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01.Januar – Odyssee 2023

Ein Restaurant, irgendwo an einer Klippe, oder Steilküste. Vielleicht Getaria, Estellencs oder Kyparissia. Sonne scheint, kräftige Böen zerzausen Sonnenschirme und Frisuren. Direkt hinter der Terrasse geht es steil abwärts. Kein Geländer, keine Absicherung.

Ein Fehltritt und wir fallen in die Tiefe.

Unsere Gesellschaft scheint sich mit traumwandlerischer Sicherheit an die Gefahr gewöhnt zu haben. Es gibt nur einen Tisch, Tafel trifft es besser. Blick auf die See. Meine Freundin schaukelt den Kinderwagen und lacht seine Bewohner*in an. Lautes Lachen, Gläser klirren, wir prosten uns zu. Durcheinanderreden, ich verstehe alles und nichts.

Es ist mir zu viel und doch liebe ich es.

Was reden wir da, und in welcher Sprache. Gebannt lausche ich. Da dröhnt Spanisch, nicht sicher welcher Akzent, Englisch umschifft Unverständnis als letztes Werkzeug, Französisch lädt zum Federball ein, Deutsch zur Wanderslust und Griechisch für Philosophie und abendländische Kultur.

Fühle mich benommen, ein wenig angetrunken.

Ständig lachen wir, immer bin ich in Bewegung, mal hier, mal dort. Jeder hat eine Anekdote parat. Alle scheinen ein wenig Rumgekommen zu sein. Hin und wieder kommt der aufgeregte Wirt und zu mir und mahnt unsere Gesellschaft zur Mäßigung, wir sollten uns zivilisierter verhalten.

Und endlich den Elephant im Raum auflösen.

Fühle mich ausgezehrt, aber glücklich. Meine Haut brennt. Innerlich friere ich. Alles gleichzeitig. Ich gelobe dem Wirt Besserung, obwohl ich es besser weiß. Optimisten versprechen ständig zu viel, furchtbar. Ein weiteres Mal stoßen wir an. Rosé-Champagner. Wie edel. Plötzlich frischt Wind auf. Graue Wolken verdunkeln die Sonne.

In der Ferne sehe ich Poseidons Dreizack.

Alter Weltenzerstörer, warst der eigentliche Chef der zwölf. Hast Zeus gewinnen lassen. Verstehe dich. Freiwillig Zweiter sein zeigt wahre Weisheit. Wir ziehen leichte Jacken über. Es pustet mächtig. Wellenberge rollen heran. Mindestens zehn Meter hoch. Donnernd brechen sie sich am Fuß der Küste.

Gläser klirren, Terrasse und Haus erzittern.

Gedrückte Stille, nur hin und wieder murmelt jemand was. Ergriffen sehen wir in die hungrigen Wellentäler, die sich höher und höher aufbäumen. Bin in Hochstimmung. Ich mag Sturm und donnernde Brandung wenn Poseidon mit den Muskeln spielt, wir unseren wahren Platz zugewiesen bekommen.

Furcht auf vereinzelten Gesichtern.

Schwefel hängt in der Luft, als wär‘s Lava und kein Wasser. Hin und wieder kommt Gischt zu uns heraufpustet. Wir kreischen und Fluchen. Ergeben uns dem Schicksal. Mit teuflischem Blick kommt der Wirt erneut auf mich zu. In seinen Augen lodert Feuer. Er packt mich am Arm, zeigt auf eine Geheimtür, versteckte Rutsche die Klippe hinunter.

Rein in Poseidons hungrigen Rachen.

Wer könnte die freiwillig benutzen. Wir gehen wieder zurück. Seine Augen lodern immer noch. Erwarte eine weitere Ermahnung, doch stattdessen zischt er höhnisch, „wird so schlimm nicht sein“. Kann mir keinen Reim drauf machen und kann es in Wahrheit doch. Meine Freundin schaukelt immer noch den Kinderwagen.

Hin und wieder sieht sie mich mysteriös an.

Plötzlich springt einer auf, rennt zur Geheimtür und springt wortlos hinein. Außer mir schein niemand es bemerkt zu haben. Neugierig blicke ich mich um. Fehlt jemand, wer ist der rätselhafte Poseidon-Freund, der seine kalten Arme unserer Gesellschaft vorzieht.

Eine hellenische Frage.

Ich stehe auf, nehme mein Glas, gehe wieder herum. Sehe mir unsere Gesellschaft an. Langsam kommt die Sonne wieder raus. Ich nippe am Rosé. Manche Entscheidungen fallen schwer. Treffen wir sie wirklich selbst? Oder tut es jemand für uns? Ich sehe aufs Meer. In weiter Entfernung sehe ich Poseidon zwinkern.

Plötzlich erschrecke ich.

Der Wirt steht neben mir. „Wer bist du?“. Verschmitzt lächelt er aufs Meer hinaus. „Du weißt es…“, er hat Recht. Bin nicht erschrocken, eher still, ein wenig friedlich. „Was machst du hier?“, die Frage eines alten Kindes. Er packt mich an der Schulter, sieht mich an. „Könnte ich dir nicht die Gleiche stellen? Kennst du deine Antwort?“

Ergriffen schüttele ich den Kopf.

Er lacht auf, freut sich diebisch. „Auch das ist eine Antwort; so musst du wohl noch bleiben. Kopf hoch, ist halb so wild. Wir sehen uns später…“ und geht ins Restaurant. Wenige Minuten später kommt er mit einem Tablett heraus. Mehrere Krüge schweren Rotweins darauf.

Unser Symposium ging weiter…