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08.October – Liebe – Odyssee 2023

Bin seit fünf Tagen zurück in Toulouse … die Sonne scheint … tagsüber 30 Grad … abends merkt man, dass der Herbst zurück ist … ganz angenehm, nachdem wir monatelang nachts über 20 Grad hatten … bin heute auf den Markt von Les Carmes …

Wie immer ein wenig spät …

Ich kauf frischen Spinat, Knoblauch und Rosenkohl … der auf französisch „choux de Bruxelles“ heißt … angeblich, weil man diese Miniversion von Kohlkopf dort erfand … keine Ahnung ob’s wahr ist … oder ob’s am Ende wieder Schweizer waren …

… „außerdem noch?“

Ganz in meinen Gedanken vertieft reißt mich mein Gemüsemann aus ihnen heraus, wie eine Mohrrübe aus der Erde (darf man bestimmt nicht mehr sagen wegen Mohr!) … „brauch noch ’ne Zwiebel“ … und … und … Muskatnuss, Herr Müller! …

Diesmal nicht, lieber Louis de Funes …

Tatsächlich fehlt mir noch eine Salatgurke … vor mir liegt ein ganzer Strauß … die sehen aus, als hätt man sie in Tschernobyl aufgezogen … meine Güte, was für Monster … „Ingwer brauch ich auch“ …

Das wär’s dann …

Plötzlich springt mir Liebe in den Einkaufskorb … keine Ahnung wo sie herkommt … dabei hab ich nicht danach gefragt … wo kommt sie her … wieso liegt das Wort Liebe zwischen Rosenkohl und Tomaten … oder gar das unbeschreibliche Gefühl …

Man stelle sich Letzteres vor …

Du meine Güte … wie schrecklich … Liebe kann ich jetzt gar nicht gebrauchen … hab da keine Zeit für … also jetzt gerade … wobei … wenn ich genauer drüber nachdenke … hab ich sie denn nicht schon? … Seit einiger Zeit? …

Bekommt man sie von außen …

Oder ist sie eher so ein Phänomen von innen? … Alle Welt redet davon … Und doch hat kein Mensch leiseste Ahnung … Seit Platon’s Symposium … Natürlich schon lange vorher … schlussendlich … seit es uns Menschen gibt, vermute ich …

dreht sich alles nur darum …

Doch warum tun wir uns so schwer damit … und wieso springt mir dieser Kram gerade jetzt und heute in den Korb … mitten in Toulouse … Marché les Carmes … um 12:45 MEZ … zwischen Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und frischem Spinat …

Warum …

Ich komm nicht drauf … „das macht 17 Euro“ … sagt mein Gemüsemann aus dem Off … „par card s’il vous plaît“ … bin in Gedanken ganz woanders … bei Liebe und beim Eros … vor Allem bei Liebe … die mir aus unerklärlichen Gründen …

ins Gemüse sprang …

Und nun? … Frage ich mich … Soll ich sie an jemanden weiterreichen, wenn ich sie nicht brauche? … Oder gar nicht möchte, weil ich selbst davon hab … als bekäme man eine Tomate geschenkt, wo man schon welche im Kühlschrank hat …

man könnte sie weiterverschenken …

Nur Hedonisten behalten sie … legen sie zu den anderen Tomaten … Vernünftige, den Menschen freundlich Gesinnte, würden sie liebesbedürftigen Menschen geben, oder etwa nicht? … Auf dem Rückweg grüble ich immer noch …

Wo kommt das plötzlich alles her …

Wie ich es auch drehe … ich kann mir keinen Reim darauf machen … entweder flog mir diese Merkwürdigkeit einfach so zu, weil jemand sie mir schenkt …. Vielleicht aber auch kommt Sie von mir selbst … ich hab nur keine Ahnung warum …

Oder es ist alles ganz anders …

Mein ganzer Kopf hängt voller loser Fetzen … ich räume meine Einkäufe ein … und grüble und grüble … eins ist jedoch klar … die Existenz … dass sich genau dies zuträgt … das ich es so erlebe … das akzeptiere ich … leugnen zwecklos …

nützt ja alles nichts …

beschwingt wie ich eh schon drauf bin geh ich zum Blumenladen … Les Jardins d’Ozenne … dort bleibt man geduldig & höflich … meint aber sofort „Achso, wie immer!“ … als ich nach zehn großen langstieligen weißen Lilien verlangte …

glücklich wie ein Satyr geh ich nachhause …

Sorgfältig wie ein Schweizer Uhrmacher von Jaeger-LeCoultre schneid ich die Stile an … knipse Blätter ab, die den sich hoffentlich bald öffnenden Blüten im Weg stehen könnten … fühle mich fabelhaft … wie ein Fisch im Wasser …

keine Ahnung was los ist …

ich nehm jetzt die Hände vom Lenkrad … mal sehen was passiert … während ich diese Zeilen schreib lese ich im hinteren Teil vom Symposium nach … als Sokrates den Freunden seinen Dialog mit Diotima erzählt …

hab ich da nicht diverse Stellen markiert? …

Tatsächlich … da steht’s … schwarz auf weiß … links Altgriechisch rechts Deutsch … entkommen zwecklos … wie oft wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen …

Nun denn … so sei es …

01.Januar – Odyssee 2023

Ein Restaurant, irgendwo an einer Klippe, oder Steilküste. Vielleicht Getaria, Estellencs oder Kyparissia. Sonne scheint, kräftige Böen zerzausen Sonnenschirme und Frisuren. Direkt hinter der Terrasse geht es steil abwärts. Kein Geländer, keine Absicherung.

Ein Fehltritt und wir fallen in die Tiefe.

Unsere Gesellschaft scheint sich mit traumwandlerischer Sicherheit an die Gefahr gewöhnt zu haben. Es gibt nur einen Tisch, Tafel trifft es besser. Blick auf die See. Meine Freundin schaukelt den Kinderwagen und lacht seine Bewohner*in an. Lautes Lachen, Gläser klirren, wir prosten uns zu. Durcheinanderreden, ich verstehe alles und nichts.

Es ist mir zu viel und doch liebe ich es.

Was reden wir da, und in welcher Sprache. Gebannt lausche ich. Da dröhnt Spanisch, nicht sicher welcher Akzent, Englisch umschifft Unverständnis als letztes Werkzeug, Französisch lädt zum Federball ein, Deutsch zur Wanderslust und Griechisch für Philosophie und abendländische Kultur.

Fühle mich benommen, ein wenig angetrunken.

Ständig lachen wir, immer bin ich in Bewegung, mal hier, mal dort. Jeder hat eine Anekdote parat. Alle scheinen ein wenig Rumgekommen zu sein. Hin und wieder kommt der aufgeregte Wirt und zu mir und mahnt unsere Gesellschaft zur Mäßigung, wir sollten uns zivilisierter verhalten.

Und endlich den Elephant im Raum auflösen.

Fühle mich ausgezehrt, aber glücklich. Meine Haut brennt. Innerlich friere ich. Alles gleichzeitig. Ich gelobe dem Wirt Besserung, obwohl ich es besser weiß. Optimisten versprechen ständig zu viel, furchtbar. Ein weiteres Mal stoßen wir an. Rosé-Champagner. Wie edel. Plötzlich frischt Wind auf. Graue Wolken verdunkeln die Sonne.

In der Ferne sehe ich Poseidons Dreizack.

Alter Weltenzerstörer, warst der eigentliche Chef der zwölf. Hast Zeus gewinnen lassen. Verstehe dich. Freiwillig Zweiter sein zeigt wahre Weisheit. Wir ziehen leichte Jacken über. Es pustet mächtig. Wellenberge rollen heran. Mindestens zehn Meter hoch. Donnernd brechen sie sich am Fuß der Küste.

Gläser klirren, Terrasse und Haus erzittern.

Gedrückte Stille, nur hin und wieder murmelt jemand was. Ergriffen sehen wir in die hungrigen Wellentäler, die sich höher und höher aufbäumen. Bin in Hochstimmung. Ich mag Sturm und donnernde Brandung wenn Poseidon mit den Muskeln spielt, wir unseren wahren Platz zugewiesen bekommen.

Furcht auf vereinzelten Gesichtern.

Schwefel hängt in der Luft, als wär‘s Lava und kein Wasser. Hin und wieder kommt Gischt zu uns heraufpustet. Wir kreischen und Fluchen. Ergeben uns dem Schicksal. Mit teuflischem Blick kommt der Wirt erneut auf mich zu. In seinen Augen lodert Feuer. Er packt mich am Arm, zeigt auf eine Geheimtür, versteckte Rutsche die Klippe hinunter.

Rein in Poseidons hungrigen Rachen.

Wer könnte die freiwillig benutzen. Wir gehen wieder zurück. Seine Augen lodern immer noch. Erwarte eine weitere Ermahnung, doch stattdessen zischt er höhnisch, „wird so schlimm nicht sein“. Kann mir keinen Reim drauf machen und kann es in Wahrheit doch. Meine Freundin schaukelt immer noch den Kinderwagen.

Hin und wieder sieht sie mich mysteriös an.

Plötzlich springt einer auf, rennt zur Geheimtür und springt wortlos hinein. Außer mir schein niemand es bemerkt zu haben. Neugierig blicke ich mich um. Fehlt jemand, wer ist der rätselhafte Poseidon-Freund, der seine kalten Arme unserer Gesellschaft vorzieht.

Eine hellenische Frage.

Ich stehe auf, nehme mein Glas, gehe wieder herum. Sehe mir unsere Gesellschaft an. Langsam kommt die Sonne wieder raus. Ich nippe am Rosé. Manche Entscheidungen fallen schwer. Treffen wir sie wirklich selbst? Oder tut es jemand für uns? Ich sehe aufs Meer. In weiter Entfernung sehe ich Poseidon zwinkern.

Plötzlich erschrecke ich.

Der Wirt steht neben mir. „Wer bist du?“. Verschmitzt lächelt er aufs Meer hinaus. „Du weißt es…“, er hat Recht. Bin nicht erschrocken, eher still, ein wenig friedlich. „Was machst du hier?“, die Frage eines alten Kindes. Er packt mich an der Schulter, sieht mich an. „Könnte ich dir nicht die Gleiche stellen? Kennst du deine Antwort?“

Ergriffen schüttele ich den Kopf.

Er lacht auf, freut sich diebisch. „Auch das ist eine Antwort; so musst du wohl noch bleiben. Kopf hoch, ist halb so wild. Wir sehen uns später…“ und geht ins Restaurant. Wenige Minuten später kommt er mit einem Tablett heraus. Mehrere Krüge schweren Rotweins darauf.

Unser Symposium ging weiter…

Valentino – Odyssee 2021 CW06

14.Februar – Angeblich gab es drei heilige Valentinos. Irgend so etwas las D in Wikipedia, als er sich für diesen Tag rüstete. Mittlerweile hatten sich ganze Industriezweige auf dies Ereignis vorbereitet.

Von Blumensträußen, bis Sexspielzeug gab es nichts, was es nicht gab, was D zu aller erst ungebremst begrüßte, da er Vielfalt aus tiefstem Herzen mochte, wussten die Menschen doch schon seit tausenden von Jahren, das die Liebe auf alles sprang was nicht niet- und nagelfest blieb.

So auch 2021, wo man sich mit nem Schlüpfer vorm Gesicht gegen Viren schützte und Menschen jeder Nation hofften, dass der Spuk möglichst bald aufhörte. Doch danach sah es erst mal noch nicht aus, im Gegenteil.

Überall saßen Staatshörige, sowie deren Zweifler, ähnlich wie beim Valentino.

Für die einen war er ein Heiliger, unabhängig davon, ob es nun zwei, drei oder fünf gab, während es für andere ein Fest der Liebe blieb, weswegen an diesem Wochenende trotz, oder gerade wegen Corona, überall Übernachtungsmöglichkeiten, inklusive Dinner im Süden Frankreichs angeboten wurden.

Für D waren es keine Widersprüche, im Gegenteil.

Denn wenn man einer Sache wirklich auf den Grund ging, merkte man schnell, wie gründlich man sich verlieren konnte, was einen schlussendlich wieder zum Anfang, oder gleich zur Frage führte, warum man sich überhaupt aufgemacht hatte, um etwas komplexes wie Jenes oder Welches verstehen, gar durchdringen zu wollen.

Wäre es nicht viel zweckmäßiger und klüger, wenn man einfach das Leben genoss, so gut und einfach es irgend ging, ohne, hier soll dabei ganz besonders noch einmal hingewiesen werden, ohne die leiseste Ahnung, wie man überhaupt in die Welt gekommen war, geschweige, wie man sich Eigenschaften, Meinungen, Gefühle, Motive samt ihrer Motivationen angeeignet hatte?

War es Langeweile, wenn man den Luxus genoss, sie besitzen, gar erleben zu dürfen?

Oder eine Form von Müßiggang, mit anschließenden Resultaten?

Konnte man zu irgendeinem wirklich wahren Wissen gelangen, wenn man Mensch bleiben wollte, was ein gerüttet Maß an Nichtperfektion, Unwissenheit und Begrenzung in Sachen Bildung, Vorstellung, Empathie, Mitgefühl und Barmherzigkeit voraussetzte, um ein annehmbarer und ernster Erdenbürger zu sein, der mit Limitierung, Faulheit und Unzurechnungsfähigkeit kämpfte?

Oder hatte sich der moderne, gebildete und zivilisierte Mensch doch zu etwas Geistigem aufgeschwungen, wie es die Philosophen der Aufklärung angedroht, oft propagiert und an ihren Lehrstühlen doziert hatten?

Dies, so wie anderes wusste D nicht, und wollte er aus vielen Gründen nicht ergründen. Weil erstens:

War Valentinstag, noch dazu Sonntag, was so ziemlich ausschloss, schwerwiegende Fragen zu behandeln, besonders jene der Aufklärung und ihrer posttraumatischen Kollateralschäden wie deren kritische Auseinandersetzung mit Dingen wie Vernunft, dem Sein, dem großen Nichts oder, wahlweise, dem großen Ganzen.

Zweitens, brauchte man mit D’s Worten nur ein Messer und einen wahlweisen Finger der eigenen Hand auszuwählen, um ganz schnell das eigene Wirklichkeitsfeld festzulegen, sowie Präzision und Ortsbestimmung der eigenen Einbettung in Selbiges.

Was in anderen Worten bedeutete, dass man sich entweder sein Leben lang geirrt, immer richtig gelegen, oder nie die leiseste Ahnung von all dem metaphysischen Kram hatte, mit dem man sich in der Philosophie seit über 2500 Jahren beschäftigte.

Und drittens – was viel wichtiger für das Gelingen des Alltag blieb, sowie daran erinnerte, dass auch das präziseste beschriebene Weltengebäude nichts, rein gar nichts dazu beitragen, geschweige Hilfestellung bei einer sozialverträglichen Einordnung ins große Ganze leisten konnte, wenn am Valentinstag ein alter Kater auf eine rollige Katze traf!

Entweder war alles Natur und somit Tiere, Menschen und die Welt selbst etwas ganz natürliches, oder sie waren es eben nicht und die geistige Ausgestaltung und Definierung Selbiger, löste sich immer weiter vom Wirklichkeitsfeld, in dem sich beide, offenkundig eine ganze Zeit lang gemeinsam befanden, was bedeutete, dass die Aufklärung nie ihrem Versprechen nachgekommen war, eben aufzuklären und sich der Umwelt entsprechend, weiterzuentwickeln.

Dies wiederum war für D ein Beweis dafür, dass Wurstblinker ähnlich exakte Richtungsweiser blieben, wie die integrierten Winkewimpel in der B-Säule des Zwiebel und Ovali-Käfers, die nur deswegen als gebrächliche Technik nicht bestätigt wurden, weil die limitierten Horizonte aller geistigen Väter eben auch unsere Weiterentwicklung aus gleichen Gründen verhinderten, wie damals der gute Siegmund Freud, der den armen Wilhelm Reich, den Ex-Studenten aus seiner „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung“ ausschloss, als dieser gedachte die Arbeit des Meisters weiterzuentwickeln.

Was das alles mit heutigem Valentinstag zu tun hatte? D wusste es nicht.

Und weil er so sehr an die Wichtigkeit unschuldiger Unwissenheit und Unvollkommenheit glaubte, konnte er seinen Tag nur mit einem Apéro beginnen, um allen schönen Dingen zu frönen, die ihm Natur, Kosmos, sowie die geistigen und spirituellen Kräfte mitgegeben hatten, solange sie noch viril und vital blieben.

Carpe diem – hatte D irgendwann einmal gelesen – irgendwie freute er sich damals darüber, weil er es bereits praktizierte, bevor er die lateinische Empfehlung lernte – und so geschah es:

D sah, dass sein Valentistag gut war und er tat alles dafür, dass er es blieb – und so sahen auch die griechischen Götter und all die anderen Herrschafften, an die man glaubte, dass es besser war, als es schien,

So geschah es…