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Müßiggang – Odyssee 2020 CW05

Letztens hatte ich Besuch von Monsieur Thalamus. Warte mal, stimmt gar nicht, es war umgekehrt, ich habe IHN besucht. Er kann ja nicht richtig weg von seiner Kanzel, wenn er den ganzen anstürmenden Kram beobachtet und navigiert. Beschwert hat er sich. Er meinte, dass ich mir mehr Zeit für Müßiggang nehmen sollte, nicht nur, weil er dann relaxen kann, vor Allem, weil es, zumindest aus unserer Sicht kaum Besseres gibt. Für was zum Teufel lebt man denn, wenn man nicht zwischendurch die Seele baumeln lässt? So ein wenig Wu-Wei ist doch für jeden wichtig. Man kommt doch sonst aus dem Tritt.

Interessanterweise, gibt es kaum noch Menschen die das praktizieren, oder gar verstehen, was das ist. Erst neulich, vor wenigen Tagen hatte ich eine Unterhaltung, die immer mehr anzog, als es um Freizeitgestaltung ging – wir kamen irgendwie auf Hobbys und was man für Leidenschaften pflegt. Alles in Allem, sind die Menschen sehr aktiv, besonders zuhause. Wir haben zwar überall, mehr oder weniger, geregelte Arbeitszeiten, aber das ändert nichts daran, dass man zuhause dennoch wenig ausruht und verschnauft, gar fünfe gerade sein lässt – kennt keiner mehr.

„Und was machst du sonst so, außer schreiben, lesen und hin und wieder Sport?“

„Essen und trinken. Wein mag ich besonders gern…“, irgendwie fühlte ich mich wie in einem Verhör.

„Okay, du kannst es genießen, okay, aber machen das nicht alle? Was sonst?“

„Müßiggang liebe ich. Irgendwie komme ich nicht so oft dazu, wie ich gerne….“

„Warte mal, Müßiggang? Du meinst Nichtstun…?“

„Nein – ich meine Müßiggang, das Gegenteil von Nichtstun…!“

„Wie soll ich mir das vorstellen? Du liegst auf dem Sofa und machst…..was…?

„Ich sehe meinen Gedanken zu, wie sie gemütlich kreisen und manchmal….“

„Deinen Gedanken zusehen…? Ist das nicht Zeitverschwendung…?“

„Für dich vielleicht. Aus meiner Sicht ist es das höchste Gut des Menschen. Nur aus diesem Urschlamm von Zeit und Gedanken, daher nennt man das auch „Seele baumeln lassen, entwickle ich Ideen oder schöne Tagträume. Laufen, spazieren-gehen, sich generell bewegen geht auch, aber nur, wenn ich genug Phasen habe, in dem ich einfach so da bin….“

Eine Weil ging das hin und her – schlussendlich wurden wir uns nicht einig und wir merkten, dass wir aus unterschiedlichen Welten kommen, was nicht ganz verwunderlich schien. Nur wenn ich überlege, wieviele dem Nachgehen, kann ich die nicht einmal an einer Hand abzählen. Warum eigentlich? Früher war es das höchste Gut des Bürgertums. Wieso ist es fast allen abhandengekommen? Fühlen wir uns unterschwellig permanent dazu animiert, etwas, oder gar irgend etwas zu tun? Lesen tut man auch kaum noch habe ich gelesen und selbst das ist meilenweit vom Müßiggang entfernt.

Nun ist natürlich klar, dass man das nur kann, wenn man die Grundbedürfnisse abgesichert hat, was für mehr als 99% der Weltenbürger, dank des effizienten Ausbeutens von Menschen und irdischen Resourcen, absolut unmöglich ist, daher will ich das nur einmal kurz angemerkt haben – die vielen Millionen, zumindest in Europa, könnten das deutlich intensiver praktizieren. Sie würden damit die Konsummaschine verlangsamen. Ich weiß, ich weiß – will niemand hören. Warum mache ausgerechnet ich mir Gedanken.

Keine Ahnung, irgendeiner sollte, oder nicht? Ist alles ein Ergebnis von Müßiggang, den ich gleich wieder praktiziere, sobald ich diese Zeilen hochgeladen habe – versprochen!

 

Königsinsel Melancholie

Nasser Sand grub meine Füße ein – leichter Wind zog seufzend an mir vorbei, ein paar Haarsträhnen hinterherziehend, als wären sie leicht zu überreden. Salzige Luft klammerte sich an meine Nase, verklebte Haare zur Schale; seichte Wolken luden Himmelblaues ein zu leuchten; Sonne wärmte meine Haut, lud sie ein zu lächeln; rauschend legte sich das Meer in meine Ohren; Wellen rollten rhythmisch an den Strand, rissen, zogen Steine klöternd zurück ins Meer; Schaumkronen tänzelten auf Poseidons metallisch-glänzender Haut; Möwen trieben auf nassen Laken rum; Augen suchen Horizonte nach Weite ab; Gedanken perlen herab, vorbei an meinen Wangen, tropfen ungehört in den Sand, vom Meer hinfort gerissen. Melancholie, würdest du doch nie entschwinden – stattdessen lang verweilen als schönste Zeit und mich streicheln, als wäre ich ein ewiges Geschöpf.

Nun ist mein Tag müde und neigt sich dem Ende zu – ich lasse alles sausen, was ich nicht brauche – fühle mich gut wenig sortieren und behüten zu müssen – keine Bedürfnisse mehr – kann jetzt mich kümmern um‘s Recken und Strecken, Füße in Sand stecken – dann und wann Wind schmecken, Sonne riechen und Meer sehen – zu viel Unsinn wurd getan – wenig Wahrhaftiges

Der Flaneur – Teil 1

Nach dem Erlebnis mit den Ameisen und all dem Getier, schwoll in mir die Facette des freiheitsliebenden Flaneurs zur alten Gänze heran – so sehr, dass ich mich in einem Befreiungsschlag in den nächstbesten Flieger setzte und in den hohen Norden flog, um dort ein wenig zu verweilen und der Zeit beim zähen Vor-sich-hin-tropfen zuzusehen.

So unbekannt der Ort auch war, so schwierig machte sich alleine schon die Anfahrt. Aber-dutzende Kilometer dieser unglaublichen A7 Wanderbaustelle ließen meine Erinnerung an die gutorganisierten norddeutschen Bemühungen erneut aufkochen, dass man nicht nur in der mondänen Hafenstadt Hamburg felsenfest davon überzeugt war, alle anstehenden Reparaturen gleichzeitig beginnen zu müssen und die Sommerferien als Chance zu nutzen, ist doch jedem bekannt, dass der Verkehr in dieser Zeit auf ein Minimum absinkt, dass ich, nachdem mich die Umleitungsbeschilderung zum zigsten Mal in die Irre geführt hatte, immer weiter und weiter, bald völlig geschafft und verschwitzt hinter dem Lenkrad zusammentrocknete, bevor ich den ersten Meter Autobahn zu sehen bekam. Gänzlich überflüssig zu erwähnen, dass mein Bedürfnis nach einem Aperitif, im Zehnminutentakt wuchs, wie eingeforderte Anzahl.

Ich ergriff die Chance beim Schopfe, hatte ich doch die Möglichkeit neue Straßen zu sehen und schob mich, zusammen mit den anderen frohgestimmten Verkehrsteilnehmern, im Schneckentempo an Ortschildern und sorgfältig gepflegten Vorgärten vorbei, die mich mit harscher Deutlichkeit daran zu erinnern hofften, die eigenen Pflanzen und Beete seit Wochen, sogar seit Monaten sich selbst überlassen zu haben, was die Teilnahme am nächsten Wettbewerb „Schönstes Dorf Nord-Deutschlands“ nicht nur deutlich erschwerte, sondern viel schlimmer, vordere, gar Podestplätze in unerreichbare Sphären schob – meine Nachbarn würden mir meine Unverfrorenheit sicherlich bald heimzahlen.

Nach stickigen vierzig bis fünfundfünfzig Minuten, schlich ich über eine neugebaute Brücke und schlüpfte bei dunkelgelb durch die nur wenige Sekunden dauernde Grünphase, was die lange Schlange und die dunkelroten, immer kleiner werdenden Gesichter im Rückspiegel erklärte, die sich, genauso wie ich, auf ein baldiges Ende der Umleitung, sowie ein Fortsetzen der fröhlichen Reise erhofften. Nachdem ich mit Mühe und Not vom stark verkürzten Beschleunigungsstreifen eine kaum erkennbare Lücke zwischen zwei heranstürmenden skandinavischen Lastzügen erspäht hatte, die mich nur mürrisch hereinließen und mit einigen ohrenbetäubenden Fanfaren-Stürmen ihr Ungemach darüber ausdrückten, dass meine Solidarität nur wenige Sekunden anhielt, ihre Reisegeschwindigkeit bis zur Dänisch-Deutschen Grenze brüderlich mitzugehen.

Eine bunte Mischung heranrauschender SUV-Bataillone, vorzugsweise aus dem Hamburger Umland, sowie anderen dichtbebauten Gebieten, wie die Ruhrpott-Umgebung, scheuchten mich im Sekundentakt vom linken Überholstreifen, von ihren grellen Xenon-Scheinwerfern höflich ermahnt und ausgiebig daran erinnernd, dass es in der gut organisierten Bundesrepublik ein offensichtlich hoffnungsloses Unterfangen blieb, mit einem kleinmotorisierten Auto den verzweifelten Versuch zu unternehmen, auf Gleichberechtigung und Brüderlichkeit zu hoffen. Baal sei Dank, kam niemand zu Schaden.

Unbeschadet verließ ich bei Flensburg die Rennbahn und rollte über die B200, bald B199 Richtung Glücksburg. Und wieder einmal überraschten mich die Extreme in diesem Land. Nachdem mich Großstädte und Autobahnen weichgekocht hatten, machte sich im schönen Angeln eine Ruhe und Gemütlichkeit in mir breit, wie ich sie lange nicht mehr gespürt hatte.

Sanfte Hügel, mit bunten Tupfern, hier und da eine alte Mühle, dort ein Bauernhof, die Straßen von schwarz-weiß-gesprenkelten Kühen gesäumt, die in Zeitlupe ihr Gras kauten und verständnislos dem hektischen Treiben der Menschen hinterhersahen, bis ich endlich auf der Halbinsel Holnis ankam, wo eine übermächtige Stille mich und meine Neurosenkollektion willkommen hießen und unvorbereitet überrannten, die ich mit Müßiggang und guten Weinen zu pflegen versuchte, so gut es irgendwie ging – aber dazu mehr in einem anderen Kapitel.