Archiv für den Monat: Februar 2020

Crispy Hot Pussy – Odyssee 2020 CW08

Ich liebe Fisch. Eigentlich bei allem, was aus dem Meer kommt, können sich Gaumen und vor Allem meine Zunge nur schwer in Geduld üben. Quasi mit offenen Sinnen werden all die Früchtchen empfangen, die sich ihnen nähern. Nicht immer war das so; als ich meine ersten Kostproben machte, ich glaube ich war so zwischen 16 und 19 oder so, habe ich sie zum allerersten Mal probiert. Doch Geschmack, Textur und Duft waren so exotisch, dass ich erschrocken zurückprallte und nur mit Mühe gegen meine Besinnungslosigkeit ankämpfte.

Was für ein vorzüglicher Planet war das doch, der einem Mofa’s, Bier, Wein, Zigaretten, Mädchen, Colt Seavers, Miami Vice“ und diese herrlichen Früchte schenkte, dachte ich mir damals.

Gestern brachen diese alten Erinnerungen, wie ein „Blitz-Vulkanausbruch“ vor mir aus, als ich mit meinem alten Kumpel und Steuerberater zum Dinner verabredet war. Er hatte eine bekannte Adresse im Hamburger Norden, genauer gesagt, im Speckgürtel, vorgeschlagen, die für ihre anständige Küche und Lokalfolklore bekannt ist.

Für meine Verhältnisse kam ich ziemlich pünktlich an und parkte ein wenig im Abseits, um mir die gut genährte Gegend anzuschauen. Selbst im Dunkeln erkannt man, dass es hier allen seit Jahrzehnten prächtig ging. Nur selten ging man hier essen, weil man Hunger hat. Eine bessere Location konnte man mit so einem Restaurant gar nicht finden, dachte ich mir, als ich den Laden betrat und mich umsah, wer hier so alles speiste, mampfte und sprühregenartig lachte.

Mein Kumpel wartete noch nicht allzu lange, hatte jedoch schon seinen Aperitif vor sich stehen, an dem er wohlerzogen langsam und vorsichtig saugte – ein „Schwarzer Hugo“ mit Strohhalm schien sein Interesse geweckt zu haben. Nachdem die äußerst sympathische, weibliche Bedienung so freundlich war, mich darüber aufzuklären, dass ein „Apéro-Rhabarber-Spritz“ doch eher was für Mädchen ist, nahm ich all meinen Mut zusammen, um sie zu fragen, ob sie bei mir heute eine Ausnahme machen könnte, was sie mit fröhlichem Lachen herzlichst beantwortete.

Wir plauderten über damals, gestern, heute und morgen und kamen nur mühsam mit der Essenauswahl voran; korrekterweise muss ich sagen, dass ich der Jenige war, der sich schwer tat. Beim Blättern durch die Karte merkte ich, dass ich noch unentschlossen war, ob ich auf Fisch oder Fleisch gehen sollte, entschied mich dann doch aber überraschend schnell für Ersteres, da ich mit Anfang zwanzig doch endlich ein großer Freund von meinen schlüpfrigen Meeresfreunden wurde.

Zufrieden las ich die Karte und fing zu lächeln an, als ich „Sexy Freak Roll“ las. Zuerst blickte ich ein wenig abwesend in die unendlichen Weiten des Weltraums, während ich mir versuchte vorzustellen, um was es sich da wohl alles handeln könnte, bis ich „Shaved Tuna“ las, den man offensichtlich mit Gurke, Garnelen und Avocado veredelt hatte. Als dann „Love Roll“ und „Surf and Turf“ folgten, blieb meine Überraschung schon wieder in ihrem Bau liegen, bis ich dann auf drei magische Worte prallte, die mitnichten meiner Fantasie entsprangen, sondern mir stattdessen wahrhaftig mit gespreizten Beinen ins Gesicht sprangen, wenngleich, dass muss hier gleich präventiv vorab ergänzen, es sich in diesem speziellen Fall um „Acht“ Beine handelte:

Crispy Hot Pussy,

stand da mit obszön kurvigen Buchstaben, was mich blitzartig auf Drehzahl brachte. Ertappt sah ich mich vorsichtig um und las noch mal. Keine Änderung, es stand immer noch da. Ich lockerte meinen nicht vorhandenen Schlips, atmete tief durch, nahm einen tiefen Schluck von meinem Mädchen, Entschuldigung ich meine von meinem Mädchengetränk und las mit meinen zwei sittsamen Beinen fest auf der Erde erneut die einzelnen Buchstaben, die immer noch nichts anderes ergaben.

Es bedurfte umgehend einer Klärung. Ungeduldig winkte ich die sympathische, weibliche, vielleicht vierzigjährige Bedienung heran, die ich mit zitterndem auf die Karte zeigenden Finger, ungeduldig mit den aus mir heraussprudelnden Worten Empfang:

„Crispy Hot Pussy? Im Ernst…?“

„Unsere Küche mag diesen Wortwitz sehr……“

„Ich meine, ist schon verstanden, „Octopuss“ und so, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich jetzt dann doch als erstes an etwas anderes gedacht, was natürlich der gewaltige kapellmeisterartige James-Last-eske Riesenspaß ist, schon kapiert, aber – im Ernst?“ Nur mit Mühe kriegte ich mich ein, während die arme Bedienung mit hoch erhobenen Händen ihrer Verzweiflung Ausdruck verleihte, wie eng sie sich doch mit dieser Form von Humor verbandelt fühlte.

Ich drückte im Geiste den humorigen Spaßvögeln aus der Küche alle Daumen, dass alle Gäste ähnlich meinungsfreiheitlich, locker, knusper-knabber-knackig-frisch und liberal geben, wie mein Kumpel und ich, ließ die drei Worte noch eine Weile auf der Zunge zergehen, sowie alle Bilder aus meinem Gedächtnispalast, die sich mir mit unerwarteter Fülle aufdrängten, bis ich mit seeligem Lächeln wieder in den seidigen Schoß des unendlich schönen Kosmos schaute und zum aberhunderdsten Mal bekenne musste – la vie es belle!

 

Musik vom Wurzelshakra – Odyssee 2020 CW07

Heute Mittag ging ich spazieren. Sie Sonne dröhnte frech vom Himmel, als würde es kein Unrecht im Universum geben. Fast die halbe Welt schien draußen zu sein, so voll war es an der Garonne. In langsamen Tempo schlenderte ich dem gemächlich dahinfließenden Strom entlang, der sich auf die Canneles in Bordeaux im Geiste vorbereitete.

Ich näherte mich einer Bank, auf dem ein Mann um die Sechzig saß, der entspannt dem Gleiten des Wassers zusah, wie es sich um die Biegung an der Pount Neuf schlängelte, an der man vor 400 Jahren den ersten Spatenstich tat und über 100 Jahre brauchte, um sie fertig zu stellen. Sowas nenn ich mal Geduld und langen Atem. Dagegen ist der BER ein Witz, wenn man bedenkt, wie schnell man den errichtet hat. Vielleicht hat man ganz bewusst ein paar Architekten aus Südeuropa einfliegen lassen, um dem BER eine barocke Eleganz und Nonchalance einzuhauchen, bevor er fertig genannt wird.

Eine Zeit sitze ich so da und höre, wie uns aus weiter Entfernung angenehme Musik, sanft wie der Strom umwabert. Nichts dabei ahnend höre ich mich rein. Bald bin ich ganz darin abgetaucht, vergessen sind Zeit und Raum. Nach einer Weile schaltet sich mein Gedächtnis-Palast ein, was nicht immer automatisch Gutes heißen muss. Monsieur Thalamus fragt mich, wo denn die Musik herkommen mag. Ich sag ihm, dass es mich nicht interessiert, solange sie da ist. Natürlich lässt mein Unterbewusstsein nicht locker. Anscheinend kommt die Musik von dem Mann neben mir, der glücklich in die Welt lächelt. Ich horche ganz bewusst hin – und tatsächlich: Sie kommt von ihm. Zufrieden lehne ich mich zurück und lausche den angenehmen Tönen.

Nach einer Weile, es war mir klar, dass Monsieur M. nicht ruhig sitzen konnte, bohrte er mir eine weitere Frage ins Großhirn – wie zum Teufel macht er die Musik? Hat er so einen kleinen Bluetouth-Speaker in der Tasche? Ich hatte wenig Lust, an so einem unwichtigen Thema herumzuspekulieren und sprach ihn an:

„Entschuldigen Sie; ich höre, dass Sie Musik dabei haben; wo kommt die her? Haben Sie einen kleinen Lautsprecher in der Jackentasche?“ Freundlich und beseelt lächelt er mich an.

„Sie kommt aus meinem Arsch!“ Erschrocken und ein wenig angewidert, von dieser derben, rohen, im Grunde unerwartet schmutzigen Antwort, pralle ich zurück, in der Hoffnung mich verhört zu haben. Sekundenlang ringe ich mit mir, mich angeekelt abzuwenden, mit der Ahnung, irgendeinen Perversen erwischt zu haben, entschließe mich aber aus irgendeinem Grund dagegen.

„Entschuldigen Sie, wie bitte? Woher kommt die Musik?“

„Sie haben richtig gehört, aus meinem Arsch! Übrigens sind Sie der Erste, der nachfragt und nicht schockiert davonläuft.“

„Aus ihrem Arsch? Wie macht er das?“

„Ganz einfach; dort, wo sie ihr Arschloch haben, habe ich einen Lautsprecher.“ Anscheinend bin ich in einem surrealen Traum, der sich überraschend real anfühlt und fühle mich eingeladen nachzufassen.

„Wie soll ich mir das vorstellen? Müssen sie nicht auch hin und wieder, ich meine wie wir alle, zum Klo gehen? Haben sie etwa einen zweiten Ausgang, als wären sie der eine, mit drei Nasenlöchern?“

„Nein, ganz im Gegenteil; ich habe wirklich eine Art Lautsprecher, anstelle einem Darmausgang, wissen Sie…“

„Aber wie funktioniert denn ihr Stoffwechsel? Essen und Trinken Sie nichts?“

„Doch natürlich und sogar reichlich, schauen Sie….“

„Und wo landet das alles? Sie können doch unmöglich….“

„Das versuche ich Ihnen ja gerade zu erklären; was meinen Sie, wie viele Ärzte mich schon untersucht haben; anscheinend funktioniert mein Körper wie jeder andere; er zieht aus der Nahrung die wertvollen Stoffe raus, damit ich am Leben bleibe, mit dem kleinen Unterschied, dass er den vermeintlichen unbrauchbaren Rest wirklich in Musik verwandelt, sozusagen….“

„Das ist ja Wahnsinn, Sie sind das erste Lebewesen, das die vollständige Resteverwertung erreicht hat, was für ein Wahnsinn; was für Musik spielen Sie denn so? Sind die Ärzte nicht auf…..?“

„Natürlich! Man hat mich ungezählte Male untersucht, in der Hoffnung mein System zu kopieren; stellen Sie sich mal vor, wenn wir den ganzen Müll der Welt in Musik verwandeln könnten? Abwasser, Verpackungen, jegliche Form von Schrott; alleine der ganze Atommüll, all die vielen Brennstäbe, die wir in der Erde verscharren; wir könnten…..!“

„Natürlich, ganz genau – überall würde schöne Musik erschallen, wenn Abfälle verwertet werden; was für ein Wahnsinn; wie können Sie denn die Musik beeinflussen? Haben sie eine Art Hitparade entwickeln können, bei welchen Speisen, ich denke da zum Beispiel an die Unterschiede zwischen Fisch und Fleisch; wie wirkt sich das…..?“

„In der Tat ist das ein gewaltiger Unterschied; aus irgendeinem Grund macht mein Körper aus Fisch und Gemüse klassische Musik, vornehmlich Beethoven und Mozart, während er bei Rind und Lamm, also dunklem Fleisch eher zu Elektro tendiert. Schwein und schwere Sachen im Allgemeinen lässt Rock’n’Roll und Post-Punk Musik entstehen. Nur wie ich Chansons hinbekomme, das entzieht sich leider meiner….….“

„Sie retten die Welt, wissen Sie das? Mit Ihnen als Beispiel, kann die Wissenschaft riesige Fortschritte, die ganze Menschheit einen gewaltigen Schritt, bei der Rettung des Planeten machen – Sie glauben gar nicht, wie erleichtert ich…..“

„Freuen Sie sich nicht zu früh; es gibt auch andere Meinungen die behaupten….“

„Sie nehmen mich auf den Arm, oder? Welcher geistig gesunde Mensch….?“

„Zum Beispiel die Gewerkschaft der Müllwirtschaft; die wollen mir ein Musikverbot erteilen, weil ich sie um ihre Arbeit bringe, wenn plötzlich aller Müll vom Planeten verschwindet; auch die Recycle.- und Transport-Industrie; sie glauben gar nicht, wie viele am Unrat, an der Beschädigung des Planeten verdienen; neulich hat mich sogar die Kirche scharf angegriffen, ob ich denn meine christlichen Werte verloren hätte, wo ich so viel Arbeitslosigkeit und unwiderrufliche Veränderungen auslösen würde, was zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Verwerfungen zwangsläufig führen muss; sie können sich das gar nicht vorstellen, mit was man mich da täglich konfrontiert….!“ Sprachlos sitze ich ihm still gegenüber, unfähig meinen offenen Mund zu schließen. Langsam finde ich Worte, die ich nur mühsam zusammengefegt bekomme.

„Wollen Sie mir allen Ernstes sagen, dass……?“

„Ja, so ist es; niemand ist in Wahrheit daran interessiert; weder an Musik, noch an der musikalischen Müllbeseitigung, bei der ich….……“

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche; ich habe da eine sehr technische Frage; wie soll ich mir das denn vorstellen…?“ In diesem Moment steht er auf, öffnet seinen Gürtel, lässt die Hose heruntergleiten, was die Passanten zu weiten Bögen und erschrockenen Blicken animiert, während er sich seine Unterhose runterzieht, sich wie beim Proktologen elegant nach vorne beugt und mir seinen haarigen Arsch entgegenstreckt, in dem in der Mitte, wahrhaftig, so wahr mir Zeus helfe, ein kleiner Lautsprecher prangt, mit vielleicht fünf Zentimetern im Durchmesser, einfach unglaublich!

Entsetzte Mütter ziehen ihre beugierigen Töchter vorbei, murmeln hinter vorgehaltenen Händen ihr Entsetzen, während sein Hinterteil wunderbare Melodien dahinsäuselt. Nachdem er sich die Hosen wieder hochgezogen hat und mir die staunende Verwunderung die Sprache wiedergegeben hat, will ich mehr Details haben.

„Wie sieht es denn hinter dem Lautsprecher aus; haben die Ärzte dazu etwas….?“

„Natürlich; sie meinen nachgewiesen zu haben, dass sich mein Enddarm zu einem echten und wahrhaftigen physischen Wurzelshakra transformiert hat, das alles in Frequenzen, in Musik verwandelt.“

„Wie wunderbar; geben Sie auch Konzerte?“

„Nein, um Gottes Willen; ich habe es einmal versucht; als ich für den besseren Klang meine Hose runterlassen wollte, so wie eben, haben ein paar Frauen die Polizei geholt, die mich schnurstracks abführen ließ; es war der helle Wahnsinn, dass kann ich ihnen sagen….!“

„Und dann?“

„Ich verbrachte ein paar Monate in der geschlossenen Anstalt, bis Ärzte mir Glauben schenkten! Sie müssen übrigens sehr aufpassen, weil…..“

„Wieso, wovor?

„Wenn Sie genug Zeit mit mir verbringen, kann sich ihr Wurzelshakra auf meines einschwingen und dann machen Sie die gleiche Transformation durch, geben Sie fein Acht…deswegen lasse ich Sie jetzt besser alleine; ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass Sie auch einen Arsch bekommen, der Musik macht……“

Seit gestern sitze ich jetzt länger auf Klo und horche vorsichtig in die Stille hinein, in der Hoffnung etwas Neues zu hören; manchmal meine ich schon zarte Klänge, ähnlich wie eine Mozartserenade zu hören…….“

 

 

Lebenszeit – Odyssee 2020 CW06

Gestern klopfte der Tod an meiner Tür. Nicht als Sensenmann, oder gar als knöchernes Klappergerüst, dass einem im schwarzen Umhang in Angst und Schrecken versetzt, nicht die Bohne – Poseidon besuchte mich in einem Traum. Er hatte mir ne Menge zu erzählen. Ich wunderte mich die ganze Zeit, warum er so einen Redebedarf hatte. Normalerweise, sind wir Menschen die Jenigen, die zu schwimmen beginnen, wenn uns Götter besuchen.

Wir plauderten über das Leben, was es ausmacht und so. Ziemlich schnell kamen wir an den Punkt, dass wir Menschen meist nicht wissen, wann uns das Lebenslicht ausgeblasen wird, mal abgesehen von denen, die eine furchterregende medizinische Diagnose zu hören bekommen haben. Mich treibt das Thema zur Zeit ziemlich um, keine Ahnung warum. Es geht mir dabei um den Wert von Lebenszeit. Wir realisieren ihn nicht. Erst, wenn unsere übriggebliebenen Jahre weniger und weniger werden, fängt es an in uns zu rumoren.

Wenn ich durch eine Diagnose nur noch ein Jahr zu leben hätte, sind plötzlich alle kommenden 364 Tage das Wertvollste auf Erden. Kenne ich dies Limit nicht, habe ich wenig Skrupel, meine kostbare Zeit zum Beispiel mit Nachbarschaftsstreit zu verbringen, wo es um Grenzen überragende Obstbäume geht. Wenn ich weniger als 400 Tage habe, wird mir gleiches Thema herzlich egal sein.

Alles bekommt seinen Wert durch Begrenzung und Limitierung. Ich bin ziemlich davon überzeugt dass es mit Allem so ist. Ständig sind wir mit irgendetwas beschäftigt, was uns vom Kern abhält. Doch wie sich so ein Lebensgefühl bewahren, oder bekommen? Dazu habe ich ziemlich viele Gedanken in meinem Kopf, die ich zuerst einmal sortieren muss.

Vermutlich kommt das Meiste von uns Selbst. Ich muss mit ein paar klugen Menschen sprechen, um meine Gedanken zu sortieren – manches ist davon vermutlich krudes Zeugs, doch im Kern glaube ich fest daran, dass wir schon alles in uns tragen, um zufrieden zu sein.

Nächste Woche mehr – hasta luego.

 

Müßiggang – Odyssee 2020 CW05

Letztens hatte ich Besuch von Monsieur Thalamus. Warte mal, stimmt gar nicht, es war umgekehrt, ich habe IHN besucht. Er kann ja nicht richtig weg von seiner Kanzel, wenn er den ganzen anstürmenden Kram beobachtet und navigiert. Beschwert hat er sich. Er meinte, dass ich mir mehr Zeit für Müßiggang nehmen sollte, nicht nur, weil er dann relaxen kann, vor Allem, weil es, zumindest aus unserer Sicht kaum Besseres gibt. Für was zum Teufel lebt man denn, wenn man nicht zwischendurch die Seele baumeln lässt? So ein wenig Wu-Wei ist doch für jeden wichtig. Man kommt doch sonst aus dem Tritt.

Interessanterweise, gibt es kaum noch Menschen die das praktizieren, oder gar verstehen, was das ist. Erst neulich, vor wenigen Tagen hatte ich eine Unterhaltung, die immer mehr anzog, als es um Freizeitgestaltung ging – wir kamen irgendwie auf Hobbys und was man für Leidenschaften pflegt. Alles in Allem, sind die Menschen sehr aktiv, besonders zuhause. Wir haben zwar überall, mehr oder weniger, geregelte Arbeitszeiten, aber das ändert nichts daran, dass man zuhause dennoch wenig ausruht und verschnauft, gar fünfe gerade sein lässt – kennt keiner mehr.

„Und was machst du sonst so, außer schreiben, lesen und hin und wieder Sport?“

„Essen und trinken. Wein mag ich besonders gern…“, irgendwie fühlte ich mich wie in einem Verhör.

„Okay, du kannst es genießen, okay, aber machen das nicht alle? Was sonst?“

„Müßiggang liebe ich. Irgendwie komme ich nicht so oft dazu, wie ich gerne….“

„Warte mal, Müßiggang? Du meinst Nichtstun…?“

„Nein – ich meine Müßiggang, das Gegenteil von Nichtstun…!“

„Wie soll ich mir das vorstellen? Du liegst auf dem Sofa und machst…..was…?

„Ich sehe meinen Gedanken zu, wie sie gemütlich kreisen und manchmal….“

„Deinen Gedanken zusehen…? Ist das nicht Zeitverschwendung…?“

„Für dich vielleicht. Aus meiner Sicht ist es das höchste Gut des Menschen. Nur aus diesem Urschlamm von Zeit und Gedanken, daher nennt man das auch „Seele baumeln lassen, entwickle ich Ideen oder schöne Tagträume. Laufen, spazieren-gehen, sich generell bewegen geht auch, aber nur, wenn ich genug Phasen habe, in dem ich einfach so da bin….“

Eine Weil ging das hin und her – schlussendlich wurden wir uns nicht einig und wir merkten, dass wir aus unterschiedlichen Welten kommen, was nicht ganz verwunderlich schien. Nur wenn ich überlege, wieviele dem Nachgehen, kann ich die nicht einmal an einer Hand abzählen. Warum eigentlich? Früher war es das höchste Gut des Bürgertums. Wieso ist es fast allen abhandengekommen? Fühlen wir uns unterschwellig permanent dazu animiert, etwas, oder gar irgend etwas zu tun? Lesen tut man auch kaum noch habe ich gelesen und selbst das ist meilenweit vom Müßiggang entfernt.

Nun ist natürlich klar, dass man das nur kann, wenn man die Grundbedürfnisse abgesichert hat, was für mehr als 99% der Weltenbürger, dank des effizienten Ausbeutens von Menschen und irdischen Resourcen, absolut unmöglich ist, daher will ich das nur einmal kurz angemerkt haben – die vielen Millionen, zumindest in Europa, könnten das deutlich intensiver praktizieren. Sie würden damit die Konsummaschine verlangsamen. Ich weiß, ich weiß – will niemand hören. Warum mache ausgerechnet ich mir Gedanken.

Keine Ahnung, irgendeiner sollte, oder nicht? Ist alles ein Ergebnis von Müßiggang, den ich gleich wieder praktiziere, sobald ich diese Zeilen hochgeladen habe – versprochen!