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Herausragendes Mitglied der Gesellschaft

Friedrich wohnte in Hamburg und hatte sein Abitur ohne Ehrenrunde gemacht. Schnell wusste er, dass er alles Mögliche sein wollte, nur kein gewöhnlicher Mensch. Auch Wehr.- oder Zivildienst war nichts für ihn. „Sich von Primitiven anschreien, oder als Zivi Hinterteile abwischen? Das geht gar nicht!“, waren seine Worte. Er spielte den Rückenkranken, bekam Tauglichkeitsstufe-5 und war frei.

Nach dem Abitur ging es direkt an die Universität. Dort glänzte er mit Neugier und Hilfsbereitschaft, besonders gegenüber Professoren. Seine Karriere begann er dann erwartungsgemäß als Executive-Assistent eines CEO. Nur wenige Jahre später stieg er zum Abteilungs.- und bald zum Hauptabteilungsleiter für Finanzen auf. Die oberen Führungskreise waren immer auf der Suche nach engagierten Potenzialträgern, Friedrich kam in ein Förderprogramm und lernte einflussreiche Manager kennen.

Dank seiner starken Ausrichtung nach oben hatte Friedrich einen guten Riecher für die Bedürfnisse der Vorstandsebene und wurde bald Finanzvorstand. Eindrucksvoll machte er auf sich aufmerksam, bis er mit Anfang vierzig zum CEO ernannt wurde. Endlich war Friedrich am Ziel. Doch er wollte mehr. Niemand konnte Bilanzen und ihre Transaktionen so geschickt auslegen, wie er. „Zahlen im allgemeinen waren immer eine Frage des Blickwinkels!“, philosophierte er gerne bei ausreichend Publikum.

Und wahrhaftig, die Zahlen sahen tadellos aus. Die Firma war rentabel und erfolgreich. Ein paar Jahre später brachte er das Unternehmen dann mit großem Erfolg an die Börse. Er trat selbst in Werbungen auf und warb mit Überzeugung für seine Volks-Aktie. Und die Menschen kauften wie warme Semmeln. Friedrich war jetzt nicht nur einflussreich und mächtig, sondern auch sehr reich.

Irgendwann gab es dann kritische Berichte in den Medien. Man fing an seine Methoden, sowie Art und Weise des Börsenganges zu hinterfragen. Schnell war von Bestechung die Rede. Zahlen und Bilanzen wurden in Frage gestellt. Bald sprachen die Medien von Betrug und Volksverrat. Bald brachen die Kurse weg. Friedrichs Marketing-Offensive hatte zwar dutzende Milliarden aus dem Nichts erschaffen, doch wie alle Strohfeuer, erloschen sie genauso schnell, wie sie wuchsen. Nach wenigen Jahren waren die Milliarden wieder vernichtet.

Eines schönen Abends kam Friedrich aus dem Bad und machte sich auf den Weg in seinen Ankleideraum, als er mitten im Lauf stehenblieb und innehielt: Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. Er konnte ihn nicht einordnen, schon gar nicht die Richtung aus der er kam. Plötzlich fuhr Friedrich blitzartig herum und erschrak! Ein älterer, mittelgroßer grauhaariger Mann, vielleicht kurz vorm Rentenalter stand da im Flur. „Verlassen sie sofort mein Haus! Oder ich ruf die Polizei…!“, schrie Friedrich und sah den Gegenstand in der Hand des Alten, der die Quelle des merkwürdigen Geruchs war. Eine frisch geölte doppelläufige Schrotflinte.

Wortlos stand der Mann mitten im Raum. Friedrich dachte an Flucht oder Hilfe und griff reflektorisch zu seinem Smartphone, dass er in seinem schweren Bademantel bei sich trug. Doch er hatte den Alten unterschätzt. Schnell wie eine Katze glitt er auf Friedrich zu und schlug ihm den Gewehrkolben mit lautem Krachen ins Gesicht. Schwer getroffen sackte Friedrich zusammen, wobei er unkontrolliert nach Halt suchte und laut klirrend und scheppernd, die rechts von ihm stehenden Gläser samt Designertablett vom Tisch riss. „Hochmut kommt vor dem Fall!“, rief der Alte mit bebender Stimme.

Schwer getroffen, mit schwer blutender Platzwunde und gebrochener Nase, kam Friedrich stark schnaufend hoch, schaute den Schläger entsetzt an und ging wie in Trance auf den Alten zu, so als ob er eine Erklärung, eine Antwort für diesen Albtraum zu bekommen erhoffte. Blitzschnell traf ihn ein zweiter harter Hieb in die Magengrube, der ihn mit scharfem Pfeifen, wie ein Taschenmesser zusammen-klappen und zu Boden gehen ließ. Friedrich blieb lange liegen und kam erst nach dutzenden, grausig-stillen Sekunden auf die Knie und verharrte in dieser Stellung, wobei er den Kopf langsam anhob, um dem Alten in die Augen zu sehen.

Zorn ließ diesen beben, als er sprach: „Sie haben Allen geraten ihre Aktie zu kaufen. Wir alle haben Ihnen vertraut, auch meine Frau und ich. All unser Geld haben wir in ihre Aktien investiert, um uns im Alter abzusichern. Jetzt ist die Aktie nichts mehr wert und all unser Geld weg! Wir haben vierzig Jahre dafür geschuftet und jetzt ist alles futsch!“ Instinktiv wusste Friedrich, dass er jetzt schweigen musste, wenn er nicht einen dritten Hieb riskieren wollte.

„Zuerst war unser Geld weg“, setzte der Alte fort, „und dann brach es uns das Herz! Meine Frau bekam wenige Monate später Krebs – sie starb mir innerhalb eines Monats einfach weg, nach über dreißig gemeinsamen Jahren und wissen sie was? Irgendwann fing auch ich an, über Rückenschmerzen zu klagen. Die Ärzte stellten Lymphdrüsenkrebs fest, im Endstadium. Ich habe noch ein halbes verschissenes Jahr zu leben und das alles, weil wir ihnen vertrauten und ihre Aktie kauften! Was meinen sie wie sich das anfühlt, wenn man alles verliert? Was meinen sie wie das ist?“, schrie der Alte. Friedrich machte ein trauriges Gesicht als er mit den Achseln zuckte. „Sie wissen es nicht?“, schrie der Alte erneut. „Das glaube ich ihnen sogar! Solche gewöhnlichen Dinge können sie gar nicht kennen. Aber ich kann sie beruhigen – ich werde ihnen zeigen, was Verlust und Schmerz bedeutet!“, versprach der Alte.

Friedrich überlegte angestrengt. Er fing an, über seinen Besitz von Autos und Villen nachzudenken. Bekam er jetzt einen Denkzettel? Aus seiner Sicht hatte er den bereits, so brutal der Alte ihn zusammengeschlagen hatte. Was Friedrich nicht wusste: Der rüstige Herr war früher Hausmeister und bekannt für Ordnung und Zuverlässigkeit. Auch er war kein Freund von Worten und liebte die Tat. Plötzlich fuhr der Alte Friedrich mit tränenerstickter Stimme schluchzend an: „Wie können Sie uns alle betrügen und ungestraft davonkommen?“, Friedrich konnte nur sehr langsam antworten, da ihm die Hiebe noch arg zusetzten. Doch er konnte nicht ganz verhindern, dass er den Alten mitleidig anlächelte.

„Was wollen Sie von mir? Gerechtigkeit? Es gibt keine Gerechtigkeit. Sie haben sich entschieden Aktien zu kaufen. Wollen Sie mich für ihre Entscheidung verantwortlich machen? Wenn Sie eine Aktie erwerben, dann sind sie derjenige der bestimmt, wann sie die kaufen und verkaufen. Sie können nicht die Verantwortung bei Anderen suchen. Das ist freie Marktwirtschaft. Das ist der Preis in einem demokratischen Staat zu leben. Es hat Vorteile, aber auch Nachteile.“

„Du hast völlig recht, du mieses Schwein!“, sagte der Alte in ernstem Ton. Das war sie, Friedrichs Chance. „Sie wollen mir doch gar nichts tun, es geht Ihnen um Geld. Ich kann ihnen 250.000.- Euro in bar geben!“, schlug Friedrich vor und dachte angestrengt über den Aufbewahrungsort nach, während der Alte den Lauf seiner doppelläufigen Schrotflinte an seinen Kopf hielt.

Unwirklich laut klang der Schuss der die Stille zerriss. Der Anblick all der vielen Schädelteile, dem Gehirn und dem vielen dunkelroten Blut ließ den Alten erstarren. Als er Alte die Flinte lud und sich die Mündung in den Mund steckte, zischte es leise. „Scheiße!“, fluchte der Alte.

Ruhig und gelöst, wie ein Metronom nahm der Alte ein wenig Spucke und kühlte die noch heiße Mündung provisorisch ab, bevor er sich die Flinte erneut in den Mund steckte. „Weiß sowieso kein Schwein was er wählen soll.“, dachte der Alte, während er über die bevorstehende Wahl nachdachte und abdrückte.