Archiv für den Monat: September 2019

Odyssee 2019 – CW39

Mein erster Montag wieder in Toulouse. Körperlich bin ich da; Geist und Seele jedoch nicht. Beim Aufstehen ist es offensichtlich wie ich durch die Gegend schleiche. Was mache ich hier? Erst einmal Kaffee kochen. Ein paar trockene Kekse sollen mein Frühstück sein. Ich gehe zum Briefkasten. Ihm geht es umgekehrt zum Kühlschrank. Brechend voll mit Zeugs platzt er auseinander, als ich ihn aufschließe.

Verdammt, schon wieder eine Nachricht vom Finanzamt. Was wollen die schon wieder? Ich schmeiße eine Maschine Wäsche an; mache eine Einkaufsliste und gehe los. Hab nichts, brauche alles, steht drauf. Wie ein falsch verdrahteter Robocop schlurfe ich zum Supermarkt. Mechanisch rumpeln meine Lebensmittel in den Korb. Keine Ahnung, ob sie von selbst reinhüpfen, oder ob ich das bin, der sie dazu zwingt. Als ich zahlen will, quatsche ich die Kassiererin Griechisch an – habe noch nicht wieder umgeschaltet. Okay, halte besser die Klappe. Stumm zahle ich.

Wieder zuhause mache ich meinen Rechner an, schaue, ob irgendetwas in meiner Abwesenheit passiert ist. Habe ne Menge Nachrichten. Hauptsächlich Rechnungen. Auch mein Verlag meckert rum, wo mein Manuskript bleibt. Was denken die eigentlich? Zwischendurch Wäsche aufhängen; dann eine weitere Maschine starten. Zum Mittag esse ich nur eine Kleinigkeit. Dann wieder e-mails. Ein paar Leserbriefe. Man will wissen, warum ich so und so schreibe. Gefallen tun die Bücher aber. Immerhin was. Doch die Stückzahlen sind Kacke. Ein paar Hundert, sonst nichts. Es kleckert so vor sich hin.

„Du schreibst halt nichts für so zwischendurch, heißt es immer. Wundere dich da nicht, dass du immer der unbekannte Freak bleibst. Versuch disziplinierter zu sein; mach was für die breite Masse, sagen Verlag und Lektorat….“ – na toll denke ich und setzte mich an den Schreibtisch. Gegen Mitternacht wache ich auf. Muss eingenickt sein. Habe ein paar Seiten geschafft, bevor ich eingepennt bin; jetzt aber nichts wie ab ins Bett – für heute langt es.

Dienstag – wie schon am Montag komme ich nur langsam hoch. Bin mit’m falschen Fuß aufgestanden. Mache mir einen Kaffee, zwei weichgekochte Eier auf Toast und lese die Zeitung. In Nahost wird wieder gezündelt. In Kaschmir ist auch Alarm. Sogar die Inder flippen jetzt aus. Ich dachte immer der Hinduismus erzieht zum Pazifismus. Kapiere das nicht mehr. Entweder ist es immer so gewesen und es kommt mir nur mehr vor, weil so viel darüber berichtet wird, oder es ist wirklich eine weitere Epoche, der autokratischen Dumpfbacken und Egoisten-Schweine.

Muss Staub saugen, so wie die Wollmäuse mir aus den Ecken zuzwinkern. Gegen Mittag sitze ich wieder am Schreibtisch, vier Stunden am Stück. Dann Mittagsschlaf. Danach schreibe ich bis Spätabends um Zehn. Habe ganz vergessen zu essen. Gönne mir ein paar Rollmöpse mit Wasser. Muss weniger saufen. Habe in Griechenland mächtig zugeschlagen. Muss wieder mit Sport anfangen. Nachts lese ich die letzten Seiten von Lampedusa’s Gattopardo. Sonst nichts.

Mittwoch, Bergfest – heute muss ich zu meinem Nebenjob; keine Zeit für Rumdödelei. Schwinge mich auf meinen Drahtesel und bretter durch die Stadt. Im Büro angekommen, das gleiche wie zuhause: Noch mehr E-mails, noch mehr Chaos. Wunderbar! Könnte gleich wieder abhauen. Ich nehme alle 600 E-mails und lösche sie ungesehen. Gegen vierzehn Uhr mache ich außerhalb Mittag. Ein paar Kollegen haben mich einladen wollen. Hatte aber noch keine Lust auf das ganze Berichten. Wurschtel mich so durch den Tag. Komme nicht richtig auf Trapp. Abends wieder schreiben. Ich schaffe vier Seiten, es läuft ganz gut.

Spät am Abend Anruf von Frau Mutter. Wie es mir geht, will sie wissen. Ich antworte Mutter-Gerecht und gebe ihr den Ball zurück. Wann ich mal wieder kommen würde. Bald-bald, ganz sicher – verspreche ich. Zehn Minuten später hat sie keine Lust mehr und legt auf. Ist immer noch genauso verschroben wie eh und je. Ich will weiterschreiben, merke aber, dass mir die Augen zufallen. Auch ist es unabwendbar, dass ich eine Lesebrille brauche. So ein Fuck, pöble ich, putze meine müden Zähne, rolle mich ein und segle davon.

Donnerstag – hatte ganz vergessen mein Einschreiben vom Finanzamt bei der Post abzuholen. Schnappe mir nach dem Frühstück meinen Ausweis und renne los. Bin ganz nervös, weil ich erst vor ein paar Monaten schon Strafe für 2017 zahlen musste. Jetzt knallen sie mir gleich das nächste Jahr um die Ohren. Kann mit diesem Admin-Scheiß nicht um; muss ich aber; bin Mitte vierzig und sollte auch meine Ablage im Griff haben. Schweres Kapitel, schwere Kost. Man ermahnt mich höflich, umgehend meine Steuer zu zahlen. Haben mir sogar ein Formular reingelegt, immerhin.

Nachmittags dann Gespräch mit dem Verleger, was denn jetzt mit dem Buch wäre – sag mal, hackt es noch, oder was? Ist ja wie beim Militär. Keine Ahnung, Ende des Jahres, wenn ihr mich in Ruhe lasst, brülle ich ins Telefon und schmeiße den Hörer hin. Für heute haben sie mir die Suppe versalzen. Ich lese ein wenig über alte griechischen Philosophen.

Abends dann Musik mit griechischem Bauernsalat und Wasser, mit einem Spritzer Zitrone. Vier Tage ohne Wein und Raki. Ich meine, so etwas wie stolz zu fühlen, bin mir aber nicht sicher. Zum Schluß lesen, wie üblich Zähne putzen und ab ins Bett. Meine Schulter ist fast wieder okay, denke ich und ziehe die Knie ans Kinn.

Freitag – heute ist Sport angesagt. Schluss mit dem Sumpfen. Ich mache ein paar Übungen. Renne 30min um die Garonne, frühstücke anschließend und bekomme aus heiterem Himmel ein dutzend Whatsapp-Nachrichten von Susanna. Sie würde mich hassen und den Tag verfluchen, wo sie mich kennengelernt hat. Sie nennt mich einen Bastard. Ich wäre ein Monster, dass sie bis ans Ende aller! Tage verflucht. Ich sei verrückt; weggeschlossen gehöre ich. Ich könne niemals genug zahlen, für das was ich ihr angetan habe; sowas und noch einiges mehr. In solchen Momenten bin ich sehr nachdenklich und traurig. Was Männer und Frauen sich gegenseitig antun ist unbeschreiblich.

Ich antworte seit Jahren nicht mehr. Gibt sofort Telefonterror ohne Ende. Sie verdrängte damals die Wahrheit. Zum Glück erinnere ich noch gut. Ihrer Meinung nach ist es unmöglich, mein Antlitz im Spiegel zu sehen. Wie ich das machen würde. Eines dunkles Kapitel. Bin doch eigentlich ganz umgänglich, grüble ich vor mich hin und schlafe gegen 21:00 Uhr ein,

Samstag – fahre nach Clermont-Ferrand, um mit einem Freund einen Roller abzuholen, den er günstig erstanden hat. Wir rauschen durchs Grüne rauf und Nachmittags wieder runter. Frankreich ist ein schönes Land. Wenn man sich genug Zeit nimmt kann man es sogar genießen. Sechster Tag nach Hellas. Bin immer noch in Gedanken dort, denke ich und träume vor mich hin, während wir die Autobahn entlangfahren.

Habe im Auto ein langes Telefonat mit einem Freund aus Bordeaux. Die Weinlese hat begonnen. Ich müsse unbedingt wieder vorbeikommen. Vielleicht klappt es ja nächstes Wochenende. Roadmovies mag ich. Wenn man länger unterwegs ist, hat es immer so einen Abenteueranstrich, besonders, wenn man gemütlich fährt. Gegen Mitternacht kommen wir zurück, da wir uns ein paar kleine Dörfer auf dem Weg angesehen habe. Hatten sternenklaren Himmel. Zuhause angekommen fühle ich mich zufrieden und müde. Gute Nacht.

Sonntag – ich beginne den Tag mit Sport. Danach besuche ich meinen griechischen Freund Adonis; wir genießen unsere griechischen Nachmittage und Abende – wir lachen, singen, tanzen und weinen – vor Freude, Glück und Sehnsucht. Zwischendurch denken wir, komplett überzuschnappen, doch das tun wir nicht, im Gegenteil: Wir erfreuen uns einfach des Lebens. Für viele ist es schwer zu ertragen, geschweige nachzuvollziehen. Ist zu intensiv. Thema meines Lebens. Alles was ich tat, machte ich exzessiv.

Frei nach dem dem Motto, wenn schon, denn schon – doch das ist nur die halbe Wahrheit: Es ist Lebensfreude. Ich finde im Leben gehört beides zusammen; Müßiggang und Leidenschaft. Irgendwann Spätabends komme ich heim. Für einige Stunden dachte ich, wieder in Hellas zu sein. Jetzt im Bett, merke ich, dass es ganz anders ist. Mist! Ich muss noch meine Woche niederschreiben und hochladen. Sofort setze ich mich ran, lade meine Zeilen drei Stunden später hoch und gehe ins Bett. Jetzt habe ich Frieden.

 

 

Odyssee 2019 – CW38

Mein vorerst letzter Montag bei den Hellenen. Die letzten Wochen stecken mir tief in den Knochen. Vieles habe ich erwartet. Und doch hat meine Vorstellung nicht für DAS gereicht, was ich hier täglich erlebe. Eine Woche gleicht mehr einem Monat, oftmals sogar noch mehr. Mit den Notizen klappt das nur mäßig. Zu sehr bin ich von den Momenten überwältigt. Mein Gedächtnispalast ist dafür hell erleuchtet. Monsieur Thalamus hat schon oft signalisiert, dass er, im wahrsten Sinne sozusagen, fertig mit den Nerven ist. Heimlich freut er sich natürlich und ist zugleich froh, dass ich lang genug schlafe, wo er langsamer machen kann.

Heute knattere ich Richtung Souda, einem nahen Hafen bei Chania; haben ziemlich viel Militär hier, denk ich und halte mich nicht länger damit auf. Mein Ziel: Chania. Möchte mir Zeit für den alten venezianischen Hafen und seinen Leuchtturm machen. Ich schlängle mich durch die Altstadt und schlüpfe irgendwie aus der Blechschlange, parke irgendwo direkt am Hafen. Gemütlich schlendere ich in seine Richtung. Die Sonne ist nach wie vor mächtig; angenehm zwar mit dem Wind, doch starke Nerven fordernd, wenn er ruht. Es riecht nach Meerwasser und Fisch. Überall wimmelt es von kleinen Tavernen. Ein paar Ausstellungen gibt es hier und da; Kunst, ein wenig Geschichte, von Allem ein wenig. Wellrauschen, Möwen schreien mit Kleinkindern um die Wette.

Touristen erkennt man schnell. Sie sind sauberer. Ihre Kleidung zieren leuchtende Farben. Ihre Finger sind rein und weiß, wie die eines Klavierspielers. Tätowierungen und SUV’s bleiben die letzten Abenteuer des reichen Westens. Im Osten bleibt einem nur noch das blanke Überleben. Bestimmt ist das Leben hier in manchen Momenten schön und wundervoll, doch mit Sicherheit häufiger hart und unbarmherzig. Vielleicht einer der Gründe, warum Griechen so sehr im Moment leben, als wäre es ihr Letzter.

Abends bin ich in der Tabakeria, einem sehr guten Fischrestaurant, direkt am Hafen. Tische stehen im Sand, Sonnenuntergang inklusive. Mein Gott, was für eine Location. Viele griechische Wohlbetuchte umzingeln mich. Ich höre Griechisch, Englisch, Italienisch und Deutsch. Ich bestelle meinen ersten frischen gegrillten Oktopus, es folgt ein frisches, ebenfalls gegrilltes Schwertfischfilet, sowie einen tollen Weißen dazu. Still genieße ich andächtig diesen Gaumenschmaus. Selbst meine Gedanken schweigen, um Sonnenuntergang und Leben zu genießen. Zum Glück kann niemand das jeden Tag haben. Man könnte es nicht aushalten.

Langsam fahre ich gegen Mitternacht zurück nach Douliana, trinke meinen letzten Raki, höre noch ein wenig entspannte Musik, ziehe meine Knie ans Kinn, lasse die Daumen an der Hand und schwebe langsam davon, bis mich erste Träume umschließen und Morpheus mir wieder auf die Schultern schlägt.

Ein ebenfalls letzter Dienstag, vorerst – Nur langsam komme ich hoch. Ein sumpfiger schergewichtiger Traum zerrt noch ein paar letzte Momente an mir, bis ich, immer mehr, da bin. Ich koche mir einen Kaffee, tunke ein paar Kekse hinein und sitze an der Sonne, sonst nichts. Brauche meinen morgendlichen Ablauf, um den Vortag ausreichend verdauen, um wieder atmen und Neues erleben zu können. Andernfalls würde ich den lieben Monsieur Thalamus auf dem Gewissen haben.

Heute will ich zum Leuchtturm von Drepano, der nördlichste Punkt Kreta’s. Eigentlich ist das nicht weit, aber ich habe schon ein paarmal erlebt, wie schnell man sich hier verfransen kann, wie schnell man dann für zehn Kilometer mal eben über ne Stunde braucht. Langsam knattere ich Richtung Küste. Ungezählte Kurven schlängle ich mich entlang, vorbei an unendlichen Reihen Kaktusfeigen, die wie stachelige Soldaten Spalier stehen. Ein paarmal biege ich ab, aber nicht oft. Ich meine in der richtigen Richtung unterwegs zu sein und lande irgendwann in der Pampa, mit einem üblen Schotterweg vor mir. Ich schaue nochmal auf mein Smartphone und siehe da: Ich bin nur einmal falsch abgebogen und schwupp’s ist man komplett raus.

Wende ich halt. Langsam rolle ich talwärts, finde den richtigen Abzweiger und schlängle mich wieder empor, immer weiter hinauf zum, Kliff. Langsam öffnet sich die gedrungene Landschaft; endlich, das Meer. Glatt, metallisch-glänzend liegt es vor mir. Ein paar krause Falten, lassen weiße Kronen wachsen. Ich fahre weiter, bis ans äußerste Ende. Schamlos liegen nackte Felsen nebeneinander; hier und da wächst Moos, die Luft ist erfüllt von Salbei und Rosmarin. Hin und wieder quillt verführerischer Feigenduft irgendwo in den Himmel empor; salzig geschwängert um-wabert mich Meeres-Luft; noch ein paar hundert Meter, da ist er.

Klein, gedrungen steht er an der Kante, denke ich und parke meinen Blechesel. Wie rau und schön es hier ist. Langsam komme ich dahinter, was Schriftsteller und Philosophen, wie Perikles Giannopoulous und Dimitrios Liantinis antrieb. Mein Gott, beim großen Zeus, ich verstehe sie. Stundenlang sitze ich nur da und blicke auf Land und Meer. Ein Kreuzfahrtschiff läuft aus. Eine kleine Fregatte, der griechischen Marine; ein paar kleine Fischerboote fahren herum; hier und dort ankert eins. Ein paar Insekten finden Gefallen an meinem Apfel. Auch der Wind bekommt Appetit und flaut immer weiter ab, während ich Stück für Stück meine Kleidung ablege, bis ich nur noch in Unterhose vor den Göttern sitze, weswegen diese zu mir herablächeln und mich gewähren lassen.

Abends dann mein letzter Abend bei Giannis. Stella’s Mann, der auch Giannis heißt, gesellt sich zu mir. Ich biete ihm von meinem Weißwein an; wir prosten uns zu, bis mein Essen kommt und Giannis (der junge Wirt) dem älteren Giannis ebenfalls Lamm hinstellt, damit wir zusammen essen können. Wein fließt in Strömen. Schnell sitzen beide Giannis bei mir. Munter prosten wir uns zu. Irgendwann wechseln wir auf Raki.

Giannis der Ältere holt sein Komboloi heraus, eine kleine Perlenkette, die zur Grundausstattung des gepflegten griechischen Mannes zählt. Er spielt mit ihr herum, eine Art Zeitvertreib, mit ziemlich hohem meditativem Potenzial. Er bestätigt, dass es ein kulturellen Hintergrund hat, noch weit vor byzantinischen Zeiten. Man vermutet, dass schon die alten Griechen diese Perlenschnüre hatten, als eine Art Glücksbringer. Mir macht es Freude zuzuschauen, das Klicken der Perlen zu hören, was meiner Schläfrigkeit unterstützt, bis wir drei zufrieden heimgehen und ich mich leise lächelnd ins Bett fallen lasse.

Bettenwechsel am Mittwoch – Nach einem ausgedehnten Frühstück packe ich meine Sachen, verabschiede mich von Stella und Giannis und fahre glücklich in Douliana los, grobe Richtung Iraklio. Mein Ziel, Damasta, mein kleines Bergdörfchen, daßß* sich widerspenstig, hoch in den Bergen Kretas, seit Jahrhunderten festklammert. Ich nehme nicht die Bundesstraße, sondern habe mir fest vorgenommen, über die Berge dorthin zu gelangen.

Langsam, wie eine kleine Zahnradbahn klettere ich mit meiner kleinen Enduro die steilen Hügel hinauf, um sie im gleichen Tempo wieder zu verlassen. Mühselig hangle ich mich durch dutzende Bergdörfer, schwinge mich zum Eingang, eines ärmer, bunter und schöner als das andere, die nur noch von den Menschen selber übertroffen werden, besonders die Alten, denen ich allen freundlich zunicke und die alle, fast überschwänglich zurückwinken, manche fröhlich lachen, oder es mir einfach nur nachmachen, freundlich, mit scheren Augen zurückzunicken. So passiere ich sie alle, schraube mich von einer Serpentine in die nächste Senke, umfahre Felsen und komme zum Nächsten , dessen Ausgang ich genauso beeindruckt verlasse, wie all die anderen zuvor.

Vier Stunden später überquere ich in Damasta die Ziellinie, das genauso still, wie eh und je der Zeit beim weiterfahren zusieht. Zorba wartet auf mich, um mir die Schlüssel zu übergeben, und um mit mir, natürlich ein paar Raki’s zu trinken, bevor er sich wieder auf nach Iraklio macht, um dort bis spät am Abend zu arbeiten. Heute hat Katys Taverna geschlossen, weswegen ich mich müde in den nächsten Ort schleppe, um dort ein Omelet mit ein paar leckeren Beilagen zu essen, sowie einen Retzina trinke, der mir genauso gut bekommt, wie der Strauß Raki’s später in meiner Hütte, die ich zufrieden auf meiner Bank an der Straße trinke, um jedem Farmer, der mit seinem Pickup vorbeirauscht zuzuprosten und ein laut schallendes SPERA und freudiges Hupen zu ernten. Leicht fallen Monsieur Thalamus und ich in einen bleiernen Schlaf.

Donnerstag – Kaffee und Kekse auf meiner Bank in Damasta. Meine lange Griechenlandrundfahrt nähert sich dem Ende zu. Es kommt mir länger als ein halbes Jahr vor; in manchen Momenten wie ein Ganzes. Heute will ich Lyktos suchen, Kinderstube vom großen Zeus. Neugierig trabe ich mit meinem Rappen Richtung Osten, wieder über Berge und komme nach über zwei Stunden in Kastelli, einem Fliegerhorst an, in dessen Nähe der geheimnisumwobene Ort liegen soll, wo der oberste aller griechischen Götter ausgetragen und Teile seiner Kindheit verleben durfte. Ein wenig mühselig ist es, bis ich ein verblasstes Ortsschild mit einem Hinweis darauf finde.

Nachdem ich einen staubigen Feldweg, voller Löcher, übersäht mit gewaltigen Steinen langsam durchfahre, stehe ich davor, eine kleine Kapelle, auf dem Gipfel eines Berges. Andächtig klettere ich hinauf. Überall sind alte Schriftzeichen in Steine geschlagen. Und die Steine sind alt, sehr alt, aus der sie gebaut wurde; keine Ahnung wie alt sie sein mag; sie scheint keinen Kirchlichen Hintergrund zu haben, als ich um sie herumgehe, meinen Blick in alle Himmelsrichtung schweifen lasse, trifft mich der Schlag; der ganze Berg ist umgeben von Mauern, Türmen, alten Mühlen, Räumen und prächtigen Ruinen. Ist wunderschön, ganz allein hier sein zu dürfen. Still esse ich zwei Äpfel, lausche dem Wind, höre in weiter Ferne die ein oder andere Glocke einer grasenden Ziege oder kauenden Schafe.

Ein wenig streune ich herum und finde, ein völlig unentdecktes, überwachsendes kleines Gebäude, dessen Wände und Dach eingestürzt sind. Säulen liegen darin herum. Marmorplatten liegen zersplittert daneben. Griechische Schriftzeichen sind sorgfältig in Steine geschlagen worden. Hier und da liegen Reste eines alten Tonkruges herum, vermutlich Wein, oder Olivenöl. Wieso hat das noch niemand entdeckt? Oder hat man und kann sich mangels Geldes nicht darum kümmern? Wenn ich ehrlich sein soll, gefällt mir der Gedanke daran, dass man diese Stätte so offen, frei und ungeschützt sich selbst überlässt und Schafe und Ziegen darin weiden lässt, am Ursprünglichsten, im Grunde am Schönsten.

Alte Monumente einzuzäunen und versuchen für die Unsterblichkeit zu konservieren, finde ich irgendwie widerwärtig. Man empfindet sie doch erst als historische Monumente, weil sie uralt und verfallen sind. Außerdem sind Dinge doch schon sehr resistent, wenn sie viele 1000 Jahre überleben und noch sicht.- und begehbar sind. Lyktos ist für mich einer der schönsten altgriechischen Plätze überhaupt. Nicht so, wie die Akropolis in Athen. Aber Mykene nicht unähnlich, eben nicht mehr glamourös und mächtig sondern weit über tausend Jahre älter.

Schwer beeindruckt ziehe ich von dannen, nachdem ich mit einem alten Schäfer ein paar Worte gewechselt habe und ihm zuschaue, wie er sich, von ständigen Pausen unterbrochen, den Berg hochschleppt, auf den er in jungen Jahren vermutlich genauso beschwingt emporstürmte, wie ich es vor wenigen Stunden tat. Er sieht noch recht vital aus, scheint aber über neunzig zu sein, was vermutlich auch für seinen Toyota-Pickup gilt, der übelst verbeult neben meiner Enduro steht.

Abends dann überraschendes Essen in Malia – ein alter Freund ist mit seiner Freundin in einem Touri-Hotel untergekommen. Ich freue mich riesig ihn zu sehen, jedoch ist die Umgebung für mich völlig befremdlich. Überall Deutsche. Abendbrot von 18-21:00 Uhr. Frühstück von 6-10:00. Spinnen die denn hier alle? Glücklicherweise essen wir außerhalb in einer Taverna – hier scheint es zumindest griechisch aussehendes Essen zu geben. Das Essen ist mittelmäßig. Wäre mein Griechisch besser, hätte ich es denen um die Ohren gehauen. So belasse ich es dabei, da ich merke, dass die beiden eigentlich nur ihre Ruhe, am besten alles wie in Deutschland haben wollen, nur eben mit Sonne, der Gegenentwurf, zu meinem Idealurlaub.

Dennoch aufs Höchste erfreut umarmen wir uns bei der Verabschiedung und lesen beide zwischen den Zeilen, dass wir in unterschiedlichen Welten leben, was nichts macht. Müssen ja nicht alle das Gleiche wollen. Unglaublich erleichtert fahre ich mit meinem treuen Pferd Richtung Iraklio und reite die Berge hinauf zu Damasta, um selig und in Frieden dort einzuschlummern.

Freitag – heute werde ich meinen zweiten Tag am Strand erleben und das nicht an irgendeinem, sondern in Kommos, was auch der alte Minoische Hafen von Phaistos liegt. Die Sonne strahlt wie jeden Tag üppig vom Himmel. Gemütlich schüssel ich nach einem langsamen Kaffee, mit gedipptem Keks in Richtung Lybisches Meer, ja richtig gelesen, Lybisches Meer. Kommos liegt nur 300km gegenüber von Afrika und so sind auch die Temperaturen hier.

Mit warmem Wind im Gesicht geht es die Berge hinunter, an Iraklio, ungezählten kleinen Dörfern vorbei, entlang an Phaistos, um im heißen Wüstensand zu stranden und meinem ersten Hippie und FKK-Erlebnis in die Arme zu laufen. Da das Historische Komos abgeriegelt ist, um die Ausgrabungen nicht zu gefährden, bleibt mir nur der Blick durch den Zaun, weswegen ich aber eher zum Schwimmen im Lybischen Meer komme, zum ersten Mal seit dreißig Jahren nackt! Was für ein Erlebnis. Überall liegen langhaarige Hippies, mit unermesslich viel Ruhe und Zeit. Hin und wieder geht einer schwimmen, um zehn Minuten später wieder frisch abgekühlt heraus zukommen und sich wieder in die Sonne zu legen. Für mich der schönste Strand, den ich je gesehen habe. Leer, nur mit Ortsansässigen und einer Frieden preisenden Kultur gesprenkelt.

Nach vielen Stunden mache ich mich bereit für die Abreise. Ich spüre, wie meine Zeit in Griechenland zu Ende geht, es aber nicht will, weil ich eigentlich hier bleiben, einfach so weitermachen möchte. Zwei Stunden fahre ich nachdenklich und langsam zurück nach Damasta, um mein erstes Abendessen bei Katy zu haben. Sie freut sich riesig und schimpft nochmal mit mir, wegen meinem kleinen Abflug im Juni, um mir ohne Umschweife wunderbare gegrillte Lamm-Koteletts zu bringen, zusammen mit Tsaziki und einem Krug Weißwein.

Wir plaudern ein wenig. Langsam gesellen sich neue Worte zu meinem kleinen Griechisch. Wir bekommen mehr gesprochen, als im Juni. Ein paar Farmer aus dem Dorf kommen dazu, geben mir einer nach dem anderen einen aus und lassen mir keine Möglichkeit, mich zu revangieren. Bis kurz vor Mitternacht sitzen wir, bis wir uns alle nach Hause trollen, um am nächsten Morgen wieder raus aufs weite Feld, oder durchs schöne Griechenland zu ziehen.

Samstag – mein letzter ganzer Tag in Hellas. Schwer komme ich aus dem Strudel frei, mache mir einen großen Kaffee und dippe meine Kekse. Heute will ich nach Anogia, ein Ort hoch in den Bergen, der in der Vergangenheit eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die Deutsche Besatzung spielte. Ein weiterer zwei Stunden langer Ritt hinauf in die Berge, um am Ende vor einem sehr schroff aussehenden Ort zu stehen, wo der Wind kalt bläst, bei höchstens zehn Grad. Weiter oben liegt der Minoische Ort Zomintha, den man erst 1986 entdeckt hat, weswegen ich ihn genauso eingezäunt vorfinde, wie Kommos und nichts anderes tun kann, als durch den Zahn zu schauen, um ein paar Fotos zu machen, was mir ganz entgegen kommt, da es hier wirklich arschkalt ist!

Abendessen mit Zorba und Maria, meine Hosts in Damasta. Wir feiern lang und ausgedehnt. Wein fließt in Strömen, Raki heute mal nicht. Katy und ich stoßen mit Whisky an. Es bleibt nicht bei einem, nicht nur, weil eine kleine Hochzeitsgesellschafft, bestehend aus 10 Frauen zwischen 20 und 25, uns ständig neuen hinstellt, bis ich irgendwann gegen zwei Uhr nachts am Ende meiner Geduld bin, meine Augen offen zu halten und meine letzte Nacht in Hellas antrete, fürs Erste!

Sonntag – der Tag meiner Abreise. Stumm packe ich. Trinke Kaffee, dippe Kekse, gehe rüber zu Vicky, drücke sie, belade meinen kleinen Packesel und fahre, einfach so, ohne mich umzuschauen, runter nach Iraklio, um meine kleine Enduro abzugeben, durch das Security-Gate zu gehen und nach Toulouse zu fliegen, einfach so, als wäre nichts gewesen. Doch Aegean-Airways wurde betrogen: Sie transportierten nur meinen Körper nach Frankreich. Geist und Seele sind immer noch dort, fühle ich, als ich diese Worte von meiner Griechenland-Rundfahrt 2019 tippe und hochlade…..

*das „ßß“ ist aus Protest gesetzt, für all die hässlichen Rechtschreibreformän, sowie diese blöde Audokorrekduhr, die einem die Worte mit ständig roten, oder blaun Streifen unterrmalt, um mich darauf hinzuweisen – was weiß Microsoft schon, von der Evolution von Sprachen…..!!

 

Odyssee 2019 – CW37

Ein weiterer Montag bei den Hellenen – mittlerweile schlafe ich jede Nacht mindestens sieben Stunden. Auch träumen tue ich jedes Mal – sogar sehr viel und intensiv. Ich muss mir wieder Notizen nach dem Aufwachen machen. Zu oft verschanzen sie sich in Morpheus‘ Reich – haben offensichtlich wohl keine Lust ein tristes Alltagsdasein zu fristen. Ich verstehe das.

Die wenigen Tage in Athen verpassen mir das letzte bisschen Entschleunigung, um mich wie ein Daoist zu fühlen, der nur noch im hier und jetzt ist, weder an gestern, noch an morgen denkt – nur noch sein. Wozu noch irgendetwas machen? Mehr und mehr verstehe ich Diogenes von Sinope, der ein Leben in Armut und im Jetzt wählte – angeblich in seiner sagenumwobenen Tonne.

Hemden zur Reinigung bringen? Versicherungen bezahlen, Steuererklärungen machen und Derartiges erscheinen mir geradezu absurd. Längst wasche ich nur noch mit der Hand. Verzicht bringt Erleichterung – die richtige Stimmung, um Exarchia, die alternative Hochburg Athens, das Headquarter der autonomen Szene zu besuchen – ein Viertel, groß wie ganz Altona, mit dem Spirit der Schanze vor 10 Jahren, ein atemberaubender Augenöffner.

Ich wandere von der Akropolis direkt auf’s Politechniko zu, jene Universität, in der Studenten in den sechziger Jahren gegen die Militärjunta demonstrierten und die als Vergeltung dann die Hochschule mit Panzern stürmen ließ, gar Tote in Kauf nahm! Heute ist die Uni im Dornröschen-Schlaf, von außen zugekleistert mit Graffiti, nur von innen erkennt man ihre einstige Schönheit und Reinheit. Jetzt sind nur noch Architekten und Linguisten in ihr tätig, immerhin etwas.

Ich hoffe, das Gebäude wird auf ewig von Studenten mit Leben erfüllt bleiben. Aus Pietät habe ich keine Fotos vom Innersten gemacht – aus Respekt vor dem, was hier geschah – man kann den Spirit spüren, kann fühlen, was für eine Energie in diesem Viertel steckt, wie das Polytechniko das lebende Herz Athens ist.

Andächtig schleiche ich durch die Gassen, blicke mit scheuen Augen hier und dort hin. Besuch eines ethisch-moralischen FKK-Strandes, den ich nur ungern angezogen betrete. Verwachsen, durchdrungen und verbohrt von Schönheit, Würde, übergossen von Düften, Blumen und Tavernen, kleinen Verlagen, Druckereien und Buchhändlern, durchmischt von Verfall.- Untergangs.- und Abfallgestank, liegt Exarchia mir zu Füßen, zeigt unverhohlen, was es war, was es ist, was es immer sein wird.

Politiker aller Generationen bluteten hier aus, werden auch heute, auf immer und ewig hier scheitern, wenn wir uns nicht gemeinsam weiterentwickeln und den so unumgänglichen notwendigen Dialog beginnen. Hier spüre ich den Puls aller Griechen, hier fühle ich, was es heißt so zu fühlen – wild, leidenschaftlich, voller ungebremstem Temperament, bereit jedem Tag das Maximum abzuringen, egal wo auf der Welt, ob unter der Brücke, oder eigenen vier Wänden.

Noch immer sind die Griechen die gleichen ungeschliffenen Rohdiamanten, die sie schon seit Jahrtausenden immer gewesen sind. Heute, im dritten Jahrtausend, überzogen, garniert von fremden Sprachen und politischer Piraterie und privatem Gaunertum; Andenken früherer Zeiten, als es kein geeintes Hellas, sondern nur eine wilde Anzahl stolzer Stadtstaaten gab.

Wie ein Frischgeborenes taste ich umher, wandle bis in die späten Abendstunden herum, bis erste Orks aus den dunkeln Verließen kriechen und sich in die Gassen drängen, durch die man besser nur mit Schwert oder stählernem Willen schreitet. Heute bin ich bereit dazu, den Käfig zu betreten. Ein dunkler Platz zieht mich magisch an. Düstere Gestalten hängen in gebeugter Haltung herum, sofort auf mich aufmerksam machend, langsam, wie ein Rudel Untoter an mich heranschleichend – Gesichter, wie aus düsteren Märchen.

Geschundene, ärmlich aussehende, deren Augen immer noch vom selben wahnsinnigen Feuer gespeist warden. Wir alle sind Elendige, Verdammte, Verstoßene, um ewig hier herum zu wandeln und wahlweise Paradiese oder Höllenfeuer zu erschaffen, in denen wir langsam oder blitzschnell garen, bis sich unsere Seelen aus dem Knochenmark lösen und emporsteigen, bis wir, nach kurzer Rast wieder hinabgeschickt werden, um neuen Aufgaben nachzugehen. Göttlicher Kreislauf der Ewigkeit. Irgendwann weit nach Mitternacht krabble ich in meinen Kokon, rolle mich wie ein Säugling ein und entschlummere, um den Göttern kurz hallo zu sagen.

Dienstag – Ich schieße hoch, boah war das ein krasser Traum! Wir haben erst Anfang der Woche, dabei fühlt sie sich schon so mächtig wie ein Monat an – ich rolle mich langsam aus meiner kleinen Metamorphosen-Gondel und schleiche still zum Kaffee an der Ecke. Frühstück mit Baklava und Griechischem Kaffee. Ich merke, wie ich immer stiller und andächtiger werd, wie ich schweigend das Leben anstaune, wie ich alles wissen, schmecken, spüren, umarmen und erleben möchte, wie ich im gleichem Atemzug fühle, es nicht zu schaffen, aber mich selig fühle bei der Vorstellung, es jeden Tag erneut zu versuchen. Mag es auch noch so schrill, jung und naiv klingen: Ich bin lieber ein Utopie liebender glücklicher Thor, als ein kluger und vernünftiger Realist.

Ich muss noch mal nach Exarchia, oder Anarchia, wie ich das Viertel liebevoll taufe. Solche Spots laugen mich aus mit ihrer Intensität. Genau dafür liebe ich sie. Berauschend lebendig-feminin, wahnsinnig geworden von der eigenen Virilität, den unkontrollierten Ausbrüchen, erschüttert und verwüstet von ihren Verhehrungen, ihren Feuersbrünsten, die wie flammende Schwerter durch die Gassen fuhren. Noch heute kann man die tiefen Wunden sehen und spüren, wo beide Seiten aufeinanderprallten. Noch heute wimmelt es von Polizisten und Soldaten.

Aber man kann Gedanken und deren Ideale nicht kontrollieren, geschweige besiegen; man kann nur überzeugen, oder annehmen. Umtausch, oder gar andere Lösungen haben die Götter bei der Erschaffung des Menschen nicht vorgesehen.

Abendessen an der Akropolis. Eine klassische Taverna. Sie lockt mit Musik und Tanz. Das Essen ist okay, aber kein Burner, so wie die Folklore, die mit zu viel aufgesetzter Fröhlichkeit verziert ist, die weder echt, noch ehrlich gemeint ist, dennoch funktioniert. Touristen allen Alters sind aus dem Häuschen und werden gemolken, was Euter hergeben und Milchkannen fassen.

Übersättigt, schlurfe ich um die Akropolis herum, mache halt, um den Ausblick über Athen zu genießen, eine Zigarette zu rauchen und friedlich, schweigend und still wieder in meine Wabe zu schlüpfen, bis mich Morpheus wieder auf die Erde zurücklässt.

Mittwoch – letzter Tag in Athen. Heute ist der große Tag, an dem Akropolis und ich aufeinandertreffen. Um nicht von den Ameisenarmeen der Touristen zertrampelt zu werden, muss man vor neun Uhr dort sein, andernfalls wird man Zeuge, der unaufhaltsamen Planierraupe. Glücklicherweise schaffe ich es und beginne den Anstieg, nachdem ich die knackigen zwanzig Euro gezahlt habe. Doch diese Zahl hat man vergessen, wenn man die Stufen emporsteigt und vor ihr steht, mit Nike-Tempel und all den anderen Monumenten rundherum, seien sie daneben, oder zu Füßen liegend.

Meine Güte – ich bin Sprachlos! Es ergeht mir ähnlich wie in Epidauros. Was zum Teufel machen wir nur jeden Tag auf diesem Planeten? Was tun wir mit unserem Leben? Was? Wie können wir so weitermachen? Wie konnte es zu all dem kommen, von damals bis heute, wo wir doch schon viel weiter waren. Warum schreiten wir auch heute wieder überall zurück? Als der Besucher-Tsunami heranrollt und die Welle mit voller Wucht herniederschlägt, mache ich meinen Frieden, sage den heiligen Steinen lebe Wohl und schreite andächtig herab.

Jetzt weiß ich, warum alle Gegner versuchten sie zu zerstören. Sie ist das leuchtende Herzen aller Griechen, eine Stütze, an der man sich anlehnen, sich erholen kann, um auszuruhen, um zu verschnaufen, neue Kraft schöpfen und vom Glück zehren zu können, sie wahrhaftig vor sich zu haben, mit ihr zu leben, sie bei sich zu tragen, mag man auch fern der Heimat sein.

Am Nachmittag machen wir Pick-Nick in einem schönen Park – Filia und Elektra haben Wein und Essen vorbereitet – ich bin überwältigt, wie viel und gerne sie geben, wie liebevoll Griechen mit mir sind. Wir reden den ganzen Nachmittag über Literatur, Philosophie, Freiheit, Demokratie und Krieg und Frieden. Auch schlagen wir erste Pflöcke ein, um über die konkreten Möglichkeiten meiner Bücher und deren Übersetzung vorzubereiten.

Nach ein paar Stunden lösen wir die angenehme Dreisamkeit auf, die wir jedoch, nach Siesta, am Abend fortsetzen. Auch der Abend wird herrlich. Wir bleiben bei Filia zuhause. Käse und Wein leisten uns Gesellschafft, sowie spannende Themen aus Vergangenheit und Gegenwart. Gegen drei Uhr nachts sind meine Worte verbraucht. Still rolle ich mich ein und murmle ein paar unverständliche Worte, bis ich hinfortsegle.

Donnerstag – Zeit Sachen zu packen und aufzubrechen. Ich verabschiede mich von Filia und Elektra. Ein letztes Mal fahre ich durch Athen, den südeuropäischen Schmelztiegel. Am Nachmittag lande ich pünktlich in Heraklion. Mein neues Moped übernehmend, wähle ich den Weg Richtung Chania, Ziel Douliana, ein kleines archaisches Bergdorf, in dem man kaum Englisch spricht und noch weniger von den großen Firmen Europas gehört hat, sowie wenig von den Problemen der Großstädte weiß.

Sokratia, mein neuer Host zeigt mir mein kleines Steinhaus, dessen Kühlschrank mit hausemachtem Wein und Raki gefüllt ist. Ich wandere ein wenig in diesem Kleinod umher, um gegen Abend in einer kleinen Taverna zu landen, wo ich Tsatsiki, gegrillte Lamm-Rippchen, herrlicher Musik und einen ausgezeichneten Hauswein bekomme, der mit einer mir unbekannten Fruchtigkeit und Lebendigkeit aufwartet. Perikles führt es mit seiner Frau und ihren drei Töchtern.

Nach dem ich ein kleines Fläschchen Raki zum Abschluss getrunken und viele Gedanken genossen habe, gleite ich zurück in mein neues Refugium und freue mich auf den kommenden Tag. Morgen werde ich die Gegend in Richtung Chania erkunden, sind meine letzten Gedanken, bevor ich einschlafe.

Freitag – mein erster voller Tag auf dieser besonderen Insel. Ich habe eine BMW G310 als Muli bekommen und knattere fröhlich los. Vorbei an unendlichen Olivenhainen, übersät mit Kaktusfeigen und Blumen kurve ich die engen Kehren hinab in Richtung Wasser. Dort angelangt fahre ich an der tosenden Brandung vorbei und krieche Schritt für Schritt Richtung venezianischem Hafen. Chania ist eine Perle. Uralt und durchmengt von quirligen Menschen und Mofas ist für mich schnell klar, dass diese Stadt zusammen mit Nafplio zu den vermutlich schönsten Orten Griechenlands zählt.

Doch die gewaltigen Touristen-Ströme haben nach wie vor eine abschreckende Wirkung auf mich. Mein großes Dilemma. Ich weiß, dass ohne sie das ganze Land recht schlecht aussieht. Zu wenige Alternativen hat man, weswegen man darauf angewiesen ist. Ich meine bei allen eine Art Wut auf diese stillschweigend akzeptierte Abhängigkeit zu fühlen, wie ein Kranker, der auf die Schwester angewiesen ist und hofft, auch wenn er sie mag, bald ohne sie leben zu können. Hierbei bedarf es vermutlich Phantasie und Hilfe. Man wird sehen. Für mich ist heute genug.

Gemütlich lenke ich meinen Gaul zurück, Richtung Douliana. Kurz davor fahre ich nach Vamos, um dort Geld und ein paar lebensnotwendige Dinge zu kaufen, wie Milch, Tabak und Sonnencreme. Letzteres ist existenziell, da man hier sonst schnell kross gebraten wird. Im kleinen Mini-Markt von Vamos begegne ich einem wilden Gesicht. Ein Kreter, unbestimmten Alters. Er könnte 70 oder elendige 45, so mein Alter sein.

Faltig, verbraucht, müde, mit zerzausten Haaren, reichlich trinkenden Augen, die immer noch voll von Wahnsinn blitzen. Abgemagert, wie der Erlöser selbst, ein Knochengerüst überzogen mit Haut, einem schmutzigen T-Shirt und einer dreckigen Jeans. Sekunden denke ich darüber nach, ein Foto zu machen. Schon lange will ich eine Foto-Reihe von markerschütternden Gesichtern und Menschen machen. Doch ich verwerfe, wie früher, diesen Gedanken.

Nachdem ich eine kurze Siesta gehalten habe, wird mein abendliches Essen bei Giannis und Familie genauso schön wie das Vorige. Heute gibt es Schwein. Köstlich angerichtet, mit Rotwein diesmal und Oliven dazu, lasse ich es mir gutgehen. Gegen Mitternacht merke ich, wie mir die Augen zufallen. Mittlerweile bin ich gefühlt seit mehr als sechs Monaten unterwegs. Ich komme an meine Grenzen. Wäre das Schreiben nicht, würde ich vermutlich ausflippen.

Sowieso stele ich mir immer mehr existenzielle Fragen. Wie will ich weiterleben? Und vor allen Dingen, wo? Natürlich sind meine Freunde wichtig. Man kann sich nicht beliebig oft umtopfen und darauf hoffen, dass es so weitergeht. Manchmal gibt es Veränderungen im Leben, die man nicht vorhersehen kann. Doch zuallererst muss man sich selber klar sein was man will. Schon länger fühle ich mich wie ein Vogel, der umherfliegt, hier oder dort landet, sich umschaut und weiterfliegt.

Geht es ewig so weiter? Bin ich nicht mehr gemacht für‘s Sesshaftsein? Ist das meine Bestimmung? Kommt jetzt die große Bewegung, Unruhe und Rastlosigkeit? Wie bringe ich alles unter einen Hut? Und wie soll er aussehen? Wir Menschen sind Sozialtiere, wir brauchen Austausch und Kontakte mit unserer Art. Man läuft sonst zu schnell Gefahr, zu verkauzen, wenn man nicht offen und beweglich bleibt. Doch wieviel Bewegung ist gesund? Wieviel Rituale brauche ich selbst?

Eine meiner zentralen Fragen, an deren Beantwortung ich seit Jahren arbeite. Ein Optimum habe ich noch nicht gefunden. Vielleicht gibt es das auch nicht. Und dann sind da noch meine Bücher. Ich muss Ende des Jahres Horus abliefern. Langsam wird es knapp. Zu mächtig sind die Eindrücke in diesem schönen Land. Mehr und mehr spüre ich, dass ich ein paar Entscheidungen treffen muss. Mit diesem wilden Knäuel Gedanken segle ich in stürmische Träume davon und brause in die tosende Nacht.

Samstag – spät erwache ich. Nur schwer kann ich mich aus dem Strudel des Traums befreien, verpasse es jedoch, mir ein paar Notizen zu machen. Mist! Ich mache mir einen großen Kaffee und esse vom Kuchen, den mir Sokrata als Willkommens-Geschenk überreicht hat. Heute will ich mehr hinter die Kulissen schauen. Touristenattraktionen interessieren mich nicht. Ich will das Pure.

Euphorisch schwinge ich mich auf mein Pferd und reite die sanften Hügel hinab. Nachdem ich am Hafen von Souda vorbeigefahren bin, den beachtlich großen Navy-Sperrbereich bestaune, der mehr als den halben Ort einnimmt, biege ich in Richtung Flughafen ab und folge meiner Nase, die mich tiefer und tiefer in die tiefste Wildnis führt. Irgendwann endet der Asphalt. Kleine Sandwege und umliegende Olivenbäume rücken enger und enger zusammen.

Die Wege sehen aus, als wenn hier seit Jahrzehnten niemand mehr vorbeigesehen hat. Ein beklemmendes Gefühl überkommt mich, ähnlich wie vor Kaiadas, dem Höllenschlund der Spartaner. Ich schaue mich um, wende und fahre wieder raus aus dem Dickicht. Ein paar Stunden kurve ich noch umher, ich liebe es, die Nase im Wind zu haben und ihr blind zu folgen und nur dann abzubiegen, wenn ihr danach ist.

Gegend acht Uhr abends komme ich heim. Kurze Dusche, dann Abendessen bei Giannis. Heute nehme ich Souflaki, was ebenfalls sehrgut ist, nicht nur wegen dem Weißwein, den ich dazu habe. Ein paar Raki runden den Abend ab. Ich merke, dass meine Fässer wieder gelehrt werden müssen. Zuviel schwirrt mir im Kopf herum.

Bleibt zu hoffen, dass ich bald an Horus schreiben kann. Muss dafür disziplinierter und regelmäßiger schreiben. Spätestens wenn ich aus Griechenland weg bin. Aber was, wenn ich bleibe? Was, wenn ich hier sesshaft werde? Muss einen Weg finden, hier regelmäßig zu schreiben und schlafe mit diesen Gedanken zufrieden ein.

Sonntag – Schreibtag. Nach langem Schlaf setze ich mich mit Kaffee und Gebäck hin und starte die Schreibmaschine. Plötzlich klopft es an der Tür. Sokrata steht mit dampfendem Mittagessen und frisch gebackenen Keksen vor mir. Überwältigt schlucke ich schwer und ringe um Worte.

Immer wenn ich mal was brauche, stehen Griechen vor meiner Tür. Es ist herzergreifend. Vor Rührung bekomme ich feuchte Augen. Das Essen ist fantastisch, die Kekse auch. Eine Verdauungszigarette mit dem ersten Glas Wein des Tages macht die Pause erfrischend & rührend.

Frisch gestärkt springe ich wieder zurück ins Wörter-Meer. Mit kräftigen Zügen schwimme ich raus in die offene See, immer weiter und weiter. Eine schöne Vorstellung darin unterzugehen, denke ich und fange an den Text zu korrigieren und ihn hochzuladen. Zum Wohl!

 

Odyssee 2019 – CW36

Montagvormittag – Peleponnes, Kalamata, Mantineia, die wilden Dörfer auf dem Halbinsel-Finger und Leonidas, mit seinem Höllenloch haben meine Fässer reichlich vollgemacht. Besonders der kriegerische König, mit seinem Stolz und unbändigem Freiheitswillen. Es fing damit an, dass ich von Sonntag.- auf Montagnacht ziemlich schräg geträumt hatte. Natürlich ging es ums Kämpfen, Nichtaufgeben und Durchhalten und so. Ich war ziemlich beeindruckt, wie locker ich da mitmachen konnte. Wenn man die richtige Technik drauf hat, den Schwung der schweren Klinge nutzt und den Schild mit der Linken stramm am Körper hält, kann man ziemlich lange kämpfen. Testosteron, Freiheit oder Tod. Für kämpferische Männer ist das Leben im Grunde einfach. Freund, oder Feind. That’s all folks, anything else?

Irgendwann rappelte ich mich auf. Auch Krieger brauchen eine Tasse starken Kaffee um wach zu werden. Ich war immer noch heiser von der ewigen Rumbrüllerei. Im Nahkampf ist es wichtig, dass man die gegnerische Motivation und all ihren Enthusiasmus möglichst im Keim erstickt. Brüllen macht laut Leonidas über zwanzig Prozent des Sieges aus, besonders wenn der König ständig vorauseilt und aus Leibeskräften schreit und seine Soldaten mitreißt.

Heute funktioniert das auf dem Schlechtfeld nicht mehr. Nicht nur, dass die modernen Könige ganz locker vom Wohnzimmer aus Twittern und nur hin und wieder in ihrem Büro ein langweiliges Stück Papier unterzeichnen, sie haben heutzutage noch dazu so viele Verantwortliche in ihrem Staat, dass für sie selbst kaum Arbeit und Verantwortung übrig bleibt.

Und Helden gibt es längst nicht mehr, eher das Gegenteil. Auch im modernen Nahkampf ist heute alles anders. Aus meiner Sicht verdient er nicht mal mehr den Namen, denn man kommt kaum dichter als zehn Meter an den Gegner ran. Irgendeiner wird als erster abdrücken und ein Loch in einen Wanst ballern. Vielleicht hat man Glück und man schleppt dich ins Lazarett, wo sie dir das Loch wieder zunähen, wie bei einer ollen Socke.

Aber früher, da musstest du dem Perser, Angesicht zu Angesicht, irgendetwas abhacken. Man konnte das nicht in der Gruppe diskutieren, weil der arme Perser ne böse Kindheit hatte. Als Spartiate nahm man sich Recht, ihm den Hals abzuschlagen, oder seinen Bauch aufzuschlitzen. Umgekehrt galt das natürlich auch.

Na jedenfalls, sind Leonidas und ich uns einig geworden, zusammen ein Buch über seinen Nachfolger zu schreiben, der sein Königreich Sparta weniger laut und kriegerisch zu führen versucht. Schauen wir mal, ob uns das gelingt – und vor Allem, ob Griechen so ein Buch heutzutage spannend finden.

Dies alles und noch mehr, schwirrte mir am Montagmorgen im Kopf herum, weswegen ich beschloss, nichts zu machen, außer den Horizont zu beobachten, ob er sich eventuell von alleine erweiterte. Weißwein war hier die perfekt Begleitung zur Overtüre, bevor es ans Eingemachte, und somit zu Rosé und später zu Rotwein überging. Nachdem die Dunkelheit schon ein paar Stunden fertig vor sich hindämmerte, kroch ich in mein Bett, rollte mich ein und segelte davon.

Dienstag – im Yurt schlafe ich gut und lange. Über eine Stunde döste ich vor mich hin, bevor ich mich um halb elf aus dem Bett schälte und zum Frühstück ging, dass selbst in Kleinstform noch so reichlich blieb, dass ich den ganzen Tag davon hatte. Mein Kopf blieb immer noch mit viel Zeugs beschäftigt. Ich entschloss mich zu schreiben, um Platz für Neues zu schaffen. Den ganzen Tag lief es plätschernd vor sich hin. Seite um Seite füllte sich wie von alleine. Für den Abend hatte ich eine Dinner-Einladung von Freunden erhalten, die sich in Kopanaki aufhielten.

Gemütlich mäanderte der Tag vor sich hin. Ich machte zwei kleine Pausen, sonst nichts außer Schreiben. Das Dinner war für halb zehn angesetzt. Um sieben packte ich meine Schreibutensilien ein, duschte ausgiebig, fuhr mein Motorrad tanken und knatterte Richtung Kalamata. Von da ging es weiter. Eine Stunde später sitze ich bei Zipouro und Speisekarte in einem kleinen Dorf, westlich von Kopanaki. Drei griechische Ladies, zum Bersten gefüllt mit Energie und Temperament, zeigen mir schnell, wer heute die Unterhaltungen anführt.

Auch sonst, geht es ziemlich schnell zur Sache. Wir lassen kaum ein Thema aus und bestellen zwischendurch Wein, Wasser und Futter. Als der Kellner das dritte Mal Platten abstellt, frage ich mich, wer das alles essen soll. Hätten sie die Hälfte gemacht, wäre es immer noch zu viel – aber so? Alles schmeckt ganz köstlich, keine Frage, aber diese Berge sollten wir uns einpacken lassen. Irgendwann nach Mitternacht machen wir genau das: Einpacken, zahlen und vom Fresskoma erschlagen nachhause rollen. Für mich heißt das, noch mal eine Stunde auf meinen Blechgaul springen und in die Berge von Kalamata reiten. Gegen drei liege ich im Bett, alle Reservoirs sind übergelaufen, inklusive Magen. Schnell gleite ich hinweg in einen traumlosen Schlaf.

Mittwoch – Mein letzter Tag auf dem Peleponnes. Es wird Zeit, dass ich Kalamata besichtige. Nach einem etwas kompakten Frühstück sattle ich den Gaul und reite Richtung Großstadt. Ich fahre ein wenig im alten Stadtzentrum herum, sehe mir den Hafen an und stelle zwanzig Minuten später den Zweizylinder ab. Stramme 35 Grad wabern um mich herum. Geschwind steige ich aus meinen Mopedklamotten und entere die Altstadt in sommerlichen Shorts & T-Shirt.

Mein Ziel, die kleine Apostelkirche im Herzen der Stadt. Hier begann die griechische Revolution am 23.März 1821. Und wenn man vor dieser kleinen Kirche steht, passiert etwas. Sie ist klein, grau, uralt und völlig frei von Prunk – genau das macht sie für mich, zu einer beeindruckenden Kirche. Sicherlich es gibt gewaltigere, riesenhafte, glamouröse und markerschütternd mächtige Kirchengebäude – aber genau das, ihre Bescheidenheit, ihre geringe Größe, machen sie viel einladender, viel stärker und gleichzeitig wärmer, als alle anderen.

Größe, Grandiosität, Ruhm, Glorie und Glanz – Konservierungsstoffe der Vergangenheit. Futter für Egoismus und menschliche Eitelkeit. Schon immer stießen mich diese Dinge ab. Schreitet man zur Tat, bricht man auf zu neuen Ufern, hilft einem Konformismus und Treue zum Status Quo nicht – im Gegenteil, dann muss man bereit sein, Risiken einzugehen und alles aufs Spiel zu setzen. Dann kann eine kleine Kirche, zum Mittelpunkt der Erde werden.

Schon immer waren es Träumer und Utopisten, die unsere Welt aus den Angeln heben – nicht die braven und automatischen militärisch-handelnden Knastschließer, Gesetzesvertreter, Richter, Gauleiter, Blockwarte, Meister.- und Ehrenbürger, die wie kleine, täglich-aufgezogene Spielzeuguhren die existierende Maschine am Laufen halten, mag der Gang eben dieser eher einem Stolpern und Taumeln ähneln, um wie reifes Fallobst vom Baum der Geschichte zu fallen, um endlich Neuem zu weichen. Ich fühlte mich in der Nähe der alten Kirche sehr wohl. Ganz Kalamata hat eine angenehme Ausstrahlung.

Der alte Bahnhof, im Zentrum der Stadt ist zum Museum umfunktioniert worden. Man ließ die alten Dampflokomotiven einfach stehen. Ein abschließender Besuch am Hafen, mit köstlichen Gyros ließ mich schnell zur Meinung kommen, hier könnte man wunderbar leben. Mit reichlich Wein und gemeinsamem  Abendessen mit der Eigentümerfamilie, wurde mein letzter Abend niedergesungen. Zufrieden darüber, ein erstes Gefühl für die Griechen und ihr Land bekommen zu haben, schlief ich glücklich ein.

Donnerstag – wach werden, frühstücken, Sachen packen, Moped tanken und aufbrechen, Richtung Athen, Hauptstadt aller Griechen. Mollige Temperaturen begleiteten mich bei meiner Fahrt, um die Gebeine der Peleponnes-Berge herum. Große Namen rauschten an mir vorbei. Tripoli, Olympia, Nafplio, Argos, Mykene, Nemea – ein Donnerwetter von geschichtlichen Größen, abgerundet, durch den Kanal von Korinth, der so tief ist, dass ich beim Hineinsehen fast vergessen hätte der Autobahn zu folgen. Mein Gott ist das ein Crazy-Bauwerk! Eine Tank und Beinpause ließ mir etwas Zeit, mich auf Athen vorzubereiten. Ehrlich gesagt gibt es zu Piräus, dem Industriehafen und Erdöl.- / Benzinumschlagplatz wenig zu sagen, außer, dass er groß und ziemlich nüchtern gehalten ist, was meiner Vorfreude auf Athen in keiner Weise beeinträchtigen sollte.

Stetig näherte ich mich der großen alten Dame an. Nachdem ich um ein paar Bergnasen herumfuhr, lag sie plötzlich da. Einfach so, inmitten ihrer permanenten Wehen, ihrem ganz normalen Sommerfieber. Und mittendrin, stolz, alles überragend, die Akropolis, mit dem weltberühmten Pantheon und all den anderen monumentalen Bauten.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, verwandelte sich die Autobahn in eine Stadtrennbahn, die stetig breiter und breiter wurde. Fahrzeuge wuselten wild umher. Menschen rannten über Straßen. Schwärme von Scootern, Mopeds und Mofas rieselten durch die vor den Ampeln wartenden Autos hindurch. Außer mir war niemand mit Helm unterwegs, geschweige Handschuhe und Sicherheitsklamotten, dafür aber mit Sonnenbrillen, Flipflops und Shorts bewaffnet. Eine Stadt im Dauerfieber.

Keine Ahnung, wie oft ich anhielt, um mich zu orientieren. Keinen blassen Schimmer, wie oft ich mich verfuhr, oder mich im Kreis drehte, völlig verwirrt, von dem Gewusel, den Straßenführungen, die es vermutlich nur so ähnlich in Asiatischen Großstädten wie z.Bsp.Hanoi gibt. Ich kam mir vor, wie in einem Brummkreisel, oder einem Hurrikan. Entweder rettest du dich, indem du ganz schnell rausrennst, oder fährst und dich am äußersten Rand festklammerst, um ja nicht wieder hineingezogen zu werden – oder du springst direkt rein ins Auge des Sturms, hinein ins unbekannte Abenteuer. Dreimal dürft ihr raten, genau – Letzteres.

5 Millionen wahnsinnige Zigeuner auf knatternden Zwiebacksägen, die klingen, als könnten sie Roggenbrot schneiden. Und dann dazu die Wärme! Wenn man sich der Stadt nähert, ist das, wie wenn man stückweise in ein heißes Bad aus flüssiger Energie und Licht getunkt wird. Langsam aber sicher köchelst du im eigenen Saft, ohne zu wissen, wohin dich das führt und was mit dir geschieht. Geräusche, Gerüche, Bilder, Filme – dein ganzer Körper fängt an vor Reizüberflutung zu summen.

Ich hatte ein Zimmer bei einer Lady gebucht. Im Inserat sprach sie davon, dass es still ist, obwohl man direkt zu den Füßen der Akropolis wohnt. Ich war gespannt. Doch erst einmal musste ich das gelobte Land finden. Ein Wust von glatten Einbahnstraßen, mit und ohne Löcher ließen mich irgendwann Lächeln und durstig werden. Nach jeder Biegung hielt ich, um mich zu vergewissern, wo ich wirklich war. Mein Smartphone war längst genauso besoffen wie ich. Und ständig brettern dir diese Mopeds um die Ohren!

Irgendwann schien ich mich in das richtige Nadelöhr eingefädelt zu haben. Und dann ging alles ganz schnell. Plötzlich stand ich vor meiner neuen Unterkunft. Stilvoll, ein schönes Jugendstil-Stadthaus, mit Olivenbäumen davor. Nur eine Klingel. Wie einfach. Ich drückte die Glocke. Jemand öffnet, Filia steht vor mir. Vielleicht Ende Fünfzig, sehr geschmackvoll angezogen. Sie bittet mich rein. Wow, was für ein schöner Innenhof. Überall ranken sich Weine und stehen Oliven herum. Ein Kleinod, mitten im Stadtzentrum und von außen überhaupt nicht ersichtlich, einfach toll.

Wir verstehen uns sofort. Mein Zimmer ist wunderschön. Sogar mit eigenem Bad und WC ausgestattet – die Götter meinen es gut mit mir. Ich ziehe mich um, bekomme ein paar Zipouro’s als Willkommens-Schnaps gereicht und taumle leicht angetüdelt ins wuselige Leben. Noch nie habe ich so viele Gaukler, Künstler, Händler, Ganoven und Verzweifelte auf einem Haufen gesehen.

Jeder wirft sich dem anderen zum Fraß vor. Touristen werden grundsätzlich von allen gefressen. Es ist eher ein Fleddern. Schön ist, dass es schnell geht, dass der Geschundene es nicht merkt. Er lächelt dabei glücklich in schwarz-glänzende Zigeuner-Augen und ist stolz von solch glühenden Kohlen, mit so einer Vergangenheit bestohlen zu werden, vor der sich die ganze Welt verneigen muss.

Irgendwann finde ich ein Restaurant, das noch nicht zu sehr touristisch pervertiert ist und angemessene Preise, für gutes Essen bereithält. Mein Erster Kalamar auf grichische Art – ein Wahnsinn, dazu ein rot-eloxiertes Halbliter-Töpfchen Weißwein, dazu Wasser – fertig ist der gelungene erste Athener Abend. Völlig überwältigt und müde wie ein Zyklop stolpere ich zurück in mein schönes kleines Stadtparadies, wo ein Bett auf mich wartet.

Die knatternden Mopeds vom offenen Fenster höre ich irgendwann genauso wenig, wie die anschlagenden Alarmanlagen, von heißgesessenen Autos, denen die Hitze mehr zusetzt, als Menschen. Reifen geht die Luft aus – Lack verliert jeglichen Gganz nach kurzer Zeit, ganz ähnlich wie mir, der sich fast auf allen Vieren ins Bett rettet, eine letzte Rettungsboje setzt und in einen bleiernen Schlaf hinweggleitet.

Freitag – erster voller Tag im Griechen-Mekka. Mit Wanderschuhen bewehrt stapfe ich nach einem kleinen Frühstück in einem benachbarten Café los. Erstmal beim Hadriantor vorbeischauen. Wow! Typisch Römer. Direkt dahinter das Olypieum, auf dem großen Gelände eines Zeus-Heiligtums. Wie riesig der gewesen sein muss. Seine bestehenden Säulen sind über 10 Meter hoch. Wirkt besonders beeindruckend, wenn man die Akropolis im Hintergrund sieht.

Die Stadt ist voll von Geschichte. Unter jedem bisschen Sand kann ein weiteres Wunder liegen. Beeindruckend ist auch die Sonne, die mir mit ca 40 Grad auf den Helm glüht. Zum Glück habe ich Wasser dabei und wandere weiter Richtung Olympiastadium, genauer gesagt, zu jenem Platz, wo die ersten Spiele der Neuzeit stattfanden. Als ich davor stehe stockt mir der Atem.

Es ist riesig, geformt wie die alten Stadien der Leichtatheleten von früher, also 30m breit und über 200 lang – so konnten die Zuschauer näher am Geschehen sein. Heute ist das natürlich alles aus Sicherheitsgründen verboten, weswegen man dies Schmuckstück nicht mehr für den Sport, sondern für Konzerte nutzt – was ein Jammer.

Es ist ganz aus Marmor gemacht, weswegen man es Kali-Marmoro nennt – also „Schöner Marmor“ – und das ist es wahrhaftig. Jetzt weiß ich auch, wo Albwert Speer das Design für sein Deutsches Stadion in Nürnberg klaute, oder sagen wir mal höflicherweise, angelehnt hat. Bestimmt 2h sitze ich als alter Leichtathlet darin und wandere ein bisschen umher und atme die alten Sportgeschichten ein, die hier geschrieben wurden. Irgendwann laufe ich langsam zurück und nehme einen kleinen griechischen Salat zu mir, dazu Weißwein.

Anschließend nehme ich mir eine Auszeit – Siesta-Time. Hitze, Sonne, Lauferei und Eindrücke plätten mich. Ich schlafe über 2h. Nachdem ich mich neu formatiert habe. Geht es gegen 20 Uhr wieder raus in die wilde Stadt. Ich stapfe durch die Touristen-Massen. Rosen werden mir angeboten; ich lehne ab, die Junge Lady will mir eine schenken, will wissen, wo ich herkomme – ich bedanke mich noch einmal und gehe weiter. Alte Frauen betteln hier und da. Kleine Mädchen, höchstens 8-12 Jahre spielen mit Harmonicas, mit Hüten davor.

Finde das ziemlich krass, muss ich sagen. Man muss hier höllisch aufpassen, in den richtigen Laden zu gehen. Wenn du falsch wählst, zahlst du den doppelten Preis, bei schlechter Qualität. Für viele Touristen ist es jedoch gut genug, weswegen sie mit hochroten Köpfen unter ihren Ventilator-Gekühlten Sonnenschirmen sitzen und sich ihre Bierkrüge an den durstigen Hals hängen.

Ich werde fündig. Kein Touriladen, dafür viele Einheimische, noch dazu tolles Essen und gute Weine. Hier gehe ich bestimmt wieder hin. Ich bestelle gegrillte Sardinen und Lamm. Glückselig knuspere ich mich in die Nacht, schenke kräftig nach, wie es sich für echte Griechen gehört und schlurfe weit nach Mitternacht zufrieden in meine schöne Oase. Leise lösche ich das Licht und schlummere hinfort.

Samstag – zweiter Tag unter den Augen von Göttin Athena. Wieder Frühstück im Café nebenan. Omelett und griechischer Kaffee und los geht’s westlich der Akropolis. Wieder Tempel, Musen-Monumente, Römische Stoa, Tempel des Hephaistos, Gott der Handwerker, Schmiede und Künstler. Schön erhalten. Siehtaus wie das Parthenon, nur kleiner. Ein antiker Marktplatz, Agora genannt. Alte Kirchen. Hadrians Bücherei, die von der Fläche so groß ist, wie ein großer Lidl-Supermarkt. Ein Turm der Winde – aber am wichtigsten für mich, das Gefängnis meines Freundes Sokrates!

Man hat es in den Berg geschlagen. Hier hat er der Dinge geharrt, bis er stolz und mit Würde das Urteil anerkannte und den Schierlingsbecher trank. Wohin man auch sieht: Die Großen und Bahnbrechenden fristen zu Lebzeiten immer ein karges und hartes Dasein. Zu blind und arrogant ist das Establishment – blind und Machtversessen – hört das denn nie auf? Ich mache Fotos, bis mein Smartphone ausgeht. Der Blick über Athen ist atemberaubend. Diese Mischung aus uralter Kultur, vermischt mit modernen urbanen Leben ist berauschend.

Hoffen wir mal, dass die Rechten hier nicht zu lange an der Macht bleiben, die man erst vor wenigen Wochen wählte – ausgerechnet hier, wo man die Demokratie erfunden hat. Ich verstehe die Menschen nicht mehr, denke ich mir und kehre in einer Taverna ein. Hier wähle ich mein erstes falsches Gericht – Chefsalat. Darf man nie machen. Man muss immer den griechischen Standardsalat nehmen, weil der überall gleichgut gemacht wird. Nunja, gehört dazu.

Nach 5h umherwandern falle ich mit vollem Magen ins Bett – Siesta-Time. Ich schlafe 3h und komme erst um 21:00 hoch. Filia hat eine Freundin zu Besuch. Die zwei laden mich ein dazuzukommen. Es wird ein netter Abend, da die Freundin Übersetzerin für Literatur ist. Schnell kommen wir beim leckeren Dinner ins Gespräch. Wir reden zu dritt über Götter und die Welt. Beide wollen mir helfen, meine Bücher ins Griechische zu übersetzen, was sagt man dazu?

Gegen 1:00 machen wir einen Spaziergang Richtung Akropolis. Wir diskutieren weiter. Sie erklären mir, dass man jetzt mehr Polizei sieht. Die Konservativen und Rechten wollen immer mehr Sicherheit schaffen – nur für wen? Und wer fragt danach? Schrittweise legt man so Städte trocken. In Toulouse sind sie auch dabei. Und jetzt sogar Athen. Irgendwie macht mich das ein wenig niedergeschlagen, wenn sogar die Griechen unter dem gleichen Scheiß leiden – zum Kotzen! Mit grimmigen Gedanken bin ich um drei Uhr im Bett und schlafe sofort ein.

Sonntag – heute ist Waschtag und Hausarbeit angesagt, auch weil ich mein Frühstück sehr spät einnehme und es erst gegen halb vier, mit einem Glas Wein versteht sich, beendet habe. Wenn man nur mit Rucksack reist, so wie ich, muss man einmal die Woche seine Klamotten waschen. Bei Filia kann ich alles mitbenutzen, wie z.Bsp. ihre Waschmaschine. Auch muss ich eine Unterkunft für Kreta buchen und meine französische Steuererklärung für 2018 abgeben. Und natürlich, dass ist das Allerwichtigste, muss ich schreiben.

Während die zwei Maschinen laufen mache ich mich ans Werk und tippe wie verrückt drauflos. Zu viel ist in meinem Kopf. Zu viel, dass endlich raus muss. Gegen zwanzig Uhr mache ich eine Pause und gehe Essen. Ich finde eine kleine Taverna, die hauptsächlich griechische Gäste hat. Allerding merke ich, dass die Saison sich dem Ende naht. Alle Kellner und Servicekräfte sind müde und haben selten die Muße, einem Kerl zu helfen, der ihre Sprache lernen will – schade. Ein paar machen mit, aber man sieht ihnen die Müdigkeit an.

Ich habe gefüllte Paprikas, ein Klassiker, dazu Retzina – was will man mehr? Gegen zehn mache ich mich auf den Heimweg, um diesen Text fertigzumachen. Ich gehe zum Kühlschrank, schenke mir ein kleines Glas ein und lade den Text hoch. Es ist vollbracht – Prost!