Schlagwort-Archive: Bauhaus

Serra Tramuntana – 2019

Über Ostern war ich mal wieder in der Heimat. Nach sechs Monaten Pause, bin ich nach Mallorca geflogen, allerdings wusste ich beim Einsteigen ins Flugzeug noch nicht, dass es eine windige Angelegenheit wird – als ich eintraf trugen alle Einwohner Stahlhelme!

-Was ist denn hier los? fragte ich einen der Dorfältesten und wurde daran erinnert, wie eigen die Mundart des Pueblos ist; ich verstand ihn kaum, nur mit Ach und Krach.

-Schindeln! War das Wort, das ich verstand; als ich mich mehr und mehr gegen den Wind stemmte, erkannte ich, dass da ein ausgewachsener Sturm an Natur und Menschen zerrt. Als Stadtmensch verliert man schnell seinen Sinn für die Natur – ärgerlich, jedes Mal.

Ich besuchte meinen alten Freund, der uns recht schnell einen Aperetivo einschenkte – zuhause ist, wo man dich versteht – allerdings merkte ich schnell, dass er ein wenig mitgenommen aussah. Er versucht so weit es geht autark zu sein, hat einen eigene Gemüsegarten, wässert ihn mit Quellwasser aus den Bergen und hat auch sonst wenig Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten.

-Seit Wochen ist es kalt und stürmisch; und dann ständig dieser Nieselregen, einfach furchtbar – als würde der Winter dieses Jahr vier anstelle zwei Monate dauern!, nörgelte er zu Recht, eingehüllt in mehrere Schichten Grobgestricktes.

Ich hatte ein Einsehen mit ihm, runzelte aber die Stirn, als ich erkannte, mit wie wenig er auskommt. Beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue – dagegen komme ich mir vor wie ein Luxuswesen, wenngleich ich mich schon reichlich reduziert habe – aber diese archaischen Leute aus unserem kleinen Dorf sind wirklich erstaunlich – Autos teilt man, wenn man eins hat – die Mehrheit kommt ohne aus – einige sogar ohne Führerschein.

Viel verändert hat sich eigentlich nicht, wenn man mal davon absieht, dass in den letzten vierzig Jahren Strom und fließend Wasser die einzige Innovation ist, die man durchsetzen konnte, wenn wir mal vom Internet absehen. Alles geht seinen gewohnten Gang – ein wenig so, wie hinten im Südviertel, in Beutelsend – ich muss gestehen, dass ich in dieser schnelllebigen Welt meinen Anker sehr genieße, wenn ich ihn mal wieder auswerfe – was mir jedoch in den wenigen Tagen alles passiert ist, das verrate ich euch nächste Woche – ich bin noch etwas runtergefahren, da reicht es gerade nur so für das Notdürftigste – ich hoffe ihr versteht das.

Bis bald.

 

Verfall – Teil 1

Mein flackerndes Smartphone macht die Auto-App fast unbrauchbar. Nach dem zehnten Versuch gelingt es mir, eine dieser abgerittenen Großstadtkutschen zu ergattern. Nach ein paar Straßenbiegungen gehe ich in eine stille Seitenstraße

– irgendwo da vorne muss er doch – ha, da ist er.

Quietschend öffne ich die Fahrertür. Kalter Rauch, Feuchtigkeit und ein Hauch von altem asiatischem Essen, empfängt mich mit tropisch-nasser Umarmung. Ich hacke einen sechsstelligen Code in das gesplitterte Cockpit-Display; ein paar Lampen leuchten auf, eine Grüne ist auch dabei; war wohl erfolgreich.

Blechern und kalt klingt die weibliche Stimme des Navigations-Systems, die mich durch das verstopfte Stadtzentrum hetzen lässt, dass wie ein geblähter Darm zu platzen droht. Schon länger habe ich das Gefühl nicht mehr atmen zu können; all der Krach und Gestank; die Hektik unfreundlicher Menschen; ihre Gefühlskälte lässt der Gier freien Lauf, die wie eine ansteckende Krankheit ihre Gesichtszüge verziert; innere Leere, frisst menschlichen Glanz; die Seele kämpft mit letzter Kraft um Werte von einst, bis sie am Ende alles willenlos geschehen lässt.

Das bizarre Muster des zerbrochenen Glas erinnert mich an einen atomverseuchten Weberknecht. Heute habe ich Glück; ohne Umwege finde ich einen Parkplatz. Nur schwer sind die Parkbuchten am verdreckten Straßenrand auszumachen. Randsteine mit ungezählten Zeitungsschichten; glattgebügelte Bordstein-Übergänge mit geweiteten Rändern erinnern an überdimensionierte Bäder, reichlich verziert mit Dreck, Glas, Zigaretten und Schmutz, stacheligen Mondlandschaften gleichend.

Beim Aussteigen sehe ich mir die Umgebung an. Heruntergekommene Wohnblöcke, grau und stumpf. Abgeblätterte Farbe, stumpfe milchige Scheiben, an denen Feuchtigkeit mit langen Nasen heruntertropft, ausgedünsteter Schweiß schwer beladener Waschmaschinen, die den Besitzern halbwegs-sauberen Inhalt vor die Füße kotzen. Vom Kiosk gegenüber wehen Fetzen loser Worte herüber. Großstadtschnipsel, lieblos recycelt, vermischt mit Kaffee, Zigarettenqualm, Biergeruch und öligem Zorn.

Vorbeirasende Fahrzeuge hupen um die Wette. Gestank umzingelt diese digitale Großstadt-Mine. Ich renne ein wenig herum, sehe mir die Umgebung an. Irgendwann finde ich mein Hotel. Es ist eines dieser Runtergekommenen. Taxifahrer halten hier ungern. Schon vor langer Zeit hat es seine besten Tage gehabt. Ganz genau nach meinem Geschmack. Kein Glamour, kein Glanz, dafür billig und verwohnt, nach Linoleum, altem Essen und Urin riechend.

Nur kurz denke ich an meine Vergangenheit, mit all den Luxushotels. In den teuersten edelsten Hotels der Welt residierte ich, hatte Spesen in Millionen-Höhe, dazu unzählige Einladungen. Heute bevorzuge ich das langsame Verfallen von Gebäuden und Inneneinrichtungen. Verkommene Gärten, mit ihren verdorrten Bewohnern; Leben mit Schiff.- Mast und Schotbruch; in dieser sterbenden Umgebung, wo dir der leichte Hauch des Todes entgegenweht lässt es sich gelassen leben, ist man doch selber Teil des Niederganges; jeden Tag stirbt ein weiterer Teil; nur mit letzter Kraft schaffen es einige, sich mit dem kleiner gewordenen Rest, tagein und tagaus erneut dagegen aufzubäumen und gegen das Unabwendbare anzukämpfen, dass irgendwo, hoffentlich in ganz großer Ferne, ein weit entferntes Ende naht.

Wie eine verständnisvolle elegante Geliebte umarmt mich diese Tristesse und Melancholie; sie ist mein Zufluchtsort, mein wahres Zuhause, von dem ich eigentlich nie mehr entkommen will, habe ich in ihr doch die ideale Partnerin, die mein Scheitern, meine Unvollkommenheit versteht, sie vielleicht sogar schätzt – und ganz selten, bei größenwahnsinnigen Anflügen von Hoffnung, eine berauschende Euphorie erwächst, die sich in eine utopisch-tiefe Verliebtheit verwandelt, bei dem Gedanken daran, dass sie meine Schattenseiten eventuell sogar liebt!