Archiv für den Monat: März 2019

Neue Nummer

Techno wummert mir entgegen, als ich in den Frisör-Salon eintrete – so, wie immer. Da Cindy alleine ist und für ihre kranke Kollegin einspringt, heißt das Zauberwort, Entschleunigung. Ich schmeiß mich in einen der schwarz-bezogenen Shampoonier-Stühle, von denen es vier in der Reihe gibt, den höflichen Anweisungen Cindys folgend.

Gerade sitze ich ein paar Minuten und fang an, meinen geistigen Leerlauf zu genießen – das ist in etwas so, wie wenn man den Kopf mit warmen, flüssigen und goldenen Sonnenlicht auffüllt und das warm-weiß-gelbe Licht genießt, das einem den Kopf von innen neu tapeziert, bis nichts mehr übrig ist als Freude, Zufriedenheit, eine angenehme Schwingung – als Madamme Pierette sich neben mich schmeißt und lossprudelt:

-Das hält man im Kopf nicht aus, seit drei Wochen geht das jetzt….

-Was denn? , ich bin schon abgehängt, bevor sie beschleunigt, Wahnsinn die Dame.

-Mit dem verdammten Telefon…!

-Was ist denn damit….achja, stimmt, habe ich gemerkt, als ich anrufen wollte – tatsächlich versuchte ich Mittwoch oder Donnerstag anzurufen, wählte die eingespeicherte Nummer, woraufhin mir die weibliche Stimme mitteilte, dass diese Nummer leider nicht mehr erreichbar ist – ich natürlich gedacht, dass ich mich bestimmt vertippt hatte, woraufhin ich es noch ein paar Mal versucht hatte, mit immer dem gleichen Ergebnis.

-Diese Penner haben mir meine Telefonnummer abgeklemmt, einfach so, von heute auf Morgen. Verdammt, ich habe einen Frisörsalon, alle Kunden Machen Termine telefonisch ab….

-Ja, wie kann denn das sein? Ich habe es dreimal versucht und habe dann…

-Zuerst rufe ich bei den Orange-Heinis an, da geht so ein Algerier an die Strippe; ich habe nichts gegen andere Länder und Kulturen, geschweige deren Sprachen, im Gegenteil, aber wenn die mir einen Typen in den Telefonservice setzen, der kaum meine Sprache spricht, wie soll denn dann Kundenser…

-Das ist ja verrückt; stimmt, nachdem ich dreimal…..

-Nach zwanzig Minuten bestätigt er mir, dass….

-das ging dann aber flott! ,ich fange an zu lachen, meinen Faden habe ich längst verloren; ich versuche ihn später einzuweben, wenn mir Mme Pierrette Raum lässt…

-dass ich jetzt so einen neue Telefonbox bekomme, wegen der Umstellung von analog zu digital; ich so zu ihm – Kollege, schicken Sie mir das einfach her, was sie da für mich haben…..

-Und, kam was an, außer ner Rechnung….? , ich ahne es wird bunt….

-Drei tage später kommt so ein express-liefer-fuzzi genau zu der Zeit, wo ich zur Bank gehe, will Cindy das Paket nicht geben und lässt mich stattdessen zur Post laufen, inklusive fünfzehn Euro extra-kosten für erschwerte Zulieferung, ist das zu glauben?

-Im Ernst?, ihre übergroße Brille rutscht aufgeregt auf ihrer Nase hin und her, so wie ihre lange Wollmütze, die sie trotz angenehmer Temperaturen trägt, weil ihre zwei Millimeter kurzgeschorenen weißen Haare nicht genug wärmen und sie als ungefähr siebzig Jahre alte südfranzösische Pflanze sowieso immer friert, sobald es kälter als fünfundzwanzig Grad ist….

-Im Ernst; das Beste aber ist, dass ich zwar jetzt so ne Box hatte, aber immer noch keine neue Telefon-Nummer; hatten sie vergessen zu vergeben…und sowieso müsse ein Techniker kommen, der die Box anschließt; das könne ich nicht einfach selber machen….

-Das gibts gar nicht…!

-Doch, die Box von Orange, der Techniker von France Telecom; am fünften Tag kam er dann, bohrte sich lange in der Nase, Gott sei Dank nirgendwo anders, klemmt die bescheuerte Box an, was genau zehn Minuten dauert und jedes Kind gekonnt hätte, worauf ich…

-Was? So schnell und dafür all der…?

-Genau, ganz genau dafür! Und dann händigt er mir eine Rechnung aus, die er in einem Umschlag überreicht; ich ahnte schon warum; sobald du den Umschlag angenommen hast, stimmst du nämlich den Konditionen zu; ich also schnell aufgerissen und sehe unten rechts fünfundachtzig euro….!

-Wie bitte, für die paar Minuten…?

-Aber ne Telefonnummer hatte ich immer noch nicht…..als der Vogel flüchten will, frag ich ihn nach meiner neuen Nummer, worauf er nur lächelt und mir fröhlich-arrogant erwidert, er wäre nur Techniker und installiere Boxen…mit den Nummern hat er nichts zu schaffen….!

-Das kann doch nicht wahr sein….

-Ich also wieder die Hotline angerufen, diesmal keinen Araber, sondern irgendeinen Inder, den ich auch kaum verstehen konnte; ich so, Leute – wo bleibt meine Nummer – er so, die ist unterwegs – ich so, wie unterwegs, sie haben mich doch am Telefon….geben sie mir doch einfach jetzt die nummer durch….ich habe ein Geschäft….….worauf der Vogel einfach seinen Text wiederholt, dass die nummer unterwegs sei und alles……

-Weißt du, woher ich eigentlich deine neue….

-ich habe die doch noch gar nicht….!! Langsam wird sie porös die Arme.

-Was für eine Nummer ist denn die, die ich…..

-Meine private Handynummer; ich habe die im Internet angegeben, damit mich überhaupt irgend-jemand erreicht…das ist doch verrückt, zum ausflippen; ich suche schon kameras in den Ecken; das kann unmöglich echt sein, das alles hier!

-Da muss man ja schon am frühen Morgen einen Aperitif haben und abends munter nachschenken…

Vor Aufregung beginnt sie mit ihren bunten Sandalen über den Boden zu scharren, in den ihre dunkelbraunroten sockenlosen Füße stecken – die Sandalen sehen aus wie von einem zehnjährigen Mädchen…vermutlich sind das ihre, die sie bekam als sie klein war…..ich stelle sie mir gerade vor, wie sie wohl ausgesehen hatte, mit zehn Jahren, vermutlich wie Intschoschi, Winnetous Schwester, während die Lautsprecher knackige Techno-Klangteppiche unter uns ausbreiten und wir wie lustige, psychedelische bunte Bälle von diesen elktronischen Bass-Flächen hin und hergeschüttelt werden, dass ich auch beim dritten Mal überhöre, das Cindy mir zubrüllt:

-Setz dich schon mal auf den freien Stuhl, damit wir anfangen können…..

Während mein Kopf von warmem Gold, viel orange und metallisch-industriellen Klangmustern besetzt ist, bis ein Arm nach mir greift und mich vor dem Spiegel pflanzt und der Rasierer hinter meinem Ohr aufgesetzt wird und mir eine Brandschutzschneise in den Schädel fräst, dass ich zusammenfahre und Cindy nachsetzt:

-neun oder? wir fangen immer mit neun an, nicht wahr?

Im Spiegel sieht es eher nach zwei, als neun aus – ich nicke einfach und lass sie mir die Rübe schaben – manchmal muss man einfach laufen lassen…..

 

 

Der Blog ist tot – lang lebe der Blog!

Seit einiger Zeit schreibe ich nicht mehr regelmäßig. Früher konnte man die Uhr nach mir stellen, zumindest auf diesem Blog – egal was passierte, jeden Sonntag gab es eine neue Geschichte. So ging das über Jahre. Irgendwann, keine Ahnung weswegen, fing ich an herumzuexperimentieren. Ich lud Auszüge neuer Büchern genauso fröhlich hoch, wie Neu-überarbeitetes, das schon mal das Licht der Welt erblickt hatte, in der Hoffnung, dass die Schminke verbarg, dass es zum Hauptgang Wiedergekäutes gab.

Seit dem, nimmt die Leserschaft radikal ab – keine Überraschung – der Preis fürs Herumprobieren. Ich glaube nämlich, in Wahrheit können wir Menschen mit zuviel Veränderung nicht umgehen – können vielleicht, wollen wir aber nicht. Ich verstehe das. Oft geht es mir ähnlich. Ist zu anstrengend. Wir brauchen unsere Rituale – Kaffee und Frühstücksei am Morgen, Mittagessen immer pünktlich um 12:30 mit anschließender Zigarette oder Zigarre, Abendbrot 18:30 – Tagesschau im direkten Anschluss. Wir lieben das – das gibt uns Halt und Stabilität, verleht unserem Leben Rhythmus, den eigenen Klang.

Mein Blog hat so ein Diagnose-Tool, das mir genau sagt, wie viele Besucher ich habe. Damit kann man angeblich eine ganze Menge machen – ich leider nicht. Ich mag Technologie, so ist es nicht – im Gegenteil, ich verstehe sie meistens recht flott und kann sie daher heilmachen, wenn sie kaputt geht – bei digitaler Technologie scheinen meine Fähigkeiten eingeschränkt zu sein, auch was den Zugang, das Verständnis von Oberflächen angeht – offensichtlich beruht das auf Gegenseitigkeit, denn seit mein Blog vor kurzem ein paar Software-Updates bekommen hat, funktionieren diverse Tools nicht mehr – unter anderem das, naja – ihr ahnt es schon.

Erst sagt man mir, dass ich all das brauche und wenn ich zustimme, wird mir der Zugang verweigert. Komische Zeiten sind das. Ich für meinen Teil mache meine Temperaturmessung jetzt anders – anstelle das digitale Fieberthermometer unter die Zunge zu legen, stecke ich es jetzt wieder an den bekannten altmodischen Ort!

Früher habe ich regelmäßig Nachrichten bekommen, wie gut oder schlecht meine Arbeit ist – manch ein Brief war länger als der von mir geschriebene Text. Heute kommt gar nichts mehr. Ich brauche kein Diagnose-Toolkit, um zu merken, dass kein Schwein meinen Blog liest. Ich kann mir doch selber einen Reim darauf machen – vielleicht ist er einfach langweilig und öde geworden.

Wenn man ohne Leidenschaft zusammenhanglose Leseproben rauspustet, muss man sich nicht wundern, dass die Welt genauso reagiert – leidenschaftslos und gelangweilt. Das Schöne dabei ist, dass ich ganz alleine etwas daran ändern kann – und genau das mache ich: Ab heute, einen Tag vor dem 198zigsten Jahrestag der griechischen Revolution, verspreche ich feierlich, dass ich ab sofort wieder jeden Sonntag schreiben werde – und zwar ausschließlich über Dinge aus meinem ganz normalen Alltags-Wahnsinn, versprochen!

Genug gibt es ja – im Gegenteil, es hat sich sogar reichlich was angestaut – gestern war wieder so ein glorreicher Tag. Der Freitag kündigte schon ein spannendes Wochenende an, als mich beim Broterwerb zwei Kollegen anbrüllten, dass sie mich und mein Projekt nicht brauchen würden – komischerweise haben sie sich vorher beschwert, dass sie kein Geld für dieses Jahr von mir bekommen haben, weswegen sie jetzt offensichtlich schmollen. Eigentlich möchten sie mitmachen, aber wenn ich frage, was sie konkret damit tun, dann drucksen sie rum. Ich verstehe das. Haben ist besser als Brauchen. Aber die Firma in der ich mein Brot verdiene ist keine karitative NGO, echt nicht!

Wohin ich auch sehe, überall das gleiche Muster – Menschen entfernen sich und insistieren, dass sie mich nicht brauchen – ist völlig in Ordnung. Warum manche es aber herausbrüllen müssen und sich insgeheim trotzdem eine Zusammenarbeit wünschen, kann ich nur dunkel erahnen – ich hoffe, es gelingt mir genau so wie bei meinem Blog.

Ich bin irritiert.

Natürlich weiß ich, dass nicht die ganze Welt Don Tango Bücher mag – im Gegenteil: Die Leserschaft ist wirklich überschaubar, verglichen zu sieben Milliarden Erdbewohnern, mit maximal 100 Millionen, die der deutscen Sprach emächtig sind. Da gibt es schon ein paar, denen nicht gefällt, was ich schreibe – aber schreit man deswegen im Supermarkt das feingemahlene Espressokaffeepulver an, dass man es nicht mag? Eher nicht, oder? Man sieht hin, lächelt, nickt vielleicht, denkt sich – ne du, lass mal und geht lächelnd weiter, zu den anderen Angeboten.

Wieder saß ich auf meinem Esel mit gesenkter Lanze vor Windmühlen. Es war daher nur natürlich, dass es am Samstag damit weiterging.

Zum Frisör wollte ich.

Madamme Pierette hat den coolsten Salon der Welt – ich habe schon mal darüber geschrieben. Mme P. ist eine schlaue Frau, sie nimmt nur Bargeld – weil man aber in Südfrankreich, selbst in halbverlassenen Dörfern, jede Lakritz-Schnecke mit der Kreditkarte bezahlen kann, habe ich selten welches bei mir. Ich also los.

-Stimmt da hinten in der Rue des Tourneurs steht ein Automat!

Gemessenen Schrittes geh ich 13:59 los. Salon-Termin? 14:00 – darf man wohl südeuropäische Pünktlichkeit nennen – hat nichts mit mangelndem Respekt zu tun, sondern nur damit, dass ich nicht an Bargeld gedacht hatte.. Als ich vor dem Automaten steh und fröhlich meine Karte zücke, sehe ich einen bunten Farbfleck auf dem verbrannten Display – das System ließ hinter der verkrusteten Plastikborke ein wild-zuckendes Hitze-Blitze-Gewitter herabrieseln – live wurde ich Zeuge seines verfrühten Ablebens, um in den IT-Himmel aufzusteigen und irgendwann als Staubsauger-Steuerung wiedergeboren zu werden.

Hier gab es Nichts zu holen, wenn ich nicht riskieren wollte, dass die sterbende Maschine meine Karte mit in den Tartarus hinunterzieht.

-Okay, denke ich – es gibt noch andere Geldmaschinen im Viertel.

14:05.

Keine drei Minuten um die Ecke steuere ich den nächsten Automaten an – Credit Agricolle hieß der in einladenden sanften Farben bemalte Kollege, den man wohlwissend schon mal mit einer robusten Massiv-Holz-Verkleidung verrammelt hatte, immerhin in passendem Türkis, um Corporate-Identity zu demonstrieren – offensichtlich schützt man sogar in Südfrankreich sein Eigentum. Wundervoll, dachte ich – immer noch bestens gelaunt.

14:08.

Als ich den nächsten Automaten ansteuere, frage ich mich, ob ich als Chef von Credit-Agricolle, den 2 Minuten um die Ecke stehenden Automaten ungeschützt, den hier eben gerade benannten Kollegen aber dafür wie Fort Knox einsam und verlassen, vor seinen verdienten Beschädigungen bewahre – mitnichten. Ebenfalls hermetisch abgeriegelt kamen alle folgenden Automaten daher, womit meine Chancen, Bargeld für meinen Haarschnitt zu bekommen, beträchtlich sanken – unabhängig davon, dass ich mich wie ein Spielzeug-Auto einer verstaubten Carrera-Bahn fühlte, dass achterbahn-gleiche Schleifen im Viertel drehte.

In ferner Zukunft sah ich mich schon mit schulterlangem Haar herumlaufen. Vielleicht keine schlechte Idee, spart man doch Zeit und Geld, ganz zu schweigen von den Nerven.

Irgendwann fand ich eine Santander-Bank. Offenkundig hatte die spanische Konkurrenz keine Ahnung, was hier am Wochenende zwischen Demonstranten und Gendarmerie abging. Zwar war auch dies Display mit einem fröhlich-aufgesprühten Mattschwarz verziert – gesegnet sei die südeuropäische Kreativität – was meine einfallsreichen Vorgänger nicht davon abhielt, neuralgisch wichtige Stellen freizukratzen – wie herrlich, Einfallsreichtum auf beiden Seiten. Es klappte. Ich bekam Geld, dazu einen reichlichen Nachschlag Zuversicht, sowie eine Gratis-Verspätung von 30 Minuten.

14:30

In Madamme Pierettes Salon wummerte wie immer unermüdlicher Elektro auf die Straße – brav und ehrlich entschuldigte ich mich, für die unverzeihliche Verspätung. Cindy, die bunt tätowierte, Metall behangene, fröhlich-frankophone Asiatin, begrüßte mich mit trällerndem Toulouser-Akzent, wiederholte mehrmals, dass meine Verspätung überhaupt kein Problem sei, weil ihre ernüchternden Worten zeigen sollten, dass auch Verspätung, auf beiden Seiten vorherrschen sollte – Kreativität und Pünktlichkeit mit gleichem Ernst gelebt – Frankreich konnte ein Paradies sein.

Cindy erörterte mir mit ihrer lebhaft vor meiner Nase herumtanzenden Schere, die sie teilweise wie einen Degen hielt, dass ihre Kollegin wegen Krankheit ausgefallen sei und sie daher erst Marine fertig machen müsse – die wohl schon vor Stunden in den Seessel vor mir ausgegossen worden war und sich just in diesem Moment langsam und geduldig zu mir umdrehte und mich das explodierte Sofakissen auf ihrem Kopf so stark beeindruckte, dass ich offensichtlich keinen besonders intelligenten Gesichtsausdruck machte und überhörte, wie sie Pierre und Nicolas ebenfalls mitaufzählte, die wie Orgelpfeifen auf ihren Sitzen kauerten und ebenfalls vor mir dran zu sein schien.

So ließ ich mich ein wenig erschöpft, dafür gelassen auf einen der Shampoonier-Plätze nieder, um mir Mme Pierettes Geschichte ihrer neuen Telefon-Nummer anzuhören – aber dazu mehr am nächsten Wochenende.

VG – euer Don.

 

Verfall – Teil 1

Mein flackerndes Smartphone macht die Auto-App fast unbrauchbar. Nach dem zehnten Versuch gelingt es mir, eine dieser abgerittenen Großstadtkutschen zu ergattern. Nach ein paar Straßenbiegungen gehe ich in eine stille Seitenstraße

– irgendwo da vorne muss er doch – ha, da ist er.

Quietschend öffne ich die Fahrertür. Kalter Rauch, Feuchtigkeit und ein Hauch von altem asiatischem Essen, empfängt mich mit tropisch-nasser Umarmung. Ich hacke einen sechsstelligen Code in das gesplitterte Cockpit-Display; ein paar Lampen leuchten auf, eine Grüne ist auch dabei; war wohl erfolgreich.

Blechern und kalt klingt die weibliche Stimme des Navigations-Systems, die mich durch das verstopfte Stadtzentrum hetzen lässt, dass wie ein geblähter Darm zu platzen droht. Schon länger habe ich das Gefühl nicht mehr atmen zu können; all der Krach und Gestank; die Hektik unfreundlicher Menschen; ihre Gefühlskälte lässt der Gier freien Lauf, die wie eine ansteckende Krankheit ihre Gesichtszüge verziert; innere Leere, frisst menschlichen Glanz; die Seele kämpft mit letzter Kraft um Werte von einst, bis sie am Ende alles willenlos geschehen lässt.

Das bizarre Muster des zerbrochenen Glas erinnert mich an einen atomverseuchten Weberknecht. Heute habe ich Glück; ohne Umwege finde ich einen Parkplatz. Nur schwer sind die Parkbuchten am verdreckten Straßenrand auszumachen. Randsteine mit ungezählten Zeitungsschichten; glattgebügelte Bordstein-Übergänge mit geweiteten Rändern erinnern an überdimensionierte Bäder, reichlich verziert mit Dreck, Glas, Zigaretten und Schmutz, stacheligen Mondlandschaften gleichend.

Beim Aussteigen sehe ich mir die Umgebung an. Heruntergekommene Wohnblöcke, grau und stumpf. Abgeblätterte Farbe, stumpfe milchige Scheiben, an denen Feuchtigkeit mit langen Nasen heruntertropft, ausgedünsteter Schweiß schwer beladener Waschmaschinen, die den Besitzern halbwegs-sauberen Inhalt vor die Füße kotzen. Vom Kiosk gegenüber wehen Fetzen loser Worte herüber. Großstadtschnipsel, lieblos recycelt, vermischt mit Kaffee, Zigarettenqualm, Biergeruch und öligem Zorn.

Vorbeirasende Fahrzeuge hupen um die Wette. Gestank umzingelt diese digitale Großstadt-Mine. Ich renne ein wenig herum, sehe mir die Umgebung an. Irgendwann finde ich mein Hotel. Es ist eines dieser Runtergekommenen. Taxifahrer halten hier ungern. Schon vor langer Zeit hat es seine besten Tage gehabt. Ganz genau nach meinem Geschmack. Kein Glamour, kein Glanz, dafür billig und verwohnt, nach Linoleum, altem Essen und Urin riechend.

Nur kurz denke ich an meine Vergangenheit, mit all den Luxushotels. In den teuersten edelsten Hotels der Welt residierte ich, hatte Spesen in Millionen-Höhe, dazu unzählige Einladungen. Heute bevorzuge ich das langsame Verfallen von Gebäuden und Inneneinrichtungen. Verkommene Gärten, mit ihren verdorrten Bewohnern; Leben mit Schiff.- Mast und Schotbruch; in dieser sterbenden Umgebung, wo dir der leichte Hauch des Todes entgegenweht lässt es sich gelassen leben, ist man doch selber Teil des Niederganges; jeden Tag stirbt ein weiterer Teil; nur mit letzter Kraft schaffen es einige, sich mit dem kleiner gewordenen Rest, tagein und tagaus erneut dagegen aufzubäumen und gegen das Unabwendbare anzukämpfen, dass irgendwo, hoffentlich in ganz großer Ferne, ein weit entferntes Ende naht.

Wie eine verständnisvolle elegante Geliebte umarmt mich diese Tristesse und Melancholie; sie ist mein Zufluchtsort, mein wahres Zuhause, von dem ich eigentlich nie mehr entkommen will, habe ich in ihr doch die ideale Partnerin, die mein Scheitern, meine Unvollkommenheit versteht, sie vielleicht sogar schätzt – und ganz selten, bei größenwahnsinnigen Anflügen von Hoffnung, eine berauschende Euphorie erwächst, die sich in eine utopisch-tiefe Verliebtheit verwandelt, bei dem Gedanken daran, dass sie meine Schattenseiten eventuell sogar liebt!

 

Zivilisation – Teil2

Hektisch fummle ich das Schlüsselbund aus der Hosentasche, greife mir ein besonders scharfkantiges Exemplar und setze an, um das Paketklebeband durchzutrennen.

„Sagen Sie, junger Mann, lassen sie sich etwa besonders viel Zeit?“

„Nein-nein, ich bin dran…“ – mein Gott, was für eine Diva – nur kurz hier durchziehen, so-o-o, genauso und dann noch diesen und dahinten den Zweiten – mit lautem Krachen reiße ich den Karton auf; bin gespannt – sehe hinein und erblicke einen hockenden Frauenkörper, der seine Hände schützend über den Kopf hält – sie steckt in schicken Klamotten – eine Art Kostüm – sie richtet sich langsam auf – ich trete einen Schritt zurück.

„Endlich!“

„Wie lange waren Sie da drin?“

„Ewig – weiß es schon nicht mehr.“

„Kommen Sie – hier draußen scheint die Sonne.“

Anmutig, mit reichlich Eleganz, steigt sie aus dem Karton. Dunkelblaues Sakko, ziemlich enger und hoher Rock – weiße Bluse, dunkelblaue Pumps – lange dunkelblonde Haare – schwer zu schätzen ihr Alter. Irgendetwas zwischen 30 und 40 wäre ich geneigt zu sagen, obwohl sie viele Tausend Jahre zählt. Hat sich gut gehalten.

Beim Übersteigen der Karton-Seitenwand geht sie ein wenig in die Knie; gefährlich hoch rutscht ihr Rock. Wie hypnotisiert sehe ich auf ihre langen Beinen – diese nahtlosen Strümpfe, wow! Ihre Beine sind der Wahnsinn. Ich liebe Beine. Natürlich sind sie nicht alles, aber viel, wenn sie schön sind – kann mich kaum davon losreißen. Auch ihr Hintern ist gut geformt – ziemlich sexy die Gute – aber sie ist die Zivilisation, daran nur zu denken, ist wie mit der Ex ins Bett zu gehen – ins Fegefeuer kommt man da, ich bin mir ganz sicher. Sie lächelt mich an, sie weiß wie sie aussieht und das ich sie wohlwollend ansehe.

„Lassen Sie uns dort vorne, sehen Sie das kleine Bistro?“

„Ja natürlich – einverstanden.“ – wir schreiten an den hektischen Menschen vorbei; ein letzter Bistrotisch steht frei, zwei Hocker – also mit dem Rock wird das gefährlich – ein Ober eilt heran.

„Guten Tag, haben Sie einen Wunsch?“ Ich meine zu wissen, was die berühmte Dame gern hat.

„Zwei Campari-Spritz, s’il vous plait.“

„Bien sûr – avec plaisir.“

„Merci.“

„Woher wissen Sie, dass ich…?“

„Sagen Sie, warum sprechen Sie eigentlich, als wären Sie meine Oma, oder eine Figur bei Marcel Proust? Sie sehen aus, als wären sie einem modernen Hochhaus-Office entstiegen, das passt doch nicht zusammen.“

„Vergessen sie nicht, dass ich ein wenig alt bin; da bleibt schon was hängen, selbst wenn man junggeblieben und sich bemüht jugendlich gekleidet vor die Tür zu treten; aber im Gegensatz zu mir, bei allem Respekt, ihre Redegewohnheiten in der heutigen Zeit sind wirklich furchtbar, junger Mann, finden Sie nicht?“

„Nun, in gewissem Sinne, muss ich ihnen Recht geben.“

„Haben sie eine lange Leitung, eingeschränkte Wahrnehmung, oder sonst irgendeinen Defekt, junger Mann? Schauen sie sich doch mal um; was glauben Sie, warum ich mich in diesem Karton versteckt habe; das kann man doch alles nicht mehr mitansehen; in vielerlei Hinsicht sind wir vor zwei bis 3000 Jahren weiter gewesen als heute – es ist einfach erschütternd, du meine Güte!“

„Stimmt, zivilisierte Menschen zu treffen ist äußerst schwer geworden..…“

„Halt-halt junger Mann; verwechseln Sie nicht….“ – sie wird warm; wurde Zeit, dass sie aus diesem Karton raus ist…..

„….mich, die Zivilisation, mit dem abgeleiteten zivilisiert-sein; das hat miteinander….“

„Et voila – deux Campari-Spritz, s’il vous plait.

„Merci beaucoup.“

„Santé“

„Oui, santé!“ – wir nippen an dem Aperitif – herrlich, tut das gut.

„Darf ich fortfahren?“

„Wie bitte?“

„Sie haben mich unterbrochen…“

„Habe ich nicht, der Ober……“

„Sie haben Recht, entschuldigen Sie…darf ich?“

„Unbedingt……“

„Ich habe mit zivilisiertem Verhalten der Menschen rein gar nichts zu tun, damit das mal klarsteht……“

„Wie bitte? Sie Behaupten, dass…?“

„Genau! Rein gar nichts!“

„Wie ist das möglich? Das eine kann doch nur mit dem…“

„Nein, tut es nicht; es ist ein völlig individuell besetzter Begriff; gehen sie mal in die USA, nach China, oder Indien, Russland, Japan oder wir hier in Europa – sie werden auf unterschiedliches Verständnis stoßen. Nicht wahr? Verstehen sie?“

„Sie meinen, wenn ich mich als zivilisiert fühle, dann ist das eine ganz eigene…“

„Genau. Ihre Sicht ist vermutlich schon anders als Meine. Zivilisiert sein bedeutet für viele doch eigentlich eine bestimmte Verhaltensweise, im Kontext mit anderen Mitmenschen, vermutlich so in etwa, wie wenn man niemanden verletzt, weder in seinem Garten, noch sonst wo drinsteht – höflicher Umgang, eine gewisse Kultiviertheit eben….…“

„Und das bringen Sie nicht mit sich…?“

„Nein, auf keinen Fall. Lesen sie das mal nach: Nach dem Verständnis der meisten Menschen bin ich lediglich die Beschreibung einer Staatengründung, die basierend auf Fortschritt günstige Lebensbedingungen für seine Bürger schafft, die man als prosperierend und nach vorne gewandt beschreibt – jedenfalls so, oder so ähnlich.“

„Was heißt hier, so oder so ähnlich? Wollen sie damit sagen, dass sie selber nicht wissen, wer sie…?“

„Mitnichten! Ich weiß, wer ich bin, aber wissen es auch alle anderen Menschen und Bürger?“

„Warum separieren sie die beiden, ist das nicht das Gleiche?“

„Nein, ist es nicht – weil nicht alle Menschen automatisch Bürger-Rechte haben, geschweige sie ausleben können, was glauben Sie denn? Hören sie auf, so eindimensional daherzureden; sie fangen an mich zu langweilen!“

„Na, Sie haben aber eine progressive Art und Weise am Leib!“

„Wie ich schon sagte; sich mit mir einzulassen, bedeutet viel Arbeit; nicht jeder mag das, sie etwa?“

„Das kann ich noch nicht sagen; ich lerne sie ja gerade erst kennen.“

„Nun-ja, der Schnellste sind sie jedenfalls nicht, dafür aber sympathisch.“

Moment mal; sie behaupten, dass….“

„Ich behaupte es nicht; das nennt sich Wahrheit – Realität. Ich bin die Architektur, während die Menschen immer von Verhaltensweise untereinander sprechen – damit habe ich nichts zu tun. Jedes Individuum..“

„Mögen Sie Campari-Spritz?“

„Sehr gerne sogar….wo war ich stehengeblieben? Sie haben mich schon wieder unterbrochen!“

„Sie waren bei…“

„Ach ja – beim Zivilisiertsein…richtig. In Wahrheit ist das kaum jemand und selbst wenn, würde das nichts….“

„Wie bitte? Das ist doch…“

„Ist es nicht – es ist völlig egal, ob es jemand ist, denn es gibt mich nicht mehr!“

„Wie bitte?“

„Haben Sie mir eben zugehört?“

„Natürlich, warum….“

„Weil sie sich dann nicht so sehr wundern könnten – de facto gibt es mich nicht mehr, weil die Mehrheit aller Staaten ihr Volk unterdrückt; allgemeiner Wohlstand und Fortschritt für das Volk steht überhaupt nicht im Vordergrund, ist auf keiner Agenda mehr drauf – ergo, per Definition, ist alles, was wir heute sehen, keine…“

„Sehen sie das nicht ein wenig zu schwarz?“

„Junger Mann, sind sie mal in der Welt gewesen?“

„Natürlich, warum fragen sie?“

„Geld und Macht hat die Länder der Welt pervertiert – die Saat ging auf und man erntete…“

„Sie haben völlig Recht…..“

„Womit? Sie unterbrechen mich ja schon wieder….“

„Sie SIND anstrengend…..….“

„Alle sagen das, sie sind da nicht der…“

„Können wir nicht einfach nur einen Apéro…?“

„Natürlich, aber sie müssen sich schon etwas anstrengen – ich langweile mich schnell, wenn ich nur so rumsitze und….“

„Ja-ja, habe ich ja erstanden – zum Wohl!“ – hoffentlich gibt sie ein wenig Ruhe; eigentlich will man doch nur in Ruhe trinken und leben, oder nicht?

„Prost – Santé!“