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12.Juni – das Bad des Hades – Odyssee 2022

Nach langer Planung besuchte ich meinen Kumpel Pierre-André. Für mich ist PA in Wahrheit Druide. Offiziell ist er Winzer und lebt bei Langon, genauer gesagt in Toulenne. Wenn er sich nicht um Wein kümmert, kocht oder trinkt, oder beides zugleich, liest er die Zukunft aus Knochen, Eingeweiden eines Kaninchens, oder von den Schenkeln seiner Freundin. Letzteres hat mich auch immer interessiert; oft habe ich mich versucht,

gefunden habe ich meistens was anderes.

Es liegt daran, dass ich leicht abgelenkt bin, besonders wenn Frauen im Spiel sind; hier sind PA und ich uns sehr ähnlich. Schon vor Jahren vermutete ich, dass er in Wahrheit der Präsident des Universums sein müsste, natürlich ohne davon zu wissen;

solche Ämter bekommt man verliehen.

Diesmal fand ich nicht nur Indizien, sondern echte Beweise. An diesem Wochenende lernte ich die Wahrheit über ihn. Es gehen nämlich nicht nur die griechischen Götter bei PA ein und aus, nein, es ist viel beeindruckender. Sein Haus ist der Beweis dafür, dass die Milchstraße schon vor Jahren implodierte!

Sie krempelte ihr Innerstes nach außen – und umgekehrt.

Seit dem Zeitpunkt, befindet sich die Milchstraße im Haus von Piérre-André. Ganz erstaunlich wie ich finde ist dabei, dass es vor den Augen von Hawking und all den anderen Wissenschaftlern passierte. Als ich gestern sein Haus betrat, da geschah es. Ich spürte es sofort. Ein unaufhaltsamer Sog, wie ich ihn nur von schwarzen Löchern kenne.

Doch das war es nicht.

Je länger ich grübelte, erinnerte es mich mehr ans Verbrennen durch’ne Supernova, wenn sie sich aufbläht und man verschlungen wird. Gegenüber vom Eingang thronte der viel zu große Kamin, vor dessen Feuer ein aufgespießtes Kaninchen seine Runden drehte; zur Linken prunkte eine mächtige Anrichte. Hier erlebte ich das Gleiche. Kaum sah ich genauer hin, gab’s einen weiteren Strudel. Wohin ich auch sah, überall wuchsen neue Welten und Milchstraßen.

Und alles direkt vor meinen Augen.

Ein paar Türen der Anrichte hatten kleine Fenster, aus den weitere Planeten neugierig herausschielten. Auch Flaschen und Gläser standen dort, viele halbvoll, vor langer Zeit geöffnet, nicht ganz ausgetrunken, für später weggestellt, es mochte Jahre her sein; ein beachtlicher Berg Tabletten und jegliche Form von Medizin, die man PA verschrieben,

die er jedoch nie eingenommen hatte.

Eine nicht minder eindrucksvolle Auswahl Werkzeuge, Feuerzeuge, Aschenbecher, Rechnungen, Bücher und ein meine ganze Anerkennung und Aufmerksamkeit auf sich ziehender Vorratskarton Kondome, der Bordellbesitzer*innen in der gesamten Galaxis

feuchte Augen geschenkt hätte.

Schon dieser Kosmos verschlang mich mit Haut und Haaren. Nie würde ich hier wieder wegkommen, soviel stand fest. Doch das war längst nicht alles. Irgendwann musste ich aufs Klo. Auf dem Weg dahin, durchschritt ich auf leisen Sohlen die Küche, um nicht die gewaltigen Berge Töpfe, Pfannen Gemüsereste beim Plausch aufzuschrecken,

deren Gesprächs-Takt ein stetig tropfender Wasserhahn gab,

der wie ein galaktisches Metronom unendlich weit und tief klang; erfolgreich, ohne Aufsehen zu erwecken und Wegzoll zahlen zu müssen, passierte ich diesen Isthmus, der mich beim Durchschreiten an ein Wurmloch erinnerte, in dem die Zeit still steht.

Endlich bin stehe ich vor der Tür vom WC.

Langsam öffnete ich die Tür. Ein elegisch-schummriges Licht glomm darin, obwohl keine Lampe brannte. Noch ahnte ich nicht, welchen großen Schritt ich für die Menschheit wagte. Vorsichtig schob ich mich hinein, aus mir unbekannten Gründen war ich sprungbereit. Endlich traute ich mich und knipste Licht an. Beim Aufblitzen zuckte ich zusammen, gefolgt von Stöhnen:

„Oh mein Gott….!“,

entfuhr es mir. Denn ich stand im Bad des Hades. Ihr kennt ihn, jenen einen Moment im Leben, der Alles ändert. Nun kam er zu mir. Jener stumpfe totenbleiche Spiegel, in dem sich schon die gesamte Unterwelt rasiert hatte lächelte wie aus anderen Welten; eine unzählbare Menge Tassen, Gläser und Tuben breiteten sich hier unaufhaltsam

wie die Wüste Gobi aus.

PA scheint jede Woche ’ne neue Zahnbürsten zu verwenden, bei den vielen Sträußen, die in bunt bedruckten Senfgläsern das Bad bewachen. Gewaltige Berge Cremes und Shampoos warten auf Benutzung oder Entsorgung; kein Zweifel, jede seiner Freundin bestand auf ihre eigene Pflegeserie; war dies alleine schon eine Fahrt in der kosmischen Achterbahn, entschied ich mich glücklicherweise doch dafür,

kein genaueres Auge zur Dusche zu werfen.

Ein aus hellblauer Keramik geschmiedetes Tor ließ all meine Hoffnungen und Ängste wahr werden: Hier stand ich nun – einsam und alleine vor der Pforte zum Tartaros. Und dieser Moment ließ mich erzittern. Wie hätte ich mich auf diese unbeschreibliche Unterwelt hätte setzen können? Mit zitternder Hand klappte ich die Brille hoch und versuchte meinen Reißverschluss zu öffnen – vergeblich.

Vor diesem gähnenden Schacht gab alles klein bei.

Doch wie entstand dies Kunstwerk? War es ein Akt des Zufalls, bei dem Musen und Götter nachhalfen? Hatte PA ein klares Bild im Kopf, an dem er aktiv drauf hin arbeitete? Oder entstand alles aus reinem Zufall, was bedeuten musste, dass des Künstlers Botschaften und Anliegen, mit dem Werk selbst mitwuchsen und sich so

zu einem unsterblichen Gesamtwerk aufschwangen?

Das Bad des Hades verlässt du als anderer Mensch. Das änderte sich auch nicht, als PA zum Abend hin nach ausgiebiger Siesta, die bei größeren Weinmengen wichtig sind, eine zweite Genusswelle aus „Trüffel-Eier-Champignon-Suppe“ sowie wild gewachsene Jacobsmuscheln über uns zusammenbrechen ließ, was seinen Gipfel in einem Côte du Boeuf fand.

PA wissendes Lächeln setzte Allem die Krone auf.

Wusste er mehr als er preisgab? Vermutlich. War es wichtig, ob er Winzer, Druide, Magier, Präsident des Universums, Künstler, Frauenheld, Vagabund oder mit den Göttern im Bunde war? Nein. Sein Universum, seine Zeit mit mir zu teilen, noch dazu mit solchen Speisen und Weinen zeichnet wahre Freundschaft aus. Sie bleibt Motor des Universums und macht

ehrerbietend andächtig…

Prometheus und die wilde 10, oder war es die 4? – Odyssee 2021 CW35

05.September – Und mein Ende kam! Nicht das Endgültige, aber meine Zeit in Hellas. Eigentlich war ich ganz froh, wenn ich ehrlich bin, denn wenn ich länger als 10 Tage bleib – zehn ist die magische Grenze – werde ich abhängig; dann muss ich bleiben und das hätte eine Menge Änderungen bedeutet.

So flog ich Montag zurück nach Toulouse. Meine Rückfahrt von Kyparissia nach Athen verlief sonnig und ohne große Störungen; selbst das Athener Stadtzentrum zeigte sich von seiner Sonnenseite, so wie mein Kumpel Savvas, der mir mit seiner Firma-  www.motorent.gr – wie immer ein perfektes Moped zur Verfügung stellte – eine brandneue Buzuki V650.

So landete ich – ebenfalls ohne Zwischenfälle – im sonnig-blümeranten Toulouse, wo ich auf meinen Honda-Rappen sprang und nach Hause galoppierte, um mich schnell im Bett einzurollen und auf Morpheus zu warten; und so geschah es; nur wenige Minuten später kam er im Sauseschritt und nahm mich mit, auf seinen Himmelsritt.

Dienstag wurschtelte ich mich so durch.

Und wieder einmal kam ich mir nicht nur vor, wie König Sisyphos sondern ich fand auch einen Stein in meiner Tasche, den ich – offensichtlich – von Hellas mit nach Frankeich brachte; du meine Güte – dachte ich. Jetzt verschlagert sich wie von selbst, sogar mein unproduktiver Müßiggang, wer hätte das gedacht; über mehr als ein paar Notizen kam ich nicht hinaus, und selbst die, machten nicht viel her; es blieb dabei: mein Dienstag hinterließ keine Spuren, weder im Kosmos, bei mir, oder in meinem nächsten Buch.

Mein Leben blieb absurd.

Schon drohte der nächste Tag. Kurzfristig lud man mich zu einem zwei Tage dauernden Workshop ein; es ging um die Zukunft des Buches, der Kultur im Allgemeinen; eine kleine Gruppe Verleger hatte sich zusammengefunden. Aus mir unbegreiflichen Gründen kamen sie ausgerechnet auf mich, um Autoren-Repräsentant zu sein; ich hatte nichts dagegen, war aber ehrlichgesagt auch nicht besonders erfreut, weil ich geistig noch in Hellas steckte. Doch der Workshop sollte sich als mentales Sprungbrett vom Zehner herausstellen.

Ein Bus brachte uns ans Mittelmeer auf Chateau de Lastaours.

Und dort ging buchstäblich die Post ab; denn der Grund des Workshops war eine Initiative, die ich während der ersten Arbeitssitzung mit dem Namen „Kultur4.0“ versah; Kern des Ganzen war der Schutz des gedruckten Buches, bei gleichzeitiger Förderung von Schriftstellern und Autoren – und spannende Kernfrage – die nach nur wenigen Minuten im Raume stand, blieb folgende:

Wie richtet sich der Literaturbetriebes in Zeiten von Digitalisierung und der Nutzung der bekannten Elemente, bei gleichzeitigem Schutz des gedruckten Kulturgutes aus?

Klang seriös und ernst.

Spanier, Franzosen und Deutsche dachten kollektiv darüber nach, wie man sich für die Zukunft aufstellen muss, um digitale Medien, sowie alle Auswirkungen – ich dachte sofort an e-books, e-reader und all die vielen gestohlenen gratis herunterladbaren PDF-Files, mit denen man Verlage und Schreiberlinge bankrott macht – nutzte, statt sie zu bekämpfen, ohne dabei Buchdruckereien arbeitslos, sondern im Gegenteil mehr Arbeit zu geben, sowie Verlage und Autoren und deren Urheberrecht zu schützen und stärken.

Klang nach Quadratur des Eies.

Überraschenderweise, wie immer im Leben, zeigte sich die Sache weniger komplex, als ursprünglich geahnt, denn letztendlich fanden wir heraus, dass der ganze Literaturbetrieb vom eigenen Hochkultur-Standesdünkel seit langer Zeit in den Abgrund gezogen wird, mit dem man bis vor der Digitalisierung gut herumdünkeln und ausgrenzen konnte.

Doch diese Zeit war längst vorbei – nun galt es, elitäre Bildungs-Attitüden und deren teils unbewusst / bewusst ausgeübte subkutane Machtausübungen zu unterminieren, sowie Solidarität unter den Ausgregrenzten neu aufzubauen. Man könnte auch sagen:

Der Literaturbetrieb ist tot – hoch lebe Kultur 4.0

Schnell stellten wir fest, dass es Partner und Investoren benötigt, um das Neue aufzubauen. Ich schlug vor, dass wir uns als zahlenmäßig deutlich unterlegene Spartaner sehen müssen, um gegen die herrschenden Perser siegen zu wollen; wir müssen lediglich ein wachsendes Konzept aufbauen, dass sich – passenderweise – wie ein Virus ausbreitet und seine Energie von der Selbstherrlichkeit des herrschenden Systems bezieht. Wenn man uns dazu noch hoffnungslos unterschätzte, konnte es nur – Sieg- heißen!

Und so geschah es.

Fluchs hatten wir Arbeitsgruppen aufgestellt, die sich um all die verschiedenen Themenfelder kümmern; nach vielen Jahren war ich endlich mal wieder bis in die Haarspitzen motiviert; selbst Freitag hielt es noch an, wenngleich auf etwas niedrigerer Hitze geköchelt, jedoch mit gleicher Intensität.

Und die griechischen Götter sahen, dass es gut werden würde, allen voran Prometheus, der wie keiner von ihnen sonst, den Menschen in ihrer Hintertriebenheit und Vermaledeitheit glich – und so geschah das Wunder:

Es brannte Feuer…

Torwächter mit Filterlosen

-Hallo, sag mal, kennen wir uns nicht?

-Doch natürlich, wir sind uns schon oft begegnet, aber du hast mich immer ignoriert.

-Tatsächlich? Sehr oft?

-Ja, jedes Mal. Du bist der Einzige, übrigens.

-Wie meinst du das? Wir kommen doch am Ende alle, oder nicht?

-Natürlich, aber bei dir hat es sehr lange gedauert, meine Güte, wie oft stand ich dir gegenüber!

-Kam mir gar nicht so vor.

-Natürlich nicht, du wirst mich nicht jedes Mal gesehen haben, sonst hättest du vermutlich Angst bekommen, so wie die anderen.

-Wie meinst du das, die anderen?

-Na komm schon, sei nicht so einfallslos und langsam, du weißt, von wem ich rede.

-Nein wirklich nicht.

– Deine Mitmenschen, wer sonst!

-Achso!

-Sag ich ja, du hast es nicht so mit denen, nicht wahr?

-Das kannst du so nicht sagen, ich helfe schon, entschuldigen bitte. Habe immer gerne geholfen und war für die anderen da, selbst wenn ich mal….

– Nun halt mal die Luft an. Du bist schon ein stumpfer Gesell, findest du nicht?

-Nein, eigentlich nicht, warum?

– Ey, na komm, schau doch mal hin. Während alle anderen nach ein paar Mal in der Regel esoterisch werden, Kerzen anzünden und Hände falten, machst du stumpf weiter, als wenn nie was gewesen wär. Ich nenne das stumpf, selbst jetzt hast du keine Furcht und diskutierst mit mir. Glaub mir, das hab ich selten.

-Warum auch, du siehst doch sympathisch aus. Warum sollte ich Angst haben? Ich bin ja freiwillig hier.

-Nun, das stimmt. Es hat mich, wenn ich ehrlich bin, eigentlich auch sehr gewundert. Erst lässt du nichts anbrennen, raubst, branschatzt, betrügst und hinterlässt verbrannte Erde, am laufenden Band und auf einmal…

-Hast du mal ne Zigarette?

-Wie bitte? Du kommst hierher und fragst MICH nach einer Zigarette?

-Ja, warum nicht? Du rauchst doch bestimmt auch, oder nicht?

-Ich habe aber nur ohne Filter.

-Kein Problem, hab ich früher auch nur geraucht. War klar, dass du so was kräftiges smökst.

-Darf ich weiter-erzählen, ja?

-Oh ja, natürlich, entschuldige!

-Also, du bist sowas wie ein Gefahrensucher, ständig High, auf oder im Speed und dann dieser Kurzschluss. Da stimmt doch was nicht. Was ist uns da entgangen?

-Hast du auch Feuer?

-Ja, natürlich, wer denn wohl sonst, hier nimm das!

Der dunkle Umhangträger holt mit seinem Arm aus, sieht mich furchterregend an und lässt einen Feuerstrahl aus seinem Arm schießen, wie ich es zuletzt bei LSD erlebt hatte, nur diesmal in echt. Ganz schön imponierend. Vorsichtig halte ich die Zigarette in die Feuersbrunst.

-Hm ist die gut!

-Das hoffe ich für dich!

-Nun sei mal nicht böse, ich habe ja nett gefragt. Komm setzen wir uns. Hier wird ja wohl kein Bistro in der Nähe sein, oder?

-Du hast wirklich Nerven! All die Jahre bist du ein Satansbraten und plötzlich ändert sich alles für dich, hüpfst von der Brücke, tauchst hier auf und fragst ausgerechnet MICH nach Feuer und Kippen! Ja, Zeit hast du jetzt in der Tat unendlich. Du machst mich neugierig, was du für ein Kerl bist. Komm mit, ich kenne eine schicke Düne da hinten, da können wir plaudern.

Und so gingen sie zusammen zu einer beachtlich großen Wanderdüne, die eine fast ähnliche Geschwindigkeit hatte, so wie sie beide, weswegen sie ein wenig länger brauchten, als gedacht. Dann endlich saßen sie und der dunkle Umhang begann ihm höchstpersönlich die Regeln zu erklären, die es natürlich auch in seinem Reich gab.