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Kugelmenschen – Odyssee 2022 CW02

09.Januar – Immer noch Wilstedt-Siedlung. Nieselregen, grauer Himmel und Kälte sorgen für gute Stimmung. Bin mit merkwürdigen Träumen wach geworden und schlurfe langsam die Treppe runter. Zünde als erstes ’n Räucherstäbchen an, mag den Duft. Dann griechischen Kaffee. Wenn schon nicht Attika, dann wenigstens ‘n Andenken davon.

Genau!

Blubbernd kippe ich den Sud in mein Becher, knabber ein wenig vom gestrigen Brot, hiefe mich ins Wohnzimmer und setz mich vors Fenster, wie es alte Männer machen. Aquarium mit Teakholzumrandung. Zwei Goldfische schweben mit Pudelmütze vorbei. Krebse spielen verstecken und rangeln mit widerspenstigen Algen. Ein Seepferdchen von nebenan hüpft ein wenig herum, bis es meine Augen erblickt und sie zu hypnotisieren versucht.

Sonst nichts.

Blubberblasen schweben durchs Wasser. Schiffe fahren ziellos herum. Nebenan schreit die Ehefrau. Ihr Mann brüllt irgendwas zurück. Dann Stille. Eine Weile später, kreischt sie hysterisch und kriegt sich offensichtlich nicht mehr ein. Auf wildes Geschepper und Gepolter folgt lautes Klatschen. Dann wieder Stille. Plötzliches Aufschreien einer Kettensäge, vermutlich macht der Nachbar Brennholz für den Kamin. Dreißig Minuten später

wieder Stille.

Ich stecke mir eine Zigarette an. Rauche eigentlich nicht mehr. Meine Pudelmützen-Goldfische kommen wieder zurück. Ich schlürfe meinen Greek-Café, ziehe an der Kippe und spiele mit meinem Kombeloi, wie es alte Griechen tun. Ein paar Ideen fallen mir ein. Schnell notiere ich sie in’s Notizbuch, schreibe das Datum drüber.

Sonst nichts.

Ein paar Häuser weiter zerreißt plötzlich ein Schuss die Stille, gefolgt von lautem Männergeschrei. Dann noch ein Schuss. Hat sie ihn, oder er sie? Man weiß es nicht. Mein Seepferdechen steht immer noch eicht wedelnd im Aquarium und hypnotisiert mich. Ich drücke die Zigarette aus und trinke den letzten Schluck Gruselkaffee, der sich körnig zwischen Zunge und Zähnen verteilt und herrlich beim Kauen knirscht.

Lautloses Schreien in der Stille.

Die zwei Nachbarn haben wohl nicht ihre richtige Hälfte gefunden. Zuviel Angst vor Trennung vergrößert Leid und Gräben. Herrlich dies norddeutsche Fädengrau. Lädt ein, entgültige Entscheidungen zu treffen. Diesmal macht man‘s richtig, nicht nur im Geist. Zünde flott ein neues Räucherstäbchen an. Auf der anderen Seite stöhnen Nachbarn durch die offenen Fenster. Lenden-Klatschen auf Hinterteile. Brunftiges Knurren, dann süßes Schreien.

Freud und Leid liegen ja oft – genau!

Zwei Polizeiwagen fahren still vorbei. Türenklappen, dann laufende Stiefel. Metallschlitten werden entsichert, gefolgt von lautem Rufen und Scheiben klirren. Schlurfe mit meinem zweiten Café zurück vors Aquarium. Gerade rechtzeitig. Plötzlich bellen mehrere Schüsse die Stille an. Dann Schreien und Rufen. Ein Mann humpelnd blutüberströmt vorbei.

Weitere Schüsse fallen.

Ich les mein Horoskop, schlürfe Café, stecke mir eine weitere Zigarette an. Eigentlich rauche ich nicht. Das Seepferdchen schwebt wieder umher und die Krebse machen Siesta. Ich kippe das Fenster zur Straße hin. Draußen riecht‘s nach Rotkohl und Zigarre. Es regnet dünne feine graue Fäden. Ich nippe am Café, ziehe und inhaliere, spiele mit dem Kombeloi.

Dann schieße ich aus meinem Schlaf hoch…

 

 

Aθήνα – Odyssee 2020 CW43

25.Oktober – seit Monaten schob Schwerenöterin Corona D‘s Termin stetig weiter nach rechts, den er mit seiner Brieffreundin in Athen verabredet hatte. Ursprünglich sollte es im Sommer geschehen. Beide sprachen von Juni oder Juli. Doch die hochgekrempelten Arme aller euröpäischen Regierungen sorgten auch in Hellas für Ungemach, noch dazu spielte die Besorgnis der Bevölkerung eine große Rolle, die sich wie eine wild austreibende Weinrebe ausbreitete und das Alltagsleben immer fester umschloss, bis es quasi völlig zugewuchert zum Erliegen kam.

Mancherorts nannte man es Lockdown – aus D’s Sicht das Unwort des Jahres 2020.

Doch plötzlich bewegte sich was. Selbst die handlungswütigen unter den regierenden Südeuropäern erkannten die Sackgasse, in die sie sich gleichermaßen, wie die Nordeuropäer, hineinmanövriert hatten – den ökonomische Freitod – den sie ganz offen riskierten, wenn sie weiterhin die eigene Wirtschaft in Ketten gefangen hielten.

Dann nach regem Austausch, schien es endlich so weit zu sein: D hatte mit Nicól ein Zeitfenster verabredet, wo die griechischen Götter auf ihrer Seite zu sein schienen, allen voran Askläpios, der Gott der Heilkunst, mit dem D schon in 2019 einen innigen Austausch in Epidauros hatte – nicht auszuschließen, dass Nicól heimlich insistiert hatte, wo sie doch einen guten Draht zu ihnen hat, aber dazu später.

Blechern ertönte die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern. „Cabin Crew, 10min to landing“. Schlingernd flog der Airbus A320 über die Ägäis. D sah Piräeus, den verlängerten Arm Athens am Wasser liegen, wie eine langausgestreckte Eidechse, die sich sonnte und deren Schuppen in der Sonne glitzerten. Rumpelnd setzte die Maschine auf. Hellas! – dachte D – war es erst ein Jahr her, dass er griechischen Boden betreten hatte.

Wieder empfing ihn die gleiche weiche Sonne und die gleiche würzig-flirrende Luft, wenngleich nicht mehr ganz so warm, wie im Sommer. Ein munter lossprudelnder Taxifahrer beschwerte sich über den Verkehrsinfarkt, den er täglich erlebte und der den Alltag oft nur schwer erträglich machte – wen auch immer man fragte:

Alle Athener zeichnete eine Art Hass-Liebe zu ihrer Stadt aus, die sich wie ein gewaltiger nimmersatter Organismus bis an die fern entlegenen Berge ausgedehnt hatte und in dem bereits 50% der in Hellas lebenden Griechen ihren Alltag beschickten.

Nachdem D einen Scooter bei Savvas von Motorent.gr bekam – D’s geliebte Honda Innova war leider noch nicht aus der Werkstatt wiedergekommen – preschte er schon an der Akropolis vorbei und bewegte sich in dem wahnwitzigen Verkehrsfluss der verrücktgewordenen Stadt, als hätte er die letzten Jahre nichts anderes gemacht.

Zwar blieb er wieder mal einer der Wenigen, der mit Helm und Handschuhen fuhr, aber das störte D wenig, hatte er doch in 2019 bereits ausreichend Bodenkontakt mit griechischem Asphalt gemacht. Bunten Pilotfischen gleich wuselten dutzende Scooter und Mopeds um Busse und Auto’s als wären sie gemästete Opferanoden von König Kekrops.

Ein paar überraschende, nicht minder beeindruckende Bocksprünge zeigten, dass die Straßenverhältnisse trotz Asphalt an vielen Stellen eine Art Acker blieb, bei dem D nur durch spontanes Aufstehen, seine letzte Rettung fand, um stechende Schmerzen im Souterrain zu vermeiden.

Innerlich hob D seinen Hut, als er durch Marousi sauste, erinnerte er sich doch noch gut an das Buch von Henry Miller „Der Koloss von Marousi“, dass er schon als junger Mann gelesen hatte, was schon damals seine Neugier auf Hellas wachsen ließ. Nach vierzig Minuten kam er ans Ziel – Kifisia, nördlichster Stadtteil der Hauptstadt.

Und nach kurzem Klingeln öffnete Nicól die Tür – trotz, oder gerade wegen Corona, umarmten sie sich lange und stießen fluchs mit einem Glas Weißwein auf ihr erstes Treffen an – nun war es also geschehen: Ihre Liebe zur Philosophie und zum Leben hatte sie zusammengebracht – schon nach wenigen Minuten ging in Nicóls Küche ein wahres Feuerwerk großer Namen hoch.

Schnell kamen sie von Heraklit, zu Sokrates, Platon, Aristoteles – bis sie einen kurzen Zwischenstopp bei den Herren der Aufklärung machten und die grundsätzliche, leicht erkennbare Missmutigkeit bei Schopenhauer und Kant einstimmig entdeckten, bis Nicól zu einem Vortrag über die drei Hauptthesen Heraklits ansetzte, dass D lächelnd lauschte, während er an seinem Wein nippte.

Hintergrund des ganzen war D’s Versuch, die heraklitischen Thesen, die man nämlich so auslegen konnte, dass Eros und Thanatos das Gleich sind, in Resonanz mit dem Freud’schen Lustprinzip und Todestrieb zu bringen, um diesen Kreis mit Wilhelm-Reich und Heraklit zu schließen, um das allgemeingültige Naturgestz der neutralen Lebenskraft zu beweisen, sowie die heraklitische Regel „παντα ρεί“ nicht nur natürlich, sondern auch meta-physich erneut zu beweisen und zu unterstreichen.

Über eine gemeinsame mögliche Abhandlung, über die alltägliche Begegnung mit der Heisenbergschen-Unschärferelation in Bezug auf das menschlichen Bewusstsein, hatten sie ebenfalls bereits gesprochen, was den Abend nicht nur zum Leuchten brachte, sondern auch zusätzliches Fleisch für D’s Messer lieferte, sowie sein nächstes Buch.

Nicól war für D nämlich mehr als eine unabdingbare Gesprächspartnerin; sie war vielmehr auch feste wissenschaftliche Größe, dessen Nordwand D nun mit all seinen Thesen im Gepäck, begonnen hatte zu besteigen, mit der festen Absicht, eine neue Gesamtheitliche These und Abhandlung zur Menschwerdung zu erarbeiten, bei der Nicól geneigt schien, unterstützen zu wollen.

Nikolitsa Georgopoulou-Liantini ist Professorin für Philosophie in Athen und ist sehr aktiv, wenn es um die Deutung der antiken, sowie jungen Philosophen geht, sowie allzeitbereit, wenn es darum geht, neue Thesen zu entwickeln, die möglicherweise auf Bekannten aufbauen.

Und so geschah es – Nicol und D begannen bereits Sonntag-Mittag mit einer Fortsetzung, ihres angeregten Gedankenaustauschs, der darin mündete, dass D begann sich Notizen zu machen, weil er bei der täglich wachsenden Gedanken-Pflanze kaum Schritt halten konnte, weswegen er sich erstmalig gezwungen sah, auf altmodischen Zettel und Stift zurückzugreifen, um Monsieur Thalamus in seinem Gedächtnispalast bei seiner Arbeit zu unterstützen.

Gerade in diesem Moment zogen sich die zwei zu einer kleinen Siesta zurückgezogen, um bei späterem Kaffee und Kuchen fortzufahren.

Wir werden sie weiterbegleiten, um zu sehen, was sie zusammen anstellen……

……

Everyone has it’s own Don Tango World – Odyssee 2020 CW39

27.September – am Mittag hatte D ein anregendes Gespräch; wieder einmal ging es um Alles, unter anderem auch um die Frage, was seine Don Tango World auszeichnet:

Was erfreut Leser am Blickwinkel, an den Geschichten, die er schreibt? Was zeichnet seine kleine Welt aus? Ist sie ein Teil der Großen, oder vielleicht ist sie sogar die wirklich Große Welt, während unsere Alltägliche eine künstlich erzeugte ist?

Und so geschah es, dass Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso ihr nächstes Interview genau in diese Richtung lenkte, weil auch sie, diese Frage seit einiger Zeit umtrieb.

CMP: Hi Don, schön dich wieder zu sehen, wie geht es dir?

DT: Ganz okay, allerdings treibt mich eine Frage einer Freundin um…

CMP: Was denn? Erzähl…

DT: Es ging um meine Welt…

CMP: Die Don Tango World…?

DT: Genau….

CMP: Wunderbar, genau dazu habe ich diverse Fragen…

DT: Das sagte die Freundin auch…

CMP: Was unterscheidet deine Welt von unserer?

DT: Das ich lebe…während ihr da draußen lediglich nur existiert…

CMP: Wow, starker Text…..

DT: Ich meine das nicht negativ und schon gar nicht wertend, auch wenn es so klingen mag…

CMP: Vielleicht kannst du es dann etwas genauer umschreiben, damit wir uns nicht schlecht fühlen und verstehen, was du meinst, was den Unterschied macht…?

DT: Ich glaube, jeder Mensch trägt die Don Tango World in sich…

CMP: Wie das?

DT: Während des Erwachsenwerdens legen sich all diese Schichten über und auf uns; Kinderstube, Pubertät, Ausbildungen, Universitäten, Erfahrungen, neue Menschen und Impulse, Sprachen und Kulturen, einfach alles…..

CMP: Natürlich! Das gilt ja für alle, warum für dich anders?

DT: Weil ich mich von diesen Schichten befreit habe, weswegen ich wieder lebe und nicht mehr nur existiere…

CMP: Wie hast du das geschafft?

DT: Vielleicht klingt das jetzt zu einfach, aber im Grunde ist es genau so: Ich habe mich erfolgreich zu meinen Sinnen, Wünschen, Bedürfnissen und Leidenschaften vorgearbeitet…

CMP: Wie ist dir das gelungen?

DT: Ich habe von der Karte des großen Lebensmenüs, meine eigenen Gerichte ausgewählt…

CMP: Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe…

DT: Ich sehe den kleinen Marienkäfer am Boden, die bunten Platanen in den Straßen, ich rieche den Duft der Blumen, das Salz des Meeres, den Rotwein zum Abend, ich begreife, während ich mit meinem Motorrad fahre, dass ich überall hinfahren könnte, wohin ich will; ich rieche den Vitamin D, wenn Sonnenstrahlen auf meine Haut treffen, ich schmecke…

CMP: Okay, okay, ich glaube zu ahnen was du meinst…

DT: Wir haben mit der Industrialisierung eine gefräßige Maschine hingestellt, der wir unser eigenes Leben zum Fraß vorgeworfen haben…

CMP: Starke These! Grundsätzlich würde ich sagen…

DT: Du verstehst noch nicht: Um unseren Sinne wieder zu lauschen müssen wir ihnen Raum geben, was ihr jedoch nicht tut, weil ihr ständig Entertainment oder Konsum in die Stille der Zeit kippt, weswegen ihr, ohne zu merken, von einem zum anderen hetzt, womit ihr euer Selbst am Ende verliert…

CMP: Hier stimme ich dir leider zu…

DT: Müßiggang, erinnerst du dich? Nur in ihm entstehen neue und schöne Dinge, unabhängig davon ist er an sich schon schön…

CMP: Wer?

DT: Der Müßiggang…

CMP: Und was rätst du mir, uns?

DT: Fangt endlich mit dem AUFHÖREN an…

CMP: Wie bitte…?

DT: Macht Schluss mit dem ganzen Wahnsinn, den ihr Leben nennt…

CMP: Hast du konkrete Beispiele, oder vielleicht sogar direkt umsetzbare Hilfestellungen…?

DT: Macht nur die Dinge die ihr mögt; esst nur was euch schmeckt; trefft Menschen, die euch gut tun; schaffte alles ab, was euch NICHT gut tut und ablenkt und vom Selbst entfernt…kein Fernsehen mehr, lest Bücher, hört oder macht Musik, oder malt…kein Shoppen als Zeitvertreib, schafft eure Autos ab, wenn ihr nicht genug fahrt; entfernt alles was ihr nicht wirklich braucht; alles belastet uns, selbst wenn es nur in den Schränken und Garagen herumsteht, es behindert euch am Beschwingtsein…fangt sofort damit an, nicht erst morgen…

CMP: Okay…

DT: Nicht okay! Was wirst du konkret wann tun? Zum Beispiel heute…?

CMP: Hm, sollte das nicht ein Interview sein…?

DT: Wenn du willst, dass sich etwas ändert, musst du mit dir selbst anfangen; wenn nicht jetzt, wann dann?

CMP: Ich würde mir das gerne durch den Kopf gehen lassen…

DT: Mach das, es ist dein Leben, du machst damit was du möchtest…aber denk daran; Nur DU kannst die furchtbare Konsum-Maschine anhalten, nicht vergessen, okay? Nächste Woche sagst du mir, mit was du begonnen hast, einverstanden?

CMP: Einverstanden! Vielen Dank wieder einmal für das erhellende Gespräch…ich freue mich schon auf das Nächste.

DT: ich mich auch…bis dann.

D unterbricht die Verbindung und malt ein Bild.

Krisengebiete und Wissenschaft – Odyssee 2020 CW37

13.September – seit Tagen trieben D zwei Fragen um: Wie werden nicht mehr gültige Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Welt geschafft und zweitens, wie stellte man im Jahre 2020 sicher, dass die GÜLTIGEN weithin bekannt sind?

Eigentlich hatte D vorgehabt, sich auf eine Flasche Wein mit Siegmund Freud zu treffen, um anhand seines Todestriebs genau darüber zu philosophieren, warum er jegliche Kritik an seiner Theorie wegbiss, wenngleich er als Wissenschaftler wusste, dass alles nur befristet Gültigkeit hat; weil Siegmund aber Corona-Bedingt schwer beschäftigt war, nahm er mit Freude ein weiteres Gespräch mit Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso an.

CMP: Hi Don, wie geht es dir?

DT: Prächtig, abgesehen davon, dass ich mich zum ersten Mal in einem Krisengebiet befinde.

CMP: Wieso? Wo bist du denn, im Libanon, Iran, Irak, Syrien oder wo?

DT: Nee, in Toulouse, aber Deutschland zählt uns jetzt zum Krisengebiet.

CMP: Und wie fühlst du dich?

DT: Merkwürdig, so wie jemand, der den Eindruck hat, dass die Menschen nicht mehr mit Messer und Gabel essen können….

CMP: Wie bitte? Was meinst du…?

DT: Naja, wenn du bei Google das Wort „Krisengebiet“ eingibst und dir Fotos, anstatt alle Interneteinträge zeigen lässt, dann bekommst du Bilder zu sehen, auf die jener Begriff wirklich zutrifft – will sagen, hier ist die Verwendung stimmig. Wenn ich nur das Wort selbst als Suchbegriff eingebe, mit einem Freizeichen dahinter, dann bekomme ich Frankreich, Spanien und andere EU-Länder und ihren Corona-Status angezeigt.

Selbst Toulouse ist ein Krisengebiet. Aber auch in Deutschland sieht man sich selber als Krisenherd, egal ob in Schleswig-Holstein oder Bayern – im Grunde ist alles heute Krisengebiet, weswegen ich mich zum zweiten Mal wundere, warum man jetzt genauso weitermacht, wie Anfang März!

CMP: Hm, du meinst, wir setzen die Inner-Europäische-Ausgrenzung fort, obwohl wir alle mit den gleichen Themen zu tun haben? Stattdessen sollten wir endlich mit dem Ausgrenzen aufhören, wo wir doch alle mit Demselben kämpfen?

DT: Natürlich! Abgesehen davon, verwenden wir falsche Begriffe; wenn Elsass und Dithmarschen als Krisengebiete gebrandmarkt werden, ich aber keine Krise finde, wenn ich dort nach ihr suche, dann ist entweder das Problem vor Ort kleiner, als die Presse es macht, die Presse lügt, oder macht Propaganda!

Im Letzteren haben wir in Deutschland viel Erfahrung; immerhin hatten wir bis vor nicht allzu langer Zeit einen Propaganda-Minister – abgesehen davon, finden wir hier die Begründung für die gesellschaftliche Verrohung: Das bebilderte Leid anderer Menschen bewegt uns in Wahrheit nicht mehr, weil wir zu viel davon bekommen, dass es in uns keine Emotionen mehr auslöst – ethisch und morlaisch ist das ein Desaster!

CMP: Stimmt!

DT: Ich gehe noch weiter: Ich springe jetzt mal auf den Zug auf und wende die gleiche Logik an; was wird passieren?

CMP: Na was?

DT: Mit einem Mal ist das Krisengebiet nur noch eine Frage der Perspektive – ein Beispiel: Auch mein Appartement ist ein Krisengebiet….!

CMP: Warum denn das?

DT: Weil seit einer Woche der Boiler ausgefallen ist und ich nur noch kaltes Wasser habe; hast du mal morgens mit kaltem Wasser geduscht? Oder die vertrockneten Wiesen in meiner Umgebung – jeder Gärtner wird es als Krisengebiet bezeichnen, verstehst du was ich meine?

CMP: Natürlich! Inflationär eingesetzte Worte verlieren ihre Bedeutung, nutzen sich ab und sorgen dafür, dass am Ende der Leser keine Empfindungen mehr hat!

DT: Ganz genau – das gleiche mit der Wissenschaft….

CMP: Wie meist du denn das?

DT: Früher dachte man, die Erde wäre eine Scheibe – bis ein paar kamen, die meinten die Erde wäre eine Kugel – wenn ich mich erinnere, war Christoph Kolumbus der diese Theorie in der Neuzeit vertrat, wenngleich Platon schon in der Antike der wahrhaftig Erste bleibt – also wie setzt sich das Neue durch? Menschen wie Galileo Galilei wurden von der Inquisition verfolgt (er starb 1642) und wurde erst 1992 begnadigt, ein schlechter Witz ist das, wenn es nicht tatsächlich so gewesen wäre……

CMP: Worauf willst du hinaus?

DT: Wenn vorhandenes Wissen überholt, nicht mehr gültig gilt ist, muss man es der Welt mitteilen, genauso, wie die neue gültige Theorie – nehm mal die klassische Physik und die Quantenphysik: Welche Dinge in unserer Gesellschaft, in unserem Alltag basieren auf den aktuellen Erkenntnissen und welche nicht?

Lange Zeit dachte man, Kaffee entwässert, weswegen man heute noch zum Espresso ein Glas Wasser gereicht bekommt, obwohl man schon lange wieder von dieser Theorie abgekommen ist – oder die Theorie des Homeoffices udn das Vorurteil, das Menschen die zuhause arbeiten, faulenzen, weswegen man seine Mitarbeiter unter Kontrolle und Beobachtung halten muss, obwohl man seit vielen Jahren aus der Psychologie weiß, dass Menschen beim Homeoffice eher mehr und motivierter, statt weniger arbeiten – also wie stellen die Wissenschaften sicher, dass das ausschließlich aktuelles Wissen angewendet wird?

CMP: Ich weiß nicht, vermutlich nur durch den sich wandelnden Lehrstoff an den Universitäten?

DT: Das ist nicht genug! Die Wissenschaften sind verpflichtet, oder sollten verpflichtet sein, über die aktuelle Lehre aufzuklären und Überholtes aus dem Verkehr zu ziehen…..

CMP: Schwieriges Unterfangen….

DT: Ganz genau, weil heutzutage die Wissenschaft die neue Religion geworden ist!

CMP: Starke These!

DT: Mag sein, aber so nehme ich es wahr, deswegen behaupte ich, dass es kaum noch wirklich seröse Wissenschaft gibt, weil sie dann selbstkritisch genug bleibt, die aktuellen Erkenntnisse jederzeit selber oder durch andere in Frage zu stellen – unser Ego macht uns immer einen Strich durch die Rechnung – siehe Freud und sein Todestrieb.

CMP: Wo wir wieder beim Krisengebiet sind……

DT: Richtig! Also entweder wir laufen Gefahr, dass die Medien zu einer Art Daily-Soap verkommen, eine Art „Real-life-Satire“, oder aber wir besinnen uns wieder mehr der Wucht und Wirkung von Worten und Sprache…..

CMP: Du bevorzugst Letzteres, nicht wahr?

DT: Nicht zwangsweise; Ersteres kann eine Menge Spaß machen, birgt aber die Gefahr, dass wir kaum noch Dinge ernst nehmen, vorausgesetzt, wir wollen das…..

CMP: Und was ist dein Fazit?

DT: Das ich immer noch in einem Krisengebiet lebe, wo der Kühlschrank leer, die Weinvorräte verbraucht, die Heizung ausgefallen und die Natur verbrannt ist…..ich fordere Soforthilfe vom Roten-Kreuz….okay, ich mache Spaß, aber du siehst was ich meine, oder?

CMP: Natürlich! Was machst du jetzt im Anschluss?

DT: Mir einen letzten Schluck Wein einschenken, bevor ich eine kalte Dusche nehm und meine Umgebung als Krisengebiet ausweise…..

CMP: Na dann Prost und viel Glück……

DT: Danke gleichfalls – schönen Abend noch,.

CMP: Danke, bis bald.

D unterbricht die Verbindung, malt ein Warnschild und stellt es unmittelbar auf, um seine Mitmenschen zu warnen…..