Delphi setzte mir zu … all die Touristen, die nach Sonnencreme, Giorgio Armani und Chanel No.5 riechen … mit ihren Smartphones die Welt digitalisieren … sich von ChatGPT Gratulationskarten für Geburtstage und Hochzeiten schreiben lassen …
Bin vielleicht altmodisch …
Oder schleichend, über die Jahre, ein wenig depressiv geworden … am nächsten Morgen breche ich meine Zelte ab, ich verlasse Homer … mein nächstes Ziel heißt Mesolonghi … Heimat der hellenischen Revolution, heilige Stadt darf sie sich nennen …
imposant, wie ich finde …
Also rauf auf meinen schwarzen Drahtesel und los geht’s … mein Maultier und ich fahren am antiken Krissa vorbei, meiner kleinen BMW wohnt zwar keine tierische Lebendigkeit inne, aber ich gebe ihr leichten Herzens den Namen Platero …
Wir reiten runter zum Wasser …
Zum Golf von Itea … es ist warm, die Sonne scheint, bestimmt 30 Grad … einfach herrlich, wir traben gemütlich mit 50km/h Richtung Westen, schlängeln uns an der Küste entlang … LKW’s, Auto’s und Busse …
alle lass ich vorbei …
habe keine Lust zu hetzen … außerdem werden mir die Helden von Mesolonghi nicht wegrennen … drei Stunden knattern wir am Wasser entlang, ständig an dicht bewachsenen Bergen vorbei … gegen 14 Uhr erreichen wir die Lagunen-Stadt …
Krampfadern gleich ist sie durchzogen von Kanälen …
umgeben von Sumpflandschaft und Schilf … hab Geruch von Seetang in der Nase … merkwürdig still der Ort … vielleicht liegt‘s an der Zeit, sitzen wahrscheinlich alle am Napf … endlich finde ich das grüne Haus … Konstantinos könnte den Paten spielen …
Spricht nur griechisch …
Braun gebrannt … mit einem vollbärtigen Sekretär … vielleicht 40 … sein Haus ist immer offen, nie schließt man hier ab, erklärt er mir … er zeigt mir mein Zimmer … alles vom Feinsten, Jalousien, Bad, Küche, Bett, alles drin was man zum Leben braucht …
reicht mir die Schlüssel …
sowie einen Teller griechischen Salat … und empfiehlt sich … meine Tür zum Zimmer ist schwer wie von Fort Knox, ebenso der Schlüssel dazu, mit seinen 1000 Schließmechanismen … sein Haus glänzt in Grüntönen … Konstantinos strahlt Macht und Erhabenheit aus …
Vielleicht war er früher Politiker …
Oder hat sein Glück im Geschäftemachen gefunden, was auch immer das heißt … sein Sekretär entpuppt sich als Sohn, der mit Frau und Töchtern im Haus wohnt … ich spring in Shorts, Leinenhemd und mache mich auf die Suche …
Des Ortes Schambein …
Schnell begreift man, Mesolonghi ist nicht Athen … alles ist klein und kompakt, ein wenig provinziell, dafür sympathisch und völlig unaufgeregt, kein Vergleich zur pulsierenden Megacity an der Ägäis … nach wenigen Minuten bin ich im Zentrum …
Was für ein Chaos, herrlich …
Staunend bleibe ich an der Kreuzung stehen, an allen Ecken Coffee-Shops … alt und jung knattern mit ihren Scootern rum … alle in Flipflops, Shorts, T-Shirts und Sonnenbrillen und natürlich ohne Helm und Handschuhe …
Ich enter eines der Café’s …
Bestelle einen Espresso freddo, mettrio sacharie … Busse kommen und gehen, zischend öffnen ihre Türen … Ampeln such ich vergeblich … ich lehne mich an einen Stützpfeiler, während ein mächtig dicker Mann um die sechzig auf mich einredet …
Mit Armen und Beinen gestikuliert …
Wir lachen und nicken einander an … keine Ahnung was er sagt, aber wir verstehen uns blendend … wahrscheinlich hat er Mitleid mit einem armen Barbaren … zwei Frauen setzen sich zu uns in den Schatten, auf mitgebrachte Klappstühle …
Ich bestelle einen zweiten Espresso freddo …
Latsche damit gemütlich zurück, klemme den Pappbecher zwischen die Armaturen von Platero und springe, so wie ich bin, im Greek-Style auf seinen Rücken … zum ersten Mal ohne Helm, dafür in kurzer Boller-Bücks und Flatterhemd zum Meer …
Was für ein Feeling!
Entlang auf einer schmalen Straße, die mich, sie ist wirklich kilometerlang, in die Weiten des Golf von Patras bringt … am Ende gibt es ein paar kleine Anleger, zwei Bars, ein Salzmuseum und sehr viel Meer … alleine mach ich es mir auf einer Bank bequem …
Direkt am Wasser …
Keine Menschenseele außer mir, was ein Wahnsinn denke ich mir und schlürfe meinen Espresso Freddo durch Strohhalm, wie es sich gehört … keine Ahnung wie lange ich bleibe, sind bestimmt Sunden … wieviel Zeit man plötzlich hat, wenn man nichts macht …
Gegen Abend suche ich was zu essen …
Und werde in einer Bar am Hafen fündig … ebenfalls völlig leer, nur der junge Inhaber wischt gerade Tische ab … ich bestelle ein Glas Weißwein, sehe mich ein wenig um … herrlich ist es hier, nur Einheimische … merkwürdig …
Wir kommen ins Gespräch …
„Ich heiße Paolo … meiner Familie gehört das Lokal …ja, so leer ist es oft … ein paar Touristen mehr könnten wir schon gebrauchen!“ … für die einen der Segen, für die anderen ein Fluch … er macht noch nebenbei in Honig und handelt mit Lebensmitteln …
Ständig klingelt sein Smartphone …
Ich mach es mir gemütlich und schmöker ein wenig in der Geschichte von Mesolonghi … mein liebes Bisschen! … Vor 200 Jahren ging hier schwer die Post ab … haben ihren Widersachern ordentlich einheizt, vor Allem den Türken …
Krieg und Frieden …
Ewiges pulsieren … hin und her, wie ein Pendel … später reden Paolo und ich noch über KI und deren Auswirkungen … Paolo ist 32, er hat zwei Kinder 2 und 4 … er sieht, wie immer weniger Menschen im Garten arbeiten … wie alte Handwerke aussterben …
Jeder will heute Influencer sein …
Maurer, Imker, Alten.- und Krankenpfleger, Erzieher, Gärtner, Gas-Wasser-Scheiße, oder gar Bauer will heute niemand mehr werden … alles will chic aussehen und in der Lounge mit Cocktails abhängen … Paolo geht mit seinen Mitmenschen hart ins Gericht …
„Heute will jeder studieren!“
Es gebe kaum noch Nachwuchs, um die notwendigsten Arbeiten zu verrichten, weiß Paolo mir seine Beobachtungen mitzuteilen … „Wer geht heute freiwillig zur Mülle?“ … wir sind zwar einige Jahre auseinander, aber ziemlich einer Meinung …
Gegen zehn gehe ich heim …
Rolle mich weinselig ein und warte auf Morpheus … meine Birne ist voller Bilder und bunter Schnipsel … mühselig wälze ich mich rum … draußen knallt die Schweinesonne … Vollmond, auch das noch … innerlich fluche ich noch ein wenig …
Bis mich der Schlaf übermannt …