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Toulouse – Interview Teil4 – Odyssee 2020 CW29

Am 14.Juli – am Tag der Bastille, flog D zurück nach Toulouse. Nachdem er sein Motorrad am Flughafen bestieg, um in den alten Stadtkern zu reiten und ein paar Waschmaschinenladungen zum Trocknen aufgehängt hatte, kam eine Nachricht aus dem Lektorat seines Verlags. Man hatte dort die ersten 50% seines Finanzkrimis bearbeitet, war grundsätzlich zufrieden, wenngleich es ein paar Anmerkungen gab, die auch D berechtigt schienen, auf denen er dennoch länger als üblich herumkaute.

Auch stand das nächste Telefonat mit Frau Dr. Claudia Meyer-Paradiso an, um das Interview fortzusetzen. Wie sich schnell herausstellte, sollte ihr Gespräch eine kleine Kehrtwendung nehmen. Es kamen mehrere Dinge zusammen, so dass sie die kritische Masse schneller als erwartet erreichten, so dass D ständig am Rande des brodelnden Vulkans entlangbalancierte, mit dem permanenten Gedanken, sich in den glühenden Schlund zu werfen.

D saß mit Rosé-Wein, Zigarette, sowie seinem Headset bewaffnet vor dem Laptop und grummelte vor sich hin, während er sich einwählte. Kurz darauf tauchte seine Gesprächspartnerin vor der Kamera auf.

CMP: Hallo, wie geht es dir?

DT: Ich bin wütend, danke – und selbst?

CMP: Was? Wieso denn das? Was ist passiert?

DT: Willst du es wirklich wissen, oder bekomme ich gerade ungefragt Mitleid von dir?

CMP: Ich würde es gerne wissen! Warte mal, könnten wir es eventuell als Teil des Interviews sehen?

DT: Warte, warte – okay, warum nicht. Ich bin die ewigen Schichten leid. Lass uns loslegen.

CMP: Was für Schichten meinst du?

DT: Na welche schon, Anstand, Höflichkeit und all das andere. Bist du bereit ein pures, ungefiltertes Interview zu erleben?

CMP: Klar, lass es uns versuchen. Wir sollten aber ein Zeichen verabreden, wenn wir ein Timeout brauchen, damit man den anderen nicht überfordert – einverstanden?

DT: Gute Idee! Lass uns den Satz von Balou dem Bären aus dem Dschungelbuch nehmen „Versuchs mal mit Gemütlichkeit!“ – okay?

CMP: Haha, Klasse Idee. Let’s go! Hallo Herr Tango, aus gegebenem Anlass lassen wir heute die auflockernden Fragen weg und fangen direkt an. Wie geht es ihnen?

DT: Ich bin wütend!

CMP: Warum, was ist passiert?

DT: Vor der C-Krise schienen die Leute kalkulierbar zu sein. Man wusste irgendwie was sie mochten. In Deutschland zum Beispiel mochte man schon immer gerne Krimis. Danach kamen dann Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg, mit oder ohne Familie und wenn Daniel Kehlmann und die anderen neue Romane von der Leine ließen, trieb man die durch die Hitlisten, bis das Jahr rum war; alles war beschaulich, wie in einem kleinen Märchen aus 1001 Nacht, so wie im Auenland.

CMP: Und heute nicht mehr?

DT: Nein, natürlich nicht! Überall regiert Angst und Furcht. Alles bleibt zuhause, jeder kocht in seinem eigenen Käfig vor sich hin und verkümmert, ohne es zu merken.

CMP: Und wieso betrifft Sie das?

DT: Weil das meine Mitmenschen und Leser sind. Ein Buch in Erzählform bezieht ganz besonders die Fantasie des Lesers mit ein. Man muss genug Details geben, um Spaß am Lesen zu haben, aber nicht zu viele, damit der Leser seinen eigenen Film drehen kann. Aber ich kenne deren Bedürfnisse gar nicht mehr. Es ist wie einen zu langen Brief an einen Unbekannten schreiben.

CMP: Aber ist das nicht spannend? Warum sind sie deswegen wütend?

DT: Weil die Menschen gebrainwashed sind! Niemand setzt sich mit der aktuellen Lage auseinander. Niemand begehrt auf, bei der permanenten Negativpresse. Ich fühle mich massiv in meinen Freiheitsrechten beschnitten, weil diese bescheuerte Fürsorge der Staaten uns noch unfreier macht, als schon zuvor. Es ist mein verdammtes Recht selbst zu entscheiden wie lange ich leben will! Wenn ich keine Lust mehr habe, dann gehe ich wann ich will. Wenn ich mich daher von einer Brücke schmeiße, wird das niemand verhindern, aber diese schwachsinnigen Vorsichtsmaßnahmen sind wie Fangzäune, die man über jede Brücke spannt, damit sich niemand runterstürzt, zum Kotzen!

CMP: Entschuldigen Sie mal, was hat das mit ihrem Buch zu tun? Und ganz unabhängig davon, was ist mit den vielen Corona-Toten? Die sind doch kein Fake?

DT: Ich werde mich in Sachen Corona-Statistiken nicht äußern; erinnern Sie sich an unsere Einkaufsliste von letzter Woche?

CMP: Natürlich, aber was hat das mit……

DT: Alles! Handeln Sie danach?

CMP: Wonach?

DT: Nach ihrer Liste!

CMP: Ähm, war die nicht fiktiv?

DT: Sehen Sie das Problem nicht klar vor sich?

CMP: Ich glaube nicht, was hat das mit ihrem Buch…

DT: Natürlich alles! Wenn Sie ständig fiktive Listen machten, wann machen Sie dann ihre Echte? Und wann fangen Sie endlich an, danach zu leben?

CMP: Ist das nicht meine Privatsache? Was hat das mit ihrem Buch……

DT: Verdammt noch mal, das ist es doch! Alle Menschen sind zurzeit Blätter im Wind. Niemand hat mehr seine Vision vom Leben. Aber ohne die, bleibt man eben anfällig für Alles und genauso sieht es ja aus. Schauen Sie sich doch mal die Nachrichten und die Politiker an – die haben aus braven Bürgern Europas einen Haufen ängstlicher Schafe gemacht. Alles kann man ihnen vorsetzen, sie löffeln brav den Nachrichten-Trog leer und warten, bis er wieder gefüllt wird. Nicht dass es vorher besser war, aber zumindest schienen sie nicht ständig ängstlich zu sein; irgendwie hatte jeder seinen Roten Faden, verstehen Sie?

CMP: Natürlich, aber noch einmal, was hat das mit Ihrem Buch zu tun?

DT: Jetzt fangen Sie an mich aufzuregen – Sie drehen sich im Kreis……

CMP: Den Eindruck habe ich eher von Ihnen…….

DT: Merken Sie etwas? Sie lassen mein Argument gar nicht erst an sich ran, stattdessen reagieren Sie nur verteidigend, oder nennen wir es ablehnend……es geht nicht um mich, sondern um Sie und die Anderen, verstehen Sie?

CMP: Nein, wenn ich ehrlich bin nicht so richtig……

DT: Okay, also: Es geht mir NICHT darum, dass ich die Bedürfnisse des Lesers nicht kenne; die kannte ich vorher auch nicht richtig, aber da war der Leser standfester und traute sich mehr. Es geht darum, dass ich ausschließlich Dinge schreibe, um Menschen zu bewegen. Wenn die Menschen das aber nicht mehr wollen, weil sie durch die derzeitige Corona-Krise an einem „Wohlfühldefizit“ leiden, dann hört morgen eben keiner mehr die Egmont-Ouvertüre, sondern stattdessen Schlagermusik und liest nur noch Liebesromane mit Romantikgarantie, die verlässlich schön und leidenschaftlich enden.

CMP: Aber wie kommen Sie darauf, dass es so ist?

DT: Weil uns Menschen die ganze Zeit Märchen erzählt werden, die wir brav glauben; niemand ist mehr an konkretem Wissen interessiert. Niemand zweifelt und ist neugierig und nutzt seinen gesunden Menschenverstand. Es ist so, als würde man ihnen im Restaurant Tische zum drauf sitzen geben und einen großen Stuhl, auf dem man das Essen serviert und niemand fragt sich, ob nicht etwas verdreht ist.

CMP: Okay, ich ahne worauf Sie hinauswollen, aber…….

DT: Nichts aber! Wir richten das Spotlight ausschließlich auf das Negative, weil es auch mehr Aufmerksamkeit bekommt als das Gute! Es gibt mehr Klicks bei Horrornachrichten, als bei Friede-Freude-Eierkuchen. Wir selbst sind die Quelle für den Bordelle, weil wir Blätter im Wind sind.

CMP: Einverstanden, aber wie ändern wir das?

DT: Jeder einzelne muss den Antrieb haben, die rote Pille zu nehmen!

CMP: Sie können nichts dazu beitragen?

DT: Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Meine Bücher tun ausschließlich das!

CMP: Dann haben Sie doch alles richtig gemacht, oder nicht?

DT: Wenn Sie zu den Wenigen zählen, die ihre Freiheit der Sicherheit vorziehen, wohin wollen Sie gehen und wie wollen Sie leben, wenn Ihre Umgebung so geartet ist, wo, frage ich Sie?

CMP: Eine schwere Frage, aber sind wir nicht ein wenig von Ihrem dritten Buch abgekommen?

DT: Es geht doch nicht nur um mein Buch, es geht darum, dass man nicht zurück kann……

CMP: Sie meinen, wenn man die Rote Pille genommen hat, kann man nicht…?

DT: Natürlich! Wer bereits auf dem Rand des brodelnden Vulkankraters wandelt, der tut sich schwerer zurück ins Tal zu gehen, anstatt zu springen, wie es der große Empedokles getan hat.

CMP: Wollen Sie springen?

DT: Meine Arbeit ist noch nicht getan. Aber zur Zeit habe ich das Gefühl, dass der Krater täglich höher wird, auf dem ich stehe. Deswegen bin ich wütend, weil meine Mitmenschen am Fuße des glühenden Schlundes dafür sorgen könnten, dass er nicht weiter wächst, doch er sprießt in die Höhe wie ein Pilz, obwohl ich mich kaum bewege – DAS lässt mich verzweifeln und meine Haare raufen.

CMP: Wie geht es ihrem dritten Buch?

DT: Gut! Ende kommender Woche sollte es komplett sein. Es ist auf jeden Fall für eine breitere Masse gedacht, daher ringe ich auch so mit mir. Ich hatte dem Projekt vor vielen Jahren zugestimmt – ich kann mich nicht aus der Verantwortung stehlen, so wie es Politiker und Vorstände machen – also ringe ich solange mit mir, bis es fertig ist.

CMP: Sie versprechen, nicht in den Vulkan zu springen?

DT: Ich verspreche gar nichts, aber ich habe bereits gesagt, dass es viel zu tun gibt, weswegen jetzt noch nicht die Zeit dafür ist.

CMP: Was können Sie Ihren Lesern heute zum Schluss noch mitgeben?

DT: Macht eure Einkaufslisten und lebt danach, so gut es geht.

CMP: Das ist alles?

DT: Das ist bereits mehr als genug. Wer danach lebt, der ist nicht mehr Blatt, sondern wurde zum Wind.

CMP: Ein schöner poetischer Schluss.

DT: Danke.

CMP: Gerne! Haben Sie vielen Dank Herr Tango. Was werden Sie im Anschluss machen?

DT: Mein Glas nachschenken, mich kurz in die Sonne legen und dann schreiben und Sie?

CMP: Meine Einkausliste machen und einen Apéro zu mir nehmen….

DT: Sehr gut….dann santé.

CMP: Auf wiedersehen.

D legt auf, modifiziert nicht seine Reihenfolge und schreibt später an seinem Finanzkrimi weiter.

 

Heimatflüge und Interviews – Odyssee 2020 CW24

Achter Juni, ein vermeintlich normaler Montag. Gerade hatte D seinen morgendlichen Café zubereitet, es sich damit an seinem kleinen Tisch vorm Fenster gemütlich gemacht, als er die Nachrichten seines Smartphones durchsah und feststellte, dass man seinen Flug am 12.Juni storniert hatte – nicht erlaubte Einreise von Ausländern, thanks to COVID-19 – lautete die nüchterne Begründung. D sah verärgert aus dem Fenster und suchte sofort nach einem Alternativflug und fand einen, drei Wochen später, für den 3.Juli.

D ließ noch einmal die nüchternen Eckdaten der C-Sache – mittlerweile konnte er das C-Wort genauso wenig aussprechen, wie den Namen des 45.Präsidenten der USA – Revue passieren. Was war eigentlich geschehen? D fühlte sich immer noch überrollt und benommen von den Ereignissen, denn was bis Anfang März Normalität zu sein schien, nämlich dass man gehen, fahren und fliegen konnte, wann und wohin man wollte, hatten die eigenen europäischen Staaten und ihre nationalen Parlamente in wenigen Tagen pulverisiert.

Und weil offensichtlich die Mehrheit aller europäischen Politiker und deren Bürger ein gerüttet Maß vorauseilenden Gehorsam in sich tragen – meist treibt dieser unbewusst sein Unwesen, was dem Ergebnis jedoch gänzlich schnurzpiepenegal ist – sprachen Medien und Menschen bereits von der sogenannten neuen Normalität. D‘s Misere verkleinerte sich in keinster Weise, lehnte er doch schon Großteile der alten Normalität ab; mit der Neuen, stand er nun vollständig auf Kriegsfuß, was man am ungezügelten Wachsen seiner Kratzbürstigkeit und Widerspenstigkeit bemerkte.

Beeinträchtigte der Shutdown seine Schreibarbeiten nicht im Geringsten, mussten Interviews jedoch vollständig remote stattfinden, wenngleich es sowieso nur wenige gab, was D’s Undergroundstatus und generalle Unbekanntheit bestätigte, sowie sein geringes Interesse, etwas daran zu ändern. Seinen Bekanntheitsgrad zu verbessern, war so ziemlich das schlechteste Argument aus D’s Sicht, obwohl die Marketingchefin seines Verlages durchaus passable Erklärungen parat hatte.

Nach langer Überzeugungsarbeit gab er nach und stimmte einem Interview zu – hier ein paar Auszüge. (Das Magazin hat darum gebeten, seinen Namen nicht anzugeben, um Anspruch zur Erstveröffentlichung gültig zu machen, wir haben daher den Namen verändert)

Kalligraphi-Magazin: Hallo Herr Tango, wie geht es Ihnen?

DT: Hallo Frau Meyer-Paradiso, heißen Sie wirklich so? Ist ihr Mann aus Spanien, oder Lateinamerika?

KM: Ich heiße wirklich so, mein Mann kommt aus……..

DT: Sagen Sie nichts, ich wette Spanien…..

KM: Gerade wollte ich es sagen, Gallizien; Sie haben mir aber noch nicht gesagt, wie es ihnen…..

DT: Haben Sie ihn dort während eines Urlaubs oder bei Ihnen in Deutschland kennengelernt? Sind Sie schon lange verheiratet…?

KM: Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne unser Interview beginnen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, einverstanden…?

DT: Es macht mir etwas aus, weil von einem Interview überhaupt nicht die Rede war, Frau Meyer-Valparaiso, verstehen Sie?“

KM: Moment mal, Her Tango…..

DT: Lassen Sie das mit dem Herrn, nennen Sie mich Don, so wie alle anderen….

KM: Okay, einverstanden, trotzdem bin ich etwas irritiert, weil mir ihr Verlag zusagte, dass…..

DT: Warten Sie, Frau Meyer-Valparaiso, hier liegt glaube ich ein Missverständnis vor…..

KM: Ein Missverständnis, wie meinen Sie das? Sind Sie etwa dagegen, interviewt zu werden?

DT: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie……

KM: Moment, bitte beantworten Sie meine Frage, wir brauchen gar nicht weitermachen, wenn Sie….

DT: Natürlich, liebe Frau Meyer-Valparaiso, wie lautet Ihre Frage…?

KM: Ein Interview, sind Sie dafür oder dagegen…?

DT: Aber gute Frau Meyal-Paraiso…..

KM: Lassen Sie das, nennen Sie mich Claudia…….

DT: Okay, gerne, also liebe Claudia…….

KM: Dafür oder dagegen….?

DT: Na, sie kommen aber auch, Entschuldigung, DU kommst aber auch mit der Tür ins Haus…..

KM: Warum denn das, ich habe nur meine Frage gestellt?

DT: Über die Macht der deutschen Sprache sollten wir ein anderes Mal reden, sie und ihre, verdammt nochmal, du und deine Effizienz seid wahrscheinlich einverstanden, wenn wir das hier abkürzen…..

KM: Sehr gerne, also, zurück zu meiner Frage…..

DT: Selbstverständlich, liebe Claudia – schau, ich bin natürlich FÜR ein Interview, doch das müssen wir doch zusammen vorbereiten, oder etwa nicht? Und hierin liegt auch das Missverständnis, von dem ich eben gesprochen habe – dieses Telefonat dient unserer Abstimmung, worüber du mit mir reden, mich interviewen möchtest, es ist also nicht das Interview selbst, verstehst du was ich meine?

KM: Ach-so, okay! Aber stand das so nicht in meiner Videokonferenz-Einladung? Egal…..

DT: Genau, lass uns anfangen…..

KM: Könntest du trotzdem so nett sein, meine erste Frage zu beantworten, die du, ich bin mir ganz sicher, nicht vergessen hast? Ich will dir auf die Sprünge helfen, ich fragte, wie es dir geht!

DT: Habe ich nichts dazu gesagt? Wie unaufmerksam von mir; im Großen und Ganzen okay; diese C-Sache ist zwar eine Katastrophe, aber das sollten wir ebenfalls ein anderes Mal besprechen, weil ich sonst schlechte Laune bekomme.

KM: Kein Problem, also zu den Themen und dem Interview, ich schlage 30min vor, weil ich dich zu dir und deiner Person befragen möchte, wie du zum Schreiben gekommen bist und vor Allem, was Schreiben für dich bedeutet. Länger als 30min machen wir auf keinen Fall, es sei denn, es entwicklet sich in eine leichte Plauderei, der man leicht folgen kann; hast du von deiner Seite irgendwelche Fragen?

DT: Wo wollt ihr das ausstrahlen, Radio, TV oder Internet?

KM: Dazu haben wir uns noch nicht festgelegt, wir binden dich und deinen Verlag aber gerne ein, einverstanden?

DT: Klasse, vielen Dank Claudia…..

KM: Bleibt nur noch die Abstimmung der Zeit……

DT: Nächste Woche ist gut, Mittwoch-Nachmittag ist okay? Können wir die Zeit noch offen lassen, so wie es reinpasst?

KM: Eher ungern, ich muss meinen Tag auch planen, sagen wir Mittwoch 15:00 ?

DT: Verstehe ich, na gut einverstanden, hat mich dennoch gefreut……

KM: Mich auch, bis Mittwoch……

 

Nachschlag – Odyssee 2020 CW13

Letzte Nacht habe ich geträumt. Ich rannte durch irgendein riesiges Industrieareal; ich glaube es war ein Flugzeugwerk; keine Ahnung wie ich darauf kam; hier und da brannte Licht, auch Mülltonnen; muss damit zu tun haben, dass ich gestern irgendetwas über den weltweiten Flugverkehr gelesen habe; angeblich ist der um 70% zurückgegangen; das ist ziemlich viel; kein Wunder, wenn wir uns länderweise einsperre; warum wir das machen, hat man uns auf allen Kanälen erklärt.

Man will die Gesundheitssysteme vorm Kollabieren schützen und so; profitieren tun vermutlich wieder aufmerksame, ethisch-moralisch bewusst eingeschränkt Handelnde, die mit Not und Mangel Geschäfte machen; ich für meinen Teil nutze diese Zeit für meine „Mad-Sunday-Bewegung“, die den Müßiggang schützen und stärken will, egal welche Panik wir mal wieder durch die Straßen jagen.

Zur Zeit halt Corona; deswegen werde ich mich an weiteren Spekulationen, wieviele Menschen pro Jahr in welchem Land sterben, versus heute MIT Corona nicht hingeben; ich werde schreiben und zwischendurch dem Müßiggang frönen; warum? Macht halt sonst niemand; weil jeder mit in den Corona-Krieg gezogen ist.

Menschen können mit Frieden und Stille nicht umgehen; nach 75 Jahren muss man in Zentral-Europa halt mal wieder ein Abenteuer haben. Sorry, nicht für mich; ich sage – NEIN DANKE. Ich bin sozusagen Kriegsverweigerer, ich lasse den anderen ohne Kampf gewinnen; schon früher nannten sie mich Spielverderber; offensichtlich bin ich mir treu geblieben, immerhin was.

Gerade nutze ich die Zeit, um mein drittes Buch fertig zu schreiben; die Corona-Krise gibt mir Rückenwind, weil mich Emanuel Bonaparte noch bis zum 15.April zuhause haben möchte; ich sehe das wirklich als Chance, um fertig zu werden und Raum fürs Vierte zu schaffen.

Nachrichten sehe ich schon lange nicht mehr; hin und wieder frage ich meine Freundin, nach der Betriebs-Temperatur und dann weiß ich, ob ich wieder uneingeschränkt frei bin, nach dem Verständnis der fünften Republik, oder ob wir Nachschlag bekommen; daran sind meine lieben Brüder und Schwestern aus dem Frankenland Weltmeister.

Nicht eine Mahlzeit erinnere ich, wo es nicht reichlich gab; Wein genauso; immer zu viel; du möchtest noch? Komm, nimm noch einen Haps und noch einen Schluck mehr; nimm ruhig noch einen, nehm ordentlich Nachschlag. Überall bekommst du zuviel, so wie auch beim „Confinement“ oder „Stubenarrest“ wie ich es nenne; man hat sich diese schöne alte barocke Attitüde bewahrt, alles ein wenig komplizierter, länger, intensiver und gründlicher zu machen, bis man die Schmerzgrenze überschreitet.

Als wäre es gestern, erinnere ich das Mittagessen bei meinem Freund Jean-Marc, in Saint-Germain-du-Puch; ich glaube es war 2014, oder 2015; wir fingen mit einem furchtbar köstlichen Spargelgericht an, wechselten zu Austern, kamen nach reichlich Wein einen Schritt weiter und landeten bei Entenbrust und Entrecôte, bis wir dann irgendwann bei Dessert und Käse landeten.

Klingt alles nicht besonders erwähnenswert, wenn man davon absieht, dass es sieben Stunden lang dauerte und wir wirklich alle Weine seines Chateaus probierten, einschließlich 30 Jahre alte rote und weiße Raritäten; schon damls habe ich mitgemacht, so wie auch heute; völlig überzogen, fand ich schon von Anfang an; zu viel von Allem; Speisen, Weine, Staat und Patriotismus; danach fiel ich in ein zwei Stunden komatösen Nachmittagsschlaf.

Heute ist es das Gleiche; ich mache mit; ich kenne ja meine lieben Franzosen; ich finde viele Ähnlichkeiten, die mich an Deutsche erinnern; in besonderen Momenten, nach ein paar Gläsern Wein, mache ich Äußerungen wie „Franzosen sind Deutsche MIT Kultur“ oder umgekehrt „Deutsche sind Franzosen, OHNE Kultur“. Ich mag diesen Vergleich.

Manche lachen und andere gehen vehement dagegen an; man muss sich halt beide genauer anschauen; gründlich sind sie beide, nur in unterschiedlichen Feldern; wenn man Produktivität und Arbeitswut als wichtige Teile der menschlichen / europäischen Kultur ansähe, wie Müßiggang und Lebenskultur, dann wären Deutsche und Franzosen völlig ebenbürtig, um nicht zu sagen gleich, sogar in Sachen Kultur, nur eben in anderen Kompetenzen.

Was das mit Müßiggang zu tun hat? Nun, eigenlich Alles; ich muss jetzt weitere zwei Wochen zuhause bleiben, was mir beim Seele-baumeln-lassen hilft, sowie auch beim Schreiben; von daher, alles gut; ob das alle anderen in Frankreich ähnlich sehen ist fraglich, weil angeblich die häusliche Gewalt massiv angestiegen sein soll; auch in Spanien; natürlich sagt das über uns eine Menge aus, aber im Grunde es so wie mit dem Sprühen von Insektenvernichtungsmittel.

Du versprühst es solange, bis du dich wunderst, dass du die Insekten vernichtet hast; die Menschen werden mir immer fremder; jetzt in der Corona-Krise besonders; man merkt gar nicht, dass man weitermacht wie immer und genauso panikartig ins nächste Rabbithole gesprungen ist; jetzt ist es Corona, vorher waren es Gelbwesten und Flüchtlinge, sowie Landtagswahlen, wo Rechte stärker und stärker werden.

Heute ist es Corona; danach die daraus folgende Rezension; und so weiter und so fort; Digitale Informationen sind der neue WW3; Informationsmedien sind die Waffen moderner Kriegsführung; ihr braucht Evidenz? Nichts einfacher als dass; wieviele von euch würden, zu Gunsten von Müßiggang, Famile, Partnerschaft, lesen und Lebenskultur ihr Smartphone eine Woche lang abschalten….?

Seht ihr….?

Danke….!

 

 

Der Granatapfelbaum

Ich muss euch eine Geschichte erzählen. Sie ist wirklich so passiert. Die Geschichte spielt in unserm Dorf. Wenn ich genauer überlege, wird die Fortsetzung auch heute noch tagein und tagaus, immer wieder aufs Neue uraufgeführt. Wie damals und zu allen Zeiten. Auch als es noch keine Zeit gab. Eigentlich hat es sich schon immer so abgespielt. Aber vorstellen kann man es sich rückblickend nie. Vor vielen Jahren bin ich deswegen dazu übergegangen, sie als eine Laune der Natur, eine Art natürliche, unbewusst-verursachte, zivilisatorisch-degenerierte Inszenierung, als ein kosmisch-komisches Theater anzusehen, welches jeden mit freiem Eintritt einlädt dabei zu sein, der sich wie ich vor jeder Kassenschlange mit all den toten Augen, oder beim Lesen von vermeintlich seriösen und wahren Nachrichten, dass Lachen nur schwer verkneifen kann, weil all das unmöglich unsere tatsächliche, gewünschte Wirklichkeit sein sollte und unmöglich, unter gar keinen Umständen so passiert sein kann. Aber der Reihe nach.

Unser Dorf ist alt. Sehr alt sogar. Manche im Ort behaupten es ist ähnlich wie die Demokratie 1000 Jahre alt. Andere bestätigen zwar, dass es heute wie schon eine ganze Ewigkeit die 3 alten Fincas gibt, nämlich Son Serralta, Son Fortuny und Son Garriga, dass aber die wirkliche stetige, einem wilden Gewächs ähnelnde Hausanhäufung, die wir üblicherweise an irgendeinem Punkt Ortschaft nennen, erst viel später zu dem geworden ist, wie wir sie heute kennen.

Früher lebte unser Dorf ausschließlich von der Landwirtschaft. Zu dieser brauchte man nur auf die Erde zu spucken und wenige Monate später stand dort ein Feigenbaum mit reifen Früchten. Oliven, Tomaten, Wein und alle möglichen Früchte wuchsen so üppig und schnell auf dieser Erde, dass manch eine Frucht mehrmals im Jahr geerntet werden konnte. Sogar im Mittelalter war das so, als es nur die 3 maurischen Gutsbetriebe gab, die ihre Bewohner, sowie Arbeiter selbst versorgten, die mit ihren Ölmühlen, Wasserspeichern und Lagersilos für alles gerüstet waren, um viele Familien zu versorgen. Ich behauptete irgendwann sogar, dass es hier schon vor über 3000 Jahren erste Siedler gegeben haben musste, weil die Phönizier die mitgebrachten Olivenbäume bestimmt nicht zum Spaß eingepflanzt hatten und das sogar weit bevor die Mauren 2000 Jahre später ihre Terrassen angelegt hatten.

Hier war das Wetter immer schön. Die Luft frisch und gesund und die Natur bezaubernd anmutig. Mein Großvater meinte irgendwann, dass es das Paradies auf Erden wäre. Tatsächlich gab es nur wenige Kinder im Ort, die in eine Stadt, oder aufs Festland flüchteten. Es gab Arbeit, Sonne, Meer und genug Jungs und Mädchen, dass jeder Mensch lächelnd einschlafen konnte. Es mangelte uns an nichts. Die Erde beschenkte unseren Ort mit reichen Ernten und Wohlstand, und die Menschen dankten es ihr mit stetig anwachsenden Familien. Eine echte Natur-Mensch-Symbiose. Eines Tages, die Mauren waren schon lange abgezogen, da kamen ihre Terrassen bei all dem Wachstum irgendwann an ihre Grenzen. Es wurden erste Zäune gezogen. Besitztümer mussten abgegrenzt werden, um leichter Meines von Deinem zu unterscheiden. Alles an Ackerfläche war aufgeteilt. Landwirtschaftliches Wachstum war nicht mehr möglich, da unser Ort auf der einen Seite vom Meer und auf der Anderen von den Bergen eingerahmt ist. Nach all den üppigen Ernten, hatten die Familien sich etwas Wohlstand erarbeitet. Häuser und Wohnungen konnten an Nachbarn vermietet werden; erste Touristen fanden Unterschlupf, die von der Ursprünglichkeit unseres Dorfes sofort eingenommen und nach einigen Gläsern Weißwein benommen waren und selig in ihre Betten krabbelten. Jahr für Jahr kamen sie wieder und brachten mehr von ihnen mit. Der Wohlstand wurde so groß, dass wohlhabende Familien mehr Zeit für Müßiggang und weniger für die Arbeit aufwenden konnten.

Neben den glücklichen Menschen, lebten auch Tiere zufrieden nebeneinander her. Esel, Ziegen, Schafe und einige Pfauen, fühlten sich genauso wohl wie die Menschen und vermehrten sich glücklich und zufrieden. Pfauenschreie, Eselgewieher und Ziegen-Gemecker gehörten mit dem heulenden Wind und den knarzenden und summenden Olivenbäumen zum Orchester von Mutter Natur, die unseren Ort in bunten Farben und Tönen ausmalte, wie ein goldiger Bilderrahmen das Motiv eines alten Meisters.

Wohlstand verbreitete sich wie Schnupfen und griff immer weiter um sich: Ernten fuhr man nicht mehr selber ein; die Kinder gingen auf Universitäten, um ein besseres Leben zu haben; die Damen des Hauses kauften sich teure Kleider und besuchten ihren Frisör öfter als den Kaufmann; die Alten hatten auf einmal Unmengen an Zeit, um sich den großen Fragen des Lebens zu stellen und die Schönheit der Natur, sowie ihre Anmut und Würde zu bestaunen.

Eines Abends saß Don Augusto auf seiner Veranda. Er sah gerade hinaus aufs Meer, als ihm ein Pfauenschrei von der benachbarten Finca durch Mark und Bein fuhr. Er schreckte so sehr zusammen, dass ihm ein ungebremster Furz entfuhr, der seinen zu Füßen liegenden geliebten Hund aufweckte und aufgeregt umherschnuppern ließ, als hätte die Haushälterin den Mülleimer der großen Küche über ihn ausgekippt. Verärgert stand Don Augusto auf, stemmte seinen großen Pranken in die Hüfte und sah den Pfau des Nachbarn stolz hinter seinen Hühnern hinterherschreiten, als wäre er der Herrscher des Universums.

„So eine Unverfrorenheit! Erst weckst du mich und dann vögelst du noch meine Mädels; aber das hat jetzt ein Ende, ein für alle Mal!“

Don Augusto ärgerte sich schon seit Jahren. Wenn ihn der laute, durchdringende Schrei des Pfauenjungens weckte und bis ins Mark erschreckte, noch dazu wissend, dass er hinter seinen Pfauen-Damen her war. Schon oft hatte er Don Fernando halb im Spaß, halb im Ernst gebeten, besser auf den notgeilen Pfau aufzupassen, der völlig frei und unkontrolliert herumspazierte und seine Hühner durcharbeitete. Don Fernando erwidere ihm nur, dass er der Natur freien Lauf lassen möchte und ihn daran erinnerte, dass es immerhin seine, Don Augustos Pfauen-Hühner wären, der seinen Pfauen hitzig werden ließen. Hühner und Hähne sein nun einmal füreinander gemacht.

Verärgert über diese vermaledeite Respektlosigkeit zog Don Augusto von Dannen, um nur vorübergehend von seiner Gattin dadurch beschwichtigt zu werden, dass er sich über 50 Jahre nicht daran gestört hätte und sich jetzt nicht wie ein Narr aufführen sollte. Don Augusto war verärgert. Es gärte in ihm, wie in frisch gepresstem Traubensaft. Er und Don Fernando waren zusammen aufgewachsen. Beste Freunde hatte früher der eine den anderen genannt, auch nachdem sie sich gegenseitig Freundinnen ausgespannt hatten und in einem ständigen Wettbewerb standen, wer die reichere Ernte einfuhr. Diesmal jedoch würde er ihn nicht so leicht davonkommen lassen. Er wollte ihm eine Lektion erteilen, eine, die ihn zum Nachdenken bringen und ihn lehren sollte, dem Gegenüber Respekt zu zollen.

Eines Nachts, Don Augusto wusste wo der Pfau des Nachts schlief, ging er auf leisen Sohlen zu dem alten Olivenbaum, auf dem der Pfauenjunge zu schlafen gewohnt war. Der Wind stand günstig, blies ihm entgegen, so dass der Vogel ihn nicht wittern konnte. Es war wohl gegen Mitternacht. Ein fetter käsiger Vollmond leuchtete vom Himmel herab und sah dabei zu, was Don Augusto minutiös geplant hatte. Gleich einem alten Indianer schlich er sich an den Baum heran. Kein Geräusch war von ihm zu hören; ganz flach atmete er ein und aus, als würde er einer Herde Bisons auflauern und das Überleben der Familie von seiner erfolgreichen Jagd abhängen.

Der Vogel schlief tief und fest. Er fühlte sich in seinem dreißig Jahren zählenden Lebensalter sicher; keine Katze, noch nicht einmal ein aggressiver Hofhund hatte ihn angegriffen; er hatte einen Sonderstatus im Tierreich, so wie Elefanten, Haie und Krokodile.

Don Augusto führte eine kleine Axt mit sich. Er hatte sie sorgfältig geschärft, so sehr, dass er sich seine Haare auf dem Unterarm damit abrasieren konnte. Sogar eine schwarze Strumpfhose seiner Frau hatte er sich übergezogen. Um die Schuhe hatte er alte Lumpen gebunden, um keine Geräusche beim Gehen zu machen. Ganz in schwarz war er gekleidet. Das Schwarz der Nacht hatte ihn völlig verschluckt. So schlich er sich an und wartete auf einen günstigen Moment, um sich aufzurichten und nach all den Jahren endlich Gerechtigkeit walten zu lassen. Der Moment kam, so wie er immer kommt: Eine Windbrise strich langsam durch die Bäume; wie ein böser Traum erhob sich Don Augusto, holte leise aus und näherte sich dem Ast, auf dem der Pfau saß und tief und fest schlief. Der Wind war ideal: Der blöde Vogel würde es nicht mal merken, dass man ihm den Stecker zog. Wie ein böser Traum glitt Don Augusto dichter und dichter. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn vom Vogel. Er blieb stehen, holte tief Luft:

Blitzschnell, wie früher, packte er den Pfau am Hals, drückte ihn zusammen, als wäre er ein leerer Gartenschlauch und genoss für einen Moment die Macht die er über diese Kreatur hatte. Für einen kurzen Moment stand die Zeit still: Wie ein zorniger Mayapriester, der seine überfällige Opfergarbe den Göttern darbieten wollte, stand er über dem Vogel, in seiner Rechten die Axt, die wie eine Guillotine frei herumschwebte; Don Augusto fühlte sich stark, jung, vital, unzerstörbar und im Recht. Fauchend ließ er die gleißende Klinge niedersausen. Knackend ging der Vogel entzwei; seine bunten Federn stoben auseinander wie frisch vom Winde verwehter Schnee. Ein kleiner Schwall flüssigen roten Sonnenlichts floss aus dem Federbündel über den Ast. Dann pustete der Wind weiter, als wäre nichts passiert. Don Augusto steckte die Überreste in einen Stoff-Sack, in dem früher Oliven transportiert wurden und ging hinauf in die Berge, um den Auslöser der Disharmonie und Respektlosigkeit schnell zu verscharren.

Dann ging er leise heim, duschte und legte sich friedlich ins Bett. Traumloser fester Schlaf erfasste ihn schnell, wie er ihn viele Jahre nicht erlebt hatte, seit er aufgehört hatte das Feld zu bestellen. Sonnenschein weckte ihn. Friedlich und still lag der sonnige Tag vor seinen Füßen. Nach einem kurzen Café ging er raus in den Garten; er steckte sich eine Zigarette an und fühlte sich wie ein Eroberer, nach der Unterwerfung der Eingeborenen. Diese Stille. Dieser Frieden, einfach herrlich, dachte er sich, während sich Don Fernando auf der Nachbarsfinca ebenfalls über die Stille wunderte und von Sorgen gepeinigt nach seinem Pfau Ausschau hielt. Er liebte diesen Vogel. Er hatte ihn als kleines Küken aufgezogen; zahm war er und begleitete Don Fernando, wohin er auch ging. Der Vogel trompetete auch nie einfach drauf los, wenn Don Fernando schlief, außer wenn er auf der Balz war. Dann erbat er sich etwas Verständnis für seine natürliche Rolle als Männchen.

Don Fernando ahnte schnell, was seinem geliebten Vogel widerfahren sein musste. Jeden Tag wurde er morgens von ihm begrüßt, außer heute. Doch der Vogel war zu schlau und zu jung, um abzudanken, oder sich von einem natürlichen Ereignis überraschen zu lassen. Don Fernando roch den Braten, ohne ihn zu sehen. Er verzog keine Miene, sprach mit Niemandem darüber. Selbst als ihn der Meuchelmörder mit auffallender Höflichkeit besuchte, um mit ihm einen Plausch zu halten, einen Café zu trinken und eine gemeinsame Zigarette zu rauchen, ließ er sich nichts anmerken. Er sah Don Augusto fest in die Augen, konnte aber nichts darin erkennen, dass den Mord hätte bestätigen können. Nur in einem unaufmerksamen Augenblick, als Don Augusto ein wenig zu verschmitzt lächelnd auf die Uhr sah, um sich für einen vermeintlichen weiteren Termin aufzumachen, schimmerte kurz etwas Unbekanntes aus ihm heraus, etwas, was Don Fernando vorher noch nicht an ihm gesehen hatte. Das war der Beweis. Er hatte es getan. Er war sich sicher. Sie verabschiedeten sich und jeder ging seinem überschaubaren Tagwerk nach, dass man am Ehestem das Tagwerk eines wohlhabenden Privatiers nennen konnte.

Nun, jeder kann sich jetzt genau vorstellen, wie es weiterging: Don Fernando übte Rache, was sonst. Er konnte es natürlich nicht hinnehmen, das sein geliebter Pfau gemeuchelt wurde. Zwei Bücher liebte er von Mario Puzo: „Den Paten“ und „Den Sizilianer“. Er fühlte sehr mit Don Corleone; auch mit seinem Sohn Michael. An einem besonders schönen und friedlichen Sommertag schnappte er sich den Hund von Don Augusto, erwürgte ihn mit der Garotte, der sizilianische Würgeschlinge, deren Gebrauch er vorher an einigen Hühnern und Ziegen geübt hatte, die ebenfalls Don Augusto gehörten, machte sich damit sozusagen warm, spießte den geliebten und gerade erfolgreich erdrosselten Hund auf eine dicke und lange Stahlstange, die er in seinem Schuppen gefunden hatte und legte den großen Fleischspieß vorsichtig, dafür gut sichtbar auf den wunderschön angelegten Grillplatz von Don Augustos Anwesen am Südhang zum Meer hin, um von der Hausherrin bei einem morgendlichen Spaziergang gefunden zu werden, die daraufhin einen Nervenzusammenbruch erlitt und noch für Wochen in ärztlicher Behandlung blieb und ihre Lebensfreude, für die sie ihr Gatte so sehr liebte und ihr deswegen 6 kräftige Söhne geschenkt hatte, nie wieder zurückgewinnen sollte und ihr Leben fortan in einem apathischen Dämmerzustand verbachte, sorgfältig ausbalanciert und eingestellt mit der kräftigen Wirkung von Psychopharmaka und Carlos Primero, den sie von dem Tag an in solch kräftigen Mengen trank, dass ihr Don Augusto den Autoschlüssel regelmäßig abnahm, wenn sie sich wieder anschickte die Straßen unsicher zu machen.

Der Zustand seiner Frau machte Don Augusto so traurig, dass auch er nach und nach seine Lebensfreude verlor, was ihn aber nicht davon abhielt, in einer besonders seelenlosen dunklen Nacht, auf das Grundstück seines verhassten Nachbarn zu schleichen und in mühevoller leiser Handarbeit, einige der ältesten Olivenbäume auf Don Fernandos Anwesen abzusägen.

Der Krieg der zwei Streithähne hatte mittlerweile beide Familien erfasst: Söhne und Töchter auf beiden Seiten, wollten mit den Vätern nichts mehr zu tun haben und lehnten bis auf Weiteres, das Fortführen der elterlichen Gutsbetriebe ab. Wie zwei traurige alte Hennen, trafen sich die Ehefrauen beim Kaufmann an der Ecke, um zu rauchen, zu weinen und den Weinbrandvorrat aufzufüllen, sowie ihre Autos am schwarzen Brett zu Schleuderpreisen anzubieten, da sie beide in ihrem dauerhaft alkoholisierten Zustand zu keinen Fahrten mehr im Stande waren und nach und nach eingingen, wie Pflanzen die durch mangelnde Abwechslung und fehlendes Wasser, bei lebendigem Leibe verdorrten, bis sie eines Morgens, wie zwei kleine Dörrpflaumen von ihren, mittlerweile durch Traurigkeit und Depressivität völlig implodierten Ehemännern gefunden wurden, die daraufhin fast zeitgleich auf den Dachboden gingen und sich mit dem erstbesten Kälberstricken erhängten, bis auch sie von ihren schockierten Kindern vom Balken gepflückt wurden, wie zwei überreife Früchte, die man über mehrere Sommer vergessen hatte und deswegen am Baum des Lebens verschrumpelt waren.

An einer ganz kleinen und versteckten Stelle grenzten die Grundstücke von Don Fernando und Augusto aneinander. An dieser Stelle stand ein uralter Granatapfelbaum. Jahrzehntelang hatten sie diesen Baum gemeinsam geerntet. Als ihre Frauen und sie selber beerdigt waren und die Kinder sich um die Abwicklung der Güter kümmerten, hatten sie weder das Wissen über die Natur, noch die Kenntnisse, welche Felder wann und wie bestellt werden mussten. Seit sie Kinder waren kannten sie die Granatäpfel aus den täglich frisch gefüllten Obstschalen, wussten aber nicht woher sie kamen.

Irgendwann wurde wieder geerntet; sie hatten Firmen beauftragt dies in ihrem Namen durchzuführen. Da aber niemand genug Wissen hatte, um hart zu verhandeln, wurden die Ernten zu Niedrigpreisen verschleudert. Plötzlich setzten sie zu, verloren mit jeder Ernte Geld, obwohl die Familien jahrhundertelang reicher und reicher geworden waren. Grundstücke wurden nach und nach verkauft oder verpachtet; bestellt wurden die Felder zwar, aber nicht mehr liebevoll bewirtschaftet.

Den alten Granatapfelbaum kannte niemand mehr. In diesem Jahr blieben sie zum ersten Mal hängen. Niemand wollte sich um sie kümmern. Regelmäßig besuchte ich sie. Ich sah zu wie sie reifer und reifer wurden. Dann kam der September. Die Erntezeit nahte. Doch sie blieben hängen, verfaulten und wurden schlecht. Vorgestern bin ich hingegangen. Ich habe geerntet, habe alle noch Guten gepflückt. Es waren 3.

Ein Baum weiß nicht auf wessen Grundstück er steht; er kennt keinen Besitz, keine Gier, kein Neid. Er ist einfach nur ein Baum, der Früchte trägt wenn es ihm gut geht und eingeht, wenn nicht.