Archiv für den Monat: März 2021

Weltwunder – Odysse 2021 CW12

Sonntag, 28.März – D saß auf seinem Lieblingsstein am Mittelmeer. Seit Freitag war er wieder zuhause und freute sich am einnehmend-schönen Frühling, der offenkundig über Nacht Anstalten gemacht hatte, sich direkt in den Sommer zu verwandeln.

Es war so warm, dass D bereits in kurzer Hose und Oberkörper frei am Wasser saß und das Gefühl hatte, sich bereits im Mai oder Juni zu befinden.

Vergangenen Abend hatte D sich alte Bilder angesehen.

Staunend saß er vor den vielen Erinnerungen, die sich wie riesige Berg auftürmten und ihn auch nach dem so und so vielten Mal beeindruckten. Es war nicht jene atemlose Beeindruckung, die man als Kind mit Elefanten oder Giraffen hat; auch keine, wie wenn man realitätsgroße Modelle von Dinosauriern, oder zum ersten Mal live und in Farbe den Rheinfall von Schaffhausen, die Pyramiden von Gizeh oder andere beeindruckende Bauwerke bestaunte, die man ohne Schwierigkeiten als alte oder neue Weltwunder bezeichnen musste.

Es schien diese seltene Art zu sein, die man nicht richtig greifen kann, als hätte man zu viel in zu kurzer Zeit erlebt und käme erst hinterher aus der Puste, wenn man eine Pause einlegt, zurückblickt und erschrickt, was man alles fabriziert hatte.

Hierbei ging es nicht um eine Form des Vergleichens, etwa in der Art, dass man sich mit Beethoven, Mozart, Platon, Camus oder anderen großen Geistern verglich und feststellte, dass man weder Genie, noch nennenswerte Schaffenskraft in sich spürte, die sich im Ergießen von Schriften, Kunstwerken, oder anderen beeindruckenden Werken ergossen hatte, dass die Welt samt Zeitgenossen Chapeau ausriefen und selbigen lupften.

Zu jener Art Menschenkind zählte D nicht.

Sicherlich ließen der Koloss von Rhodos und all die vielen anderen fantastischen Bauwerke die Menschen faszinierte Atemlosigkeit erleben, kombiniert mit einer kurzfristigen Sprachlosigkeit, jedoch nicht D.

Ihn faszinierten weder megalomanische Denkmäler, noch andere Menschenversuche, sich zu verewigen, was nicht hieß, dass er nicht genauso begeistert vor der Akropolis oder dem Poseidontempel stand, wie jeder andere; ihn faszinierte mehr der menschliche Geist. Für D war sein eigener Gedächtnispalast Wunder genug.

Was es da alles zu erleben und entdecken gab, wenn er in ihm herum-spazierte; welch eine Wucht von Dimensionen und Möglichkeiten; was hatte er nicht schon alles getan; rumgeflogen war er, in Tiere hatte er sich verwandelt und eine ganze Reihe anderer Dinge, die wir an dieser Stelle nicht näher erläutern wollen.

Woher kam bloß der menschliche Wunsch nach Größe, Bedeutung, Exzellenz, schlicht nach Herausragung? Trug man nicht schon alles in sich?

D fand, ja!

Wenn man sich gesund in die Sonne legen konnte, eine gute Mahlzeit zubereiten durfte, warum nicht mit einem guten Wein passend untermalt, sich an den schwarzen Punkten der Marienkäfer erfreute und sich an Natur, Tieren, Pflanzen und Mitmenschen im Besonderen erfreute, hatte man dann nicht schon alles, wofür es sich zu leben lohnte?

War es ein Defekt der modernen schnell-lebigen Zeit, wenn einem diese Erkenntnis immer wieder entglitt, bis sie einem durch Schicksalsschläge, oder schwere Krankheiten gewaltsam vor Augen geführt wurde?

Auch dies wusste D nicht!

Er lebte einfach gerne. Nicht auf so eine stolze, gar laute, sondern eher unaufgeregte, leise und unauffällige Art. Unbemerkt zufrieden zu sein erschien ihm am Erstrebenswertesten. Und er konnte sich eine gewisse Zufriedenheit darüber nicht ganz verkneifen, dass er dies offensichtlich bereits erreicht hatte, dachte er satt seufzend, sich auf die andere Seite drehte und sich einfach von der Sonne weiter wärmen ließ.

Er war wieder zuhause….nier blieb das Leben einfach und schön…

Tage wie diese – Odyssee 2021 CW11

Es begann damit, das D wach wurde und einen leichten Hangover an sich bemerkte. An und für sich nichts Schlimmes, weil er irgendwann vorüberzieht, wenn da nicht dieser widerwillige Hausschuh war, der beim Aufstehen einfach nicht über D‘s Span gleiten wollte, dass er etwas zu nachdrücklich nachhalf, das er sich dann plötzlich völlig verkanntete und D nicht mehr sauber auftreten konnte, schlussendlich ins Schwanken kam und nur deswegen nicht die Treppe runtersegelte, weil er mit letzter Not den Schuh vom Fuß schoss und eine Schimpfkanonade hinterherschickte – du verdammtes Arschloch – um strauchelnd, aber unbeschadet und mit nur einem Hausschuh an den Füßen am Parterre anzukommen.

Sofort war D klar, dass es ein besonderer Tag werden musste. Und so kam es. Offensichtlich hatten sich auch die gekochten Eier gegen D verschworen, weil sie sich trotz Abschrecken so schlecht pulen ließen, dass die Hälfte dran blieb und zu allem Unglück gleich das erste D aus den Händen glitt und auf dem Boden zerplatzte, was eine beachtliche Farbenpracht auf dem Boden, sowie den leber-farbenen Leder-Latschen und den weinroten Stricksocken hinterließ.

„So eine Scheiße, verflucht noch mal, das darf doch nicht wahr sein!“

Als D dann endlich sein fertiges Frühstück nebst Kaffee auf dem Tisch gestellt hatte, fiel ihm auf, das er den Aschenbecher gestern vergessen hatte zu leeren, was offenkundig der Grund zu sein schien, warum seine ganze Wohnung wie ein kaltes Aschenloch roch, was er sich schnurstracks vornahm zu ändern und das Fenster öffnete.

Gerade bewegte D den vollen Aschenpott Richtung Fenster, als plötzlich eine starke Windböhe den gesamten Inhalt des Aschenbechers, über seine vorsichtig auseinander gepulten Eier verteilte, dass D so erschrocken von diesem Schicksalsschlag zurückprallte, dass er an seinen geliebten Kaffeebecher stieß, der dann im Geiersturzflug dem Erdboden entgegenraste.

Wie in Zeitlupe sah D dem Becher hinterher.

Er wollte nicht glauben, was da gerade alles in seinem Leben geschah und wartete sehnsüchtig darauf, dass er aus diesem schlimmen Traum Schweiß gebadete aufwachte, um erleichtert festzustellen, dass all das zum Glück nicht wahr sein brauchte.

Doch es kam anders.

D musste mitansehen, wie sein Lieblingsbecher am Boden in hundert Teile zerbrach, was an sich schon ausreichend schlimm zu sein schien, selbst aus der Distanz; als dann aber der kochend heiße griechische Kaffee-Sud durch den grobmaschigen Strumpf drang und D’s Haut auf der Oberseeite des Fußes verbrühte, sprang er wutentbrannt zum Bad, wo er den Fuß nebst Strumpf kalt abduschte und den Sockendanach  an die Tischkabine klatschte, wo er still und schweigend in Kopfhöhe hängen blieb!

Nun hatte D genug. Es langte.

Wutschnaubend riss er das Fenster auf, schmiss den Teller nebst Aschen-Spiegeleier und Toastbrot in hohem Bogen aus dem Fenster, dass alles mit lautem Scheppern in den Innenhof prasselte, wo es für eine anerkennender Maßen beeindruckende Farbpracht sorgte.

„Das hast du jetzt davon!“

Donnernd schlug D das Fenster zu, ließ die schweren Holzläden ebenfalls zuknallen, knipste jegliches Licht aus, kroch sicherheitshalber auf allen Vieren die Treppe hoch, zog sich wieder aus, rollte sich in seinem Bett ein, schob den Kopf unter das Kissen und schlief binnen weniger Minuten wieder ein…

 

Die Moral von der Geschicht – Odyssee 2021 CW10

Scheinen ist mehr als einfach nur Sein. So, oder so ähnlich jedenfalls sprach D vor Kurzem zu Perikles von Korinth, als es ihnen darum ging über das Sein im Grundsätzlichen zu plaudern und dabei von den multi-dimensionalen Wirklichkeitsfeldern jedes Individuums zu universell gültigen Verhaltensweisen im Alltag kamen, bis sie sich nach stundenlanger Diskussion erschöpft, aber zufrieden auf eine Formulierung einigen konnten, die sie – natürlich – mit einem Glas Wein begossen.

So gestalteten sich D’s Tage tagaus und tagein.

Nie war ihm dabei bewusst, dass er des Wurzels Übel war, der mit seiner brennenden Neugier jeden Strauch verbrannte, bis alles um ihn herum gegrillt aussah und letzten-endes zumeist auch war. D wollte die Dinge halt wirklich durchdringen – das ging so weit, dass er etwas stahl, um zu schauen, was sich in ihm drinnen abspielte und vor Allem, wer derjenige war, der ihn das tun ließ.

Er bemerkte nämlich, dass in Wahrheit keiner eine Ahnung von Etwas haben konnte, ohne die Dinge tatsächlich erlebt zu haben; oder in anderen Worten – eine heiße Herdplatte war nicht vorstellbar, was das bedeutete, weil man mit dem Zustand, „heiß“, sowie mit dem Gegenstand „Herdplatte“ so richtig gar nichts anfangen konnte, solange man die Dinge nicht gesehen, oder gar benutzt und bedient hatte.

Es war halt das Indianer-Schiff-Ding, dass man Unbekanntes weder sah, noch richtig wahrnahm, solange man sie nicht gezeigt und erklärt bekam. Woher sollte also irgendeiner wissen was eine „heiße Herdplatte“ ist, ohne mit beidem Erfahrungen gemacht zu haben?

Gang genau – D wusste es nicht, wie so Vieles andere auch.

Es dauerte zwar viele anstrengende Stunden, aber letztendlich gelang es Perikles von Korinth und D sich nach langem Ringen darauf zu einigen, dass die Aufklärung und all ihre großen Philosophen als Solches zwar vom Namen her existierte, jedoch in keinster Weise ihren Job gemacht und sich auch nicht weiterentwickelt hatte, geschweige ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich aufzuklären, nachgekommen war.

Ganz offenkundig waren sie in Schaffenslaune und hatten genug Schwung mitgenommen, dass sie so ganz nebenbei auch den äußerst attraktiv und klug klingenden Satz über – die vollends aufgeklärte Welt, die im Zeichen triumphalen Unheils erstrahlt – zwar beide uneingeschränkt großartig fanden und sich ehrfürchtig davor verneigten, ihn aber nach langer Auseinandersetzung mit der dahinter befindlichen Aussage genauso einstimmig als Quatsch und Unfug abtaten, wie auch immer sie ihn verstehen und auslegten.

So kamen sie keuchend und schnaufend ans Ziel, schienen mit ihrem Ergebnis zufrieden zu sein und verabschiedeten sich zur Siesta, die sie beide akribisch pflegten, jedoch gab es für D keinen Frieden. Sein Geist kaute so intensiv auf Diskussion und Ergebnis herum, dass er einfach nicht zur Ruhe kam.

An Schlaf war überhaupt nicht zu denken.

Gerade wollte er sich durch ein anderes Bild in den Schlaf zwingen, als auf einmal ein paar unbekannte Türen in seinem Gedächtnispalast aufgingen und Monsieur Thalamus plötzlich mit Feder bewaffnet auf seine Kanzel sprang und die folgenden Sätze markerschütternd laut in D’s Unterbewusstsein donnerte, dass dieser erschrocken hochschoss, seinen Griffel packte und wie im Fieberwahn die Botschaft seines wahren Herrns niederschrieb:

„Ethik und Moral sind nicht national;

sie haben weder Pass noch Heimat;

sie sind universell, alles und Jeden gleichbetreffend;

selbst nach dem eigenen Davonsegeln kann man sehen,

welchen Trampelpfad man hinterlassen hat;

ein von Schönheit und Barmherzigkeit gepflasterten,

oder eine Schneise der ohnmächtigen Verwüstung;

darum lebe still und bescheiden,

erschaffend und fördernd…!“

Erschrocken prallte D zurück und starrte die Worte an. Nach und nach drangen sie in sein Bewusstsein, setzten sich dort langsam wie Staub ab, so dass er zufrieden und erleichtert zusammensank und in einen tiefen traumlosen Schlaf hinfortglitt…

Federball und die Pandemie – Odyssee 2021 CW09

Seit nun bald einem Jahr gab es dies neue Jetzt. D versuchte es von sich zu schieben, merkte aber schnell, dass es nicht klappte – es war immer noch da. In Frankreich gab es immer noch von 18 – 6:00 Uhr Ausgangssperre. Bars und Restaurants blieben immer noch geschlossen. Niemand wusste, wann sie wieder öffnen würden. Hoffentlich half der Staat all den Restauratoren und Barbesitzern.

Was D viel mehr umtrieb war die wachsende Sehnsucht der Menschen nach Bedeutungslosigkeit. Immer mehr Menschen suchten ihr Heil in der Zerstreuung. Wie sollte man auch sonst das dauerhafte Medien-Bombardement zum Thema Corona aushalten – wie?

D wusste es nicht.

Stattdessen staunte er über die verschiedenen Ansätze und Betrachtungsweisen innerhalb der EU. Da gab es reichlich zu lernen und zu bewundern. Denn während man in Deutschland – D hatte sich hier ein wenig eingelesen – die magische Grenze von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern auf 35 gesenkt hatte, weil es ja Angriffe britischer Mutanten gab, ging man in Spanien mit anderen Maßnahmen und Betrachtungsweisen vor, weil man dort bei 200 Neuinfizierten praktisch Entwarnung gab.

Auch verschlagerten immer mehr Unterhaltungen – D freute das, weil  vor aller Augen eine neue Sprache geboren wurde, ohne dass die Allgemeinheit etwas davon bemerkte, was quasi das gleiche ist, als wenn man im zehnten Monat schwanger ist und nichts davon bemerkt.

Wir schalten uns daher unbemerkt in ein Telefongespräch zwischen D und einem guten Freund.

E: Moin……

D: Hola Ede…alles gerade bei euch?

E: Naja, muss ja ne…?

D: Wie wahr…was will man machen…

E: Wie ist denn das Wetter bei euch…?

D: Mild, meistens über 15 Grad…und bei euch?

E: Auch schön….aber nicht so warm, wie bei euch…

D: Ja…

E: Bei euch blühmt es bestimmt schon überall…

D: Wie verrückt…

E: Hier ist die Natur noch nicht so weit…

D: Wie ist denn die Stimmung so bei euch…?

E: Wie die Abgase hinter einem Katalysator…es geht immer weiter…

D: Hier in Toulouse auch…

E: Ja…

D: Dies neue Federballspielen finde ich super…

E: Was bitte…?

D: Was wir hier gerade machen…

E: Was…?

D: Naja wir beide…?

E: Was machen wir denn…?

D: Wir unterhalten uns…

E: Und…? Was ist daran jetzt neu…?

D: Naja, dies lockere miteinander den Federball in der Luft halten…

E: Was bitte…?

D: Naja, wir reden die ganze Zeit, ohne etwas zu sagen…

E: Stimmt…

D: Ist so wie Schlager hören…

E: Stimmt…

D: Oder eben Federball spielen…

E: Ja…

D: Weißt du was ich meine…?

E: Nee…

D: Warum fragst du dann nicht…?

E: Ja…

D: Wie ja…?

E: Weil es mir eigentlich egal ist, über was wir reden…

D: Wie bitte…?

E: Ich weiß, klingt merkwürdig…

D: Das klingt gleichgültig…

E: Nee, im Gegenteil….

D: Wie jetzt, das Gegenteil? Das verstehe ich nicht…

E: Nichts ist mir egal, was nicht heißt, dass ich ständig zu Allem was sagen möchte…

D: Achso…

E: Ich freue mich einfach, dass wir uns unterhalten, egal, worüber…

D: Sag ich ja…wir spielen Federball…

E: Du meinst, weil wir miteinander…?

D: Genau…

E: …ohne, dass einer den Anderen…?

D: Genau…

E: Ach so…stimmt!

D: Genau…

E: Und nun…?

D: Was…?

E: Was machen wir jetzt…?

D: Wie meinst du das…?

E: Naja, was machen wir jetzt…?

D: Wir machen doch die ganze Zeit etwas…

E: Stimmt…

D: Wir spielen Federball…

E: Wollen wir weitermachen…?

D: Warum nicht…?

E: Wollen wir uns ein Glas Wein dazu einschenken…?

D: Gute Idee…

E: Bis gleich…

D und E stehen beide auf und verschwinden vor den Kameras; Synchronschwimmern gleich hört man zeitgleich Korken knallen und Flaschen gluckern, bevor sie wieder vor den Linsen erscheinen und ihre Unterhaltung noch zwei Stunden weiterführen, ohne auch nur das Geringste zu sagen…und so geschah es…!