25.September – Mit freundlichen Grüßen – Odyssee 2022

In Deutschland bekam ich Post von Libri und der Zulassungsbehörde. In ersterem Brief mahnte man‘ ne Rechnung an, die ich nie erhalten hatte und die per Post kam, obwohl ich bereits mehrmals darum bat, per e-mail angeschrieben zu werden. Beim Öffnen suchte ich noch dazu – WÖFÜR – ich zahlen sollte.

Vergeblich.

Beim zweiten Schreiben war‘s offensichtlicher, wenngleich nicht weniger schwer verdaulich. Man teilte mir mit, mein Motorrad zwangsweise stillzulegen. Grund war die Aufkündigung meiner Versicherung. Auch die Provinzial Brandkasse hält daran fest, mir alles per Briefpost zu schicken, obwohl ich seit Jahren dazu einlade, Geld, Bäume und unser aller Nerven zu schonen und grundsätzlich ALLES, per e-mail zu schicken.

Vergeblich.

Bis zur Halskrause gefüllt mit innerer Leere, saß ich in meiner Bude in Toulouse und sah aus’m Fenster. Im Innenhof wurde lautstark Fußball gespielt und hörte französischen Rap; hin und wieder traf man Fenster; meines glücklicherweise nicht; der hebephrene Nachbar über mir schrie und lachte ohne Punkt und Komma; keine Ahnung, ob er mit jemandem am Telefon um die Wette brüllte,

oder alleine war.

Meine Hausratsversicherung bestätigte, dass man die Kosten für die geplatzte Duschkabinenscheibe – tolles Wort, oder? – nicht übernimmt, weil‘s nicht Teil der Police ist; von meiner französischen Bank bekam ich‘ne e-mail, wo sie informieren, dass in meinem On-line-Bankaccount eine Mitteilung auf mich wartet; mehrmals durchdachte ich mögliche Gründe, warum sie sie nicht direkt per E-mail schickten.

Vergeblich.

Hebephrenie und Jähzorn haben viel gemeinsam dachte ich plötzlich. Mein Nachbar über mir in Ottensen hatte die Angewohnheit nahezu jeden Abend auszuflippen und in seinen Anfällen das ganze Haus zusammen zu schreien. Anders als bei meinem spielsüchtigen Schreihals in Toulouse, lebte er mit seiner Frau zusammen.

Hin und wieder gingen Flaschen dabei kaputt.

Nicht selten hörte ich die Gattin keifen und fluchen; Türen wurden zugeschlagen; wenn’s ganz doll kam, gab’s ein Handgemenge, an dessen Ende, so bildete ich mir aus Selbstschutz und Furcht vor der Wahrheit ein, immer eine schwere Bodenvase umfiel; mein gedankliches Konstrukt, um mir auszureden, dass er ihren Kopf tatsächlich

auf die Holzdielen knallte.

Soweit gehen und glauben, dass ich die Reinkarnation von Sisyphos bin, tue ich nicht; ganz bestimmt gibt’s Millionen, wenn nicht Milliarden, die noch öfter Köpfe schütteln, von Menschen in Slums, Odachlosen, sowie Kriegsflüchtlingen usw. wollen wir gar nicht erst reden; an Tagen wie diesen spüre ich, dass ich nervenwund, alt, müde und

merkwürdig geworden bin.

In solchen Momenten, versuche ich voll Verzweiflung klaren Kopf zu bewahren; dann reite ich die rationale Schiene; da wird analysiert und nachgedacht, dass sich Balken biegen; „heut mach ich doch viel weniger als vor zwanzig Jahren“, so geht’s regelmäßig los, „trotzdem bekomm‘ ich mehr Post!“ Kopfschüttelnd stehe ich auf und gehe wütend in meiner Wohnung herum; „Und im selben Atemzug sagt sie trotzdem weniger aus,

wie kann das sein?“

Noch dazu kommt das „mehr“ an Post gar nicht an; in Deutschland wie in Frankreich übrigens; unvergessen, meine Steuerstrafzahlung in La France, weil ich eine Frist hab verstreichen lassen, von der ich nichts wusste, wo man mir ebenfalls mitteilte, auf diverse Mahnungen nicht reagiert zu haben, die ebenfalls –

nie bei mir ankamen.

Frankreich wollte 4.800€ Versäumnis-Zuschlag haben, gewissermaßen mein Gipfel aller jemals gezahlten Strafen; herunterhandeln auf 1200€ gelang damals nur, weil ich eine leidenschaftlich-epische Ode ans Finanzministerium schrieb und an die sprichwörtliche Europa-Liebe und Hingabe zur Ausländer-Integration der Grande Nation appelierte.

Danke lieber K. für dein geschliffenes Französisch!

All diese „Events“ haben was gemeinsam; sie machen michhandlungsunfähig, wie Schildkröten und Käfer auf dem Rücken; kann, oder sollte man um mehr Rücksicht bitten? Was denkt der Zuhörer? „Der soll sich mal nicht so anstellen!“, während er höflich nickt und zuhört, bis er, mit viel Glück, Verständnis einräumt, in Zukunft leiser / unkomplizierter zu sein?

Libri gibt nicht mal ’ne E-Mail Adresse an.

Als ich den Herrschaften schrieb und um Klarheit bat – WOFÜR – ich denn zahlen sollte, schickte man mir ein zweites Schriftstück, auf dem die gleiche Summer – OHNE – Mahngebühr stand, aber immer noch ohne Erklärung für – WAS.

Was kann man da machen?

So kam ich zur Überzeugung, noch genauer nachzusehen, was ich für Verbindlichkeiten habe. Und weil ich kein Auto, stattdessen nur noch Motorrad fahre, fragte ich per E-Mail den ADAC, ob Rechtsschutzversicherungen von Deutschlands größtem Automobil-Club auch für Motorräder gelten.

Mittlerweile ist das acht Wochen her.

Seit Kurzem muss ich bei meiner Deutschen Kreditkarte nicht nur Geheimnummern und PIN’s eingeben, wenn ich was on-line kaufe, sondern ein weiteres „Geheimwort“, dass man mich kürzlich zwang zu vergeben. Vermutlich habe ich seit Monaten eine ähnliche Mitteilung meiner französischen Bank, weswegen ich keine Kreditkartenzahlung mehr durchführen kann.

Wäre ’ne Erklärung.

Keine Ahnung ob es nur mir so geht. Vielleicht ist‘s für jüngere normal, weil sie‘s nicht anders gewohnt sind; vielleicht kommen die Schwierigkeiten immer dann, wenn man Gewohntes ablegen muss und gezwungen wird, sich mit neuen Abläufen zu arrangieren, die man deswegen, aus guten Gründen wie ich finde,

kritisch beäugt.

Wegen all dem Kram mehr Wein einzuschenken ist doof. Deswegen Alkoholiker zu werden, wäre wirklich traurig und irgendwie – erbärmlich. Darüber zu schreiben hilft schon. Nicht auszudenken, wenn ich nicht mal das tät. Vielleicht muss ich wirklich alles außer der Wohnung kündigen,

um keine Post zu bekommen!I

In meinem erweiterten Freundes.- und Bekanntenkreis macht man gerade das Gegenteil. Während alle Welt sich vorm Winter fürchtet und über Gas, Öl, Benzin und Strompreise flucht, weil die sich teilweise vervielfacht haben,

kaufen nicht wenige Freunde

superschnelle Autos und Motorräder. „Was sagt man dazu!“, dachte ich. Wie bei Banken, Ämtern und Versicherungen stellte ich viele neugierige Fragen, an dessen Ende immer die gleiche Antwort kam:

„Man lebt nur einmal!“

Es scheint so, als wenn ICH das Problem HABE, weil ICH das Problem BIN, weil ICH anscheinend einen anderen Lebensstil führe, weil ich anscheinend andere Werte BESITZE. Vermutlich greifen soviele Institutionen deswegen noch mehr in unsere individuellen Freiheiten ein, weil man so mehr Umsätze erzielt und somit

mehr Geld verdient.

Ändern tut das an meiner Erkenntnis nichts. In Frankreich lebt’s sich nicht besser als in Deutschland, nur anders. Weniger Administration hat man nirgends. Überall ist es komplizierter geworden – zumindest für mich. Wie wollen wir uns in Zukunft erfolgreich reduzieren, gar – neu erfinden – wenn wir den gleichen Konsum schüren und befriedigen, wie all die Jahre?

Auch das – kapiere ich nicht.

Es scheint so, als wenn mit zunehmender Lebenserfahrung die Fragen mehr, statt weniger werden; noch dazu schrumpft das Verständnis gegenüber Andersdenkenden; neulich auf‘m Flughafen näherte sich eine alte Dame einer besetzten Bank. Alle die drauf saßen waren Mitte Siebzig, außer einer, die eher mein Alter schien; sie hatte keine Probleme die alte stehende Lady zu fragen, ob es okay wäre,

wenn sie sitzen bliebe…!

Die Sitzende war geschmackvoll gekleidet und trug Rolex; die alte Dame Mitte siebzig, deutlich schlichter in Sachen Dresscode und Schmuck: doch sie lächelte, „Gerne – machen sie sich keine Umstände wegen mir….“

Altwerden scheint brutal zu sein…

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