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Zivilisation – Teil2

Hektisch fummle ich das Schlüsselbund aus der Hosentasche, greife mir ein besonders scharfkantiges Exemplar und setze an, um das Paketklebeband durchzutrennen.

„Sagen Sie, junger Mann, lassen sie sich etwa besonders viel Zeit?“

„Nein-nein, ich bin dran…“ – mein Gott, was für eine Diva – nur kurz hier durchziehen, so-o-o, genauso und dann noch diesen und dahinten den Zweiten – mit lautem Krachen reiße ich den Karton auf; bin gespannt – sehe hinein und erblicke einen hockenden Frauenkörper, der seine Hände schützend über den Kopf hält – sie steckt in schicken Klamotten – eine Art Kostüm – sie richtet sich langsam auf – ich trete einen Schritt zurück.

„Endlich!“

„Wie lange waren Sie da drin?“

„Ewig – weiß es schon nicht mehr.“

„Kommen Sie – hier draußen scheint die Sonne.“

Anmutig, mit reichlich Eleganz, steigt sie aus dem Karton. Dunkelblaues Sakko, ziemlich enger und hoher Rock – weiße Bluse, dunkelblaue Pumps – lange dunkelblonde Haare – schwer zu schätzen ihr Alter. Irgendetwas zwischen 30 und 40 wäre ich geneigt zu sagen, obwohl sie viele Tausend Jahre zählt. Hat sich gut gehalten.

Beim Übersteigen der Karton-Seitenwand geht sie ein wenig in die Knie; gefährlich hoch rutscht ihr Rock. Wie hypnotisiert sehe ich auf ihre langen Beinen – diese nahtlosen Strümpfe, wow! Ihre Beine sind der Wahnsinn. Ich liebe Beine. Natürlich sind sie nicht alles, aber viel, wenn sie schön sind – kann mich kaum davon losreißen. Auch ihr Hintern ist gut geformt – ziemlich sexy die Gute – aber sie ist die Zivilisation, daran nur zu denken, ist wie mit der Ex ins Bett zu gehen – ins Fegefeuer kommt man da, ich bin mir ganz sicher. Sie lächelt mich an, sie weiß wie sie aussieht und das ich sie wohlwollend ansehe.

„Lassen Sie uns dort vorne, sehen Sie das kleine Bistro?“

„Ja natürlich – einverstanden.“ – wir schreiten an den hektischen Menschen vorbei; ein letzter Bistrotisch steht frei, zwei Hocker – also mit dem Rock wird das gefährlich – ein Ober eilt heran.

„Guten Tag, haben Sie einen Wunsch?“ Ich meine zu wissen, was die berühmte Dame gern hat.

„Zwei Campari-Spritz, s’il vous plait.“

„Bien sûr – avec plaisir.“

„Merci.“

„Woher wissen Sie, dass ich…?“

„Sagen Sie, warum sprechen Sie eigentlich, als wären Sie meine Oma, oder eine Figur bei Marcel Proust? Sie sehen aus, als wären sie einem modernen Hochhaus-Office entstiegen, das passt doch nicht zusammen.“

„Vergessen sie nicht, dass ich ein wenig alt bin; da bleibt schon was hängen, selbst wenn man junggeblieben und sich bemüht jugendlich gekleidet vor die Tür zu treten; aber im Gegensatz zu mir, bei allem Respekt, ihre Redegewohnheiten in der heutigen Zeit sind wirklich furchtbar, junger Mann, finden Sie nicht?“

„Nun, in gewissem Sinne, muss ich ihnen Recht geben.“

„Haben sie eine lange Leitung, eingeschränkte Wahrnehmung, oder sonst irgendeinen Defekt, junger Mann? Schauen sie sich doch mal um; was glauben Sie, warum ich mich in diesem Karton versteckt habe; das kann man doch alles nicht mehr mitansehen; in vielerlei Hinsicht sind wir vor zwei bis 3000 Jahren weiter gewesen als heute – es ist einfach erschütternd, du meine Güte!“

„Stimmt, zivilisierte Menschen zu treffen ist äußerst schwer geworden..…“

„Halt-halt junger Mann; verwechseln Sie nicht….“ – sie wird warm; wurde Zeit, dass sie aus diesem Karton raus ist…..

„….mich, die Zivilisation, mit dem abgeleiteten zivilisiert-sein; das hat miteinander….“

„Et voila – deux Campari-Spritz, s’il vous plait.

„Merci beaucoup.“

„Santé“

„Oui, santé!“ – wir nippen an dem Aperitif – herrlich, tut das gut.

„Darf ich fortfahren?“

„Wie bitte?“

„Sie haben mich unterbrochen…“

„Habe ich nicht, der Ober……“

„Sie haben Recht, entschuldigen Sie…darf ich?“

„Unbedingt……“

„Ich habe mit zivilisiertem Verhalten der Menschen rein gar nichts zu tun, damit das mal klarsteht……“

„Wie bitte? Sie Behaupten, dass…?“

„Genau! Rein gar nichts!“

„Wie ist das möglich? Das eine kann doch nur mit dem…“

„Nein, tut es nicht; es ist ein völlig individuell besetzter Begriff; gehen sie mal in die USA, nach China, oder Indien, Russland, Japan oder wir hier in Europa – sie werden auf unterschiedliches Verständnis stoßen. Nicht wahr? Verstehen sie?“

„Sie meinen, wenn ich mich als zivilisiert fühle, dann ist das eine ganz eigene…“

„Genau. Ihre Sicht ist vermutlich schon anders als Meine. Zivilisiert sein bedeutet für viele doch eigentlich eine bestimmte Verhaltensweise, im Kontext mit anderen Mitmenschen, vermutlich so in etwa, wie wenn man niemanden verletzt, weder in seinem Garten, noch sonst wo drinsteht – höflicher Umgang, eine gewisse Kultiviertheit eben….…“

„Und das bringen Sie nicht mit sich…?“

„Nein, auf keinen Fall. Lesen sie das mal nach: Nach dem Verständnis der meisten Menschen bin ich lediglich die Beschreibung einer Staatengründung, die basierend auf Fortschritt günstige Lebensbedingungen für seine Bürger schafft, die man als prosperierend und nach vorne gewandt beschreibt – jedenfalls so, oder so ähnlich.“

„Was heißt hier, so oder so ähnlich? Wollen sie damit sagen, dass sie selber nicht wissen, wer sie…?“

„Mitnichten! Ich weiß, wer ich bin, aber wissen es auch alle anderen Menschen und Bürger?“

„Warum separieren sie die beiden, ist das nicht das Gleiche?“

„Nein, ist es nicht – weil nicht alle Menschen automatisch Bürger-Rechte haben, geschweige sie ausleben können, was glauben Sie denn? Hören sie auf, so eindimensional daherzureden; sie fangen an mich zu langweilen!“

„Na, Sie haben aber eine progressive Art und Weise am Leib!“

„Wie ich schon sagte; sich mit mir einzulassen, bedeutet viel Arbeit; nicht jeder mag das, sie etwa?“

„Das kann ich noch nicht sagen; ich lerne sie ja gerade erst kennen.“

„Nun-ja, der Schnellste sind sie jedenfalls nicht, dafür aber sympathisch.“

Moment mal; sie behaupten, dass….“

„Ich behaupte es nicht; das nennt sich Wahrheit – Realität. Ich bin die Architektur, während die Menschen immer von Verhaltensweise untereinander sprechen – damit habe ich nichts zu tun. Jedes Individuum..“

„Mögen Sie Campari-Spritz?“

„Sehr gerne sogar….wo war ich stehengeblieben? Sie haben mich schon wieder unterbrochen!“

„Sie waren bei…“

„Ach ja – beim Zivilisiertsein…richtig. In Wahrheit ist das kaum jemand und selbst wenn, würde das nichts….“

„Wie bitte? Das ist doch…“

„Ist es nicht – es ist völlig egal, ob es jemand ist, denn es gibt mich nicht mehr!“

„Wie bitte?“

„Haben Sie mir eben zugehört?“

„Natürlich, warum….“

„Weil sie sich dann nicht so sehr wundern könnten – de facto gibt es mich nicht mehr, weil die Mehrheit aller Staaten ihr Volk unterdrückt; allgemeiner Wohlstand und Fortschritt für das Volk steht überhaupt nicht im Vordergrund, ist auf keiner Agenda mehr drauf – ergo, per Definition, ist alles, was wir heute sehen, keine…“

„Sehen sie das nicht ein wenig zu schwarz?“

„Junger Mann, sind sie mal in der Welt gewesen?“

„Natürlich, warum fragen sie?“

„Geld und Macht hat die Länder der Welt pervertiert – die Saat ging auf und man erntete…“

„Sie haben völlig Recht…..“

„Womit? Sie unterbrechen mich ja schon wieder….“

„Sie SIND anstrengend…..….“

„Alle sagen das, sie sind da nicht der…“

„Können wir nicht einfach nur einen Apéro…?“

„Natürlich, aber sie müssen sich schon etwas anstrengen – ich langweile mich schnell, wenn ich nur so rumsitze und….“

„Ja-ja, habe ich ja erstanden – zum Wohl!“ – hoffentlich gibt sie ein wenig Ruhe; eigentlich will man doch nur in Ruhe trinken und leben, oder nicht?

„Prost – Santé!“

 

Supermarkt

Seit Tagen hab ich nichts gegessen, dafür umso mehr getrunken und bei Musik geschrieben – The-Wall – fantastisch – bis mir die Zeit heimleuchtete – jetzt knurrt mir der Magen, als würde ein Rudel Wölfe in mir wohnen – hast nichts zu beißen – hilft nichts, du musst aus deinem Tartarus raus, hinaus in die grelle Welt – egal ob Roger noch so schön singt – Daddy, what you left behind for me – rein in den Supermarkt.                                                                                                                                            Durch endlose Gänge geschlichen, alles schnell zusammengeklaubt, wie ein Junkie, oder ein Vamipr, der das Licht hasst, hier ein paar Eier, dort Salat und Brot – sicherlich, Schips und Karottensaft für Seele und Haut, Suppengemüse für den Topf, Fleisch zum Braten – irgendwann braucht jeder Eisen, geschmiedet oder im Magen.

Lange Schlangen an den Kassen, einer der Gründe, warum ich selten einkaufen gehe – warten bekommt mir nicht – dort, das sieht gut aus, nur zwei vor mir – Guten Tag – Tag – können Sie bitte den Kindersitz? – Ja, natürlich, kleinen Moment, so Charlotte und hopp – Klasse, haben sie vielen Dank – Blip – schau dir das mal an, was will die mit all den Vanille-Kerzen – Blip – ne Geburtstagsfeier – Blip – für deine kleine Prinzessin, nicht wahr? – Blip – hattest keine Zeit mehr, zu Ikea zu fahren, – Blip – wo sie da doch viel billiger sind? – Blip – Ärgerst du dich jetzt? Ach, sieh an, ein Repair-Shampoo – Blip – heute gönnst du dir was, viel Zeit bleibt dir im Moment nicht für dich, oder – Blip – man muss Acht geben, dass man sich nicht vernachlässigt, das man sich selbst hin und wieder auch was Gutes tut – bestimmt kommen gleich ihre besten Freundinnen – Blip – ob die wohl Topfschlagen spielen – Blip – so wie du früher? – Blip – Mama, ich will nach Hause – Gleich Charlotte, gleich, wir sind gleich fertig – Blip – Mother do you think they‘ll drop the Bomb? – Bestimmt bekommst du bald ein Pferd – Blip – ja, ganz sicher – Mama, jetzt – Blip – Gleich Charlotte – Blip – nein, natürlich kein Pony – Blip – was richtig Erwachsenes, ich bin mir sicher – Blip – wahrscheinlich wirst du bestimmt – Blip – noch ganz viel – Blip – im Leben bekommen – Blip – vielleicht nicht nur IM, sondern auch VOM – Blip – Mother should I run for President? – Das sind dann 48, 57 – Mit Karte bitte – Gerne – Sammeln sie Treuepunkte? – Mother should I trust the Government? – Oh ja, danke, sehr gerne – Wow, sehr gerne sogar, was mach ich denn sehr gerne? Hm, Wein trinken, Bücher lesen, auf dem Sofa liegen, aber Treuepunkte sammeln? – Hier, bitte – Danke- Brauchen Sie die Quittung? – Hm, ja doch, gerne, danke, Tschüß – Schüß – Schönes Wochenende – Danke, ihnen auch.

-Guten Tag – Moin – Blip – Blip – Blip – Blip – das macht 6,35 – Na, das nenn ich mal ein Mittagessen, vier halbe Liter Bier – Halt, warten Sie, ich brauche noch Zigaretten – Das denke ich auch. Nach dem Ersten bekommst du doch immer-n Schmachter – ich jedenfalls. Aber nach dem Zweiten ist er garantiert unerträglich. Nehm lieber zwei mit – Blip – das macht 12,78 – Warten Sie – Was denn, brauchst du doch noch eine, Kollege? – Die 78 hab ich passend – Was, bitte? Auch das noch, bei deinen Hosentaschen findest du darin doch das ganze Universum, wie willst du jemals 78 Cent passend finden, wir haben Weihnachten, bis du hier fertig bist.

Leichtes Geklimper, Bargeld wird durchwühlt. Besonnen und gründlich kramt der Mann vor mir die 78 Cent zusammen.

– Wollen doch mal sehen, ich habe es gleich – da bin ich mir sicher – 68, 73 so, fast haben wir es – der redet, als wär er eine Krankenschwester – Jetzt aber, passend, sollte so stimmen – Dankeschön – zwanzig, dreißig, vierzig, sechzig, fünfundsechzig, sechs, sieben, achtundsechzig, 73 und 78, stimmt – Die Renten sind wieder sicher, liebe Freunde – Wiedersehen – Tschüß

– Guten Tag – Hallo – Blip – so, jetzt nur noch kurz zahlen – Blip – Schwarzbrot wolltest du auch noch kaufen – Blip – Mist, Obst hast du vergessen – Blip – na gut, dann beim nächsten Mal – Blip – ist wieder typisch – Blip – an Wein und Tabak hast du gedacht – Blip – Obst und Waschmittel natürlich nicht – Blip – obwohl du es – Blip – auf deine Liste geschrieben hast, du bist aber auch ein Töffel – Blip – man-o-man – können Sie bitte ihre Faltbox hoch – Natürlich – Danke – Gerne – das sind dann 83, 87 bitte – sammeln Sie Treuepunkte? – Nein danke, vergesse ich so wieso. Ich kann bei euch neuerdings Bargeld bekommen, nicht wahr? fühle mich wie Captain Future – Wie viel soll es sein? – 200 – Das macht dann 283,87 – sammeln Sie Treuepunkte? – Mit Karte bitte – kleinen Moment, jetzt können sie  – brauchen Sie die Quittung? – Nein danke, eher nicht, schönes Wochenende – Danke, ebenfalls – Guten Tag – Tag – Blip – Können sie kurz? – Jetzt schnell zurück zu Roger und Nofretete.