Archiv für den Monat: Mai 2024

Langeweile – Odyssee 2024

„Hier bleib ich!“ … staunend steh ich vor den metallisch glitzernden Schaumkronen, grau-blau ist Poseidons Atlantik … rauschende nimmermüde Wellen … manche spülen verlorene Surfer an den Strand … vereinzelte Brecher spritzen …

bis an die Kaimauer vor unsere Füße …

Gischt flirrt und glitzert in der Luft … es zischt und pustet, Wind wirbelt Haare durch die Luft, Möwen krächzen, schreien um die Wette … vorbeischleichende Paare seufzen, Gesprächsfetzen krabbeln wie Krebse über die Promenade … und immer wieder Gischt …

Sonnenstrahlen strömen in Scharen nieder …

kleine Regenbogen schillern im Sonnenlicht … salzige Luft, lässt Poren aufleben und Augen brennend zusammenkneifen … meine Hände wühlen in meinen Taschen nach Seesternen … es duftet nach Seetang, Muscheln, unendlichen Weiten …

und Poseidons Dreizack …

kann mich unmöglich losreißen … hier und da Auto.- und Haustürknallen … Zigaretten.- und Pfeifenrauch … stehe wie angewurzelt herum, tausend Dinge sprudeln im Brunnen meines Kopfes … langsam ebbt es ab … erst Geysir, dann Moby Dick mit Schnupfen …

Zwei Joggerinnen …

huschen vorbei … vereinzelt knattern Motorräder die Promenade entlang … Kinder kreischen, schlecken Eis … zwei Rentnerpaare schlendern Hand in Hand, auf der Suche nach einer geeigneten Bank … ich rieche frische Waffeln … suche nach der Quelle …

Leergefegte Promenade …

So wie die gesamte Bucht … kein Käptain Ahab auf Walfang … keine Piraten, die Geiseln nehmen, für Hysterie und Panik sorgen … bloß bummelnde Radfahrer, Kombis mit offenen Heckklappen … Surfer und Schwimmer die sich umziehen …

hier und da leise Musik …

Jeder für sich, in sich gekehrt, auf Wellen, Eis oder Lebensende wartend … Hendaye, Wartesaal für unaufgeregte Menschen … Langeweile, wie sehr bist du unterschätzt … twisted sister vom mir so hoch geschätzten Müßiggang …

„Kommst du?“ …

Meine Freundin lädt mich zum Betreten des Hotels ein … „Schau, da ist der Eingang“ … lautes Knarzen und Quietschen, wie die Zugbrücke von Hui-Buh’s Schloss … Hotelflur mit Teppich und Bildern in Öl … Meer mit Segelschiff … Meer und Fischerboot …

Steuerrad und Kompass an Wänden …

Rezeption mit Infobroschüren … Ach sieh an, Jai-Alai kommt nicht aus Miami-Vice, sondern aus dem Baskenland … wer hätte das gedacht … „Guten Tag, herzlich willkommen in Hendaye, hatten Sie eine angenehme Fahrt?“

Wir checken ein …

tauschen Höflichkeiten aus, bekommen Tipps … „Sonne und Meer, ein normaler Tag für uns. Hierher verirrt sich niemand, der Partys sucht“ … ein wenig Missachtung und Zweifel, gegenüber der Hysterie dieser verrückten Welt klingt in der Stimme der Hotelchefin …

Auch sie mag es unaufgeregt …

„Wir suchen das Nichts, im großen Ganzen“, bemerke ich leise, wir wären hier, um der Zeit beim Trocknen zuzusehen … ihr Lachen klingt echt, stark und stolz … für Langeweile ist man hier richtig, bringt sie zum Besten und klatscht dabei in die Hände …

Ihre widerspenstigen Locken …

unterstreichen Unabhängigkeit und vergangene Wildheit … „Folgen Sie mir“ … ihr Sohn, Anfang zwanzig, groß, schlank, Typ Bücherwurm und Bohnenstange, so wie ich, schwebt uns freundlich, still und leise voraus … geleitet uns durchs Treppenhaus …

„Hier unsere Ahnengalerie, schauen Sie…“

Schwarz-Weiß-Fotografien … Männer und Frauen mit ausgezehrten Gesichtern … ein paar Topfpflanzen stehen in Ecken … Marmorstatuen erinnern an Hellas … Treppenhaus ganz in Marmor … Stimmen und Schritte hallen, wie im Reichstag …

Dann erster Stock …

wieder plüschiger Teppich … Zimmer zum Meer … „Da sind wir“, Sohnemann schließt auf, sag bloß … mechanischer Schlüssel, keine Scheckkarte mit grüner Lampe, wenn sich Fort Knox öffnet, wie sonst üblich … ein Kiesel knirscht unter meinem Fuß …

quietscht, schreit markerschütternd …

schönes Zimmer … viel Weiß mit Platz, kaum Bilder und Spiegel, spartanische Kargheit im Baskenland … Prinzessinnenbett mit Balkon … Sim Sala Bim … Sesam öffne dich … stumm räumen wir unsere Sachen aus … Reißverschlusse zippen um die Wette auf und zu …

im Bad stellen sich Flakons brav in Reihe …

gelernt ist gelernt … diskretes Schließen der Tür vom Bad … rauschende Spülung, während ich mich im Zimmer umsehe … Schreibtisch mit der üblichen Flasche Wasser und zwei Gläsern … irgendwo muss doch … Ha! Hier ist er …

Mein Riecher ist gut und richtig …

Wie Kommissar Null-Null-Schneider … im Tisch ist eine Bar eingebaut … greife zielsicher ein Bier, setze mich zu Poseidon auf die Terrasse, proste ihm zu … Langeweile ist großartig … es gibt so viel, was man nicht tun sollte, man muss sofort damit anfangen …

und so geschah es …

und Poseidon und ich sahen, dass es gut war … wir starren aufs Meer … hin und wieder Flaschennippen, dazwischen schweigen, horchen, grübeln und einen riesigen Haufen Nichts … mir fallen die Augen zu … plötzlich schrecke ich hoch, habe ich etwa geschlafen? …

Keine Ahnung wie lange …

erster Spaziergang … rechts Atlantik, links Promenade von Hendaye … Touristen suche ich vergeblich … stattdessen Eingeborene, die ihrem geregelten Leben nachgehen … Vorbeischlendern an abrissreifen Hotels … sofort ziehen sie meine Aufmerksamkeit auf sich …

erinnern mich an Exarchia, Athen …

fabelhaft, wie trotzig manche Ruine ihren Kopf über Wasser hält … ich denke an Krimis im Baskenland … bestimmt fallen mir hier tolle Sachen ein … sieht man vom nahen Spanien, oder dem Flughafen San Sebastien und dem Schloss Abbadia ab …

ist Hendaye stinklangweilig …

Gegen acht gehts zum Restaurant … Promenade bei Dunkelheit … alle Borsteine hochgeklappt … weder Menschenseele, noch heimatloser Hund, die herumstreunen, nicht mal achtlos entsorgte Servietten, die herumwehen … Aber Obacht: packt einen die Langweile …

ist auch der Müßiggang nicht weit …

Fatamorgana – Odyssee 2024

„Cabin Crew, 100 minutes!” … erschrocken schieß ich hoch … es ist früher Morgen, immer noch liege ich auf meiner Bank vor der Kirche in Estellencs … alles tut mir weh, kalt ist mir auch … ich streck mich, meine Knochen krachen … im Freien schlafen, unter Sternenhimmel …

aufwachen ohne Zähne putzen …

ist lange her … im Poc-a-Tot gegenüber gibts ersten Café … ein paar Anwohner sind heute früh unterwegs … keine Ahnung welcher Tag heute ist … ein paar Sonnenstrahlen zeigen sich schüchtern … langsam klart meine Erinnerung auf …

Maikäfer flieg …

Fällt mir ein, um meinen inneren Zustand zu beschreiben … merkwürdig, wie sich auf einmal alles gegen einen richten kann … als könnten alle Menschen ganz plötzlich gleichzeitig verrückt werden, um sich gegen dich zu verschwören … schlechtes ist plötzlich gut …

falsches wird plötzlich richtig …

komisch, dass alles … nein, viel mehr noch … im höchsten Maße irritierend … ohne robusten Wertekompass kann man daran verzweifeln … doch zum Glück ist es anscheinend nicht so schlecht um mich bestellt … ich fühle mich überraschend gut …

irgendwie unaufgeregt …

so ganz im hier und jetzt, auch auf die Gefahr hin, dass es sich ein wenig esoterisch anhört, wie mein Kumpel F. aus H. jetzt schmunzelnd denkt … ich wandere im Dorf umher … mehr als einmal habe ich ein merkwürdiges Gefühl von Entfremdung …

und gleichzeitig Befreiung …

sofort denke ich an Thaddeus Golas und sein großartiges Werk „The lazy man’s guide to enlightenment“ … irgendwo in der Mitte geht es um Liebe und Frequenzen … dass man loslassen kann … sich für die schöne Zeit bedankt und …

seines Weges geht …

geradezu magisch füllen sich Geist und Körper mit Zuversicht und stetig anwachsender Sonnenwärme … großartig, denke ich … immer fröhlicher fühle ich mich … beschwingt gehe ich meines Weges … drehe noch ein paar Runden … esse & trinke eine Kleinigkeit …

dann merke ich es …

meine Geschichte ist hier zu Ende geschrieben … ich zahle im Poc-a-Tot, hole mir abschließend noch einen weiteren Café und suche einen Rückflug nach Toulouse … eine Stunde später bringt mich der nächste Bus nach Palma … pünktlich hebt der Flieger ab …

neue Türen springen in meinem Kopf auf …

„5 minutes to Landing!“ … rumpelnd gehen wir in Toulouse zu Boden … wieder zuhause, denke ich … fühlt sich gut und richtig an … noch dazu mit 10 Kilo weniger Gewicht auf den Schultern … merkwürdig, wie sich die Dinge im Leben manchmal entwickeln …

Ein ständiges Kommen und Gehen …

Beflügelt von meinem Sozial-Zölibat, schließ ich mich zuhause ein … wie im Wahn schreibe ich dutzende neue Seiten am neuen Buch … es fließt förmlich aus der Feder … was Veränderungen im Allgemeinen bewirken konnten …

Wonderfull …

Nach zwei Wochen Isolation macht sich die aufgestaute Reiselust bemerkbar, die untertage reichlich gewütet hat … kann ja keiner ahnen, dass aus einer Woche so ein kurzer Blitzurlaub wird … wenn mir das Mittelmeer zurzeit also nicht sonderlich wohlgesonnen scheint …

Dann vielleicht der Atlantik …

Schon geht‘s mit Rückenwind Richtung Baskenland … Hendaye kennen meine Freundin und ich gar nicht … „Wo bitte? Was? Wie heißt das? Wie spricht man das aus? Wie Honda? … Wie die Motorrad & Auto-Marke? … Nur mit „Ei“ am Ende, statt „A“?

Klang einfach …

Hondei = Hendaye … ich liebe europäische Sprachen … wir rockerten die A64 runter, immer an den Pyrenäen entlang … schöner Roadmovie, mit Sonne und guter Stimmung im Gepäck, denn während die Götter Toulouse nur Regen und Kälte schicken …

Gibt’s bei den Basken strahlenden …

Sonnenschein … stiller als sonst lassen wir die Landschaft an uns vorbeiziehen, manche Verdauung brauchte länger … immer dichter schrauben wir uns mit unserem schwarzen Seat an den Ozean heran … vorbei an Tarbes und Pau, jedoch nicht ohne …

oh weh, welch Frevel …

noch dazu in Frankreich … Zwischenstopp bei Burger-King zu machen … „Zwei Whopper bitte, und … Was? Wie bitte? Sie nehmen keine Bestellungen auf? Bei den Service-Säulen müssen wir das eingeben? Ach so, das ist ja praktisch!“ … für euch …

Fortschritt sei Dank …

Im Bee-Kay von Tarbes herrscht Trubel wie in einem Bienenstock … brechend voll ist es heute zur Mittagszeit … muss am Sonntag liegen … hauptsächlich Familien … Kinder krabbeln umher, rufen, singen, schreien, lachen, weinen und mampfen munter in sich rein, so wie wir …

Staunend stehen wir im Sturm …

Der uns wie Hurricane Katrina vorkommt … unsere Burger und Getränke bringt man uns sogar, das ist neu für mich … „Bonne appétite!“ … wie nett … „Merci!“ … habe gefühlt 100 Jahre keinen Whopper gegessen …

Was irgendwie nicht schlimm ist …

Wenn ich auf meinen inneren Werte-Kompass schaue … aber einmal im Jahr, ach was sage ich … vielleicht alle zwei oder drei Jahre … kann mich nicht daran erinnern, wann das letzte Mal … außerdem darf man im Urlaub auch mal Verrücktes machen …

Weiter ging’s Richtung Westen …

Langsam schoben sich erste Hügel unter die Räder … immer rauer schaukelte uns die Landschaft durch … rauf und runter ging es … enge Kurven, immer mehr Flüsse überquerten wir, am laufenden Band kamen Brücken … drüber oder drunter …

Da! Schau nur …

Hast du das Meer gesehen? … Ja, hab ich, hab ich … wir freuen uns wie im Fieber über die spanischen Autokennzeichen … schau mal, da vorn ist schon die Grenze … ein Wahnsinn, oder? Ist Europa nicht großartig? … Total! …

Letzte Abfahrt Hendaye …

Klingt wie’n Titel für’n Buch oder Film … ich lass das Fenster runter, kann den Atlantik riechen … Boah, wie krass ist Natur den bitte! … Auf einer engen Küstenstraße schlängeln wir uns abwärts … haben gar nicht bemerkt, dass die Küste so hoch ist …

Dann endlich …

Hendaye am Strand … was für ein Licht … schau mal, wie leer das hier ist, wie kommt denn das, denke und sage ich … eine leichte Brise streicht beim Aussteigen über unsere Köpfe, dazu das Konzert des rauschenden Meeres …

Hier bleib ich …