Archiv für den Monat: Juli 2021

Tagebuch – Odyssee 2021 CW29

25.Juli – Liebes Tagebuch, ich weiß, dass ich dich lange vernachlässigt habe. Aber wie du ebenfalls nur allzu gut weißt, gelingt uns das mit Dingen, die uns vertraut sind und denen wir nahe stehen am Ehesten, sind wir uns doch eurer sicher. Ich glaube nicht, dass dies Verhalten klug ist, aber so ist es nun einmal. Menschen sind schwach.

Offensichtlich können wir nicht anders.

Wo soll ich hin, mit all dem Zeugs in meinem Kopf? Von mir selbst habe ich schon mehr als genug, um 24/7 zu schreiben und regelmäßig nachzuschenken. Wie soll ich all den ganzen Kram verkraften, der zusätzlich von außen kommt? Eben. Deswegen habe ich mich deiner wieder besonnen.

Seit ein paar Tagen bin ich wieder in meinem Heimatdorf.

Vom Zeitgefühl her habe ich den Eindruck, dass es schon Wochen sind, obwohl ich nicht mal gesichert weiß, ob ich richtig verstehe, was dieser Begriff überhaupt bedeutet. Heimat. Zuhause. Sind das nicht richtige Schwergewichte? Vielleicht aber ist es nicht notwendig, jedes Wort korrekt zu verwenden. Ob man nass, oder feucht sagt, erscheint kein großes Problem in der täglichen Konversation zu sein.

Zurzeit ist unser Pueblo aufgebracht.

Zum einen liegt es daran, dass man unsere Tapas-Bar, zentraler Dreh- und Angelpunkt des Pueblos, corona-bedingt für zehn Tage schließen ließ. Eine Bedienung hatte man positiv getestet. Seit dem irren die Alten des Morgens heimatlos herum, um zum einen von zuhause zu flüchten und zum Anderen, den Tag mit Café, Zeitung, Palo und Bier, nach langem Arbeitsleben, verdient und zufrieden zu beginnen.

Doch dies ist nur einer, von vielen Gründen.

Zwar beschwert sich jeder, dass es zu viel Corona-Berichterstattung gibt, während sie auf der anderen Seite über nichts anderes ratschen und tratschen. Man observiert sich gegenseitig und miteinander, wie früher in der Schule, wo uns Lehrer für gutes Betragen positive Einträge und Vermerke im Klassenbuch gaben.

Ständig scannen wir jede Kreatur, ob sie die richtige Maske trägt, Vorschiften achtet, genügend Abstand zu Mitmenschen lässt, sowie eine Unzahl anderer unbewusster Überwachungsprogramme, die wir in den letzten achtzehn Monaten als Verhaltensupdate erhalten haben.

Corona als Dauerthema.

Schon gibt es einen Graben zwischen Geimpften und Ungeimpften. Ein paar Dorfweise haben gelesen, dass in den verschiedenen Impfseren das gleiche gefährliche Protein enthalten ist und das unschuldige und Ungeimpfte, per Tröpfchen-Infektion, also Luftübertragung, befällt.

Angeblich macht es gesunde ungeimpfte Männer impotent. Nicht auszudenken, dass jetzt sogar die Familienplanung in Gefahr gerät. Dagegen muss etwas getan werden, sagen die Weisen. Seitdem, werden Geimpfte von Ungeimpften als Aussätzige behandelt.

Unsere Experten haben sogar Beweise, dass es so ist!

Schuld ist das System. Bauern, zum Beispiel, müssen heute für viel mehr Dinge bezahlen, als damals. Bevor man sich heute sein Geld in die eigene Tasche steckt, muss man Versicherungen, Zinsen und Anschaffungen jeglicher Art bezahlen.

Früher war das nicht so, erklärt man mir und doziert weiter. Als Hersteller steht man heute allein auf weiter Flur, weil man alle mit durchfüttern muss. Deswegen – so erklären die Weisen – zwingt das System zur Korruption und, natürlich – zur Impfung.

So in etwa klingt eine von vielen Erklärungen.

Abe es geht noch weiter. Hinter all dem stecken Absichten. Man will uns Menschen unterjochen und uns ein Leben als Konsum-Sklaven aufzwingen. Einer, der Schuldigen sind unter anderem Bill Gates und die Rothschilds. George Soros soll auch mit von der Partie sein, sowie ein paar führende Politiker. Angeblich ist Angela Merkel eine der Drahtzieherin.

Ist wieder typisch deutsch!

Doch zum Glück gibt es Wladimir Putin. Irgendwie ist er DER Heilsbringer schlechthin, quasi der Retter der freien Welt. Als Kind hatten wir Angst vor den Russen, weil die ja angeblich böse waren. Das ging so weit, dass sogar Rockstars wie Sting darüber sangen. Ihre Texte drehten sich darum, dass wir hofften, dass auch Russen ihre Kinder lieben und nicht fressen.

Heute lacht man darüber, aber am Gipfel des kalten Krieges, sah die Welt anders aus.

Und nun endlich hat sich bei vielen Wissenden das Blatt gewendet. Heute ist der Russe der Gute und der Ami der Böse – doch hier muss man unterscheiden. Biden und seine Adminstration ist das pure Böse, während Donald Trump zu den Guten gehört, der den Deepstate gerade erfolgreich untergräbt und im Hintergrund die Stippen zieht.

Angeblich ist seine Machtübernahme nur noch eine Frage von Wochen. Klingt für mich ähnlich wie das, was sie über Angela sagen, nur dass es in ihrem Fall eben – böse ist. Allerdings wissen von alldem nur die Gebildeten und wirklich Gutinformierten im Dorf Bescheid.

Sie stolzieren daher wie Medizinmänner umher und teilen ihre Weisheiten zurzeit noch gratis mit uns. Aber meiner Erfahrung nach, kann sich das schnell ändern. Oft sind Menschen nur deswegen gegen das Establishment, weil sie nicht dazugehören. Sobald sie Teil davon sind, findet man die gleichen Melk-Mechanismen, wie bei etablierten Machthabern.

Es ist ein wenig so, wie bei den Fraggles.

Da gab es die Allwissende Müllhalde, zu der man pilgerte, wenn man Rat suchte. In unserem Dorf ist es das Gleiche, nur eben umgekehrt. Längst sehen sich ein paar als Heilsbringer und flanieren herum, ungeduldig darauf wartend, dass man sie anspricht, um wirklich wahre Neuigkeiten und Weisheiten zu verkünden.

Und sollte keiner Gebrauch davon machen, holen sie ihre Gießkannen hervor und überziehen unsere Welt ungefragt mit einem feinen Hauch, von spirituell-esoterischer Firniss, dass man nach dieser Glaubensdusche genauso hochglänzend aus der Wäsche schaut, wie ein neues, oder frisch lackiertes altes Auto.

Doch auch das ist noch nicht alles.

Viel größer sind die Kreise, die unsere Sprachlosigkeit bereits zieht, oder wie ich sie seit einige Zeit nenne: Sprachverwirrung 2.0. Schon drohen erste Frauen in unserem Dorf mit Trennung, sollten ihre Männer auf die Idee kommen, sich impfen zu lassen.

Impfung als Trennungsgrund, hat man so etwas schon gehört?

Doch auch das ist bei Weitem noch nicht alles. Manche erkennen bereits eine Verbindung zwischen dem Unwetter in Eifel und Rheinlandpfalz und einer militärischen Übung im Vereinigten Königreich vor über vierzig Jahren, wo man mit Trockeneis in der Atmosphäre experimentierte und sich angeblich nicht scheute, Dörfer, samt Bewohner über die Klinge springen zu lassen. Angeblich haben unsere Weisen eindeutige Beweise, weil die britische Regierung, so wie die Deutsche, seit Jahren versucht, sein Volk zu unterjochen,

allen voran – Angela Merkel!

So geht das die ganze Zeit, tagein und tagaus. Es ist wie mit Höflichkeit und Achtsamkeit, die der Pöbelei und Rüpelhaftigkeit gegenüberstehen. Wenn man sich über den Verlust von Sprachkultur und Respekt wundert – und sich im gleichen Moment, über die verfickten, nichtsnutzigen, übellaunigen und unbrauchbaren Mitmenschen ärgert, dass man sie am liebsten an die Wand stellen, oder vergasen möchte – dann scheint man bei bester Gesundheit zu sein und über ausreichend Zeit und Geld zu verfügen, dass man sein priviligiertes Leben fast vollständig zu schätzen weiß.

Den hellenischen Göttern sei‘s gedankt….

..

Absurde Unaussprechlichkeit – Odyssee 2021 CW28

18.Juli – D saß, wie meistens, in seiner Wohnung und schrieb. An seinem aktuellen Buch arbeitete er jedoch nicht, stattdessen an einem Brief, den er getrieben von Verzweiflung aufsetzte. Seit geraumer Zeit traute er sich selbst nicht mehr über den Weg, ob er dem Leben auf angemessene Art begegnete, oder, wie er tief drinnen befürchtete, lediglich animalisch reagierte, so wie eine Ratte, die am Morgen Hunger verspürt und ihren Bedürfnissen nachgeht.

„Lieber Ede – wie geht es dir?

Stimmt, das ist eine bescheuerte Frage, beesonders zum Anfang. Wie soll es einem hochsensiblen, hypochondrischen männlichen Homo-Intellektualis schon gehen, in Zeiten wie diesen, in denen man Barcodes auf bunten Mülltonnn bestaunt; nehm daher zur Kenntnis, dass ich diese Frage zurückziehe, denn während ich darüber so nachdenke, merke ich, dass es eine rein der Höflichkeit geschuldete Phrase ist, die mir unbewusst über Lippen und Finger kam; daher, sehe es mir nach und betrachte das Zurückziehen nicht gleich als Schuldeingeständnis, sondern eher als meine, in letzter Sekunde wachgewordene Achtsamkeit, die ich wie einen Regenschirm über uns aufspanne.

Wie soll ich anfangen?

Selbst mit dieser Frage, stelle ich mir Labyrinth und Falle zugleich auf; vielleicht ist „wie“ nicht die jenige welche, sondern eher „warum“ oder „womit“ die Passendere, vielleicht Richtigere, kennst du doch meine Vorsicht, nicht zu schnell, wenn es schon denn sein soll, zu urteilen.

Eigentlich findet man kaum noch Menschen, mit denen ,man angenehm reden kann; alles ist auf dem Sprung, man ist nur solange irgendwo, bis einen der innere Projektplan zum nächsten Meilenstein jagt, ganz unabhängig davon betrachtet, ob wir ähnliche Begrifflichkeiten und Inhalte verwenden, um einander zu verstehen – einfach furchtbar!

Alles ist nur noch Fassade und bleibt auf der ersten, oder mit Glück in der zweiten Oberflächenschicht stecken; ich hab das Gefühl, in einem sich ewig wiederholenden Theaterstück zu sein, wo zwar Rollen, ebenfalls zwischen Zuschauern und Akteuren ständig wechseln, ich aber ihre Mechanismen und Prinzipien schon aus weiter Ferne meine riechen und spüren zu können.

Wenn ich zum Beispiel schreibe, „der glänzende Blütenstempel der weißen prallen Lilie, mit der im Kreis sie bewachende Wachstandarte der stramm stehenden Blütenstaubtentakeln, die er im Eingangsbereich des Blumenhändlers zusammen mit den anderen hell-leuchtenden betörenden Lampenschirmen von Mutter Natur stehen sah…“ dann hoffe ich inständig, dass alle Leser ähnliche Gefühls-, Bild- und Raumvorstellungen haben wie ich, was jedoch nur funktioniert, wenn man zum Beispiel weiß, was eine Lilie ist und – idealerweise – wie sie aussieht.

Es ist, als würde man über den Sinn des Lebens nachdenken, während man an einem Bissen Entrècôte kaut und – zumindest wenn man Franzose ist – zu viel Senf auf den blutigen Brocken gestrichen hat, der einem jetzt brennend in die Nase fährt und man sich darüber wundert, obwohl man selbst der Jenige zu sein schien, der die vermeintliche Verfeinerung des Fleisches, beschloss und durchführte.

Ein wenig so, wie bei Proust und seiner Madeleine.

Auf den ersten Blick mag man sich darüber unterhalten, oder zumindest nachdenken, wieso man zu viel drauf getan hat – z.Bsp: War man mit den Gedanken woanders, oder weswegen und womit, also mit welchem Thema und Objekt, konnte man abgelenkt sein, wenn man doch die Speise so sehr mag?

Aber selbst das, ist nur eine von vielen ablenkenden Facettenfragen, weil die wirkliche Rindfleisch-Senf-Betrachtung ist ja die Kombination selbst; wieviel Senf verträgt ein spezifisches Stück, um als verfeinert zu gelten?

Oder ist die Nutzung per-se schon zu vermeiden, weil der Geschmack des dunklen Fleisches so fein ist, dass man ihn höchstens mit Butter unterstreichen sollte – du verstehst was ich meine?

Und selbst dann, kannst du nicht mit Gewissheit sagen, wie harmonisch sich diese Thematik in deine Sinn-des-Lebens-Gedanken-Pyramide integrieren lässt, weil du eigentlich längst hättest wissen können, das dein Leben als solches sowieso völlig absurd ist, dass es ganz irrelevant ist, was du tust, trinkst, isst usw., dass daher die Betrachtung – wieviel Senf gut, oder gar, wie es ohne ihn gewesen wäre – reines Entertainment, und eben nicht, Müßiggang ist.

Wenn wir ein klares Verständnis von Relevanz haben, ändert sich wirklich und wahrhaftig alles!

Aber noch einmal, Ede: Wie also beginnen?

Ich jedenfalls weiß es nicht, verdammt noch mal…!

Neulich fragte eine Freundin, warum ich das Gefühl hätte, dass meine Freiheit als Mensch, immer weiter eingeschränkt würde. Ich könne doch weiterhin herumfliegen und alles tun und lassen was ich möchte – das brachte den Stein ins Rollen.

Was ist Freiheit?

Ist es ein Gefühl? Oder schlicht eine Frage des Fokus? Beschreibe ich, oder denke ich über etwas nach, was seine äußere Erscheinung, unser gesellschaftliches Verständnis ist, oder versuche ich wirklich seine Charakteristik zu untersuchen und zu verstehen?

Alleine das, lässt sich kaum sagen und schreiben.

Weil es schon alleine vom genutzten Wortschatz abhängt und wie ihn mein Gegenüber anwendet. Nehm mal das heikle Thema Altenpflege. Jeder weiß, dass dort nach den Gesetzen des Heuschrecken-Kapitalismus das Pflegepersonal ausgebeutet wird, dass die Senioren dort ungenügend versorgt werden, und man mit Staatsgeldern und gewinnmaximierenden Methoden – häufig geraten von ebenso warmherzigen, hochbezahlten Consultants – nicht nur abkassiert, sondern das Ganze auch stillschweigend duldet.

Frage ist – wieso?

Weiß es jemand? Ist es den Wissenden egal? Oder ist man betroffen, versteckt sich aber hinter dem gleichen Schutzmechanismus, der mich als unfähig und natürlich unschuldig ausweist, so wie meine Unfähigkeit wahrhaftig zu erkennen, dass ich ständig zu viel Senf auf mein Entrécôte nehme, oder gar vielleicht sogar Senf nur als „mögend“ erkennen muss, weil ich von Kindesbeinen an einprogrammiert bekommen habe, dass Senf gut und lecker ist, wie es einst Eltern, Onkel und Tanten gebetsmühlenartig wiederholten, dass beim bloßen Gedanken an Senf, das Wasser im Mund zusammenläuft, wie dem Köter von nebenan, wenn er hört, wie Herrchen die große Blechdose Hundefutter unwirsch auf den Napfrand knallt?

Du siehst Ede, die Lage ist verzweifelt – noch dazu hoffnungslos!

Aber immerhin haben wir guten Wein und ein paar Worte, um uns – bei ausreichender Qualität natürlich – ein wenig zu verewigen.

Es ist ein wenig so, wie wenn man von immer mehr Straßenringen, mit den dazugehörigen Blöcken umgeben wird; man will irgend wo hin und muss anstatt vor einer Ampel, plötzlich vor drei oder fünf Ampeln warten, oder irgendwelche Dinge wie – Accept-all-Tasten – drücken, bevor man weiterleben darf.

Die Frage ist nicht, wie diese neuen Ampeln und die damit verbundenen Anwohner, mit ihren Wohnungsblöcken über Nacht dahin kamen, sondern, du musst eigentlich erst mal sichergehen, dass es die nicht vielleicht schon früher gab, du sie nur nicht gesehen hast, weil du entweder noch nicht gut, oder scharf genug sehen konntest, weil man sie schlicht nicht wahrgenommen hat, wie jedes Objekt, dass dir noch nicht vorgestellt wurde – was im Umkehrschluss natürlich genauso funktioniert:

Kann ein Leben ohne Senf auf meinem Rindersteak wirklich funktionieren? Kann ich es mir zumindest vorstellen….?

Bis bald Ede – halt dich tapfer….“

Prost – nicht Proust!

Dein D.

Kill’em all – Odyssee 2021 CW27

11.Juli – Als D die Wohnung von M betrat fiel ihm sofort der mattschwarze metallene Gegen-stand auf, der in der Mitte des ovalen Glastischs lag. Zuerst tat D so, als wenn er ihn übersehen, oder nicht wahrgenommen hatte, eine besondere Art von Höflichkeit, weil D der Mei-nung war, jeder verdiente es, die Dinge selbst anzusprechen, bevor sich Vorurteile virenhaft ausbreiteten.

„Hey, wie geht es dir…?

„Alles cool, und selbst? Willst du‘n Bier?“ M ging in die Küche und machte sich am Kühlschrank, sowie an ein paar verschiedenen Schubladen zu schaffen. Zweimaliges Zischen ließ D anfangen zu glauben, dass er mit der Suche Erfolg hatte. Nur Sekunden später kam M mit zwei Flaschen und einem Aschenbecher wieder und stellte alles auf den Tisch, als würde es den mattschwarzen metallenen Gegenstand nicht geben. D griff sich die am Nächsten zu ihm stehende Flasche und sah M erfreut und mindestens genauso neugierig an.

„Prost – auf das Leben!“, gab M zum Besten, schlug seine Flasche äußerst kräftig gegen D’s, grinste über alle vier Backen und genoss den Moment, dass D’s Gemüter auf den Zehenspitzen standen. Unterdessen nickte der unruhig und ungeduldig, mochte sich aber zunächst nicht von seiner abwartenden Position verabschieden.

„Was macht dein aktuelles Buch?“, fing M mit Smalltalk an und wartete ebenso ungeduldig darauf, dass D hoffentlich bald mit seinem Fragen beginnen würde.

„Stockt zur Zeit ein wenig….“, überrascht blickte M auf.

„Wieso denn das…?“, hatte er doch erwartet, dass auf D’s Seite alles wie geschmiert lief. Doch das tat es schon lange nicht mehr. Nur redete er mit niemandem darüber, weil zum Einen, aus D’s Sicht keiner wirklich interessiert war, sowie kaum einer die Geduld aufbrachte, um wirklich zu zuhören, geschweige verstehen zu wollen. Niemand interessierte sich für was. Unerwartet brach es dann aus D heraus.

„Kein Schwein ist noch an irgendetwas interessiert; entweder reden die Leute über Scheiß-Corona, über Klima-Katastrophe, oder ihren neuen Tesla – zum Kotzen!“ Damit hatte M nicht gerechnet und grinste immer breiter und breiter.

„Sieh an, sieh an; hat es dich also auch erwischt…“

„Was meinst du? Womit…?“

„Na was schon, den Blues meine ich, was sonst…?“

„Okay, von mir aus; wo wir gerade dabei sind: Kannst du mir sagen, was da auf dem Tisch liegt?“ D legte seine Diskretion von einer Sekunde zur anderen ab und ging mit aufgepflanztem Bajonette auf M los.

„Das ist eine Pistole, falls du es noch nicht erkannt hast“, spöttelte M vollmundig.

„Was willst du denn damit…?“

„Mich verteidigen, wenn das große Endspiel beginnt….“

„Welches Spiel meinst du…?“

„Na der große letzte Krieg: Reich gegen arm….!“ Jetzt horchte D auf.

„Hat der nicht längst begonnen?“

„Natürlich, deswegen liegt ja auch die Knarre da, du Witzbold; heute hast du wirklich eine lange Leitung; oder etwa noch kein Wein gehabt? Hast noch kein Standgas, wie?“, zwinkerte M seinem Kumpel zu.

„Okay, bevor wir uns weiter im Kreis drehen; diesen Einstieg konnte ich mir selber ausmalen, aber wo und wie gedenkst du, sie einzusetzen, und warum jetzt…?“ M machte auf einem Mal eine ernste Miene und sah D an, als wäre er Hades persönlich.

„Was auch immer ich mache, kaufe, miete, oder verhandle, man verarscht und übervorteilt mich, egal wo ich bin, egal was ich tue, oder brauche, kannst du mir folgen?“ D spürte die gewaltige Wut in seinem Kumpel aufsteigen und fragte sich, ob die Pistole wohl geladen sei. Schwer nickend, ließ er es aus dem Freund herausbrechen.

„Ich bezahle Versicherungen und wenn ich sie brauche, lassen sie mich alleine, oder winden sich aus der Verantwortung raus, natürlich mit Erfolg, weil man es vom Staate her zulässt; die Klamotten fertigt man in Billiglohnländern und verkauft sie mir zu horrenden Preisen, was nichts anderes ist, als moderner Kapital-Kolonialismus, den ich natürlich brav abtalern darf; ich zahle doppelt und dreifach Steuern und werde bei Allem abgezockt, während ich meinen eigenen Arbeitsplatz abschaffe, ohne es zu merken, weil ich zu kurzsichtig denke, wenn ich meinen ganzen Plunder bei Amazon kaufe; und wenn ich mich dann mit vermeintlichen Freunden treffe, versuchen wir uns gegenseitig mit Besitz oder Status zu übertrumpfen – was ist das bloß für eine große Fäkalientonne, die wir Leben nennen – aber das hört jetzt auf! Der Nächste, der mich verarschen will kriegt ‘n Knarre an Kopp!“

„Wow, das ist mal ‘ne Ansage…“,

„Es ist mehr als das; mit zunehmendem Reichtum verändern sich die Menschen und ihr Cha-rakter; früher war es die Aristokratie, heute ist es das Kapital; hast du genug Geld, hören dir die Menschen zu; bist du arm, bist du niemand, so einfach ist das!“

„Ich stimme dir leider zu, aber…..“, doch M hatte noch nicht fertig.

„Kapitalismus zerstört Solidarität und Altruismus; unsere eigene Gier entfernt uns von unse-rem Selbst und letztendlich voneinander, oder in anderen Worten: Geld sorgt dafür, dass du dich von dir selbst und damit vom Humanismus entfernst und unweigerlich hin zum Materia-lismus wechselst; mehr und mehr zählen nur noch Sachen; Menschen sind uns Menschen völlig egal; was meinst du weswegen Frontex in so kurzer Zeit so wachsen konnte; Stefan Zweig hatte Recht, als er sagte – wer einmal sich selbst gefunden, kann nichts mehr auf dieser Welt verlieren!“

„Damit hatte er Recht……aber wofür willst du die Knarre…..?“, doch M ließ ihn nicht zu Wort kommen, weil er zum Einen n‘en Lauf hatte und zum Zweiten ahnte, was D sagen wollte, weswegen sich M eingeladen fühlte, ihm das Wort abzuschneiden.

„Für Penner und Materialisten…..!“ Nachdenklich sah D auf den mattschwarzen metallenen Gegenstand, der nach frischem Pulver roch und fragte sich, bei welcher Gelegenheit er wohl zuletzt abgedrückt hatte.

„Hast du Probeschüsse gemacht, oder warum riecht die Wumme nach Pulver?“ M lächelte ver-schwörerisch und legte die Hand an den Mund, als er zu flüstern begann.

„Nachbarshund ist in den Himmel aufgestiegen; ich hab ‘nen Schalldämpfer; hat nur ganz leicht PFFT gemacht und schon streckte Lumpi enttäuscht alle Viere von sich; hatte wohl ge-hofft, dass er die Nachbarschaft noch länger terrorisieren könnte; damit lag er leider daneben; nun kann er nochmal neu über Los gehen und als geläuterter Lumpi frisch reinkommen; mach dir keine Sorgen; ich hab ihn nicht liegen gelassen; ich habe die Gartenpforte aufgemacht, damit Herr-chen und Frauchen denken, er ist ausgewandert; hab ihn in so’nen robusten Müllsack gesteckt und ein paar Blocks weiter inne Mülltonne gesteckt…..“

„Hast du das wirklich gemacht…?“ Ein wenig erschüttert starrte D den mattschwarzen metal-lenen, nach Pulverschmauch riechenden Gegenstand an, dessen Namen er als echter Pazifist aus dem Gedächtnis gestrichen gehofft zu haben glaubte. M sah das Entsetzen auf D’s Gesicht, war sich aber nicht sicher, ob es gespielt, oder echt war, weswegen er sich entschied ein paar Nebelbomben zu schmeißen.

„Nein natürlich nicht, ich kille doch nicht einfach so, mir nichts dir nichts den Nachbarshund, was denkst du denn von mir…?“ und zwinkerte D dabei so gekonnt an, dass dieser nicht mehr wusste, ob er flunkerte, oder Lumpi wirklich heimgeleuchtet hatte.

Es schien alles beim Alten zu bleiben. D hielt weiterhin an seiner Erkenntnis fest, das die Menschen mit Frieden nicht umgehen konnten; ohne evolutionären oder humanitären Gegen-druck tendierten sie zur Zerstreuung oder zettelten Kriege zum Zeitvertreib an, egal ob für Glauben, Land, Leute, Recht oder Geld….aber wen interessierte das schon…..

Liebe Worte – Odyssee 2021 CW26

04.Juli – D saß im Büro von Hans-Werner, um sein Auto abzuholen. Es hatte ne Inspektion bekommen, nichts Großes, sondern schlicht notwendig, wenn Dinge weiterhin funktionieren sollen.

Sie plauderten ein wenig, während Hans-Werner aufgeregt unter einem Kunden-Auto herumturnte und offensichtlich schon länger und versuchte, einen Schlauch des Ladeluftkühlers in selbigen zu stecken. Zwar gab es einen roten Kopf und reichlich weiß hervortretende Fingergelenke, jedoch leider ohne gewünschten Erfolg.

Irgendwie fehlte eine Dichtung.

Als dann der Kunde zur Werkstatt reinkam und sah, dass der Wagen offenkundig noch nicht abholbereit war, gab es die in Norddeutschland üblichen wortgewaltigen Diskussionen, die letztendlich darin mündeten, dass Fossi – sein wirklichen Namen kannte D nicht – zwar seinen Wagen doch überrraschend mitnehmen konnte, weil Hans-Werner die fehlende Dichtung doch noch fand und alles erfolgreich zusammenbaute, während Fossi überrascht bemerkte, dass er nicht genug Geld mit hatte.

Ihm fehlten fünfzig Euro.

Weil Fossi jedoch von seiner Frau gebracht wurde, begann die Hoffnung in ihm zu brennen, dass sie eventuell die fehlenden Euronen bei sich haben könnte, und weil man sie mit ihrem Audi noch an der langen Auffahrt stehen sah, gab es gute Chancen, dass letzten Endes doch alles zum Besten kommen könnte.

Gesagt getan.

Um seiner Ernsthaftigkeit zu demonstrieren, rief Fossi seine Herzensdame über sein Smartphone an und stellte es hoffnungsvoll auf Lautsprecher, ohne ihr davon zu erzählen.

„Schatz – mir fehlen fünfzig Peseten, um die Rechnung von Hans-Werner abzutalern; hast du eventuell Kohle dabei?“ Erwartungsvoll hoben die drei Männer ihre Augenbauen immer weiter in die Höhe, als könnten sie durch die steigende Spannung das Schicksal unterstützen. Nach einem fauchendscharfen Einatmen der Liebsten rollte die Antwortwelle duch das Handy heran.

„Verpiss dich, du Ficker!“

Als der Kanonendonner dieser brachialen Antwort verhallte, wurde die Verbindung auf der anderen Seit ohne Vorwarnung gekappt. Andächtige Stille flutete die Werkstatt. Stirnrunzelnd und ergriffen standen die drei Männer auf ihren einsamen Inseln, um Fossi’s Smartphone herum, das er wie die gesegneten Oblaten von Papst Franziskus in der tätowierten Hand hielt.

D hätte sich in diesem Moment gerne verkrochen, um Fossi mit Erlebnis und den unzähligen, daraus folgenden Fragen und Zweifeln alleine zu lassen. Was mochte er denken, oder gar fühlen? Was dachte Hans-Werner? Seinem ernsten Gesicht Glauben schenkend, mochte man meinen, dass er gerade in seinen Erinnerungen kramte, ob er ähnliche Erlebnisse erlebt hatte.

Während Fossi immer noch die leuchtende Hostie im Zentrum der drei Männer emporhielt, unfähig sich vor Schrecken und Angst zu rühren, als würde jede mögliche seiner Bewegung eine Kettenreaktion auslösen, über die er weder nachdenken, noch im Voraus reinspüren wollte, dass er sich tief drinnen entschloss, all diese anstehenden weiteren Desaster so weit wie möglich hinauszuzögern und von sich zu schieben.

D kramte währenddessen in seinen Taschen herum.

Völlig überraschend fand er fünfzig Euro, die er gerade im Begriff war hervorzuziehen, als Fossi den Fall mit einem salomonischen Kommentar und einem nicht von dieser Welt stammenden warmherzigen Lächeln zu den kosmischen Akten legte, dass ähnlich müde, aber zufrieden strahlte, wie Tom Araya, nach einem Konzert, an dessen Ende „Angel of death“ auf der Liste stand, und dessen Anfangsschrei Tote auferstehen lassen konnte und den Slayer-Sänger, sowie Fossi, in glückliche Apathie fallen ließ.

„Arschloch kannte ich schon – Ficker ist neu!“