Archiv für den Monat: Mai 2014

Esel und Vogel gehen schlafen

Der Esel erwachte und rieb sich den Schlaf aus den störrischen Augen, die noch nicht wieder sehen wollten. Er schüttelte den Kopf und öffnete die trägen Augen. Er sah immer noch nichts. Dann riss er sie ruckartig auf. Vor ihm lag das Meer. Es wog sich gemütlich hin und her und ließ vereinzelte Wellen über den Horizont gleiten, manchmal sogar bis zu ihrer kleinen Bucht. Der Esel blickte sich um. Erst links, dann rechts. Und wieder von vorne. So ging das ein paarmal hin und her. Er musste eingeschlafen sein, fasste sich ans Kinn und dachte angestrengt nach. Dann fiel es ihm wieder ein.

Er war mit dem schönen Vogel runter ans Meer gegangen, wo sie sich gemeinsam gesonnt hatten. Er freute sich bei dem Gedanken daran und lächelte und schnaubte aus, wie es nur glückliche Esel konnten. Er sah sich um und suchte den schönen Vogel. Er hielt einen Huf vor die Augen und suchte den Horizont ab. Manchmal flog der schöne Vogel ein wenig herum, um sich das Gefieder durchpusten zu lassen und um den Esel von oben anzulächeln. Nichts. Er sah ganz angestrengt in die Ferne. Wieder und wieder, nochmal und nochmal. Nichts. Er sah nach links zu den naheliegenden schroffen aber warmen Felsen, nach rechts an der steilen Küste entlang. Wieder nichts. Der Esel seufzte und strich sich die Ohren glatt, was er immer tat, wenn er sich nicht zu helfen wusste. Dann schloss er seine großen dunklen Augen und lauschte dem Rauschen des Meeres. Er liebte es. Nichts beruhigte ihn so sehr, wie die See. Er überlegte im Stillen, wo der schöne Vogel wohl hingeflogen sein konnte, kam aber auf keine gescheite Antwort.

Er öffnete seine zweifelnden Augen und blickte zum Horizont. Ein Segelschiff fuhr in weiter Entfernung entlang. Es hatte weiße Segel, die wie magische Dreiecke leuchteten. Es sah aus wie auf einem Gemälde, dass er mal im Dorf gesehen hatte. Er seufzte glücklich, suchte aber nach einer Weile wieder nach dem schönen Vogel. Diesmal hielt er beide Hufe vor die Augen. Er suchte und suchte. Langsam erwachten die ersten Sorgen. Gerade wollten Erste in ihm hervorsprudeln, so wie eine lebendige und erfrischende Wasserquelle, als er ein leises Geraschel dicht an seiner Seite hörte. Erschrocken fuhr der Esel zusammen und sah neben sich auf den steinigen Felsen auf dem sie saßen. Der schöne Vogel hatte sich so leise an ihn gekuschelt und lag mit weit gespreizten Schwingen friedlich schlummernd an seiner Seite, die er wie ein Sonnensegel geöffnet hatte, das er in gar nicht spürte. Er hatte sich so sachte und sanft an den störrischen und eigentlich recht sensiblen Esel geschmiegt, dass dieser es nicht bemerkt hatte.

Ein seliges Lächeln lag auf seinem Schnabel, den er hin und wieder leicht öffnete und wieder schloss, so als würde er die Luft schmecken wollen. Der Esel blickte ihn liebevoll an und ließ ihn schlafen. Er freute sich und schüttelte über sich selber den Kopf, was er manchmal für ein störrischer und dummer Esel sein konnte. Nach einiger Zeit, die Sonne ging schon langsam unter, wachte der schöne Vogel auf und blickte dem Esel warm in die Augen. Sie lächelten und schwiegen sich an. Einige Minuten taten sie das, ohne sich von manch einer donnernden Brandung aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie verstanden sich ohne Worte. Langsam und mühsam wie eine alte Giraffe stand der Esel auf, streckte und reckte sich, hörte seine Knochen knacken, schüttelte Mähne und Schweif und wieherte den Vogel lächelnd an.

Der Wind hatte aufgefrischt und bog die Federn des schönen Vogels immer höher. Er breitete die Flügel aus und brauchte nur ein paar Flügelstöße, um gleich auf dem Rücken des Esels zu landen. Noch einmal drehten sie sich um und sahen sich die untergehende Sonne an. Dann machten sie sich an den Anstieg, zurück zu ihrer kleinen Hütte, oben im Dorf. Langsam stampfte der Esel den kleinen Weg hinauf. Schritt für Schritt näherten sie sich langsam aber unaufhaltbar ihrem kleinen Zuhause. Die Mähne des Esels flog dem schönen Vogel hin und wieder um den Kopf, was ihn einlud damit zu spielen und sich hineinzubohren, als wäre es ein Haufen Heu oder ein großer Ballen Garn. Den Esel kitzelte es immer ein wenig, was ihn aber nicht davon abhielt, den schönen Vogel weiter spielen zu lassen. Insgeheim wartete er darauf, dass es dem schönen Vogel zu langsam ging und er deswegen vorfliegen würde. Nach der sechsten Kurve war es soweit. Mit starken und freudig-schlagenden Schwingen erhob sich der schöne Vogel und flog das letzte Stück Weg vor, um auf den störrischen Esel zu warten. Er wartete unheimlich gern auf den sensiblen und manchmal störrischen Esel, weil er sich immer sehr freute, wenn er ihn wieder erblickte, auch wenn sie nur wenige Minuten voneinander getrennt waren. Diesmal hatte der schöne Vogel schon den Abendbrottisch gedeckt und wartete auf seinem Stuhl, als der Esel langsam die Tür öffnete und ihn leise und freudig begrüßte.

Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt und pustete um die Wände ihrer kleinen Hütte herum. Das Kerzenlicht flackerte schon stark und drohte auszugehen. Irgendwann hatten sie ihr Abendbrot beendet. Sie sahen sich schweigend an, während der Wind durch das kleine Tal fegte und den ersten Regen nach vielen Monaten Dürre ankündigte. Mittlerweile wurden Ihre Augen immer schwerer und schwerer, so dass sie sich mit ihren halbgeöffneten müden Lidern kaum noch sehen konnten. All die Sonne, der Wind und das gute Abendessen machten sie immer mehr müde. Nach wenigen Minuten nickten sie sie sich zu, standen auf und nahmen die Kerze mit. Sie gingen ins Badezimmer, erst der schöne Vogel und dann der sensible Esel. Nachdem der schöne Vogel sich frisch gemacht und den Schnabel geputzt hatte legte er sich ins Bett ihres kleinen Schlafzimmers und wartete auf den Esel, der kurz nach ihm im Bad verschwunden war.

Bei ihm ging es immer ein wenig schneller, weil ein störrischer Esel nun einmal weniger Pflege brauchte, als ein schöner Vogel. Nach wenigen Minuten kam er aus dem Bad, schloss leise die Tür und legte sich zu dem schönen Vogel ins Bett. Nachdem der Esel die Kerze ausgepustet hatte, kuschelten sich beide eng aneinander, gaben sich einen Gutenachtkuss und segelten zusammen weit weg, ins Land der schönen Träume.