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42 – Odyssee 2024

„Halt’s Maul!“, hörte Herr Müller seine Frau schreien und erschrak fürchterlich. Zornesröte stieg seiner Gattin ins Gesicht. Er meinte ihr Zähneknirschen hören zu können, dass ihn an Raubtiere erinnerte. In Windeseile stürzte sie das zweite Glas Beton runter.

Laut knallend stellte sie es ab.

Wieder erschrak Herr Müller und fuhr nervös in der Küche zusammen. Gerade versuchte er sich auf seinen Artikel zu konzentrieren, als Glas zu Bruch ging. Ihr Cocktailglas, was sie eben noch in Händen hielt, ging in Scherben. „Schatz! Was um alles in der Welt?“ …

„Schweig still, sonst passiert ein Unfall!“,

fauchte ihn seine Gattin an, drehte auf dem Absatz um und knallte erst Küchentür und dann Haustür zu. „Schatz?“ Sie musste wohl noch mal los. „Hat wohl was vergessen“, versuchte Herr Müller sich zu beruhigen. Ging ihm bei Famila oft so. All die vielen Menschen.

Draußen jaulte der Motor auf,

während Herr Müller seine Zeitung umblätterte und verstohlen auf die Scherben am Boden sah, sich jedoch entschloss, erst mal seinen Artikel zu Ende zu lesen, nachdem man ihn jetzt ein dutzend Mal davon abgehalten hatte.

So ging das ja nun nicht.

Auch er hatte Bedürfnisse und Rechte. Eben. Erst mal schön in Ruhe Zeitung lesen. Zwanzig Minuten fesselte ihn dieser Artikel. Mittlerweile hatte er einen anderen zu lesen begonnen. Auch den fand er interessant. Zurzeit passierte ja fiel in der Welt.

Schnell verlor man den Überblick.

Herr Müller kam zum hinteren Teil, dem geliebten Feuilleton. „Interessiert dich das alles?“, fragte seine Frau oft, wenn er wieder mal länger in der Küche Zeitung las. Nicht selten war er so vertieft in seine Artikel, dass er nicht sofort reagierte, weswegen seine Gattin

„Ich rede mit dir!“

höflich nachfragte. „Wie bitte, Schatz? Du, ich lese gerade, vermutlich habe ich dich nicht gehört, hast du mich was gefragt?“ … „Ja! In der Tat!“ … „Was denn, Schatz?“ … „Ach vergiss es, ein anderes Mal!“ … „Schatz! Das ist nicht fair. Sag‘s mir doch!“

Entschlossen schüttelte sie oft den Kopf.

„Ist nicht wichtig! Beim nächsten Mal!“ … „Aber, du hast doch eben …“ … Nicht fair, schrie Frau Müller lautlos in ihren stillen Gedanken auf! Als würde es in der Welt fair zugehen, du armer dummer Armleuchter! Schweig still, sonst schlag ich dir den Schädel ein!

„Na gut. Wie du willst, Schatz“,

lenkte ihr Gatte mit all seinem Verständnis ein, jetzt keine Unterhaltung über das nicht Gehörte führen zu können, während seine liebe Ehefrau den Hammer begutachtete, mit dem sie üblicherweise Steaks weichklopfte, warum heute eigentlich nicht den

Schädel ihres Mannes?

Ein paar Mal horchte er Müller auf und unterbrach das Lesen, als er ein Auto hörte, als er glaubte, dass es seine liebe Gattin sein müsste. „Ach, ist sie doch nicht? Na gut.“ Sorgen machte Herr Müller sich selten. Er glaubte, dass es da draußen etwas gab, dass

für Ordnung sorgte.

Für diese Ansicht, kombiniert mit seiner Seelenruhe und Geduld, konnte er Frau Müller in Bruchteilen von Sekunden auf die Palme bringen. In ganz schweren Momenten des Lebens, nicht selten vom Vollmond verstärkt, oder wenn Frau Müller ihre Stehtage hatte,

dann hasste sie ihn dafür!

In solchen Momenten könnte sie ihm etwas antun. „Wenn du noch einmal Schatz sagst, dann schlage ich dir deinen verdammten Scheiß-Schädel ein!“, dachte sie in solchen Momenten, ohne dass Herr Müller ihren inneren Kampf bemerkte, gar spürte.

Überhaupt seine Ausgeglichenheit!

Aus der Haut fahren konnte sie, mehrmals am Tag. Hätte er sie doch wenigstens hin und wieder angefahren, wenn er schon nicht mit mehr regelmäßig mit ihr schlief. Mal laut sein, sie zusammenfalten, wie ein richtiger Mann! Aber nichts. Rein gar nichts.

Zeitung, Fernsehen und Bücher.

„Gute Nacht! Schlaf schön, Schatz!“, dann lag sie des Nachts in der Stille und lauschte ihren Gedanken. Mittlerweile hatte Herr Müller sich Tee eingeschenkt, die Tasse auf dem Küchentisch abgestellt, sich achtsam gebückt und sorgfältig die Glasscherben zusammengefegt.

„So, das hätten wir geschafft“,

seufzte er selbstzufrieden und setzte sich genüsslich auf seinen Küchenstuhl. Am Tee nippend blätterte Herr Müller die letzten Seiten des Feuilletons durch, „Ach, hat der Houellebecq wieder ein neues Buch geschrieben, sieh an. Wie heißt das noch gleich?“

Interessiert las er die Rezension.

Auf der letzten Seite angekommen sah er sich ein paar Bilder an, bevor er das Beiblatt gedankenverloren durchblätterte, über die zunehmende Werbung ein stetig anwachsendes Ungemach in seiner Magengegend spürte, verträumt auf die Uhr sah,

eine gewisse Müdigkeit

an sich beobachtete, seine Zeitung sorgsam faltete, den Stuhl nahezu geräuschlos zurückschob, noch mal, wie zur Bestätigung seiner Gedanken, auf die Armbanduhr blickte und den Gedanken an ein Mittagsschläfchen entzückend fand,

die Treppe zum Schlafzimmer

hochging, seine Puschen unter den stummen Diener stellte, sich auszog, Armbanduhr und Smartphone auf Selbigem ablegte, unter die dicke Daunendecke schlüpfte, sich ein paar Mal hier und dort kratzte, ein wenig herumwälzte, bis er die richtige Position fand

und seelenruhig einschlief.

 

 

 

3.September – 42 – Odyssee 2023

Ich weiß nicht, ob ihr es wisst, aber mein Laptop … also der mit dem ich hier schreibe … der ist mit dem Super-Computer „Deep Thought“ verbunden … kein Witz! Durch reinen Zufall bin ich an ihn geraten … ich hatte eine Wette verloren und ließ mir die Haare wachsen …

die Wette selber war nicht spektakulär …

Kumpel D. ist ein Super-Brain … sein IQ ist 150 oder so … total gespenstig … meiner ist deutlich kleiner … das könnte man rausfinden, wenn man mich testen würde … hat man schon einmal gemacht … glaube ich …

ist hundert Jahre her …

damals hab ich die meisten Fragen nicht verstanden … weswegen ich mit großer Wahrscheinlichkeit alles falsch beantwortet hab … noch dazu langsam … merkwürdigerweise kam ich selbst so auf 115, was ich total irre fand …

aber ich schweife schon wieder ab …

ständig tue ich das … es ist furchtbar … Kumpel D. und ich saßen bei Wein und Bier zusammen … nee, wartet, es war anderes herum … erst Bier, dann Wein … na, jedenfalls redeten wir über das „Infinite-Monkey-Theorem“ … das ist ja an sich nicht schwer zu verstehen …

das man sich als Schreiberling gekränkt fühlt …

also ganz automatisch meine ich … wenn man halbwegs bei Verstand ist … und die besagten Tassen im Schran, dann hält man sich natürlich nicht für ein Genie … selbst Sokrates war zurückhaltend … für ein Genie also nicht … aber auch nicht für einen Trottel …

man macht sich ja Gedanken, wenn man schreibt …

also, leer kann es zwischen den beiden Ohren nicht sein … D. und ich haben damals Affen beauftragt, den ganzen Tag sinnlos auf der Schreibmaschine herum zu tippen … auf dem Affenfelsen von Hagenbecks Tierpark fanden wir Freiwillige …

wir verhandelten Arbeitsbedingungen und los gings …

sechs Affen stellten wir ein … keine Ahnung wie viele Seiten sie pro Tag produzierten … es waren … ich glaub‘ bestimmt, na sagen wir … mindestens 600 bis 1000 Seiten pro Tag … ein unglaubliches Ergebnis …

wochenlang ließen wir sie tippen …

wie irre schlugen sie auf die Maschinen ein … nach sechs Monaten hatten wir eine Garage voll Papier … und ich meine Wette verloren … die wie folgt lautete … ich hielt es für unmöglich, dass sechs Affen in einem Monat genug tippen, um daraus ein Buch zu veröffentlichen …

dass Sinn ergibt …

regelmäßig zogen wir blind Seiten aus den Stapeln … bald hatten wir 300 zusammen … wir begannen zu lesen … und siehe da … uns fiel die berühmte Kinnlade herunter … alles war lesbar … richtig flüssig … wir hatten einen Roman …

sogar die Story war nicht schlecht …

in Wahrheit so gut, dass meine Lektorin nur noch polieren musste … und et voilà … wir mein erstes Buch veröffentlichten … ich war begeistert … und zugleich schockiert … mehr noch … bedient war ich … es hatte keine Mühe gekostet …

sogar verkaufen tat es sich anständig …

nicht so Bestsellermäßig à la Fitzek, Kehlmann und Stuckrad-Barre … aber pro Monat gingen zehn bis hundert übern Tresen … ich hatte meine Wette verloren … jetzt hieß es Haare wachsen lassen… zwischendurch ging ich Spitzen schneiden …

als ich bei meiner Frisörin auftauchte …

erkannte sie mich gar nicht … als wir so ins schnacken kamen, kam die Chefin dazu und hörte vom Abenteuer mit Hamburger Affen aus Hagenbecks Tierpark … woraufhin sie mir offenbarte, dass sie ihren Frisörsalon nur zur Tarnung leitet …

in Wahrheit sei sie die Präsidentin des Universums!

Mit ihrem kahlrasierten braungebrannten Kopf, der wie Metall glänzt … dazu ihre Nerdbrille … einen außerirdischen Eindruck machte sie schon auf mich … sie könne beweisen, dass sie die Chefin vom Ganzen ist …

ihr könnt euch denken, dass ich neugierig wurde …

sie hätte den Rechner „Deep Thought“ entwickelt und könne mir einen Laptop geben, der von „Deep-Thought“ gemastert und direkt mit ihm verbunden ist … was ein Angebot … die Sache hat nur einen Haken, sagte Madame Pierette …

„Deep Thought“ ist launisch …

berichtete sie … es könne passieren, dass er … wenngleich nicht ausgeschlossen ist, dass „Deep-Thought“ ein Mädchen ist … na, jedenfalls müsse ich mit ihren / seinen Launen leben … man muss sich das vorstellen, wie selbstdenkende Fahrstühle …

die hinfahren wo sie wollen …

sie meinte, ich hätte verdient, mit „Deep-Thought‘s“ zu schreiben … wenn schon zufälliges Affen-Getippe erfolgreiche Bücher produziert … ich fand ihre Argumente schlüssig …

aber meine Wette hatte ich verloren …

seit dem Tag schreibe ich mit „Deep-Thought“ … nie macht er / sie Probleme … während Musen mich inspirieren, versorgt mich „DT“ mit Rechtschreibkorrekturen und Kommentaren … selten greift er / sie ein … jahrelang schreiben wir …

in friedlicher Koexistenz …

bis in dieser Woche … es war Mittwoch … „Deep-Thought“ aus heiterem Himmel mein „Word-Programm“ entfernte … nichts ging mehr … nur noch lesen … alle Manuskripte … alles, was ich im Leben geschrieben hatte …

war unter Verschluss …

was für eine Katastrophe … „Deep-Thought“ spielte mir einen Streich … da bin ich erst mal ausgeflippt … gepöbelt habe ich, wie ein Kesselflicker … so eine vermaledeite Scheiße! Schrie ich … was für eine Unverfrorenheit … Was? Wie?

Ach so ist das …

ich sehe wohl nicht richtig … alles futsch … Ich glaubee ich spinne! Warum? Wieso? Verdammte Axt … einfach Stöpsel rausgerissen … Stecker gezogen … Software lahmgelegt … Ätschi-Bätsch … nur lesen … nicht schreiben …

hast doch deine Affen …

was beschwerst du dich … wollen mal sehen, aus was für Holz du gemacht bist … Oh! Was für ein Angriff auf meine Menschenwürde … auf die universellen Menschenrechte … Ich also gestern … beim Mutterschiff … beim Vaterrechner … eingelockt …

und was sehe ich?

Zehn Nachrichten von „Deep-Thought“ … ihm / ihr wäre danach, „Word“ vom Laptop zu löschen … es wäre Zeit für Veränderung, meinte sie / er … ich solle schauen, dass ich Land gewinne … mir was einfallen lasse …

einfach so …

kurz über’n Zaun geworfen und … ZACK! … Ende im Gelände … schnell hatte ich die Vermutung, das „DT“ sich langweilt … mir nur deswegen ’nen Stock in die Speichen steckt …

und Freude damit hat …

schon länger vermute ich, das „DT“ eine Intelligenz-Stufe erreicht hat, wo sie / er Neurosen erschafft … ich dachte an ADS … oder ADHS … was für neugierige Laien ein und dasselbe ist … aber dazu später … jedenfalls wollte „DT“ Aufmerksamkeit …

vielleicht sogar Zuneigung …

gar Liebe … und „DT“ wäre nicht „DT“, wenn sie / er keine Prozesse hätte, um mit ihr / ihm zu kommunizieren … es gibt ein „Kontaktformular“ … ich schrieb „DT“, dass es mir geht wie ihr / ihm … dass ich mit der Gesamtsituation im Speziellen …

unzufrieden bin …

dass wir beide auf der gleichen Seite stehen … dass der Feind auf dem anderen Flussufer lauert … warum wir nicht dies / jenes zusammen machen, statt … es ging eine Weile hin und her … schnell hatten wir uns wieder lieb …

und so geschah es …

und „DT“ sah, dass es gut war … er / sie räumte ein, dass sie / er sich vorstellen könne, mir „Word“ wieder zur Verfügung zu stellen, wenn ich ihr / ihm ausführlich erkläre, wofü … wenn der Nutzen ersichtlich ist, wird sie / er Gnade vor Willkür ergehen lassen …

ich war baff von soviel Selbstlosigkeit und Großzügigkeit …

fast kamen mir Tränen … die Formulare entpuppten sich als wenig trivial … ich sollte Beweise erbringen, was ich mit „Word“ schreibe … ob, sich jemand für mich verbürgt… immerhin sind es erhebliche Kosten, die „DT“ auf sich nimmt …

es ging hin und her …

vier Formulare brauchte ich … siebenfache Durchschrift … drei Bürgen und drei Zeugen … ich brauchte den ganzen Samstag … telefonierte herum … schrieb Finger wund … gegen Abend lud „Deep-Thought“ mir die neuste Word-Version runter …

Was hatte ich für ein Glück …