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Flaneur – Odyssee 2023

Bin etwas angefressen … Nein, nicht wegen meinem Experten-Text letzte Woche … der fand sogar Resonanz … Gab Rückmeldungen … Solche und Solche … Persönliche Beobachtungen … mitunter Unterstellungen … Die machen immer neugierig …

Snobistisch neutral …

Sei ich … Keine Meinung haben und so … Keine Ahnung haben hält man mir nicht vor … Gott sei Dank! … Habe das bereits zugegeben! … Menschen brauchen Label … Und Abzeichen! … Auszeichnungen! …Die was aussagen … Aus dritter Hand bekräftigen …

Nicht selten hervorheben …

Ist wie Kartenspielen … Meistens geht‘s um Leistungsdaten … Wie Auto-Quartett … Sie oder er hat ’nen acht Zylinder-Motor … So und so viel Leistung … Kann so und so schnell fahren … Ich hab nur ’nen VW-Käfer … Vier Zylinder … 34 PS … Welche Universität? …

Ist man Marathon / Triathlon gelaufen? …

Wann wieviel Budget.- und Personal-Verantwortung? … Einzige Auflistung von Qualitätsmerkmalen … Wunderschöne Kollektion … Wie gut jemand kochen und zuhören kann … Wie empathisch und respektvoll jemand ist …

Solche Sachen liest man selten …

Aber ich schweife schon wieder ab … Ständig geht mir das so … Ist ein richtiger Fluch, sag ich euch! … Ich bin angefressen, weil ich bestimmt ein halbes Dutzend Themen für die heutige Geschichte im Kopf hatte … Mir aber keine merken konnte …

Ist doch zum Kotzen!

Mittlerweile fange ich an vergesslich zu werden … Habe gestern den Wasserhahn von der Waschmaschine vergessen abzudrehen … Mache ich sonst immer … Ja, ich weiß, was manche denken … Frauen ziehen Stecker … Männer schließen Wasserhähne …

So einfach ist das …

Muss mir immer mehr aufschreiben, damit es mir nicht durch die Lappen geht … Bis ich sitzen bleibe und nur noch schreibe … Warum eigentlich nicht! … Aber ich merke, dass mich dies exzessive Abtauchen und Reinknien nicht reizt …

So gar nicht …

Mein Kumpel F. nennt mich ganz zu Recht „Surfer“ … ich würd‘ über alles drübersurfen … trifft es eigentlich ganz gut … Ständig schau ich nur kurz vorbei … Ein kleiner Abstecher hier … eine Stippvisite dort … Bloß nicht statisch werden …

Versteinern, sich selbst konservieren …

Sich ausstopfen und mumifizieren … Nee, das geht nicht … Stattdessen lieber unverbindlich Vorbeischlendern … Passenderweise können wir sagen … Flanieren … um durch Zufall … völlig absichtslos irgendwo zu landen …

Der Intuition folgen …

Idealerweise der eigenen … Nicht KI / AI unterstützten … Ist nicht so einfach in der heutigen Leistungs-Gesellschaft … Wo sich alles um Qualität und Leistung dreht … Jeder hält bitte unaufgefordert seine Auszeichnungen hoch … Aber sofort!

Los doch! … Zack! … Zack! …

Je mehr du davon hast, desto mehr Raum kriegst du in Diskussionen … Schon mal bemerkt? … Beim zusammenstehen mit Bier und Wein … Immer den Helden zuhören … Alpha-Frauen! … Alpha-Männer! … Ich …Ich … Ich und Ich … Ach ihr seit auch da? …

Dann setzt euch durch …

Entweder ihr führt … Oder ihr werdet geführt! … Lautes Gelächter! … Wundervoll! … Mephisto lächelt … Austausch von Erfahrungen … Ja, Super-Buch! … Wie hieß es noch? … „First break all the Rules“ … Ach das! … Ja, das ist super! …

Ein muss für Manager! …

Ach so? … Wusste ich gar nicht! … Tatsächlich? … Kennt doch jeder! … Was machst du so? … Ich bin Voyeur … Pardon! … Wollte sagen! … Flaneur … Wie bitte …? Ist doch kein Beruf, oder? … Doch! … Mehr noch! … Eine Berufung! … Kann nicht jeder sein …

Sucht die Mehrheit nicht Sichtbarkeit? …

Wahrnehmung, Recognition, Reichweite vergrößern, Skalieren und so … Laufsteg für Erfolgssüchtige … Dort geht das Vermarkten des eigenen Erfolgsmodells weiter … Etwas, was ich zu wenig mache …

hält man mir auch vor …

Müßiggang ist wirklich mehr was für den Süden … Soll den Norden aber nicht abhalten … Flanieren is the thing … Kann ich Jeder / Jedem empfehlen … So oft wie möglich … Anstelle Fokus auf Geld, Luxus und Komfort …

Lieber Zeit haben …

Mehr Zeit = Mehr Leben … Aber Obacht, wer mehr Zeit nutzt, um mehr Marathon & Triathlon zu trainieren … Oder sich ein weiteres Auto zulegt … Einen schicken Oldtimer … den man pflegt … Läuft der nicht Gefahr dem Gleichem hinterherzulaufen? …

Jedenfalls in meiner DT-Welt …

Müßiggang ist nicht auf’m Sofa liegen … Im Internet surfen … Wo uns Algorithmen manipulieren … Ist wie ‘ne gefälschte Louis-Vuitton-Tasche kaufen … einen gefälschten Porsche … ’ne gefälschte Rolex …

gefälschte Stihl-Motorsäge …

anders ausgedrückt … Mehr Müßiggang = Mehr Leben … Flanieren ist die physisch aktive Form des Müßiggangs … Sehr zu empfehlen … Ohne Planung losgehen …

Einfach nur herumschlendern …

flanieren, das Verb / Tu-Wort … Als Ziel selbst … Effizienzgetriebenes suchen nach schnellen Verbindungen … Schnellster oder Kürzester Weg … Danke Google-Maps …

Keine Alternative …

Könnte ich bitte den schönsten Weg empfohlen bekommen?  … Wie? … Was? … Ist nicht vorgesehen? … Ich sag’s ja … Von wegen Fortschritt und Komfort … Vergesst acht Zylinder-Motoren, Porsche und Marathon-Läufe …

Flanieren! … die Fortbewegung …

und Lebensform …

von Morgen …

Der Flaneur – Teil 1

Nach dem Erlebnis mit den Ameisen und all dem Getier, schwoll in mir die Facette des freiheitsliebenden Flaneurs zur alten Gänze heran – so sehr, dass ich mich in einem Befreiungsschlag in den nächstbesten Flieger setzte und in den hohen Norden flog, um dort ein wenig zu verweilen und der Zeit beim zähen Vor-sich-hin-tropfen zuzusehen.

So unbekannt der Ort auch war, so schwierig machte sich alleine schon die Anfahrt. Aber-dutzende Kilometer dieser unglaublichen A7 Wanderbaustelle ließen meine Erinnerung an die gutorganisierten norddeutschen Bemühungen erneut aufkochen, dass man nicht nur in der mondänen Hafenstadt Hamburg felsenfest davon überzeugt war, alle anstehenden Reparaturen gleichzeitig beginnen zu müssen und die Sommerferien als Chance zu nutzen, ist doch jedem bekannt, dass der Verkehr in dieser Zeit auf ein Minimum absinkt, dass ich, nachdem mich die Umleitungsbeschilderung zum zigsten Mal in die Irre geführt hatte, immer weiter und weiter, bald völlig geschafft und verschwitzt hinter dem Lenkrad zusammentrocknete, bevor ich den ersten Meter Autobahn zu sehen bekam. Gänzlich überflüssig zu erwähnen, dass mein Bedürfnis nach einem Aperitif, im Zehnminutentakt wuchs, wie eingeforderte Anzahl.

Ich ergriff die Chance beim Schopfe, hatte ich doch die Möglichkeit neue Straßen zu sehen und schob mich, zusammen mit den anderen frohgestimmten Verkehrsteilnehmern, im Schneckentempo an Ortschildern und sorgfältig gepflegten Vorgärten vorbei, die mich mit harscher Deutlichkeit daran zu erinnern hofften, die eigenen Pflanzen und Beete seit Wochen, sogar seit Monaten sich selbst überlassen zu haben, was die Teilnahme am nächsten Wettbewerb „Schönstes Dorf Nord-Deutschlands“ nicht nur deutlich erschwerte, sondern viel schlimmer, vordere, gar Podestplätze in unerreichbare Sphären schob – meine Nachbarn würden mir meine Unverfrorenheit sicherlich bald heimzahlen.

Nach stickigen vierzig bis fünfundfünfzig Minuten, schlich ich über eine neugebaute Brücke und schlüpfte bei dunkelgelb durch die nur wenige Sekunden dauernde Grünphase, was die lange Schlange und die dunkelroten, immer kleiner werdenden Gesichter im Rückspiegel erklärte, die sich, genauso wie ich, auf ein baldiges Ende der Umleitung, sowie ein Fortsetzen der fröhlichen Reise erhofften. Nachdem ich mit Mühe und Not vom stark verkürzten Beschleunigungsstreifen eine kaum erkennbare Lücke zwischen zwei heranstürmenden skandinavischen Lastzügen erspäht hatte, die mich nur mürrisch hereinließen und mit einigen ohrenbetäubenden Fanfaren-Stürmen ihr Ungemach darüber ausdrückten, dass meine Solidarität nur wenige Sekunden anhielt, ihre Reisegeschwindigkeit bis zur Dänisch-Deutschen Grenze brüderlich mitzugehen.

Eine bunte Mischung heranrauschender SUV-Bataillone, vorzugsweise aus dem Hamburger Umland, sowie anderen dichtbebauten Gebieten, wie die Ruhrpott-Umgebung, scheuchten mich im Sekundentakt vom linken Überholstreifen, von ihren grellen Xenon-Scheinwerfern höflich ermahnt und ausgiebig daran erinnernd, dass es in der gut organisierten Bundesrepublik ein offensichtlich hoffnungsloses Unterfangen blieb, mit einem kleinmotorisierten Auto den verzweifelten Versuch zu unternehmen, auf Gleichberechtigung und Brüderlichkeit zu hoffen. Baal sei Dank, kam niemand zu Schaden.

Unbeschadet verließ ich bei Flensburg die Rennbahn und rollte über die B200, bald B199 Richtung Glücksburg. Und wieder einmal überraschten mich die Extreme in diesem Land. Nachdem mich Großstädte und Autobahnen weichgekocht hatten, machte sich im schönen Angeln eine Ruhe und Gemütlichkeit in mir breit, wie ich sie lange nicht mehr gespürt hatte.

Sanfte Hügel, mit bunten Tupfern, hier und da eine alte Mühle, dort ein Bauernhof, die Straßen von schwarz-weiß-gesprenkelten Kühen gesäumt, die in Zeitlupe ihr Gras kauten und verständnislos dem hektischen Treiben der Menschen hinterhersahen, bis ich endlich auf der Halbinsel Holnis ankam, wo eine übermächtige Stille mich und meine Neurosenkollektion willkommen hießen und unvorbereitet überrannten, die ich mit Müßiggang und guten Weinen zu pflegen versuchte, so gut es irgendwie ging – aber dazu mehr in einem anderen Kapitel.