebenan schreit die Ehefrau. Ihr Mann brüllt irgendwas zurück. Dann Stille. Eine Weile später, kreischt sie hysterisch und kriegt sich offensichtlich nicht mehr ein. Auf wildes Geschepper und Gepolter folgt lautes Klatschen. Dann wieder Stille. Plötzliches Aufschreien einer Kettensäge, vermutlich macht der Nachbar Brennholz für den Kamin. Dreißig Minuten später

wieder Stille.

Ich stecke mir eine Zigarette an. Rauche eigentlich nicht mehr. Meine Pudelmützen-Goldfische kommen wieder zurück. Ich schlürfe meinen Greek-Café, ziehe an der Kippe und spiele mit meinem Kombeloi, wie es alte Griechen tun. Ein paar Ideen fallen mir ein. Schnell notiere ich sie in’s Notizbuch, schreibe das Datum drüber.

Sonst nichts.

Ein paar Häuser weiter zerreißt plötzlich ein Schuss die Stille, gefolgt von lautem Männergeschrei. Dann noch ein Schuss. Hat sie ihn, oder er sie? Man weiß es nicht. Mein Seepferdechen steht immer noch eicht wedelnd im Aquarium und hypnotisiert mich. Ich drücke die Zigarette aus und trinke den letzten Schluck Gruselkaffee, der sich körnig zwischen Zunge und Zähnen verteilt und herrlich beim Kauen knirscht.

Lautloses Schreien in der Stille.

Die zwei Nachbarn haben wohl nicht ihre richtige Hälfte gefunden. Zuviel Angst vor Trennung vergrößert Leid und Gräben. Herrlich dies norddeutsche Fädengrau. Lädt ein, entgültige Entscheidungen zu treffen. Diesmal macht man‘s richtig, nicht nur im Geist. Zünde flott ein neues Räucherstäbchen an. Auf der anderen Seite stöhnen Nachbarn durch die offenen Fenster. Lenden-Klatschen auf Hinterteile. Brunftiges Knurren, dann süßes Schreien.

Freud und Leid liegen ja oft – genau!

Zwei Polizeiwagen fahren still vorbei. Türenklappen, dann laufende Stiefel. Metallschlitten werden entsichert, gefolgt von lautem Rufen und Scheiben klirren. Schlurfe mit meinem zweiten Café zurück vors Aquarium. Gerade rechtzeitig. Plötzlich bellen mehrere Schüsse die Stille an. Dann Schreien und Rufen. Ein Mann humpelnd blutüberströmt vorbei.

Weitere Schüsse fallen.

Ich les mein Horoskop, schlürfe Café, stecke mir eine weitere Zigarette an. Eigentlich rauche ich nicht. Das Seepferdchen schwebt wieder umher und die Krebse machen Siesta. Ich kippe das Fenster zur Straße hin. Draußen riecht‘s nach Rotkohl und Zigarre. Es regnet dünne feine graue Fäden. Ich nippe am Café, ziehe und inhaliere, spiele mit dem Kombeloi.

Dann schieße ich aus meinem Schlaf hoch…

 

 

Tod eines Freundes – Odyssee 2021 CW17

02.Mai – Freitag starb ein Freund. Es geschah plötzlich, völlig unverhofft. So ist es vermutlich immer, aber in seinem Fall deswegen unverhofft und blitzartig, weil er erst Mitte vierzig war.

Mein Verhältnis mit dem eigenen Lebensende ist irgendwie – unkompliziert. Ich weiß nicht, wann es ist, deswegen erlebe ich es als etwas, was weit weg zu sein scheint, obwohl ich weiß, dass es ein Trugschluss ist.

Wenn es anderen geschieht – wie meinem Freunden jetzt – erlebe ich es als Schock. Nichts kann ich dagegen unternehmen. Es ist so, als wenn ich um eine Häuserecke gehe und da steht dann mitten in der Straße so ein verfluchter Tyrannosaurus Rex! Nur wenige Meter vor mir. So nah, dass ich sehe, wie sein Atem feinen Sand herumpustet.

Todesstarre nennt man das wohl.

Reg-, sprach- und fassungslos zugleich. Alles zwecklos. Weglaufen, um Hilfe rufen, sich nach gebräuchlichen Schlagwerkzeugen umsehen. Alles Quatsch. Niedergeschlagen fühlte ich mich, so als wenn ich bis dahin glaubte, dass wir ihm irgendwie vielleicht doch hätten entkommen können.

Zwischen seinen Beinen hindurchschlüpfen sehe ich als einzige Chance – doch meine Gedanken verraten mich auch jetzt – immer will ich, das wir ihm entkommen!

Ein Freund aus nächster Nähe rief bei mir an und erzählte es mir. Für den Rest des Tages fühlte ich mich leer und mutlos. Oft dachte ich an seine Frau, seinen Sohn, all seine Freunde – und natürlich ständig an ihn.

Wie hilfsbereit, fröhlich und optimistisch er war. Oft habe ich ihn dafür beneidet. Auch für seine den Menschen zugwandte Art – immer war er ein Lichtblick, im tristen Pessimismus der Menge. Strahlend, fröhlich und mit Charme verband er Menschen über alle sichtbaren und unsichtbaren Grenzen hinweg.

All die Theorien, die vielen Bücher, die ich gelesen hatte, nützten mir wiedermal nichts. Man kann machen was man will, nie wissen wir, in welche Richtung wir uns bewegen. Eher hin, eher weg?

Ist das die Quintessenz des Lebens?

Besteht keine Möglichkeit, dass wir es irgendwie anders handhaben können? Für mich zumindest ist es ein Riesenbetrug, ne Sauerei den die Natur da an uns begeht. So vieles bleibt ungetan. Unmöglich kann es im Sinne der Schöpfung sein. Ist mir egal wie das klingt:

Ich finde den Tod zum Kotzen!