Archiv für den Monat: November 2017

Supermarkt

Seit Tagen hab ich nichts gegessen, dafür umso mehr getrunken und bei Musik geschrieben – The-Wall – fantastisch – bis mir die Zeit heimleuchtete – jetzt knurrt mir der Magen, als würde ein Rudel Wölfe in mir wohnen – hast nichts zu beißen – hilft nichts, du musst aus deinem Tartarus raus, hinaus in die grelle Welt – egal ob Roger noch so schön singt – Daddy, what you left behind for me – rein in den Supermarkt.                                                                                                                                            Durch endlose Gänge geschlichen, alles schnell zusammengeklaubt, wie ein Junkie, oder ein Vamipr, der das Licht hasst, hier ein paar Eier, dort Salat und Brot – sicherlich, Schips und Karottensaft für Seele und Haut, Suppengemüse für den Topf, Fleisch zum Braten – irgendwann braucht jeder Eisen, geschmiedet oder im Magen.

Lange Schlangen an den Kassen, einer der Gründe, warum ich selten einkaufen gehe – warten bekommt mir nicht – dort, das sieht gut aus, nur zwei vor mir – Guten Tag – Tag – können Sie bitte den Kindersitz? – Ja, natürlich, kleinen Moment, so Charlotte und hopp – Klasse, haben sie vielen Dank – Blip – schau dir das mal an, was will die mit all den Vanille-Kerzen – Blip – ne Geburtstagsfeier – Blip – für deine kleine Prinzessin, nicht wahr? – Blip – hattest keine Zeit mehr, zu Ikea zu fahren, – Blip – wo sie da doch viel billiger sind? – Blip – Ärgerst du dich jetzt? Ach, sieh an, ein Repair-Shampoo – Blip – heute gönnst du dir was, viel Zeit bleibt dir im Moment nicht für dich, oder – Blip – man muss Acht geben, dass man sich nicht vernachlässigt, das man sich selbst hin und wieder auch was Gutes tut – bestimmt kommen gleich ihre besten Freundinnen – Blip – ob die wohl Topfschlagen spielen – Blip – so wie du früher? – Blip – Mama, ich will nach Hause – Gleich Charlotte, gleich, wir sind gleich fertig – Blip – Mother do you think they‘ll drop the Bomb? – Bestimmt bekommst du bald ein Pferd – Blip – ja, ganz sicher – Mama, jetzt – Blip – Gleich Charlotte – Blip – nein, natürlich kein Pony – Blip – was richtig Erwachsenes, ich bin mir sicher – Blip – wahrscheinlich wirst du bestimmt – Blip – noch ganz viel – Blip – im Leben bekommen – Blip – vielleicht nicht nur IM, sondern auch VOM – Blip – Mother should I run for President? – Das sind dann 48, 57 – Mit Karte bitte – Gerne – Sammeln sie Treuepunkte? – Mother should I trust the Government? – Oh ja, danke, sehr gerne – Wow, sehr gerne sogar, was mach ich denn sehr gerne? Hm, Wein trinken, Bücher lesen, auf dem Sofa liegen, aber Treuepunkte sammeln? – Hier, bitte – Danke- Brauchen Sie die Quittung? – Hm, ja doch, gerne, danke, Tschüß – Schüß – Schönes Wochenende – Danke, ihnen auch.

-Guten Tag – Moin – Blip – Blip – Blip – Blip – das macht 6,35 – Na, das nenn ich mal ein Mittagessen, vier halbe Liter Bier – Halt, warten Sie, ich brauche noch Zigaretten – Das denke ich auch. Nach dem Ersten bekommst du doch immer-n Schmachter – ich jedenfalls. Aber nach dem Zweiten ist er garantiert unerträglich. Nehm lieber zwei mit – Blip – das macht 12,78 – Warten Sie – Was denn, brauchst du doch noch eine, Kollege? – Die 78 hab ich passend – Was, bitte? Auch das noch, bei deinen Hosentaschen findest du darin doch das ganze Universum, wie willst du jemals 78 Cent passend finden, wir haben Weihnachten, bis du hier fertig bist.

Leichtes Geklimper, Bargeld wird durchwühlt. Besonnen und gründlich kramt der Mann vor mir die 78 Cent zusammen.

– Wollen doch mal sehen, ich habe es gleich – da bin ich mir sicher – 68, 73 so, fast haben wir es – der redet, als wär er eine Krankenschwester – Jetzt aber, passend, sollte so stimmen – Dankeschön – zwanzig, dreißig, vierzig, sechzig, fünfundsechzig, sechs, sieben, achtundsechzig, 73 und 78, stimmt – Die Renten sind wieder sicher, liebe Freunde – Wiedersehen – Tschüß

– Guten Tag – Hallo – Blip – so, jetzt nur noch kurz zahlen – Blip – Schwarzbrot wolltest du auch noch kaufen – Blip – Mist, Obst hast du vergessen – Blip – na gut, dann beim nächsten Mal – Blip – ist wieder typisch – Blip – an Wein und Tabak hast du gedacht – Blip – Obst und Waschmittel natürlich nicht – Blip – obwohl du es – Blip – auf deine Liste geschrieben hast, du bist aber auch ein Töffel – Blip – man-o-man – können Sie bitte ihre Faltbox hoch – Natürlich – Danke – Gerne – das sind dann 83, 87 bitte – sammeln Sie Treuepunkte? – Nein danke, vergesse ich so wieso. Ich kann bei euch neuerdings Bargeld bekommen, nicht wahr? fühle mich wie Captain Future – Wie viel soll es sein? – 200 – Das macht dann 283,87 – sammeln Sie Treuepunkte? – Mit Karte bitte – kleinen Moment, jetzt können sie  – brauchen Sie die Quittung? – Nein danke, eher nicht, schönes Wochenende – Danke, ebenfalls – Guten Tag – Tag – Blip – Können sie kurz? – Jetzt schnell zurück zu Roger und Nofretete.

 

Siegfried ist faul

Gerade öffnet er seine Augen.  – Mist, schon wieder Montag, Lust aufzustehen hat er schon länger nicht – Es ist immer das Gleiche, die ganze Woche, von Montag bis Freitag. Im Wald herumrennen, Drachen und Brünnhilde suchen, edel und stark Aussehen, das Gute repräsentieren, das Böse furchtlos mit Axt und Schwert bekämpfen und ständig in die Unterwelt zurückdrängen.

Als Kind durfte er weder weinen, noch irgendeine Schwäche zeigen, natürlich nicht, bist halt ein Held. Als ihn die ersten Haare im dunklen Dickicht anfingen zu jucken, schlief er viele Male schlecht und unruhig. Ein paar hübsche Mädchen gab es schon in Nachbarschaft und Umgebung – nur im Traum besuchte er sie und machte muntere Sachen mit ihnen.

Schwer blieb das Schwert, dunkel-düster beängstigend der Wald und kaum zu führen, war sein nervöses Pferd. – Überhaupt, diese ewige Reiterei, noch dazu mit stolzgeschwellter Brust auf diesem störrischen Schimmel sitzen, der noch dazu einen nervösen Reizdarm hatte, was man leider zu spät entdeckt hatte, nämlich nachdem man ihn als Helden-Gaul auserwählte.

Als er nach langem Suchen, zum ersten Mal den gewaltigen Drachen auf einer Wiese im Fluss-Tal erblickte, wie er ein Nickerchen hielt und bald kurze Zeit später den erschreckenden Berg mit dem bedrohlichen Drachenschloss, mit dem des Nachts ewig-brennenden Helden-Feuer sah, dafür die zu rettende Brünnhilde gar nicht und sie nur vom Hörensagen kannte, da hatte Siegfried genug, ein für alle Mal!

Er ersann einen Plan. Er verstand gut, dass sein Schicksal, mit dem des Drachen und dem von Brünnhilde eng verflochten blieb, wobei er von Brünnhilde nur ein sehr schlechtes Bild hatte, auf dem sie hinter all dem Feuer ziemlich mies aussah. Naja und schlecht belichtet war es noch dazu. Es schien zum verrückt werden – wenn man nicht alles selber machte.

Heute wollte er alles ändern, für immer. Er würde sich mit dem Drachen nach Feierabend treffen, ihm von seinem Plan erzählen und alles dran setzen ihn zu überreden. Es wird gelingen, bestimmt.

Siegfried frühstückt ein paar kalte Kartoffeln vom Vortag, trinkt einen hastigen Espresso, schwingt sich auf seinen Gaul und reitet weit hinaus in die Feldmark. Das neue Futter zeigt erste Wirkung – sein ängstlicher Schimmel schafft fast fünfzig Minuten, bevor er den Himmel mit zusammengekniffenen Augen ansieht. Siegfried dreht sich währenddessen eine Zigarette und freut sich, dass es nicht mehr weit ist.

Endlich kommen sie an – geduldig reib Siegfried dem Pferd etwas Baldrian in die Nüstern, gibt ihm Wasser und Stroh und betritt die Ponywaldschänke – reger Betrieb, keine Spur vom Lindwurm. – Hey, Schankwirt wie geht es Ihnen? ( er mag den dicken Glatzkopf; er strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus)

– Hallo Herr Siegried, sehr gut geht es, wollen Sie sich heute mit dem Herrn Drachen treffen?

– Ja, heute – er hat meine Idee sehr positiv aufgenommen, sie sind sicher dass er herkommt?

-Mein lieber Herr Siegfried – natürlich kommt er – fast jede Woche kehr er bei uns auf das ein oder andere Bier ein, wir servieren es ihm draußen, hinter dem Haus, er passt hier ja schlecht rein. Nein, keine Sorge, sie kriegen es schon mit wenn er kommt. Er ist ganz nett und hat im Düstertal einen kleinen Garten, zieht dort Bohnen, Tomaten und Zwiebeln – ein ganz umgänglicher Kerl.

Siegfried ist beruhigt und nippt etwas nervös am zweiten Bier. Plötzlich kommt starker Wind auf – lautes Tosen, ein ausgewachsener Blitz-Sturm. Gläser klirren in den Schränken, doch die Gäste trinken in Ruhe weiter, rauchen ihren mitgebrachten Tabak – lachen genauso ungebremst heiter.

– Herr Siegfried, das ist er, hier, nehmen sie dies Fass mit, es sind zwar nur fünf Liter, aber er freut sich immer riesig, sein Sie aber bitte vorsichtig mit ihrer Zigarette.

Siegfried tut wie ihm geheißen, greift das Fass, sein Glas und den Tabak und geht hinter das Haus. Eine große Lichtung dient dem Drachen als Landeplatz, wie er unübersehbar erkennt.

– Man ist der groß! Herr Drache? Ich bin Siegfried.                                                                                  -Hallo, mein lieber, junger Herr Siegfried, ich grüße sie – Ihr Ritt war schön? Geben sie ihrem armen Gaul ein paar Kastanien zum Heu, das sollte seinen Stoffwechsel beruhigen – ich bin vorhin ein paar Mal über sie hinweggeflogen, wollte wissen, ob sie kommen – das ist ja ein Jammer, mit den ewigen Pausen – der Gute wird ja ganz wund.

– Das ist ein vorzüglicher Tipp, Herr Drache – vielen Dank. Hier, ich habe ein Bier für sie.

– Oh, wie aufmerksam von Ihnen, haben Sie vielen Dank, junger Herr Siegfried, Prost, wohl bekommt es.

Sie prosten sich zu, nehmen einen kräftigen Zug, Siegfried sogar zwei. Seit seiner Unzufriedenheit, schenkt er abends öfter nach. Langsam fing es an ihn zu stören. Unzufriedenheit ist eben auch ein scharfes Schwert. Er drehte sich eine Zigarette, sah den Drachen lachend in die Augen und fragte sich, warum sie sich nicht viel eher zusammengesetzt hatten – vermutlich hing das damit zusammen, dass er so groß wie zwei Postkutschen ist. Hatte er etwa Angst? Er, der furchtlose Siegfried?

– Mein lieber Herr Drache, sie erinnern sich, dass der liebe Herr Schankwirt uns zu diesem Treffen verholfen hat – ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind.

– Ganz meinerseits, lieber Herr Siegfried, wir arbeiten jetzt schon so lange zusammen, da fand ich, dass es Zeit ist – ich freute mich daher sehr über Ihren Antritt. Was haben Sie auf dem Herzen?

– Ich will kein Held mehr sein! bricht es aus Friedrich heraus. Der Drache sieht ihn erstaunt an. -Wie, sie wollen kein Held mehr sein? Sie sind es doch schon so lange. Niemand ist besser als Sie, lieber Herr Siegfried. Aber jetzt verstehe ich. Schon all die Jahre wundere ich mich, dass sie mich nicht angreifen, mich nicht in die Flucht schlagen – gesehen habe ich sie nämlich schon oft – wie sie mich beobachtet haben und nachmittags nach Hause geritten sind, um pünktlich zum Abendessen zuhause zu sein. Haben Sie schon einen Nachfolger? Entschuldigung, lieber Herr Siegfried, drehen Sie sich bitte mit Ihrer Zigarette ein wenig mehr weg – ich bin ein wenig nervös, wenn Sie rauchen – ja so ist besser, vielen Dank.

Siegfried geht ein bisschen zur Seite, freut sich, dass er mit einer so kleinen Gesten den großen Drachen zufrieden machen und erleichtern kann.

-Hm, eigentlich weiß es niemand, außer Ihnen, Herr Drache. Ich dachte da an Folgendes:

– Jetzt machen Sie mich aber neugierig, Herr Siegfried.

-Haben Sie Brünnhilde schon mal gesehen?

– Aber natürlich, Herr Siegfried – wo denken Sie hin? Ich beschütze sie – wir treffen uns dreimal täglich zu den Mahlzeiten – sie ist eine reizende Frau – bildschön, hat Stil und Geschmack – ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass wir sehr gute Freunde sind.

– Das klingt schön Herr Drache – ich freue mich sehr. Wissen Sie, was meine Aufgabe eigentlich ist?

– Naja, als Held, sollen Sie vermutlich Frau Brünnhilde befreien, da ich sie bewache, müssen sie mich vermutlich überwinden, sie rauben, sie befreien – ich habe sogar darüber nachgedacht, dass es gut sein kann, dass Sie mich sogar töten sollen, oder es zumindest in Kauf nehmen könnten, aber weil Sie noch nie aufgetaucht sind, habe ich mir darüber keine weiteren Gedanken gemacht.

-Sie haben keine Angst, Herr Drache?

– Nein; wie gesagt – sie sind ja nie in Erscheinung getreten und der Herr Schankwirt sagte mir, dass Sie ein umgänglicher Kerl sind und dem kann ich nur beipflichten – ich freue mich, sie kennenlernen zu dürfen.

– Mögen Sie Frau Brünnhilde?

– Ja, aber sicher; wir sind sehr gute Freunde, Herr Siegfried.

– Hätten Sie sie gerne zur Frau?

– Was? Wie bitte? Also, Herr Siegfried, wirklich; ich weiß nicht, ob sie jetzt Spaß mit mir machen, oder ob sie mich testen wollen….

– Im Ernst, Herr Drache – mögen Sie Frau Brünnhilde? Lieben sie sie vielleicht sogar insgeheim? Sein sie unbesorgt, ich frage sie ernst und mit allem Respekt.

– Also, Herr Siegfried – sie sind der Held, der die schöne Frau Brünnhilde erkämpfen und der gewinnen soll – das ist ihre Rolle, als Held – sie sind der Gewinner – ich bin nur ein Wachhund, okay ich gebe zu, ein recht Großer, aber eben nur ein Bewacher.

– Mein lieber Herr Drache, sie haben angenehme Umgangsformen, sind ein sehr netter Kerl – sie mögen Frau Brünnhilde, und Frau Brünnhilde mag sie – ich kenne ihre Freundin nicht mal, habe sie nie gesehen – gut möglich, dass sie mich nicht mag, dass ich sie nicht mag, dass wir am Ende umsonst kämpfen, wer weiß das schon?

Der Drache schweigt und legt seine große Stirn in schwere Falten, denkt nach und kommt langsam hinter die Gedanken von Siegfried. Der fährt solange fort.

-Schauen Sie, Herr Drache, wenn wir uns heute verabreden und einigen, dass ich sie nicht mehr jage, bekämpfe, oder sonst etwas Gewaltsames tue, das ich hier formell bekunde, die süße Frau Brünnhilde nicht mehr zu wollen, dann könnten Sie beide zusammen glücklich sein, vielleicht eine Familie gründen -.vielleicht wäre Frau Brünnhilde glücklich Ihnen einen kleinen Lindwurm zu schenken? Klingt das nicht toll, Herr Drache?

Der Drache sieht ihn fassungslos an; ein paar Tränen stehen ihm in den Augen; er ringt um Fassung.

– Aber, aber, aber Herr Siegfried – sie sind doch der große Held – Frau Brünnhilde ist für sie bestimmt, nicht für mich – sie können ihrer Bestimmung nicht einfach so entkommen, genauso wenig wie ich – sie sind ein wichtiges Werkzeug, sie beschützen die Menschheit vor dem Bösen, zum Beispiel vor mir, ich könnte ganze Landstriche terrorisieren, in Brand stecken, Angst und Schrecken verbreiten, wirklich, das könnte ich – okay, ich bin seit einiger Zeit ein bisschen bequem mit dem Herumfliegen und Schrecken verbreiten – ist nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung – aber sie sind der Held – ich bin der böse Drache.

– Mein lieber Herr Drache, seit langer Zeit weiß ich, dass ich nicht kämpfen will – ich finde das öde, richtig langweilig – und Frau Brünnhilde interessiert mich auch nicht mehr, als andere Frauen – warum soll ich ihnen, die Freundin wegnehmen, wo sie sich beide so gut verstehen? Nur weil ich der Held bin? Weil irgendjemand gewollt hat, dass ich ein Held werde? Mich hat niemand gefragt und ich sage es Ihnen, lieber Herr Drache – Ich will kein Held mehr sein – ich war es nie – Helden sind Vollidioten – ständig zerstören, rauben und morden sie – und selber sterben sie früh – ich will auch ihre geschätzte unbekannte Freundin Frau Brünnhilde nicht – ich will nicht mit Ihnen kämpfen – ihnen auch nicht ihre Burg wegnehmen, für eine Frau, die ich nicht kenne, die mich vielleicht nicht mag.

– Mein überaus geschätzter Herr Siegfried, meinen sie das Ernst? Sie wollen mir Frau Brünnhilde einfach so überlassen? Sie wollen nicht mit mir um sie kämpfen? Sie sagen, ich darf sie einfach so haben?

– Ja, lieber Herr Drache, genau das meine ich. Ich gehe heim und suche mir einen andern Job. Ich sage meinem Arbeitgeber – das sie gewonnen haben und glücklich mit Frau Brünnhilde sind und das ich mir eine neue Aufgabe suche – meine blöde Heldenrolle nicht mehr will und es auch keine Helden mehr gibt – Helden sind nur dazu da, früh zu sterben und reiche Menschen oder Götter in Erinnerung schwelgen zu lassen!

Siegfried und der Drache tranken noch eine ganze Menge Bier; irgendwann lagen sie sich in den Armen, soweit das bei den Unterschieden möglich war, rauchten gemeinsam Zigarette, wobei es einmal eine große Verpuffung gab, die Siegfried fast in Flammen aufgehen ließ, was beide jedoch nur zum Lachen brachte, bis die Sonne wieder aufging.

Er hat zwar noch nicht seine neue Rolle gefunden, doch nachdem die Götter mit viel Zähneknirschen eingesehen hatten, dass Siegfried nur das Ergebnis ihrer Eitelkeit gewesen ist, strichen sie die Rolle von ihrer Kartei und ließen ihm freies Geleit.

Bestimmt wird man bald wieder von ihm hören, oder nie wieder und er wird unbekannt und glücklich und zufrieden leben, bis ans Ende seiner Tage.

 

Wörterberge

Zu viele Buchstaben sind in meinem Kopf. Ungeordnet, wie ein Knäul Wolle vorm Spinnen, türmen sich Berge von Buchstaben in ihm auf – sicher, dann und wann kommt was raus, ich bin ja noch kein völlig verkauzter Kommunikationsautist, hoffe ich zumindest, aber es ist wirklich zu viel – die Tür zum Kellerloch zuziehen hilft auch nicht, im Gegenteil – früher oder später, ertrinkt man im Meer der Wörterwogen – in solchen Momenten hilft Tapetenwechsel.

Gestern war ich mal wieder mit Freunden zusammen – Entre deux Mers, wunderschöne Landschaft –umschlungen von Garonne und Dordogne, östlich von Bordeaux, ein kleines Kaff, voller netter schräger Individualisten und Winzer – vor allem Letzteres findet man in Saint Germain du Puch, so wie mein Freund.

Als wir gegen 18:00 Uhr den ersten Aperitif hatten – ein fruchtiger, knackiger Weißwein aus dem Baskenland sollte den Startschuss geben – ahnte ich nicht, wie leicht ich meinen Wörterberg vergessen sollte. Längst schmeckten wir den Atlantik, als sich frische Austern dazugesellten, und wir einen weißen Bordeaux aus dem Ort dazu nachschenkten – doch auch in der Umgebung von Bordeaux wird es irgendwann dunkel – was will man machen – so wie die Farbe der Weine – er hatte seinen neuen 2016er da, sowie eine Vielzahl anderer Flaschen, Jahrgänge und Chateaus, die wir nach kurzer Zeit offen hatten und munter durchprobierten.

Bald schwirrte mir der Kopf vor lauter wohlklingender Namen, die genauso weich und vollmundig waren, wie ihr Geschmack. Als der Maître sich dann an ein Pilz-Omelett machte, hatten wir eine seriöse und ehrbare Menge Weine probiert, sowie unsere Gemüter in Hochform gebracht. Schnell, wie bei der Wahl der Weine, wurden die Themen schwer – auch im Weinparadies, ist man unglücklich über Glyphosat – wieso sprüht man eigentlich Gift über die eigene Nahrung?  – sowie über die weltweit wachsende Anzahl, autokratischer Größen, die unsere weinselige Gesellschaft eher an Geschichtsbücher und Muppet-Show erinnerten, als an demokratische Wirklichkeit, wenngleich die Vergangenheit, kulturell betrachtet, uns wunderschöne Dinge beschert hat.

Eines hat der gestrige Abend auf jeden Fall zu Tage gebracht – das Wein und Bücher irgendwie gut zusammengehen, und das Winzer und Schreiberlinge, zumindest in einem Punkt völlig d’accord sind – nämlich, dass ein munterer Abend, mit Speis und Trank, tatsächlich Leib und Seele zusammenhält und das man nicht alles in der Welt zu ernst nehmen muss – es gibt einfach so vieles nicht zu tun – man muss damit unbedingt anfangen, denn der Berg wächst täglich – genau darum fange ich heute damit an – Müßiggang.

 

Lapislazuli

In einem kleinen Dorf lebt ein Mann. Er zählt 78 Jahre, hat zwei erwachsene Söhne, eine Freundin, genießt das Leben, schläft ausreichend gut und verreist gerne, besonders dort, wo er sich Mineralien anschauen kann. Im Großen und Ganzen ist er zufrieden mit sich und seinem Leben, in manchen Momenten ist er sogar glücklich und das nicht erst, seit er seinen Lapislazuli um den Hals trägt, der ihm von einer Schamanin geschenkt wurde, die ihn bat, auf sich und seinen Bauch zu hören. Er hat sein Leben geordnet und fühlt sich gut und geistig fit.

Eines Tages, bekommt er wieder mal eine Vorsorgeuntersuchung seiner Krankenkasse angeboten. Obwohl er sich blendend fühlt und alle Vorsorge-Angebote der letzten Jahre abgelehnt hatte, kommt er der Einladung diesmal nach und macht einen Termin. Sein Hausarzt und er kennen sich seit über 35 Jahren. Nachdem die Untersuchung fertig ist, knöpft der Mann sein Hemd zu und lauscht zufrieden und gelassen, den erwarteten guten Nachrichten.

Doch es kommt anders. Sein Arzt möchte ihn zum Kardiologen schicken. „Was soll ich denn da?“, fragt er besorgt. „Dein Puls ist etwas unregelmäßig – ich möchte sichergehen, dass deine Vorkammern in Ordnung sind.“, antwortet ihm sein Arzt und Freund. „Meine WAS? Meine Vorkammern?“ – fragt der Mann sichtlich überrascht nach. „Schau,“, fängt der Arzt an, weiter ausholend, „wenn deine Vorkammern zu unruhig sind und der Puls zu hoch ist, erhöht sich das Risiko, dass du einen Gehirnschlag bekommst.“

Der Mann ist schockiert. Er glaubt sich verhört zu haben. Das Wort Gehirnschlag, brennt sich in seinem Gehirn ein, dort, wo es wegen seinem Herzen angeblich Schlägereien geben kann. Dabei fühlte er sich bis vor wenigen Tagen doch noch wunderbar. – Wäre ich doch nie zur Routineuntersuchung gegangen, – denkt er sich.

Zutiefst betrübt, hört er seinem Freund und Arzt zu, wie er ihm eine Überweisung zum Kardiologen ausstellt. Nach einigen Tagen ist auch diese Untersuchung geschafft. Er wird immer betrübter. Der Experte will ihm Betablocker und noch ein paar andere Tabletten verschreiben. Er sagt, sein Blut wird dadurch dünner und das Risiko ist kleiner.

„Wieso nur kleiner? Ich war doch bis gestern kerngesund? Was machen diese Quacksalber mit mir? Die machen aus einem kerngesunden, einen kranken Mann, verflucht noch mal!“ – Obwohl er seit 35 Jahren zu seinem Freund geht, der ihm bisher immer gute Ratschläge gab, hat genau dieser, ohne das beide es merkten, ihm zum ersten Mal eine Krankheit eingepflanzt: Die Angst.

Obwohl der gesunde Mann weiß, das nichts von all dem hätte passieren müssen, wenn er nicht zu der Routineuntersuchung gegangen wäre, traut er sich nicht die Betablocker-Therapie abzusetzen, aus Angst vor den beeindruckenden Worten des weißen Kittels, die sich uneinnehmbar vor ihm auftürmen, wie die Eigernordwand.

Obwohl er weiß, dass Angst den Puls erhöht, so wie all die Gedanken die ihn jetzt quälen, hat er zum ersten Mal Angst um sein Leben, so sehr, dass all seine Überzeugungen, all sein Wissen, seine Zufriedenheit und guten Gefühle wie weggepustet sind und nur noch von einem beherrscht sind, Angst vorm Gehirnschlag.

Nachdem er ein paarmal mit dem Notdienst telefoniert, sowie sich kurz darauf mit dem Krankenwagen vorsorglich einliefern lässt, weil er mittlerweile 20 Mal am Tag den Blutdruck misst und die Angst vor zu hohen Pulsen und Drücken, diese in ständige Höhen schieben, so dass er eines Abends mit rasendem Puls denkt, dass jeden Moment der Sensenmann an der Tür klingelt.

Eines Morgens, er trinkt wie immer seinen Frühstückstee, da denkt er darüber nach, dass er einfach nicht begreifen kann, was diese verfluchten Ärzte aus ihm gemacht haben:

Einen ängstlichen, Tabletten schluckenden Mann!

In einem Moment der geistigen Schärfe sieht er glasklar. Ganz genau erfasst er sich und sein Leben und packt dabei den blauen Stein an seinem Hals. Er erkennt, dass er eine Wahl hat, so wie er immer eine hatte, dass er sich immer darauf verlassen kann, dass Richtige zu tun, weil er alleine die Verantwortung für sein Leben hat, so wie heute und zu allen Zeiten.

-Entweder ich gehe den von der Angst bestimmten Weg, den der Mediziner und Ärzte, die am Ende nicht wissen können, wie ich mich fühle, oder ich verlasse mich auf mich und MEIN Gefühl, wie all die Jahre vorher auch und vertraue mir selbst, weil am Ende alle Instrumente nicht wissen, wie es mir geht, denn das weiß und fühle nur ich ganz alleine!

Plötzlich hat er wieder das gute Gefühl von früher, jenes, was ihm die Ärzte, – diese Quacksalber! – für ein paar Wochen geraubt haben. Er fühlt sich wieder gut, so wie früher und vertraut sich und seinem Körper und begreift, dass er am Ende genauso glücklich und zufrieden sein kann, wenn er wieder auf sich hört und vertraut und nicht auf Statistiken, seines Freundes.

Er begreift, dass die gut gemeinte Gründlichkeit, theoretisch möglicher Extremsituationen, aus ihm einen ängstlichen Mann gemacht haben, der noch kurz zuvor kern gesund war, so wie die letzten 78 Jahre auch. Da lächelt er zufrieden, sagt alle Folge-Untersuchungen ab, schmeißt die Medikamente weg und verabredet sich mit seinen Söhnen auf eine gemeinsame Flasche Wein.