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Die Moral von der Geschicht – Odyssee 2021 CW10

Scheinen ist mehr als einfach nur Sein. So, oder so ähnlich jedenfalls sprach D vor Kurzem zu Perikles von Korinth, als es ihnen darum ging über das Sein im Grundsätzlichen zu plaudern und dabei von den multi-dimensionalen Wirklichkeitsfeldern jedes Individuums zu universell gültigen Verhaltensweisen im Alltag kamen, bis sie sich nach stundenlanger Diskussion erschöpft, aber zufrieden auf eine Formulierung einigen konnten, die sie – natürlich – mit einem Glas Wein begossen.

So gestalteten sich D’s Tage tagaus und tagein.

Nie war ihm dabei bewusst, dass er des Wurzels Übel war, der mit seiner brennenden Neugier jeden Strauch verbrannte, bis alles um ihn herum gegrillt aussah und letzten-endes zumeist auch war. D wollte die Dinge halt wirklich durchdringen – das ging so weit, dass er etwas stahl, um zu schauen, was sich in ihm drinnen abspielte und vor Allem, wer derjenige war, der ihn das tun ließ.

Er bemerkte nämlich, dass in Wahrheit keiner eine Ahnung von Etwas haben konnte, ohne die Dinge tatsächlich erlebt zu haben; oder in anderen Worten – eine heiße Herdplatte war nicht vorstellbar, was das bedeutete, weil man mit dem Zustand, „heiß“, sowie mit dem Gegenstand „Herdplatte“ so richtig gar nichts anfangen konnte, solange man die Dinge nicht gesehen, oder gar benutzt und bedient hatte.

Es war halt das Indianer-Schiff-Ding, dass man Unbekanntes weder sah, noch richtig wahrnahm, solange man sie nicht gezeigt und erklärt bekam. Woher sollte also irgendeiner wissen was eine „heiße Herdplatte“ ist, ohne mit beidem Erfahrungen gemacht zu haben?

Gang genau – D wusste es nicht, wie so Vieles andere auch.

Es dauerte zwar viele anstrengende Stunden, aber letztendlich gelang es Perikles von Korinth und D sich nach langem Ringen darauf zu einigen, dass die Aufklärung und all ihre großen Philosophen als Solches zwar vom Namen her existierte, jedoch in keinster Weise ihren Job gemacht und sich auch nicht weiterentwickelt hatte, geschweige ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich aufzuklären, nachgekommen war.

Ganz offenkundig waren sie in Schaffenslaune und hatten genug Schwung mitgenommen, dass sie so ganz nebenbei auch den äußerst attraktiv und klug klingenden Satz über – die vollends aufgeklärte Welt, die im Zeichen triumphalen Unheils erstrahlt – zwar beide uneingeschränkt großartig fanden und sich ehrfürchtig davor verneigten, ihn aber nach langer Auseinandersetzung mit der dahinter befindlichen Aussage genauso einstimmig als Quatsch und Unfug abtaten, wie auch immer sie ihn verstehen und auslegten.

So kamen sie keuchend und schnaufend ans Ziel, schienen mit ihrem Ergebnis zufrieden zu sein und verabschiedeten sich zur Siesta, die sie beide akribisch pflegten, jedoch gab es für D keinen Frieden. Sein Geist kaute so intensiv auf Diskussion und Ergebnis herum, dass er einfach nicht zur Ruhe kam.

An Schlaf war überhaupt nicht zu denken.

Gerade wollte er sich durch ein anderes Bild in den Schlaf zwingen, als auf einmal ein paar unbekannte Türen in seinem Gedächtnispalast aufgingen und Monsieur Thalamus plötzlich mit Feder bewaffnet auf seine Kanzel sprang und die folgenden Sätze markerschütternd laut in D’s Unterbewusstsein donnerte, dass dieser erschrocken hochschoss, seinen Griffel packte und wie im Fieberwahn die Botschaft seines wahren Herrns niederschrieb:

„Ethik und Moral sind nicht national;

sie haben weder Pass noch Heimat;

sie sind universell, alles und Jeden gleichbetreffend;

selbst nach dem eigenen Davonsegeln kann man sehen,

welchen Trampelpfad man hinterlassen hat;

ein von Schönheit und Barmherzigkeit gepflasterten,

oder eine Schneise der ohnmächtigen Verwüstung;

darum lebe still und bescheiden,

erschaffend und fördernd…!“

Erschrocken prallte D zurück und starrte die Worte an. Nach und nach drangen sie in sein Bewusstsein, setzten sich dort langsam wie Staub ab, so dass er zufrieden und erleichtert zusammensank und in einen tiefen traumlosen Schlaf hinfortglitt…

Mallorca Interview Teil2 – Odyssee 2020 CW27

5.Juli – seit elf Tagen lebte D wieder zuhause. Nachdem er mehrere Tage gegen eine Armada Flöhe kämpfte, die ihm seine Beine mit ihrem gewaltigen Appetit derart gründlich abgenagt hatten, das überall Messer und Gabel im Beinfleisch steckten, setzte sich der Heilungsprozess langsam aber stetig fort, so dass er wieder klarer Denken und das Schreiben fortsetzte.

In einer barock geschriebenen Whattsapp-Nachricht schlug Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso vor, das Interview fortzusetzen, um weiterzukommen, aber auch, um mehr über den Fortschritt seines neuen Buches zu erfahren, wie sich hinterher herausstellte. Mit Café, Zigarette, sowie seinem Headset bewaffnet, saß D vor dem Laptop und freute sich auf das Gespräch mit der quirligen Journalistin.

CMP: Guten Morgen, wie geht es dir?

DT: Hola, ganz okay und selbst?

CMP: Hervorragend, wie ist deine Woche gewesen?

DT: Appetitlich, wenn ich im Namen der Flöhe sprechen darf, die mich seit Ankunft auf ihrer Speisekarte haben.

CMP: Oh! Das tut mir leid, konntest du bei dem Juckreiz denn schlafen?

DT: Doch-doch, das geht schon, wenngleich meine Beine wirklich abenteuerlich aussehen….

CMP: Kann ich mir vorstellen. Fühlst du dich gut genug, um unser Interview fortzusetzen?

DT: Ist kein Problem, willst du dort weitermachen, wo wir aufgehört hatten?

CMP: Natürlich, zum Auflockern beginnen wir mit ein paar einfachen Fragen, einverstanden?

DT: Okay!

CMP: Hallo Herr Tango, um unser Interview fortzusetzen, stelle ich Ihnen ein paar Fragen zur Auflockerung.

DT: Gerne, warum nicht?

CMP: Wein oder Bier?

DT: Wein

CMP: Berge oder Meer?

DT: Beides.

CMP: Glücklich oder unglücklich?

DT: Unglücklich!

CMP: Halbvoll oder halbleer Glastyp?

DT: Halbvoll!

CMP: Das widerspricht sich, weil……

DT: Tut es nicht, weiter…..

CMP: Dann müssen wir gleich nochmal darauf zurückkommen…..

DT: Okay, weiter-weiter….

CMP: Raucher oder Nichtraucher?

DT: Nichtraucher, der hin und wieder raucht

CMP: Politisch links, oder rechts?

DT: Natürlich links……

CMP: Warum ist das natürlich?

DT: Weil ein solidarisch-denkender, halbwegs gebildeter, kultivierter und neugieriger Mensch unmöglich rechts sein kann, weil dort jegliche Form von Zukunft und Kunst verhungert!

CMP: Wow! Was wäre, wenn ich rechts oder faschistisch wäre?

DT: Nichts, ist ihr gutes Recht zu wählen was sie wollen, nennt sich Demokratie, glaube ich.

CMP: Könnten Sie eine faschistische, konservativ-rechts denkende Frau küssen?

DT: Natürlich! Wer bin ich, über Menschen zu urteilen und ihre anderen positiven Eigenschaften auszublenden? Boris Becker war ein wunderbarer Ausnahmesportler im Tennis und später im Geschäftsleben weniger erfolgreich als Warren Buffet. Niemand kann überall ein Supertalent sein…..

CMP: Lassen Sie uns zu ihrem Widerspruch zurückkommen…..

DT: Okay.

CMP: Wie können sie „unglücklich“ wählen, aber ein „Halbvollglastyp“ sein?

DT: Weil ich „unglücklich“ produktiver und kreativer bin, als glücklich. Außerdem weiß ich nicht einmal was Glück sein soll – ich gehe daher davon aus, dass es mich faul und bequem, wie das Paradies macht – also Zustände und Orte, die ich nicht mag.

CMP: Sie wissen nicht was Glück ist?

DT: Nein, weiß ich nicht, was nicht heißt, dass ich keine glücklichen Momente erlebe, aber das ist etwas gänzlich anderes……

CMP: Schlagen wir die Brücke, zu unserem Gespräch von vor einer Woche….

DT: Gerne!

CMP: Sie sprachen von Quantenphysik, Schrödingers Katze und dass für Sie die Literatur das wahre Leben ist, weil Sie Erlebtes oder Nicht-Erlebtes ohne Zeitlimitierung in jeder möglichen Tiefe schreiben, also leben können – wie sollen wir uns das vorstellen und welche Verbindung sehen Sie zu ihrem aktuellen Werk?

DT: Sie können nicht agieren und sich dessen darüber, im gleichen Atemzug bewusst sein, in der Literatur kann ich das, daher ist es für mich dass wahre Leben, deswegen ist es für Schreiberlinge so wichtig, zu reisen, den ohne neue Reize, können sie zwar wie Proust im Bett bleiben und alltägliche Dinge bis in den Molekularbereich genau beschreiben, aber irgendwann ist der Kelch ausgetrunken – reisen, ist eine schöne Art, sein Fass wieder und wieder zum Überlaufen zu bringen.

CMP: Sie haben nichts zu meiner Frage zu ihrem nächsten Buch gesagt, reiner Zufall oder Absicht?

DT: Beides ein wenig……

CMP: Wollen Sie ihren möglichen potenziellen Lesern nicht einen Vorgeschmack geben?

DT: Eigentlich nicht…..vielleicht ändere ich nochmal alles, und dann?

CMP: Aber das Thema bleibt doch das Gleiche, oder könnte es sein, dass Sie auch das über den Haufen werfen?

DT: Nein! Also gut, es wird ein Wirtschaftskrimi, der sehr gut in die aktuelle Zeit passt…..

CMP: Warum?

DT: Weil Kapitalismus, der sich ausschließlich auf wirtschaftliches Wachstum konzentriert, die Mehrheit der Menschen in die Mittellosigkeit zwingt und eine Minderheit unermesslich reich werden lässt, inklusive dem vollständigen Versagen von Ethik und Moral. Daher muss es andere Formen des Wachstums geben und über das Bürgergeld ernsthaft gesprochen werden. Wie soll das Menschsein der Zukunft aussehen, wenn uns Maschinen die Mehrheit abnimmt? Sprechen Sie mit Richard David Precht und Harald Welzer, oder lesen und hören Sie, was die zu sagen haben – die bringen diese Themen sehr gut auf den Punkt.

CMP: Interessant, das werde ich machen! Zurück zu ihrem Buch, ein Wirtschaftskrimi sagen Sie? Wo spielt er und wie heißt der Protagonist?

DT: Das werde ich Ihnen nicht sagen, falls ich noch Änderungen vornehme.

CMP: Wann wird es erscheinen?

DT: Mein Verlag meint Ende Juli, ich denke es wird vermutlich eher August.

CMP: Warum geben Sie uns nicht mehr Hinweise, mögen Sie keine Vorfreude?

DT: Es programmiert und erzeugt Erwartungen, nein, ich bin kein Freund von Erwartungen aber ein großer Befürworter vom jungfräulichen Erleben, im eigentlichen Sinne – stellen Sie sich vor, sie gehen in ein Museum und da steht vor jedem Kunstwerk, was es ausdrückt – Eine Katastrophe, weil dann raubt man Ihnen ihre intime Eigenbetrachtung, weil man ihren Geist bereits kontaminierte…….

CMP: Aber in ganz vielen Ausstellungen macht man das so……

DT: Ich weiß, aber deswegen muss es nicht gut oder richtig sein, nur weil alle es machen, geschweige muss man es nachmachen; ich habe mit einigen Kuratoren Streitgespräche gehabt, ohne Namen zu nennen…

CMP: Schade, mich hätte interessiert, wen Sie da aufs Korn genommen haben…..

DT: Ich kann Ihnen aber die Antwort geben, mit der mich einer der Herrschafften, es war übrigens keine Frauschafft dabei, beglückte….

CMP: Sagen Sie schon……

DT: Er schrieb, dass die Besucher ihre Beschreibungen sehr schätzen würden, weil es Orientierung gäbe…

CMP: Das finde ich auch, und das ist doch etwas Gutes, finden Sie nicht?

DT: Nein, natürlich NICHT! Darum geht es doch in der Kunst, um Freiheit, darum, eigene Erlebnisse, sich der eigenen Phantasie, der eigenen Empfindung hinzugeben – meine unbefleckte jungfräuliche Sicht töten Sie, noch bevor sie geboren ist, indem man etwas vorwegnimmt und es beschreibt – Kuratoren und ihre Ausstellungen haben einen Bildungsauftrag gegenüber dem Bürger – den die Mehrheit von völlig verfehlt, jedenfalls in Deutschland…..wollen wir an dieser Stelle pausieren?

CMP: Gerne! Haben Sie vielen Dank Herr Tango – was werden Sie heute noch machen?

DT: Jetzt einen Apéro zu mir nehmen und schreiben – und Sie?

CMP: Essen zubereiten….

DT: Na dann bonne app…..et à bientôt

Klacken in der Leitung. D legt auf, schenkt sich Rotwein ein und beginnt weiterzuschreiben.