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Odyssee 2019 – CW40

Montag konnte ich meine Steuer 2018 erfolgreich bei der Behörde einreichen, obwohl ich, wieder mal zu spät war. Passiert mir zur Zeit öfters, dass ich für alles Mögliche lange brauche. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich so viel Zeit habe; mit dieser Lebenseinstellung – und für andere noch viel schwerer nachzuvollziehen – und Wahrnehmung bin ich mutterseelen-usw. Da gibt’s niemand anderen außer mir. Manchmal fühl ich mich deswegen alleine. Nicht einsam, eher wie ein Glücklicher auf seiner unbekannten Insel, die er gerne mit anderen teilen möchte. Schreiben hilft. Habe endlich den Knoten bei Horus gelöst bekommen und mich den ganzen Tag ran-gesetzt, bis mir die Lichter ausgingen.

Dienstag – schreibtechnisch geht es mir wieder besser, aber sonst muss ich sagen, dass mir vieles auf den Wecker geht. Zum Glück drückt es mir nicht zu sehr auf die Drüsen und die Stimmung, aber im Großen und Ganzen hat doch schon eine recht gewaltige Ratlosigkeit von mir Besitz ergriffen. Ständig begegnet mir diese Divergenz, überall.

Auf der Straße, wo kopfhörer-verstöpselte mir vor das Motorrad laufen, oder in der Schlange an der Kasse vor mir lauthals Telefonate führen, als wären sie nur von stumpfen Robo’s umgeben; stundenlang könnte ich jetzt weiteraufzählen, habe ich aber keine Lust zu; ist mir zu langweilig, diese neue soziale Welt, in dem du wettbewerbsgleich Dinge mit der ganzen Welt teilst und in der Realität beim massenhaften Wettbewerb „Meins ist größer und Schöner als Deins“ mitmachst.

Ich kann da nichts mit anfangen, sorry. Noch dazu diese Regel.- / Reglementierungswut, das Ausgießen von Kubikmetern von Gesetzen, national und auf EU-Ebene, als hätten wir die letzten 6000 Jahre nichts gelernt. Habe mich deswegen entschlossen, als nächstes mein bereits angefangenes Philosophisches Buch zu vollenden – es wird Zeit!

Mittwoch – habe mich beim Frühstück über das Thema Wissen echauffiert, keine Ahnung wie es dazu kam. Doch, jetzt weiß ich es wieder; nachdem ich ein paar Stunden geschrieben hatte, habe ich mir beim Mittagessen den kompletten Vortrag von Bruce Lipton über die menschliche Biologie und seine Funktionsweise reingezogen. Genau, dass war es. Bin da fast ausgeflippt, über die Vielzahl unserer Überdeckungen.

Was er en-detail als Wissenschaftler aufmalt hat mir mein Bauch schon seit Jahrzehnten gesagt und Bruce zeigt deutlich, dass mein Bauch von Anfang an richtig war und viel interessanter, warum Bäuche viel schlauer als Gehirne sind und auch sein müssen. Seit dem steht für mich das fest, was ich bereits in Athen, beim Besuch der Platonischen Akademie spürte: Die Wissenschaft ist eigentlich tot……!

Donnerstag – nach dem ich mich lange genug darum gedrückt habe, gab es kein Entkommen mehr, mochte die Festtagsbeleuchtung auch noch so sehr in meinem Gedächtnispalast leuchten: Hausarbeit und Sport war angesagt. Buntwäsche, helle Wäsche, Staubsaugen, feucht Durchwischen, Einkaufen und Ablage machen. Ein Tag zum Vergessen, wenn ich mich nicht grundsätzlich bemühen würde, an Allem Spaß zu haben, was mir, muss ich nun einmal zugeben, nicht immer gelingt – ein Podcast über Hemisphären-Synchronisation während des Mittagessens, schien mir eine schöne Abwechslung zu sein. Zum Abend dann ein wenig lessen.

Habe mir zum Frühstückskaffee am Freitag vorgenommen, am Abend wieder eine Flugstunde zu nehmen. Doch zuerst hieß es ein wenig Gas geben, wenngleich ich diesen ur-teutschen Ausdruck nicht mehr gut leiden kann; Gas geben, schon immer klang das irgendwie gezwungen, als wenn man sich für etwas aufraffen muss, was man sonst nicht hinbekommt. Wenn Letzteres galt, sollte man es auf einen anderen Tag verschieben oder jemanden machen lassen, dem es leicht von der Hand geht.

Los, gib Gas: Das ist, als wenn ich dir hinten ins Auto fahre, wie damals beim Autoscooter, du meine Güte; wann kamen wir endlich weiter aus dem Dickicht der Steinzeit. Abends war es dann endlich soweit: Edgar Cayce Flugstunde, genauer gesagt, Edgar’s Meditation, was so ziemlich das Gleiche ist. Nach einigen Jahren wollte ich es mal wieder probieren – und es gelang. Mehrere Stunden stieg ich aus mir heraus und flog umher – nachts landete ich sanft und rollte mich auf die Seite.

Samstag – nur ganz langsam wurde ich wach, nur Schritt für Schritt kam ich wieder in die Realität. Bis meine Füße wieder Boden spürten, vergingen fast zwei Stunden. Mittags fuhr ich eine Freundin abholen, um mit ihr zu Maxxess zu fahren; ich brauche ein Topcase, Regenklamotten und Kettenspray. Wir hatten uns bei ihr verabredet, jedenfalls erinnerte ich das so. Als ich klingelte fuhr sie mir direkt durch das Intercom, was ich denn hier machen würde; wieder einmal verstand ich die Welt nicht.

Oben in ihrem Flur stehend bekam ich erst einmal eine Standpauke, dass wir nicht verabredet wären, sowie eine lange Liste von Dingen, die ich, wieder einmal, offenkundig ganz unzulänglich missachtet hatte. Mein erster Gedanke für ihr Aus-der-Haut-Fahren war ihre monatliche Menstruation. Ich hatte ein begnadetes Händchen dafür. Natürlich konnte ich es ihr nicht sagen; sie wäre mir ganz sicher an die Gurgel gesprungen, so wie sie in Fahrt war. Also hieß es Stahlhelm aufsetzen, Schild hoch und stramm am Körper halten, wie die alten Spartiaten und der Dinge harren, die da geflogen kamen.

Nach einer Stunde rhetorischen Kampfhandlungen, holte sie etwas Luft und machte eine kleine Pause, fürs Erste. Langsam sahen wir uns um, was für ein Schlachtfeld, was für eine Verwüstung. Frauen konnten mich täglich ins Staunen versetzen, wie am jüngsten Tag. Unser Nachmittag war dennoch schön und endete damit, dass sie sich in ein Motorrad verliebte – doch dazu an anderer Stelle mehr. Den Abend verbrachte ich mit Schreiben und zeitigem zu Bett gehen.

Sonntag – nach dem Kaffee telefonierte ich mit einer anderen Freundin. Ich wollte sie mal wieder hören und wissen wie es ihr ging; außerdem wollte ich ihre Meinung zum Thema Kommunikation hören. Sina ist Sprachwissenschaftlerin. Schon oft haben wir uns gefetzt, besonders dann, wenn es um ihre Benutzung ging; kaum einer benutzt sie noch auf einem, sagen wir, kreativen und verschwenderischem Niveau.

Nach 5min war klar, dass wir uns heute nicht verstehen würden, und mehr als das: Wir merkten schnell, dass zwei Welten aufeinanderprallten. Zuerst begann Sie von der Historie der Sprachen, ihren Evolutionen, dem alltäglichen Umgangsformen und Tönen und den schulischen Herausforderungen zu reden. Nach 15min holte sie Luft und weckte mich mit pfeifendem Einatmen, eines Apnoe-Tauchers. Dankend nahm ich ihre dargebotene Sprechmupfel und holte, für ihren Geschmack, etwas zu weit aus; bald dämmerte ihr, dass ich gerade dabei war, vom Niedergang der Universitäten zu sprechen, dass sie nicht wüssten, was Akademien im ursprünglichen Sinne sein.

Ganz besonders pikiert war sie, als ich das Beispiel der Machtausübung durch Bildung und Wissen anführte, dass es sich erst die Kirche zunutze machte, dann Politik und später Geld und Macht und das es heute garantiert nicht mehr um die Sache, sondern um Egobefriedigung und das Schützen von staatlichen und oder universitären Status-Quo gehe und eben nicht um das Schaffen von neuem Wissen.

Da war bei ihr der Ofen aus. Sie fühlte sich von mir angegriffen und herabgesetzt, weswegen ich unseren Dialog hier nicht 1:1 wiedergeben möchte. Abends bekam ich dann die gute Nachricht, dass es mit der französischen Übersetzung von Nofrete weiterging – na endlich!

 

Täglicher Kampf

Ich stand auf und ging in den Flur. Wie eine tickende Bombe hing der Gaszähler gelangweilt an der weißen Wand, direkt neben dem Eingang. Vertraute Geräusche des Treppenhauses quollen in mein Reich. Ich blieb vor dem Spiegel im Flur stehen, kratzte mich hier und da, nahm eine Zigarette und zündete sie an. Halb gepfiffen sogar ein wenig wie geflötet atmete ich den ersten Zug aus. Ich ging in meine Küche, kippte das Fenster und ließ frische Sonne und strahlende Luft rein. Hamburg. Ich schaltete das Radio ein. Griechenlandkrise. Euro, Ego und verhärtete Fronten. Ich wechselte den Sender. KFZ-Maut, Flüchtlingspolitik und rechte Dänen: Skandinavier waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ich reichte den Sender nach hinten durch, wie den Wirtschaftsteil meiner Zeitung. Klassikradio war meine letzte Hoffnung. Ein sehr experimentierfreudiges und anstrengendes Musikstück bohrte sich mit stumpfem Messer in meine Ohren, wickelte meine filigranen Innereien um den Stahl, presste mir erst den Zehnten ab und schaffte mich. Resigniert schaltete ich das Radio aus, zog wie zum Trotze besonders stark an der Zigarette.

Ich schaute aus dem Fenster, sah auf den kleinen Bolzplatz, der mit feuerverzinkten Stahlgittern eingezäunt und seinem robusten Netz als Dachhimmel, eher an eingesperrte Gladiatoren denken ließ, als an spielende Kinder. Der Innenhof lockte mit weiterer Zerstreuung. Hysterischen Spielbuden gleich glänzten sie munter vor sich hin, als wäre man auf dem Dom. Wippen hatte man in die Erde geschlagen, Reifen als Bremsen eingebuddelt. Wie früher. Ein übergewichtiger Vater saß fest im Sattel, lachte zu übertrieben darüber, dass die gegenübersitzende, etwas dralle Mutter selbst mit Hilfe der Leibesfrucht keine Bewegung oder irgendeine Veränderung auszulösen vermochte, obwohl sich der gequetschte Reifen gefreut hätte. Zwei Schaukeln standen ungenutzt herum. Federvieh und Meeresfrüchte waren auch mit dabei: Hölzerne Enten und Seepferdchen hatte man auf dicke Stahlfedern genagelt, damit Ross und Reiter lustig herumtaumeln konnten, als wären sie ausgelassen und fröhlich, oder betrunken. Hunde rannten herum, suchten gehetzt Stöckchen und Ball. Von weiblichen Herrchen oft angeherrscht, mussten sie ständig um Gehorsam und Gefallen betteln und sich zur Notdurft mit einer Plastiktüte an ihre Teichrose grabschen lassen, um Äpfel und Zwetschgen zu ernten, bevor sie Fallobst wurden. Nicht mal ein Hundeleben war noch das, was es mal war. Ich war hungrig, öffnete den Kühlschrank. Er war endlich wieder voll. Ich dachte an meinen gestrigen Einkauf, während ich Kaffee-Bohnen in die alte Mühle rieseln ließ.

In Hamburg ist Einholen für mich mittlerweile schwierig geworden. Zu aggressiv und hektisch, zu bunt und schrill ist der gemeine deutsche Großstadt-Supermarkt. Oft passierte es mir, dass ich wie ein Schiffbrüchiger inmitten des hektischen, kosmopolitischen Wahnsinns stehenblieb und mich an der nächsten Boje festklammerte. Rastalocken, Tätowierungen, zu laute Handy-Gespräche, Blaumänner, Werbejingles, Stilettos und Piercings drohten zu überfordern. Ich ging zu den Einkaufswagen, Münzeinwurf garantiert. Ich hatte ein paar, aber keine Passende. Ich seufzte, war kurz davor aufzugeben und ging zur Seite, um die drängenden Massen nicht noch zorniger werden zu lassen. Ein paar abschätzige und zweifelnde Blicke trafen mich wie Streifschüsse. Schon früh am Morgen wurde scharf geschossen, als Erster und nicht zurück. Ich ging zur kleinen Bäckereitheke, an der gespielt-fröhliche Abiturientinnen konfektionierte Industriemassenbackware verkauften, als würde sie noch immer der gleiche pausbäckige Bäckermeister liebevoll backen, wie ihn sich schon die Gebrüder Grimm wünschten und kein metallener Industrieroboter, der leblose Brotlarven auf das Laufband spritzte, als wären es spiegelverschönernde Pickel. Die Schlange war lang, hielt mich aber nicht davon ab nach Wechselgeld zu fragen.

„Entschuldigung? Können sie mir das Kleinmachen?“  Die Bedienung war gerade dabei das Wechselgeld zusammenzusuchen, da wurde ich von einem stämmigen Rentner angefaucht.

„Hinten anstellen. Wir sind doch nicht bei den Hottentotten!“ Seine kleinen stumpfen Murmeln, musterten mich, wollten noch ein allerletztes Mal auflodern, bevor sie ganz erloschen und sich für immer zurück in ihre kleinen Vogelnester verkrochen, wo sie seit Jahren ausharrten, um vom dunklen Licht heimgesucht zu werden. Der Kommentar versetzte mir einen Stich in die Magengegend. Mir war so etwas unangenehm. Ich bin Harmoniemensch, dem Rechthaben und Rechtbekommen nicht wichtig war, solange Frieden und Selbige erhalten blieben. Ich hatte geahnt, dass die Schlange das Zeug dazu hatte, schnell zuschnappen und ihr Gift in Sekundenbruchteilen versprühen zu können.

Ich war das Risiko eingegangen. Naivität und Optimismus sind meist größer als mein Realitätsbezug. Vermutlich hat Piero damit Recht, dass ich Surrealist bin. Den zähneknirschenden Rentner sah ich lächelnd, ein wenig liebevoll an. Eine Menge Bilder und Wörter erstürmten Monsieur Thalamus, wollten rausgelassen werden, drängten ans Licht, wollten den Fehdehandschuh aufgreifen und angemessen antworten. Mittlerweile hatte die nette Bedienung das Kleingeld zusammen und reichte es mir, fast etwas beschämt über den Tresen. Ich sah sie an. Ihre Augen lächelten verzweifelt.

Sie hasste ihren Job, die alten vergrätzten, verbrauchten und ungebrauchten Kreaturen, die Sonderangebote, fünf für den Preis von vier, die ewigen Extrawünsche, die öden und nie enden-wollenden Gespräche über Dinge die niemand hören wollte, geschweige ein zehntes Mal, perfekt abgerundet durch die anzüglichen Witze, von Männern die kaum noch hören und sehen, oder sonst noch etwas konnten. Ich lächelte und wandte mich dem spuckenden Troll zu.

„Leider nicht; ich wünschte ich wäre dort.“ Ich sah die Bedienung und ihr Lächeln und freute mich, an diesem Tag wenigstens einen Menschen zum Lächeln gebracht zu haben.

Einkaufswagen warteten immer noch auf mich. Diesmal klappte es. Sie fraßen die Münzen, als wären es Oblaten zur Kommunion, aber von der Kette lösten sie sich nur ungern. Sogar Einkaufswagen wollten gefangen bleiben. Nur widerwillig ließ er die Kette los. Ungern, fast genauso störrisch wie der Troll, ließ er sich durch die engen Gänge lenken. Da bemerkte ich es: Er war behindert. Eine der Rollen machte nicht mit. Sie schlief noch. Nur hin und wieder drehte sie sich und wenn nur widerwillig, so dass ich mehrmals fast in die Auslagen rauschte und drohte einen entgegenkommenden Wagen samt Fahrer anzufahren. Ich fühlte mich wie im Auto-Scooter. Ich suchte die erste Boje. Olivenöl. Ein paar geschminkte Mädchen schwammen laut schnatternd an mir vorbei, packten Magermilch und eine Hand voll anderer fettarmer Produkte in ihren Wagen und trieben von dannen, immer noch lauthals mit den Augen rollend. Ein Handwerker um die Fünfzig paddelte an mir vorbei, in seinem Wagen eine Kiste Bier, Heringshappen mit rote Beete, Fleischsalat und Leberwurst. Toastbrot, Butter und eine Pornozeitschrift krönten seinen Einkauf. Ein Pärchen schwebte heran, blieb wie ich vor dem Olivenöl stehen.

„Was können Sie empfehlen?“ Ich sah mir weiter die Flaschen an. Sie konnten unmöglich mich meinen. Ich reagierte nicht. Sie räusperte sich, wiederholte die Frage, als wäre sie Margaret Thatcher. „Entschuldigung, könnten sie uns sagen, was Sie uns empfehlen würden?“ Einfach sprachlos konnten mich die Menschen machen. Langsam, wie in Zeitlupe drehte ich mich zu ihr hin, sah direkt in ihre Kuhaugen. Hamburgerin. Grüne gesteppte Jacke, rotes Halstuch, mit Karottenjeans, als käme sie gerade von der Rennbahn. Roter Lippenstift. Strenger Pferdeschwanz, der Gegenwehr nicht gewohnt war. Hohe Wangenknochen, ein wenig slawisch aussehend mit gerader Kleopatra-Nase, umrandet von einem rundlichen Gesicht. Teure Uhr, Ohrringe und ein paar schlichte Ringe. Fuhr wahrscheinlich einen dunklen Range-Rover, vermutlich mit beigem Conolly-Leder. Very british. Könnte eine Freundin von Charlotte sein. Typische Stute aus Blankenese oder Kleinflottbek. Ich lächelte sie an, etwas weniger liebevoll als den Troll.

„Keine Ahnung, ich habe mir die Flaschen noch nicht angesehen.“ Wie manche Menschen so sein konnten, ging mir nicht in den Kopf. Woher sollte ich das wissen? Sah ich aus, als hätte ich Fachwissen? Sie unterhielten sich ein wenig, so wie es Paare machten, die sich schon lange kannten. Ich mochte es nicht hören und ging auf die andere Seite des runden Regals und tat so als würde ich mir die anderen Flaschen ansehen. Da piepte es in meiner Jacke. Ich kam nicht weiter, es war zum Verrücktwerden, im Ernst. Das Paar hinter der Säule unterhielt sich über kaltgepresste Öle und das Alles. Sie hatten unterschiedliche Meinungen, versuchten sich gegenseitig zu überzeugen. Es gelang mir nicht wegzuhören.

„Kaltgepresst erste Pressung ist doch nur ein Teil des Ganzen; das Entscheidende ist die Temperatur.“ Das klang ganz vernünftig, was die Frau erzählte. Ihr Freund oder Mann war da weniger genau. „ Komm schon, so groß können die Unterschiede doch nicht sein; warum sollten wir für den halben Liter Zehn Euro zahlen, wenn wir für vier Euro einen Ganzen bekommen?“ Ich fing an zu lächeln. Sie wurde zornig, schwieg und sah am Regal vorbei, mir direkt in die Augen. Sie war sauer. Ich tat noch immer so, als würde ich die Flaschen genauer betrachten. Mir war das unangenehm, wenn sich Menschen in der Öffentlichkeit zankten und ich dabeistand. Ich fühlte mich dann immer wie in der Schule, wenn ich Vokabeln aufsagen sollte und mich nicht an alle erinnerte. Dann wünschte ich mir einfach wegfliegen zu können. Noch weniger wollte ich direkt neben ihnen stehen und mir die Öle ansehen, während sie sich angifteten. Sie rollte mit den Augen und ließ ihm seinen vermeintlichen Willen. Die Beziehungs-Müdigkeit saß ihnen schon lange in den Knochen, wie lästige Verwandtschaft, die nicht gehen wollte. Stillschweigend zogen sie von dannen. Ich ging um das Regal herum, dachte an meine Olivenbäume, an das was ich wusste und nahm das Teure.

Da bekam ich plötzlich ein paar Einfälle für meine Geschichten und machte mir Notizen, bevor ich sie wieder vergaß. Das konnte mir nämlich manchmal schnell passieren. Danach sah ich auf meinen Einkaufszettel. Zahnpasta, Küchenmesser und Wetzstahl stand da. Essen und Trinken brauchte ich auch. Mit Messern und Wetzsteinen war es wie mit Olivenöl. Oder mit Wein. Eigentlich mit Allem. Tabak und Hülsen brauchte ich auch. Der Strom der Kunden hatte zugenommen. Es war wie vorm Elbtunnel. Alles stand. Ich kürzte durch ein paar querverlaufende Gänge ab und nahm mir vor, mich auf meinen Einkauf zu konzentrieren. Sonst lief ich schnell Gefahr nicht fertig zu werden, im Ernst. Ich ging zum Wein und fand ein paar gute Flaschen. Sechs Eier von Freilandhühnern gab es dazu. Ich fasste sie hier und da an, sah mir ihre glatte Unterseite an, ob sie heil waren. Langsam kam ich in Fahrt. Nachdem ich Räucherlachs und skandinavischen Ziegenfrischkäse gefunden, die laut lachenden Mädchen, und Rentner und grelle Werbung und die schlimme Musik wie aus einem Achtzigerjahre-Porno ausgeblendet hatte, ging ich Richtung Kasse und packte auf dem Weg dorthin Gemüsesaft, Chips und Tomaten ein.

Vor der Kasse war eine Schlange. Da piepte es. Eine weitere Nachricht. Ich sah nach, obwohl ich mich immer ein wenig beobachtet fühlte, seit ich dies Smartphone hatte. Nachricht von Guilia. Ich bekam einen Ständer und steckte mir schnell die Hand in die Hose, damit man ihn nicht sah. Plötzlich ging ein Ruck durch die Schlange. Auf einmal ging es schnell vorwärts. Schon stand ich vorm Laufband. Auch das noch. Er ging immer noch nicht weg. Ausgerechnet jetzt. Ich befühlte meinen Schwanz und bat ihn keinen Ärger zu machen. All meinen Mut zusammennehmend, als würde ich eine Arschbombe vom Zehner machen, zog ich meine Hand aus der Hose und begann das Laufband mit meinen Sachen vollzustellen, gerade so, dass sie direkt vor mir auf dem Band lagen. Es gelang einigermaßen. Der Kunde vor mir, ein Reiter, der sein Pferd zum Glück draußen gelassen hatte, leider aber nicht Stiefel und Hose, die mich irgendwie schnell an Schweinerolle und die hängenden Gärten der Semiramis denken ließen, bezahlte bar und fummelte die krumme Summe aus seiner Tasche zusammen, wobei es jedes Mal eine große Kraftanstrengung für ihn war, die Hand in die zu enge Hose zu stecken. Nach einer halben Ewigkeit war er fertig. Die Menschen hatten manchmal doch Nerven. Ich dachte an die Antarktis, an Holzhacken und an Queen Elisabeth in Strapsen, um mein Gemüt abzukühlen. Die Kassiererin sah mich offen an.

„Hallo. Guten Tag.“ Sie hatte einen neutralen Gesichtsausdruck und ich meine Hand wieder draußen. Alles war gut. Piepen. Eine weitere Nachricht. Das Blut lief wieder aus dem Kopf, die Hand sprang in die Hose zurück. Dann musste ich meine Sachen in den Wagen räumen. Manchmal konnten einfachste Dinge einen erwachsenen Mann die Schamesröte in den Kopf treiben und ihn zu Fall bringen. Plötzlich hatte ich das Gefühl alles würde mich anstarren, so als wäre ich durchsichtig und würde ganz nackt an der Kasse stehen. Ich sah mich um. Mochten es hektische Bewegungen oder Zufall gewesen sein: Es waren einige Augenpaare auf mich gerichtet, im Ernst.

„37, 40 bitte.“ Erleichternd hörte ich die Zahl, wurde dadurch abgelenkt, als würde ich auf dem Amt stehen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Die Härte wich. Ich war gerettet. Ich zahlte und ging wieder zum Bäcker. Diesmal stand ich in der Schlange. Ich kaufte Brötchen. Fünf für den Preis von Vier. Ich packte alles in meine Taschen und ging langsam nach Hause. Ich hatte das Gefühl gealtert zu sein. Müde ging ich um die letzte Kurve und schloss die Tür zu unserem Flur auf, gerade in dem Moment, als zwei Nachbarinnen mit ihren laut bellenden Hunden runterkamen und sich an mir vorbeidrängten, als hätten sie keine Zeit. Es waren welche von den Zugezogenen; wir waren uns noch nie begegnet.

„Hallo. Sie können gleich hoch, wir sind sofort weg.“ Ein paar übriggebliebene Worte, lagen mir auf der Zunge. Tapfer schluckte ich sie runter, als wäre es Lebertran. Lächeln und nicken; Lächeln und nicken. Ich wollte nur noch hoch in meine Bude, kurz nach der Post sehen. Der Schlüssel hakte, ließ sich nur widerwillig reinschieben. Nach kurzem Gerangel ließ er sich endlich öffnen. Schon seit Tagen kam nichts mehr. Ich war froh und ging erleichtert die Treppe hoch, schwer beladen mit einer Tasche links und einer rechts. Da klingelte mein Handy plötzlich. Ein Anruf, ausgerechnet jetzt! Ich fluchte über die Menschheit, über Technik im Allgemeinen und pöbelte mich die Treppe hoch, die schweren Taschen nicht einmal absetzend. Ich schloss auf, schlich rein und knallte die Tür zu. Ich griff mir eine Zigarette, zündete sie an, atmete fauchend aus. Stille. Endlich. Ich brauchte sie, wie Luft zum Atmen.

Gerade hatte ich die Bohnen fertig gemahlen und goss das kochende Wasser drauf. Ich machte zwei Toastbrote, wollte gerade das Pulver runterdrücken und einschenken, als mir wieder ein paar Ideen kamen. Ich setzte mich und machte mir Notizen. Ich ließ die Kippe aufleuchten, dachte an meine neue Geschichte und sah mir die Zeilen an.

„Er saß rum. Einfach so. Er las nicht und sah nicht fern. Wenn er nicht trank, oder die Decke anstarrte, onanierte er. Manchmal, weil ihm danach war und manchmal aus langer Weile. Mehr zu tun gab es sowieso nicht, wenn man mal von Arbeit, Lotto, Fernsehen und Frauen absah.“

Das klang direkt, mit offenem Visier. Ich fand das gut. Ich wollte wieder ein paar handfeste Geschichten über das Leben schreiben und sah aus dem Küchenfenster. Der Gladiatorenkäfig war immer noch da und die traurigen Vierbeiner hatten immer noch ihr Hundeleben. Was im Radio lief hörte ich, ohne dass es an war. Dass die Allemannen keine Zeit hatten, wusste ich, ohne dabei zu sein. Die Deutschen sind wirklich ein gut organisiertes fleißiges Völkchen, das ein Faible für Vorschriften und Technik  hat. Ich zog an der Zigarette, nahm einen Schluck Café und freute mich auf Toulouse.