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22.Oktobär – El Misterio – Odyssee 2022

Zur Zeit schlaf ich wieder mal wenig; keine Ahnung warum; länger als vier oder fünf Stunden sind‘s nie; woher die Unruhe, hab ich was verbrochen, übersehen; keine Ahnung, vielleicht ist’s die Zeit; oder es liegt am Günther-Phänomen; nach „El Niňo“, „El Niňa“ und „El Condor Pasa“ ist das G-Phänomen ähnlich berüchtigt; bis heute tappt die Wissenschaft im Dunkeln.

Zum ersten Mal beobachtete ich‘s beim Grenz-Zaun-Brand 1999.

Ex-Nachbar Günther steckte uns’re Hecke in Brand und wünschte, das wir alle beim Wiederaufbau mitinvestierten; versuchte ich diplomatisch darauf zu reagieren, stieß der Wunsch bei meiner Freundin auf wenig Gegenliebe; alles versuchte ich, um den bitteren Geschmack zu lindern; Wissenschaftler untersuchten das Phänomen – alles ohne Erfolg.

Seit dem ist man gewarnt.

Deswegen gibt’s bis heut kein Frühwarnsystem; das Phänomen kommt aus‘m Nichts, von jetzt auf gleich; letzten Mittwoch geschah’s wieder; elf Jahre lauerte es im Unterholz; wie’n Vulkan verschafft es sich Luft; einzige Erkenntnis die man hat ist, dass man‘s mit einer Art „Werte-Gefühle-Ego-Gier-Zorn-Komplex zu tun hat.

Was war – diesmal – geschehen.

Ein Freund, gleichzeitig Eigentümer und Vermieter einer Wohnung schrieb seinem Kumpel und Mieter per Whattsapp, „ich denk darüber nach, das Mietverhältnis zu beenden; Mieterhöhung gibt‘s auf jeden Fall; du hast lang genug günstig gewohnt; ab 2023 wird das anders!“

Was war passiert?

Jahre zuvor; eine ehemalige Schlachterei in Schleswig-Holsteinischer Steppe; Schlachter Lorenz hatte sich von seiner Frau getrennt, jedoch nicht in klassischer Art; stattdessen verarbeitete er sie zu Wurst, äußerst schmackhaft wie Dorfbewohner fanden, bis Gesundheitsamt und Kriminalpolizei seinen Laden schlossen. Fingernägel inn’er Wurst ließen Zweifel über’s „Verschwinden“ der Ex-Frau aufkommen.

Trotz Straftat, liefen zufriedene Kunden Sturm.

In stundenlangem Handgemenge wurden letzte Reste der Gattin-Wurst, der polizeilichen Spurensuche abgerungen; bei zahlreichen Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Polizeibeamte später zahlreiche Trophäen, sowie die zwei sorgfältig abgeschnittenen Fußstümpfe die immer noch dekorativ in Stilettos steckten.

Dorfbewohner wurden festgenommen.

Eine verwüstete Schlachterei hinterließ deutliche Spuren; über Jahre blieb der Ort in der Presse; doch bald wuchs Gras über die Sache; ratlos betrachtete der Eigentümer die mittlerweile heiskalten Trümmer; was tun mit der Immobilie, fragte er sich nachts, wenn er’s tagsüber erfolgreich verdrängte.

Dann kam die Gelegenheit.

Ein Kumpel suchte ’ne Bleibe; Ruck-Zuck war die Idee auf’m Tisch und der Kumpel begeistert; er könne die Schlachterei inne Wohnung verwandeln, so die Worte des Eigentümers; Geld könnt er kriegen. Nur gestalten und machen müsse er‘s selber.

So geschah es.

Ein Jahr später zog er ein; elf Jahre wohnte er zufrieden in der berühmten Schlachterei; dann vor wenigen Wochen die überraschende Anfrage vom W-Amt; die Wasseruhr müsse gewechselt werden; Termin hätte man freundlicherweise schon festgelegt.

Jedoch war der Mieter noch im Urlaub.

Als Kumpel genoss der Eigentümer hohes Vertrauen vom Mieter; natürlich hatte er Schlüssel; in elf Jahren öffnete er diverse Male Heizungsablesern, Elektrikern und anderen, wenn sein Kumpel & Mieter weg war – alles schien normal, wie bei der Schlachterfrau; so gewährte der Eigentümer auch diesmal den Handwerkern Einlass.

So geschah es – und es schien gut zu sein.

Die häufige Abwesenheit des Mieters machte es unmöglich regelmäßig Staub zu wischen; aber Staub kann hartnäckig sein; Staub und Eigentümer; eine Stunde vor den Handwerkern kam der Eigentümer; beim Eintreten blickte er sich um und seufzte. „Öfter putzen würd der Wohnung gut zu Gesicht stehen“, dachte er; überhaupt, wie könne man so günstig wohnen und nicht zumindest pfleglich damit umgehen?

Undank blieb aller Welten Lohn,

war die Fortsetzung seines Gedanken, der seine Stimmung trübte,. Zwar hatte der Eigentümer seinen Kumpel in der Wohnung schon oft besucht, jedoch immer bestens gelaunt; tendenziell sogar zufrieden über Zustand und Pflege seiner 4-Wände; kein Wunder, hatte der Mieter sie nach eigenen Vorstellungen geschmackvoll renoviert und den Wert damit vergrößert, sowie 11 Jahre pünktlich Miete gezahlt.

Leider macht Moral keine Menschen satt.

So warteten Wissenschaftler nach dem Heckenbrand aus allen Herren-Ländern auf’s nächste Mal; und ihr Warten sollte sich lohnen; durch Zufall fanden hinzugezogene Literaturwissenschaftler erste Hinweise, dass schon Berthold Brecht mit dem Phänomen zu tun hatte; er formulierte seine Beobachtungen so:

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“

Gestern fielen uns erste Ergebnisse der vielen Untersuchungen in die Hände; seitdem spielt sich die Hölle bei uns ab; Linguisten aus aller Welt streiten seit 14:35 MEZ darüber, ob das Günter-Phänomen eigentlich Brecht-Phänomen heißen müsste; erste Doktor-Arbeiten sind lanciert.

Doch wie ging’s dem Kumpel & Mieter,

hatte er doch, wie ich damals, mit Ähnlichem zu kämpfen; erste Untersuchungen ergaben, dass unser Brecht-Phänomen anscheinend ausschließlich bei weißen vermögenden Männern über 60 entsteht; anfänglich grenzte man es auf einen unbekannten Kreis in Schleswig-Holstein ein, mit dem verdächtig klingenden Namen,

Stormarn.

Gestern überschlugen sich dann die Ereignisse; Eil-Meldungen schossen wie Pilze aus der Erde und berichteten über ähnliche Phänomene in Frankreich, Spanien, Italien – und ganz besonders auffällig – den USA. Doch wie genau entsteht es? Profitiert es von ’ner perfiden Kombination aus Vergesslichkeit und verletztem Stolz?

Oder ist es mehr

als ein „Die Zeit schwindet, nichts wird von mir übrig bleiben, es wird ernst, ich bin daher mies drauf – Syndrom“ zu verstehen, das sich dynamisch weiterentwickelt und im Wirt unaufhörlich weiterwächst, bis es zum Ausbruch kommt?

Viele Fragen müssen beantwortet werden,

denn es scheint ähnlich gefährlich und ansteckend zu sein wie Covid-19, Schweinepest, Geiz, Neid, Selbstverliebtheit und Angst; erste wissenschaftliche Rufe werden laut, das Phänomen in „El misterio“ umzutaufen, um es besser in die Architektur anderer Phänomene integrieren zu können.

Sie sehen es ja selbst, es bleibt spannend…

Mallorca Interview Teil2 – Odyssee 2020 CW27

5.Juli – seit elf Tagen lebte D wieder zuhause. Nachdem er mehrere Tage gegen eine Armada Flöhe kämpfte, die ihm seine Beine mit ihrem gewaltigen Appetit derart gründlich abgenagt hatten, das überall Messer und Gabel im Beinfleisch steckten, setzte sich der Heilungsprozess langsam aber stetig fort, so dass er wieder klarer Denken und das Schreiben fortsetzte.

In einer barock geschriebenen Whattsapp-Nachricht schlug Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso vor, das Interview fortzusetzen, um weiterzukommen, aber auch, um mehr über den Fortschritt seines neuen Buches zu erfahren, wie sich hinterher herausstellte. Mit Café, Zigarette, sowie seinem Headset bewaffnet, saß D vor dem Laptop und freute sich auf das Gespräch mit der quirligen Journalistin.

CMP: Guten Morgen, wie geht es dir?

DT: Hola, ganz okay und selbst?

CMP: Hervorragend, wie ist deine Woche gewesen?

DT: Appetitlich, wenn ich im Namen der Flöhe sprechen darf, die mich seit Ankunft auf ihrer Speisekarte haben.

CMP: Oh! Das tut mir leid, konntest du bei dem Juckreiz denn schlafen?

DT: Doch-doch, das geht schon, wenngleich meine Beine wirklich abenteuerlich aussehen….

CMP: Kann ich mir vorstellen. Fühlst du dich gut genug, um unser Interview fortzusetzen?

DT: Ist kein Problem, willst du dort weitermachen, wo wir aufgehört hatten?

CMP: Natürlich, zum Auflockern beginnen wir mit ein paar einfachen Fragen, einverstanden?

DT: Okay!

CMP: Hallo Herr Tango, um unser Interview fortzusetzen, stelle ich Ihnen ein paar Fragen zur Auflockerung.

DT: Gerne, warum nicht?

CMP: Wein oder Bier?

DT: Wein

CMP: Berge oder Meer?

DT: Beides.

CMP: Glücklich oder unglücklich?

DT: Unglücklich!

CMP: Halbvoll oder halbleer Glastyp?

DT: Halbvoll!

CMP: Das widerspricht sich, weil……

DT: Tut es nicht, weiter…..

CMP: Dann müssen wir gleich nochmal darauf zurückkommen…..

DT: Okay, weiter-weiter….

CMP: Raucher oder Nichtraucher?

DT: Nichtraucher, der hin und wieder raucht

CMP: Politisch links, oder rechts?

DT: Natürlich links……

CMP: Warum ist das natürlich?

DT: Weil ein solidarisch-denkender, halbwegs gebildeter, kultivierter und neugieriger Mensch unmöglich rechts sein kann, weil dort jegliche Form von Zukunft und Kunst verhungert!

CMP: Wow! Was wäre, wenn ich rechts oder faschistisch wäre?

DT: Nichts, ist ihr gutes Recht zu wählen was sie wollen, nennt sich Demokratie, glaube ich.

CMP: Könnten Sie eine faschistische, konservativ-rechts denkende Frau küssen?

DT: Natürlich! Wer bin ich, über Menschen zu urteilen und ihre anderen positiven Eigenschaften auszublenden? Boris Becker war ein wunderbarer Ausnahmesportler im Tennis und später im Geschäftsleben weniger erfolgreich als Warren Buffet. Niemand kann überall ein Supertalent sein…..

CMP: Lassen Sie uns zu ihrem Widerspruch zurückkommen…..

DT: Okay.

CMP: Wie können sie „unglücklich“ wählen, aber ein „Halbvollglastyp“ sein?

DT: Weil ich „unglücklich“ produktiver und kreativer bin, als glücklich. Außerdem weiß ich nicht einmal was Glück sein soll – ich gehe daher davon aus, dass es mich faul und bequem, wie das Paradies macht – also Zustände und Orte, die ich nicht mag.

CMP: Sie wissen nicht was Glück ist?

DT: Nein, weiß ich nicht, was nicht heißt, dass ich keine glücklichen Momente erlebe, aber das ist etwas gänzlich anderes……

CMP: Schlagen wir die Brücke, zu unserem Gespräch von vor einer Woche….

DT: Gerne!

CMP: Sie sprachen von Quantenphysik, Schrödingers Katze und dass für Sie die Literatur das wahre Leben ist, weil Sie Erlebtes oder Nicht-Erlebtes ohne Zeitlimitierung in jeder möglichen Tiefe schreiben, also leben können – wie sollen wir uns das vorstellen und welche Verbindung sehen Sie zu ihrem aktuellen Werk?

DT: Sie können nicht agieren und sich dessen darüber, im gleichen Atemzug bewusst sein, in der Literatur kann ich das, daher ist es für mich dass wahre Leben, deswegen ist es für Schreiberlinge so wichtig, zu reisen, den ohne neue Reize, können sie zwar wie Proust im Bett bleiben und alltägliche Dinge bis in den Molekularbereich genau beschreiben, aber irgendwann ist der Kelch ausgetrunken – reisen, ist eine schöne Art, sein Fass wieder und wieder zum Überlaufen zu bringen.

CMP: Sie haben nichts zu meiner Frage zu ihrem nächsten Buch gesagt, reiner Zufall oder Absicht?

DT: Beides ein wenig……

CMP: Wollen Sie ihren möglichen potenziellen Lesern nicht einen Vorgeschmack geben?

DT: Eigentlich nicht…..vielleicht ändere ich nochmal alles, und dann?

CMP: Aber das Thema bleibt doch das Gleiche, oder könnte es sein, dass Sie auch das über den Haufen werfen?

DT: Nein! Also gut, es wird ein Wirtschaftskrimi, der sehr gut in die aktuelle Zeit passt…..

CMP: Warum?

DT: Weil Kapitalismus, der sich ausschließlich auf wirtschaftliches Wachstum konzentriert, die Mehrheit der Menschen in die Mittellosigkeit zwingt und eine Minderheit unermesslich reich werden lässt, inklusive dem vollständigen Versagen von Ethik und Moral. Daher muss es andere Formen des Wachstums geben und über das Bürgergeld ernsthaft gesprochen werden. Wie soll das Menschsein der Zukunft aussehen, wenn uns Maschinen die Mehrheit abnimmt? Sprechen Sie mit Richard David Precht und Harald Welzer, oder lesen und hören Sie, was die zu sagen haben – die bringen diese Themen sehr gut auf den Punkt.

CMP: Interessant, das werde ich machen! Zurück zu ihrem Buch, ein Wirtschaftskrimi sagen Sie? Wo spielt er und wie heißt der Protagonist?

DT: Das werde ich Ihnen nicht sagen, falls ich noch Änderungen vornehme.

CMP: Wann wird es erscheinen?

DT: Mein Verlag meint Ende Juli, ich denke es wird vermutlich eher August.

CMP: Warum geben Sie uns nicht mehr Hinweise, mögen Sie keine Vorfreude?

DT: Es programmiert und erzeugt Erwartungen, nein, ich bin kein Freund von Erwartungen aber ein großer Befürworter vom jungfräulichen Erleben, im eigentlichen Sinne – stellen Sie sich vor, sie gehen in ein Museum und da steht vor jedem Kunstwerk, was es ausdrückt – Eine Katastrophe, weil dann raubt man Ihnen ihre intime Eigenbetrachtung, weil man ihren Geist bereits kontaminierte…….

CMP: Aber in ganz vielen Ausstellungen macht man das so……

DT: Ich weiß, aber deswegen muss es nicht gut oder richtig sein, nur weil alle es machen, geschweige muss man es nachmachen; ich habe mit einigen Kuratoren Streitgespräche gehabt, ohne Namen zu nennen…

CMP: Schade, mich hätte interessiert, wen Sie da aufs Korn genommen haben…..

DT: Ich kann Ihnen aber die Antwort geben, mit der mich einer der Herrschafften, es war übrigens keine Frauschafft dabei, beglückte….

CMP: Sagen Sie schon……

DT: Er schrieb, dass die Besucher ihre Beschreibungen sehr schätzen würden, weil es Orientierung gäbe…

CMP: Das finde ich auch, und das ist doch etwas Gutes, finden Sie nicht?

DT: Nein, natürlich NICHT! Darum geht es doch in der Kunst, um Freiheit, darum, eigene Erlebnisse, sich der eigenen Phantasie, der eigenen Empfindung hinzugeben – meine unbefleckte jungfräuliche Sicht töten Sie, noch bevor sie geboren ist, indem man etwas vorwegnimmt und es beschreibt – Kuratoren und ihre Ausstellungen haben einen Bildungsauftrag gegenüber dem Bürger – den die Mehrheit von völlig verfehlt, jedenfalls in Deutschland…..wollen wir an dieser Stelle pausieren?

CMP: Gerne! Haben Sie vielen Dank Herr Tango – was werden Sie heute noch machen?

DT: Jetzt einen Apéro zu mir nehmen und schreiben – und Sie?

CMP: Essen zubereiten….

DT: Na dann bonne app…..et à bientôt

Klacken in der Leitung. D legt auf, schenkt sich Rotwein ein und beginnt weiterzuschreiben.