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08.October – Liebe – Odyssee 2023

Bin seit fünf Tagen zurück in Toulouse … die Sonne scheint … tagsüber 30 Grad … abends merkt man, dass der Herbst zurück ist … ganz angenehm, nachdem wir monatelang nachts über 20 Grad hatten … bin heute auf den Markt von Les Carmes …

Wie immer ein wenig spät …

Ich kauf frischen Spinat, Knoblauch und Rosenkohl … der auf französisch „choux de Bruxelles“ heißt … angeblich, weil man diese Miniversion von Kohlkopf dort erfand … keine Ahnung ob’s wahr ist … oder ob’s am Ende wieder Schweizer waren …

… „außerdem noch?“

Ganz in meinen Gedanken vertieft reißt mich mein Gemüsemann aus ihnen heraus, wie eine Mohrrübe aus der Erde (darf man bestimmt nicht mehr sagen wegen Mohr!) … „brauch noch ’ne Zwiebel“ … und … und … Muskatnuss, Herr Müller! …

Diesmal nicht, lieber Louis de Funes …

Tatsächlich fehlt mir noch eine Salatgurke … vor mir liegt ein ganzer Strauß … die sehen aus, als hätt man sie in Tschernobyl aufgezogen … meine Güte, was für Monster … „Ingwer brauch ich auch“ …

Das wär’s dann …

Plötzlich springt mir Liebe in den Einkaufskorb … keine Ahnung wo sie herkommt … dabei hab ich nicht danach gefragt … wo kommt sie her … wieso liegt das Wort Liebe zwischen Rosenkohl und Tomaten … oder gar das unbeschreibliche Gefühl …

Man stelle sich Letzteres vor …

Du meine Güte … wie schrecklich … Liebe kann ich jetzt gar nicht gebrauchen … hab da keine Zeit für … also jetzt gerade … wobei … wenn ich genauer drüber nachdenke … hab ich sie denn nicht schon? … Seit einiger Zeit? …

Bekommt man sie von außen …

Oder ist sie eher so ein Phänomen von innen? … Alle Welt redet davon … Und doch hat kein Mensch leiseste Ahnung … Seit Platon’s Symposium … Natürlich schon lange vorher … schlussendlich … seit es uns Menschen gibt, vermute ich …

dreht sich alles nur darum …

Doch warum tun wir uns so schwer damit … und wieso springt mir dieser Kram gerade jetzt und heute in den Korb … mitten in Toulouse … Marché les Carmes … um 12:45 MEZ … zwischen Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und frischem Spinat …

Warum …

Ich komm nicht drauf … „das macht 17 Euro“ … sagt mein Gemüsemann aus dem Off … „par card s’il vous plaît“ … bin in Gedanken ganz woanders … bei Liebe und beim Eros … vor Allem bei Liebe … die mir aus unerklärlichen Gründen …

ins Gemüse sprang …

Und nun? … Frage ich mich … Soll ich sie an jemanden weiterreichen, wenn ich sie nicht brauche? … Oder gar nicht möchte, weil ich selbst davon hab … als bekäme man eine Tomate geschenkt, wo man schon welche im Kühlschrank hat …

man könnte sie weiterverschenken …

Nur Hedonisten behalten sie … legen sie zu den anderen Tomaten … Vernünftige, den Menschen freundlich Gesinnte, würden sie liebesbedürftigen Menschen geben, oder etwa nicht? … Auf dem Rückweg grüble ich immer noch …

Wo kommt das plötzlich alles her …

Wie ich es auch drehe … ich kann mir keinen Reim darauf machen … entweder flog mir diese Merkwürdigkeit einfach so zu, weil jemand sie mir schenkt …. Vielleicht aber auch kommt Sie von mir selbst … ich hab nur keine Ahnung warum …

Oder es ist alles ganz anders …

Mein ganzer Kopf hängt voller loser Fetzen … ich räume meine Einkäufe ein … und grüble und grüble … eins ist jedoch klar … die Existenz … dass sich genau dies zuträgt … das ich es so erlebe … das akzeptiere ich … leugnen zwecklos …

nützt ja alles nichts …

beschwingt wie ich eh schon drauf bin geh ich zum Blumenladen … Les Jardins d’Ozenne … dort bleibt man geduldig & höflich … meint aber sofort „Achso, wie immer!“ … als ich nach zehn großen langstieligen weißen Lilien verlangte …

glücklich wie ein Satyr geh ich nachhause …

Sorgfältig wie ein Schweizer Uhrmacher von Jaeger-LeCoultre schneid ich die Stile an … knipse Blätter ab, die den sich hoffentlich bald öffnenden Blüten im Weg stehen könnten … fühle mich fabelhaft … wie ein Fisch im Wasser …

keine Ahnung was los ist …

ich nehm jetzt die Hände vom Lenkrad … mal sehen was passiert … während ich diese Zeilen schreib lese ich im hinteren Teil vom Symposium nach … als Sokrates den Freunden seinen Dialog mit Diotima erzählt …

hab ich da nicht diverse Stellen markiert? …

Tatsächlich … da steht’s … schwarz auf weiß … links Altgriechisch rechts Deutsch … entkommen zwecklos … wie oft wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen …

Nun denn … so sei es …

Sie tat es aus Liebe – Odyssee 2021 CW08

D saß mit verschränkten Armen und Beinen auf einem Sofa. Draußen dröhnte Verkehr und Grundrauschen geschäftiger Menschen, während er nachdenklich aus den großen Fenstern des ersten Stocks sah und dem beginnenden Frühling in den offenen Schoß blickte.

D’s Freundin hatte ihre beste Freundin Eva besucht, weil diese von ihrem Partner Mattieu in den kommenden Monaten zum Altar geführt werden sollte und D gesellte sich am Nachmittag dazu.

Eigentlich hatte er vor, zu Maxxess zu fahren, um ein paar Dinge für sein Motorrad zu besorgen, musste jedoch nach wenigen unmotivierten Schritten in seiner Wohnung feststellen, dass er heute offenkundig sogar zum Atmen zu faul zu sein schien. So lud ihn seine Freundin ein, zum Café dazuzukommen.

Mit wachsender Freude, dachte er an den Café, während er durch die Sonne von Toulouse flanierte und sich kurzfristig entschied, das Angebot anzunehmen; eine kurze digitale Nachricht an seine Freundin gab ihr letzte Möglichkeiten zu intervenieren, um das Angebot zurückzuziehen; da dies ausblieb, bog D am Place de la Daurade rechts ab und schwebte dem verlockenden Angebot zielstrebig entgegen.

Schon beim Eintreten, bemerkte D, dass die Damen bereits einige Gläser Champagner intus hatten. Es lag nicht nur allein am schrillen Lachen von Eva, sondern vielmehr an den Themen, die anscheinend schon länger halbseiden zu sein schienen, aber noch keine Grenze des Geschmacks überschritten hatten, dass D sich Sorgen hätte machen müssen.

Es war vielmehr die Wortwahl, die eine unübersehbare beginnende Schlüpfrigkeit unterstrich, die D grundsätzlich begrüßte, besonders an Samstagnachmittagen.

Eva war so etwas wie der Prototyp der idealen Fransösin: Schön und gebildet, noch dazu mit Eigenschaften wie Geschmack, Humor und Empathie hübsch verziert, dass D gerne und völlig frei von Ironie von einem wunderbaren Qualitätsprodukt der fünften Republik sprach.

Auch auf D’s Freundin traf das Meiste davon zu, wenngleich man bei ihr vergeblich die selbe elegant überdeckte Arroganz suchte, mit der ihre Freundin Eva ihren schön hingewachsen Wirtskörper durch die Welt schob.

Schon vor vielen Jahrzehnte entdeckte D diese schwer einzusortierende Eigenschaft an sich, fremde Frauen immer irgendwie ein wenig anziehender zu finden, als seine Partnerin.

Es musste etwas mit gestohlenen Äpfeln zu tun haben, die immer besser schmecken, als die rechtmäßig erworbenen. So fiel es D also an diesem Samstag nachmittag, nach dem Genuss von mehreren Gläsern Champagner zum so und so vielten Mal vor die Füße, dass er Eva mit den gleichen Blicken taxierte, wie die einladende Fleischtheke beim Schlachter nebenan, wo er mit geübtem Blick ein vorzüglich aussehendes Entrécôte erspähte, dass ihm blitzartig der Zahn tropfte.

Und Beine hatte sie!

D musste oft aus dem Fenster sehen, um sich nicht von dieser graziösen Strumpfhose und den Stilettos verzaubern zu lassen; noch dazu hatte sie mit ihren 32 Jahren auch noch ein Alter, dass ihrer Natur alle Möglichkeiten gab, das pulsierende Leben hinter jedem Quadratzentimeter Haut zu finden, die sich nur mit Mühe im Korsett aus Anstand, guter Kinderstube und großbürgerlicher Erziehung im Zaume halten ließ, das D wie zur eigenen Beruhigung seine Hand auf den Oberschenkel seiner Freundin legte, deren Beine in Form, Länge und Farbe in keinster Weise hinter Evas hinterherhinkten.

Sie waren lediglich schlichter hinter Jeansstoff verpackt, was auch hübsch anzusehen war, jedoch nicht diese archaische Wirkung auf D ausübte, wie Nylons in hohen Hacken.

Du meine Güte, hat die Natur dich einfach gestrickt!

dachte D, verzweifelte jedoch nicht allzu lange, weil er der ausgelassenen Unterhaltung der zwei Ladies lauschte, die gerade das nächste Level an Dynamik und Lebensfreude erreicht hatte, wie D unschwer hörte, als weitere Lachkrämpfe der zwei ausgelassen Champagner trinkenden Damen wie Tsunamis über ihn zusammenbrachen, dass er sich immer wieder mal verstohlen umblickte, um breiter und breiter lächelnd nach versteckten Kameras zu suchen.

Eva: (laut lachend, fast ein wenig schmutzig)…wenn er dann fertig ist, sieht er mich immer an, als wenn er unsicher ist, ob er sich Bedanken oder um Entschuldigung bitten soll, weil er nicht weiß, ob er gut genug war – dass kannst du dir nicht vorstellen! Er trägt mich auf Händen; noch nie hab ich einen solch verliebten Mann gesehen; dass Mattieu dann mit dem Antrag um die Ecke kommen würde war mir klar – und bei ihm nahm ich mir diesmal vor, ja zu sagen!

Don’s Freundin: Er ist wirklich ein seltenes Exemplar, Eva, das musst du zugeben; sowas von höflich, nett und zuvorkommend; ein wahrer Gentleman, ganz anders als meiner hier, nicht wahr, Don? (lautes Lachen der zwei Frauen)

Don: (schmunzelte in seinen sieben Tage Bart und nahm sich vor, ein wenig zu zündeln)……wenn Mattieu noch gut kochen und aufräumen kann und noch dazu handwerklich begabt ist, wie du sagst, Eva, dann hast du doch deinen Traum-Prinzen gefunden, der euren zukünftigen Kombi zuverlässig und unfallfrei von der Schule zur Arbeit und wieder nachhause zurückfährt – ich gratuliere – und wieder hast du alles richtig gemacht! (ein wenig sarkastisch und bittersüß ließ D seine Worte einsickern)

Eva: Im Ernst Don: Mattieu ist der perfekte Ehemann! Gut aussehend, aber nicht zu gut, sportlicher Körper, volles Haar, braune liebevolle Augen und ein Maß an Freundlichkeit und Zuverlässigkeit, wie sie nur ein 40 Jähriger haben kann!

DF: Bleib aber lieb zu ihm Eva, okay? Der liebt dich wirklich, behandle ihn gut, versprichst du mir das? Bei Mattieu kannst du dir alles erlauben, du hast das schon ganz richtig bemerkt: Er trägt dich auf Händen; alles wird er für dich machen und noch mehr…

D: (D bemerkte, dass der Alkohol bereits ein gerüttet Maß an Feinsinnigkeit bei den Damen übertünchte)…..du sag mal Eva, für mich klingt das aber eher so wie auf einem Pferdemarkt; hast du denn auch sein Gebiss ausreichend begutachtet? Er ist also zur Zucht geeignet, offensichtlich sogar zu deiner Eigenen?

Eva:…..ich habe mit Feude JA gesagt!

Don: Das habe ich mir bereits gedacht, Eva – aber viel wichtiger ist doch, dass du ihn liebst – den Eindruck habe ich bisher nicht; so wie du über ihn redest klingt es so, als wenn du über einen netten Freund oder einen Kollegen sprichst und nicht über deinen zukünftigen Gemahl!

Das hatte gesessen; D wollte eine Reaktion auslösen, vielleicht klappte es so, dacht er sich; während er sprach hatte seine Freundin nach seiner Hand gegriffen, die immer noch auf ihrem Schenkel lag und hatte angefangen sie a-zyklisch immer wieder leicht zu drücken. Als er dann auf Liebe zu sprechen kam, fuhr sie erschrocken zusammen.

Warum wusste D an diesem Nachmittag noch nicht. War es seine forsche Art, mit der er Eva offen attackierte? Oder war es die wachsende Furcht vor Evas Antwort, die sich immer weiter ausbreitete?

D wusste es nicht.

Eva: Wie jetzt, Liebe? Von was redest du denn da, Don? Natürlich liebe ich ihn nicht! Darum geht es doch gar nicht; ich will Kinder haben, das geht nun einmal nicht ohne Kerl; so etwas wie Kinder hält doch keine Beziehung aus, schau dich doch mal um; wie naiv bist du denn? Wir haben zehn gute Jahre, dann sind die Kinder schon ein paar Jahre in der Schule und dann trenne ich mich sowieso von ihm; ich habe doch keine Lust, mein Leben mit ihm zu verbringen, wie komme ich dazu?

D: Aber…….(sprachlos blickt D mit offenem Mund in die lodernen Augen Evas)

Eva:…nix aber, lieber Don! Aus welchem Märchenland kommst du denn geritten? Wir leben im Jahr 2021 und nicht 1821, schon bemerkt? Heute kann Frau alles machen, sein und haben, so wie die Männer! Ich kann doch mit Kindern keinen hübschen Kerl zuhause gebrauchen, der womöglich fremdgeht, gar fremdvögelt, wie komme ich dazu?

Deswegen darf er auch nicht zu gutaussehend sein, so dass sich alle Frauen nach ihm umdrehen, um Gottes Willen, Don – Kinder sind harte Arbeit, da musst du dich aufeinander verlassen können, sonst hast du schnell Probleme – und die wollen wir ja wohl alle nicht, oder?

Ich will einen gut aussehenden, zuverlässigen, freundlichen Kombifahrer, der mich auf Händen trägt, so lange ich Lust darauf habe und wenn nicht, dann geht das Leben ohne ihn weiter – ist doch das Normalste von der Welt…!

D: Ach so ist das – so hatte ich das noch gar nicht gesehen; wann wollt ihr heiraten?

Eva: Im Juli. Wir suchen zur Zeit nach einem geeigneten Termin, um im Anschluss unsre Flitterwochen zu machen……mir ist eigentlich egal wo, Hautsache Sonne und Strand!

D: Na, da bin ich mir sicher, dass ihr was Passendes findet…Mist ich erinnere mich gerade daran, dass ich doch glatt vergessen habe, ein paar Besorgungen zu machen…

Eva: Du musst los, Don? Na dann können wir uns ja in Ruhe über dich herziehen! (laut lachende Frauen)

D: Da bin ich mir sicher, Eva…

D’s Freundin lässt seine Hand nur widerwillig los und ist sich nicht sicher, ob sie noch länger bleiben soll. Selbst die Champagner-Wirkung hatte etwas an Leichtigkeit und Ausgelassenheit eingebüßt. Schon stand D mitten im Wohnzimmer und machte Anstalten sich zu verabschieden. Mit Sicherheit würde seine Freundin aus Anstand noch bleiben.

D: Ich würde wirklich noch gerne bleiben, aber wenn ich nicht vor 17:30 im Supermarkt bin, lassen die mich nicht mehr rein…ihr kennt ja diese blöde 18:00 Uhr Regelung, die wir immer noch in La France genießen dürfen…bis später, Schatz – bis zum nächsten Mal Eva und noch einmal: Herzlichen Glückwunsch…

Valentino – Odyssee 2021 CW06

14.Februar – Angeblich gab es drei heilige Valentinos. Irgend so etwas las D in Wikipedia, als er sich für diesen Tag rüstete. Mittlerweile hatten sich ganze Industriezweige auf dies Ereignis vorbereitet.

Von Blumensträußen, bis Sexspielzeug gab es nichts, was es nicht gab, was D zu aller erst ungebremst begrüßte, da er Vielfalt aus tiefstem Herzen mochte, wussten die Menschen doch schon seit tausenden von Jahren, das die Liebe auf alles sprang was nicht niet- und nagelfest blieb.

So auch 2021, wo man sich mit nem Schlüpfer vorm Gesicht gegen Viren schützte und Menschen jeder Nation hofften, dass der Spuk möglichst bald aufhörte. Doch danach sah es erst mal noch nicht aus, im Gegenteil.

Überall saßen Staatshörige, sowie deren Zweifler, ähnlich wie beim Valentino.

Für die einen war er ein Heiliger, unabhängig davon, ob es nun zwei, drei oder fünf gab, während es für andere ein Fest der Liebe blieb, weswegen an diesem Wochenende trotz, oder gerade wegen Corona, überall Übernachtungsmöglichkeiten, inklusive Dinner im Süden Frankreichs angeboten wurden.

Für D waren es keine Widersprüche, im Gegenteil.

Denn wenn man einer Sache wirklich auf den Grund ging, merkte man schnell, wie gründlich man sich verlieren konnte, was einen schlussendlich wieder zum Anfang, oder gleich zur Frage führte, warum man sich überhaupt aufgemacht hatte, um etwas komplexes wie Jenes oder Welches verstehen, gar durchdringen zu wollen.

Wäre es nicht viel zweckmäßiger und klüger, wenn man einfach das Leben genoss, so gut und einfach es irgend ging, ohne, hier soll dabei ganz besonders noch einmal hingewiesen werden, ohne die leiseste Ahnung, wie man überhaupt in die Welt gekommen war, geschweige, wie man sich Eigenschaften, Meinungen, Gefühle, Motive samt ihrer Motivationen angeeignet hatte?

War es Langeweile, wenn man den Luxus genoss, sie besitzen, gar erleben zu dürfen?

Oder eine Form von Müßiggang, mit anschließenden Resultaten?

Konnte man zu irgendeinem wirklich wahren Wissen gelangen, wenn man Mensch bleiben wollte, was ein gerüttet Maß an Nichtperfektion, Unwissenheit und Begrenzung in Sachen Bildung, Vorstellung, Empathie, Mitgefühl und Barmherzigkeit voraussetzte, um ein annehmbarer und ernster Erdenbürger zu sein, der mit Limitierung, Faulheit und Unzurechnungsfähigkeit kämpfte?

Oder hatte sich der moderne, gebildete und zivilisierte Mensch doch zu etwas Geistigem aufgeschwungen, wie es die Philosophen der Aufklärung angedroht, oft propagiert und an ihren Lehrstühlen doziert hatten?

Dies, so wie anderes wusste D nicht, und wollte er aus vielen Gründen nicht ergründen. Weil erstens:

War Valentinstag, noch dazu Sonntag, was so ziemlich ausschloss, schwerwiegende Fragen zu behandeln, besonders jene der Aufklärung und ihrer posttraumatischen Kollateralschäden wie deren kritische Auseinandersetzung mit Dingen wie Vernunft, dem Sein, dem großen Nichts oder, wahlweise, dem großen Ganzen.

Zweitens, brauchte man mit D’s Worten nur ein Messer und einen wahlweisen Finger der eigenen Hand auszuwählen, um ganz schnell das eigene Wirklichkeitsfeld festzulegen, sowie Präzision und Ortsbestimmung der eigenen Einbettung in Selbiges.

Was in anderen Worten bedeutete, dass man sich entweder sein Leben lang geirrt, immer richtig gelegen, oder nie die leiseste Ahnung von all dem metaphysischen Kram hatte, mit dem man sich in der Philosophie seit über 2500 Jahren beschäftigte.

Und drittens – was viel wichtiger für das Gelingen des Alltag blieb, sowie daran erinnerte, dass auch das präziseste beschriebene Weltengebäude nichts, rein gar nichts dazu beitragen, geschweige Hilfestellung bei einer sozialverträglichen Einordnung ins große Ganze leisten konnte, wenn am Valentinstag ein alter Kater auf eine rollige Katze traf!

Entweder war alles Natur und somit Tiere, Menschen und die Welt selbst etwas ganz natürliches, oder sie waren es eben nicht und die geistige Ausgestaltung und Definierung Selbiger, löste sich immer weiter vom Wirklichkeitsfeld, in dem sich beide, offenkundig eine ganze Zeit lang gemeinsam befanden, was bedeutete, dass die Aufklärung nie ihrem Versprechen nachgekommen war, eben aufzuklären und sich der Umwelt entsprechend, weiterzuentwickeln.

Dies wiederum war für D ein Beweis dafür, dass Wurstblinker ähnlich exakte Richtungsweiser blieben, wie die integrierten Winkewimpel in der B-Säule des Zwiebel und Ovali-Käfers, die nur deswegen als gebrächliche Technik nicht bestätigt wurden, weil die limitierten Horizonte aller geistigen Väter eben auch unsere Weiterentwicklung aus gleichen Gründen verhinderten, wie damals der gute Siegmund Freud, der den armen Wilhelm Reich, den Ex-Studenten aus seiner „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“ ausschloss, als dieser gedachte die Arbeit des Meisters weiterzuentwickeln.

Was das alles mit heutigem Valentinstag zu tun hatte? D wusste es nicht.

Und weil er so sehr an die Wichtigkeit unschuldiger Unwissenheit und Unvollkommenheit glaubte, konnte er seinen Tag nur mit einem Apéro beginnen, um allen schönen Dingen zu frönen, die ihm Natur, Kosmos, sowie die geistigen und spirituellen Kräfte mitgegeben hatten, solange sie noch viril und vital blieben.

Carpe diem – hatte D irgendwann einmal gelesen – irgendwie freute er sich damals darüber, weil er es bereits praktizierte, bevor er die lateinische Empfehlung lernte – und so geschah es:

D sah, dass sein Valentistag gut war und er tat alles dafür, dass er es blieb – und so sahen auch die griechischen Götter und all die anderen Herrschafften, an die man glaubte, dass es besser war, als es schien,

So geschah es…

Alltagswahnsinn – Odyssee 2020 CW52

27.Dezember – D hatte schlecht geschlafen. Nur mühselig kam er gegen elf Uhr hoch und wusch sich die schlafenden Zähne. Als er nach der Zahnpasta griff, stellte er fest, dass sie leer war; beim Griff in den WC-Schrank, nestelten seine Finger durch allerlei Krams, fanden aber keine neue Tube. „Scheiße!“, stöhnte D und begann sich die fahlen Beißwerkzeuge mit Resten seiner Baldrian-Tinktur zu putzen, während er den ungewohnt krautigen Geschmack genoss, der ihm in langen Speichelfäden aus dem müden Maul tropfte.

Nach einer Weile – D hatte flüchtig sein Gesicht gewaschen – kam er aus dem Bad gekrochen und schlurfte angesäuert durch seine Bude, um sich einen ersten Kaffee zu machen; ungeduldig prasselten Kaffeebohnen in die alte Mühle von D’s Ur-Ur-Großältern (extra mit „ä“ geschrieben, für alle Regel-Fetischisten) und er begann zu kurbeln; nachdem das Mahlen und Knirschen seine Wohnung erfüllt hatte, als ob man die Gebeine des heiligen Fellatios von Päderastien zerkleinerte, blieb nichts mehr übrig, außer brauner wohlriechender Kaffee-Staub.

Geduldig füllte D das duftende Mehl in den Becher, huschte geschwind um den Tresen seiner offenen Küche herum, um Milch aus dem Kühlschrank zu holen, als er beim Rückweg völlig überrascht an der Arbeitsplatte hängen blieb: Erbost fluchte D die schwere Holzplatte an, „Blödes Arschloch!“, als einer seiner Füße unerwartet auf dem verstaubten Boden ausrutschte, so dass D eine gründliche Bauchlandung machte, die unglücklich verlief, da er sich den Kopf an einer der zwei leeren Bierkisten stieß, die er mehrmals vergessen hatte wegzubringen.

Donnernd kippte eine um; alle Flaschen verteilten sich über den Boden, wobei einige zu Bruch gingen und sich sorgfältig mit der leerlaufenden Milchtüte vermischten, die D in seiner unkoordinierten Verzweiflung durch die Wohnung geschüttet hatte, was er aus immer schmaler werdenden Sehschlitzen beobachtete, weil ihn der Schlag auf den Kopf ins Land der Träume katapultierte, bis seine schlaffen Mundwinkel ein gnädiges Lächeln umflorte!

Nach einer Weile kam D wieder zur Besinnung, stöhnte und ächzte wie eine alte Lokomotive, „Was ist denn das jetzt wieder für ein Anschlag gewesen? Hab ich etwas verbrochen?“, fragte D sich, während Glasscherben unter seinen Sandalen knirschten und er den Fehler wiederholte, die Haftung des schmierigen Untergrunds zu überschätzen, dass D erneut ausrutschte und mit aufgerissenen Augen auf einige empfindlich weit hochragende Scherben niedersauste, dass sein Gedächtnispalast Alarm schrie, während er im Sausetempo auf die gläsernen Stacheln zuraste!

Instinktiv wusste D‘s Körper, dass es ihm an die Wäsche ging; das Wegziehen des Armes verhinderte ein jesus-ähnliches Durchstechen der Hand, aber nicht die empfindlich tiefe Schnittwunde, die sofort zu Bluten begann, als hätten sich Pulsadern geöffnet; in großen Schüben pumpte sein Herz roten Saft raus, während der Blutdruck empfindlich abrutschte, dass D ganz schummrig wurde, als er Richtung Sofa schlingerte, um Beine und Leben hoch zu halten.

Unterdessen drückte er mit seinem Daumen instinktiv die blutende Wunde zu, von der bleicher werdenden Hoffnung unterstrichen, „Wird so schlimm nicht sein!“

D lachte über die Absurdität des benutzt schmeckenden Tages immer lauter und lauter, bis ihm Tränen der Freude die Wangen runterliefen und sein pochender Kopf ihn an den ersten Sturz erinnerte. Nach einer Weile stand D erneut auf. „So schnell kriegt ihr mich nicht, das habe ich euch die letzten Male schon gesagt!“, fluchte er, den Griechischen Göttern dabei mit erhobener Faust drohend.

Nachdem er ein gefaltetes Stück Klopapier auf die blutende Wunde gepresst und ein Pflaster provisorisch drüber geklebt hatte, fing er an sich zu fragen, ob er das vielleicht nähen sollte, immerhin machten das Männer im Antiken Griechenland so, warum also nicht jetzt, in modernen Corona-Zeiten, dachte D, wo man in Krankenhäusern weit Wichtigeres zu tun hatte, als unglücklich hingeschlagene Zeitgenossen zu flicken?

Für D schien alles klar zu sein, schmierte Jod auf die Wunde und sah sich den Milch-Scherben-Schlamassel an, den er in seiner Wohnung angerichtet hatte und lachte erneut auf, diesmal jedoch mit respektvoller Vorsicht.

Eine sprudelnde Kopfschmerztablette bildete die Vorspeise, bevor D sich dem Hauptgang widmete, seinem Café, den er mit den letzten Resten der verbliebenen Milch färbte und sich mit pochender Hand aufs Sofa setzte und sich langsam, aber achtsam über das Leben wunderte.

Merry Xmas nachträglich  an alle, die im Leben straucheln, es aber mit Würde erdulden….