Wolfgang ist Wissenschaftler und Single. Tagsüber erforscht er das Weltall, abends das Alleinsein. Immer war das nicht so, in den zwanzig Jahren unserer Freundschaft. Doch nachdem seine Frau einen erfolgreichen Selbstmordversuch in der Hochzeitnacht beging, sagte er sich von Frauen los. Ich verstand ihn. Über die Ursache wurde viel spekuliert; war psychische Labilität im Spiel, oder andere seelische Erkrankungen, die man ihr nicht ansah?
Doch zuviel war zu viel!
Man kann alles wissen wollen und darf sich gleichzeitig davor fürchten; all unsere permanenten inneren Widersprüche und Konflikte dürfen wir ausleben, müssen wir sogar, gehört es doch zum Menschsein, wie alle Talente und Defekte. Aber sich selbst, gar einander etwas antun, am Besten im Beisein des Anderen? Da hört‘s auf. Wenn dir beim Schwimmen im Meer ein Hai ein Bein abbeißt, wirst du in diesem Leben nicht mehr ins Wasser gehen.
Versteht jeder.
Wir sollten uns mit Menschen umgeben, die uns guttun; gibt genug Verrückte, Deformierte und moralisch Entgleiste, die unsere Nerven rauben; wir sollten uns daher nie scheuen, solche Exemplare aus unserem Einkaufsagen rauszunehmen und sie zu den anderen Pfandflaschen ins Regal zurückstellen.
Familie eingeschlossen – auch sie steht nicht unter Artenschutz.
Vor kurzem lud Wolfgang mich überraschend zum Dinner ein. Schon ewig hatten wir uns nicht mehr ausgetauscht, geschweige gesehen. An nachdenklichen Abenden machte ich mir Sorgen um ihn; introvertiert, still und gleichzeitig feinsinnig wie er nun einmal ist, kommt man schnell auf dunkle Gedanken. Umso größer Erleichterung und Freude: Er hätte seine große Liebe gefunden. Sie wollten für mich kochen.
Gerührt nahm ich die Einladung an.
Ich freute mich riesig für ihn, nicht nur, weil sich meine Sicht auf die große Liebe schon vor „Feuchtgebiete“ eingetrübt hatte. Zwanzig Uhr. Wolfgangs Eigentumswohnung liegt in einer stillen Wohngegend mit gepflegten Altbauten. Namentafeln aus poliertem Messing. Nur kurz tipp ich seine Klingel, schon summt der Öffner. „Herzlich Willkommen“, flötet es aus dem Lautsprecher.
War das Wolfgang?
Gespannt stieg ich die knarzende Treppe hoch. Im letzten Stock ging die Tür auf. Neugier und Anspannung waren nicht zu überbieten. Schon bog ich um die letzte Treppen-Biegung. „Hallo mein Lieber, schön dass du da bist; wir freuen uns riesig!“, strahlte er überschäumend.
„Ich mich auch!“,
gab ich gerührt zurück. „Komm rein…“ Langsam schritt ich in seine Wohnung die er offensichtloch renoviert hatte. „Hier“, ich hielt ihm den Roten hin, „ich hoffe es passt zum Gericht“ und wartete gespannt auf seine neue Freundin.
„Wir haben schon alles vorbereitet, komm setz dich…“
Er nahm mir meine Jacke ab und führte mich feierlich zum Tisch. „Schatz, schau mal wer da ist…“ Schatz hatte ich ihn fünfzehn Jahre nicht rufen hören. Gespannt wie ein Flitzebogen versuchte ich mich mit dem Beobachten seiner Wohnung zu beruhigen.
Alles schien am alten Platz.
Platten- und Büchersammlung genauso, wie sein ellförmiges Sofa. Die neuen Bilder, sowie die sandfarbenen Wände strahlten Gemütlichkeit aus, unterstrichen von frischen Schnittblumen, die mit Geschmack ausgesucht worden waren.
„Katarina ist noch im Bad, sie nimmt sich Zeit, wenn sie sich schick macht“,
sagte Wolfgang nicht ohne Stolz. Ich verstand ihn. Viele Männer fühlten sich erst als vollständiger Teil der Gesellschaft, wenn sie eine Dame mit Kultur und Geschmack an ihrer Seite haben. „Komm, wir stoßen schon mal an, sie kommt gleich dazu…santé!“, wir ließen unsere Gläser klirren.
„Zum Wohl, mein Lieber – und herzlichen Glückwunsch!“
Rosé-Champagner, Wolfgang hatte sich verändert; Frauen haben großen Einfluss auf uns. „Schatz…?“ Mit nervösem Unterton rief Wolfgang Richtung Schlafzimmer; Kunststück, bei seiner Vergangenheit. Plötzlich stand er auf. „Ich geh sie mal holen, sie ist sehr schüchtern…“, flüsterte er mir zu. Während er mir zuzwinkerte sah ich auf Katarinas leeren Platz, den sie in wenigen Sekunden füllen würde.
„Du siehst großartig aus, einfach bezaubernd, mein Schatz!“
Hörte ich ihn im Schlafzimmer sagen. Aufgeregt begannen meine Füße zu wippen, während ich am Champagner nippte und den Lichtern der Stadt zusah. Wie festgenagelt blickte ich auf die Stadt, als ich Schritte hörte und bemerkte,
wie Stühle geschoben wurden.
Ich lächelte still in mich hinein; freute mich riesig für Wolfgang. „Katarina, darf ich dir meinen besten Freund vorstellen?“ Noch immer auf die Stadt stierend, wollte ich die Spannung auskosten. Voller Neugier drehte ich mich um.
Und sah in die toten Augen einer Gummipuppe.
Erschrocken krampften sich meine Hände am Tisch fest. Wolfgang überging das und tat, als würde er‘s nicht wahrnehmen. Stattdessen spulte er sein Programm ab. „Was meint ihr, soll ich die Vorspeise holen?“ Wieder dies Zwinkern. Aus tausend und einem Grund fühlte ich mich hundeelend. Wolfgang machte sich in der Küche zu schaffen und pfiff ein fröhliches Lied,
während Katarinas Plastikaugen durch mich hindurchlächelten.
Sie trug ein aufreizendes Kleid. Vermutlich hat er der Verkäuferin augenzwinkernd erzählt, dass es ein Art Überraschungsgeschenk für Schatzi ist. Sogar Dessous trug sie, Lippenstift, Stilettos, einfach alles, was Frauen aus Wolfgangs Sicht brauchten. Sie sah Maria zum Verwechseln ähnlich. Größe, Haarfarbe, einfach alles. Schon schwebte mein Kumpel ins Wohnzimmer.
„Entenherzen in Knoblauchbutter – guten Appetit!“ Wieder dies Zwinkern.
Meine Hände hielten sich immer noch krampfhaft am Tisch fest. Schnell trank ich einen großen Schuck, um meine Nerven zu beruhigen. Mir war zum Heulen und Lachen zumute. Alles gleichzeitig. Ich schnitt ein Stück Entenherzenhälfte ab und kaute vorsichtig drauf herum; es schmeckte vorzüglich; ich dachte an befreundete Paare, mit und ohne Kinder; in Beziehungen ließen Menschen keine Gehässigkeit aus.
Seltsamerweise, oder vielleicht gerade deswegen – blieben wir.
Auch dachte ich an meine Kumpels, wie einer nach dem anderen in Ketten gelegt wurde; oder sich in Ketten hat legen lassen; wie war das bloß möglich; gab‘s nichts dazwischen? Nur Elend? So oder so? Junggeselle auf ewig, oder zwei Heulbojen, die gemeinsam untergehen? Ich dachte an den youtube video
„Leck sie um den Verstand“
von Erotik-Coach Marina Deluca; an Gleicberechtigung und die neue sexuelle Befreiung, die nichts daran änderte, dass wir Menschen das Talent haben, zusammen zu vereinsamen, wenn wir nicht aufpassten. „Schmeckt es dir?“ Wolfgang riss mich aus meinen Gedanken.
Irgendwie war ich ihm dankbar dafür.
Mein Schock hatte sich gelegt. Erneut sah ich Katarina ins Gesicht. Sie hatte einen sinnlichen Mund. Mit neuen Augen sah ich meinen Kumpel von der Seite an. Still vor sich hinlächelnd, kaute er auf den Entenherzen rum; sie waren ihm wirklich gelungen; die meisten werden hart, weil sie zu viel Hitze bekommen; hin und wieder prostete er Katarina und mir zu.
Plötzlich war ich unglaublich stolz auf ihn.
Und ergriffen, von Wolfgangs Vertrauen. Was musste im Kopfe dieses Mannes vorgehen, der mit einer Gummipuppe glücklich war und den Mut aufbrachte, mich zum Essen einzuladen? Wer war ich, darüber zu urteilen, nur weil’s „weird“ ist, nicht der Norm entspricht; ist es nicht genauso irritierend, wenn man seinen Hund liebevoller behandelt, als den Partner? War es nicht noch verrückter, wenn man unter solchen Umständen blieb?
„Köstlich – wirklich, Wolfgang: Ganz ausgezeichnet!“
Ich hob mein Glas, sah meinen Kumpel offen ins Gesicht. Überglücklich strahlten seine von Freudentränen geschwängerten Murmeln. Leise, mit ergriffener Stimme hauchte er „Danke, das du gekommen bist“, über den Tisch. Wir prosteten uns mehrmals zu. Heute hatte ich meinen Kumpel wiedergewonnen.
Er war glücklich.
Hoffentlich hatte seine geschundene Seele Frieden gefunden. „Auf euch zwei“, hob ich mein Glas an, „Auf uns drei, mein Lieber!“, setzte Wolfgang überglücklich drauf; die vielen Perlen im Glas ließen ihn aufstoßen. „Tschuldigung“, flüsterte Wolfgang über den Tisch und sah dabei zu Katarina und mir herüber; ich war an der Reihe, ging in die Küche,
kam freudestrahlend zurück und schenkte Champagner nach…
https://youtu.be/U6cJCv-TCCg