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Unsinn und Sinn – Odyssee 2021 CW03

24.Januar – D verzweifelte. Nicht wegen Corona, mitnichten: Mehr wegen Allem anderen drum herum. Tief in seinem Herzen hasste D alle Schwarz-weiß-annäherungen, musste aber eingestehen, dass sie manchmal eben doch ganz passabel zu sein schien.

Warum muckte keiner auf und krempelte sich die Ärmel zur Debatte hoch, wenn so viele Menschen Relevantes mit Nicht-Relevantem vertauschten? Unsinn bekam plötzlich Sinn. Statt zu machen, tat man nur noch so als ob. Und auf einmal schien alles Fake oder Verschwörung zu sein, was man nicht mochte oder einordnen konnte.

Ständig erwarteten die Menschen böse Hintergedanken.

Präsidenten verkamen zu Entertainern und Entertainer zu Politikern; sozialistisch war plötzlich böse; grün-alternativ arrogante Bildungsbürger und wer konservativ dachte, durfte sich plötzlich schick und hip fühlen. Was war da los?

D wusste es nicht.

Überhaupt schmerzten ihn manche Gedanken, wie es weiter gehen sollte. Nicht aus Negativismus, sondern aus Neugierde. Wieso vermuteten so viele Menschen hinter so vielen unbekannten Phänomenen böse Hintergedanken? Wo kam all der Pessimismus plötzlich her?

War die Welt nicht auch heute noch besser als ihr Ruf?

D war davon überzeugt. Vielleicht kamen wir alle nur gerade an natürliche Grenzen des Wissens. Nicht die Menge an sich, sondern der Berg, den man selber verstoffwechseln konnte. Vielleicht war es längst zu viel. Möglicherweise rannten wir deswegen ruhelos herum und konnten Stille nicht ertragen.

Aus diesem Grund entschied D sparsamer mit Worten umzugehen und zwar gleichermaßen gesprochen wie geschrieben; nicht sparsam im Sinne von Geiz, sondern achtsam in Umgang und Wirkung.

So geschah es, dass D nach wenigen Zeilen alles gesagt hatte,

und spürte, wie Armut plötzlich ihren Reiz wiederfand.

und D darüber glücklich lächelte.

 

Sandiges Tor

Eine Wüste, irgendwo im Niemandsland. Wind heult hin und wieder, legt sich, wimmert leise gelangweilt träge vor sich hin – Luft, so trocken, staubig, heiß, dicht, wie zerriebene Borke, längst vergangener Bäume – weiße Asche zerriebenen Muschelkalks, längst vergessen ihre letzten Seufzer – irgendwo gehn ewige Sonnen auf – erste Strahlen kündigen kommende Hitze an.

-Wo bin ich? pocht mein dumpfer Kopf, schwer sind meine Augen, bekomme sie nicht auf, sind verklebt, wie zugenäht, meine Lippen vertrocknet, morsch, wie versteinert. Sand prasselt an mein Ohr, kühl seine müden Geschwister, auf denen ich liege, irgendwo im Nirgendwo. Bum-bum, höre ich es in mir schlagen – leise fauchend der Atem, es ist meiner. Sand knirscht zwischen meinen Zähnen, blind greifen meine Hände zu, taube Krabbenscheren, unbeholfene Werkzeuge wachsender grauer Urzeit, die sich langsam vergraben, immer tiefer im dunklen Welten-Sand – nimmersatte Wüstenwürmer, wären sie doch unendliche Meter lang. Ziehe behutsam an meinen Lidern, zaghaft, dann mit aller Gewalt, dichtgekleistert vom ganzen Lebens-Zeugs, weigern sich beharrlich zu sehen.

Da plötzlich reißen die Nähte, aua, verdammt, tut das weh, wie es blendet und beißt – Licht bohrt sich in meine Augenäpfel, noch immer nicht gepflückt, wie mir scheint, zum Kotzen kosmische Unzuverlässigkeit, nichts hält was es verspricht. Langsam bekommt die Grelligkeit Konturen, erste Farben und Formen, kein Neon-Brummen von der Decke? kein Raufaser, stattdessen nur beißend bellendes Licht. Fühl mich wie untergegangen, auf den Grund, vom Meer des Lichts. Langsam gallopieren wüste Bilder, erste Reflexionen durch mich hindurch, Sanduhr wiederkehrender Vergänglichkeit.

-Was ist das? überall dieser feine Sand, wie Staub und Asche, die zwischen Fingern zerfällt. Will mich bewegen, drehe meine Hüfte wie ein schlafender Limbotänzer.                                                             -Verdammt, es ist eine Düne, sie versucht mich zu begraben.                                                          -Wie lange liege ich hier? Wo ist dieses hier?                                                                                            Ich ziehe meine befingerten Rüssel aus dem Sand, tief vergraben bohrten sie Gänge in den Zeiten-Käse, ohne Kompass, Auftrag, Anfang und Ende. Langsam kommt zurück, erste Signale, erste Gefühle, Kälte, Wärme, schmecken, Hitze, Asche, Verblendung. Liege immer noch lang im Sand, schaukle hin, dann her, wieder von vorne, Schlange stehen, Liste der Nichtigkeit. Endlich bekomme ich meinen Kopf gehoben, salzene Terracotta-Blumen rieseln aus meinen Augenwinkeln, wie Perlmutt-Schnee, schillernd geht er zu Boden, rieselnd feine kleine Rinnsale bunten Sternenstaubs.

-Wüste, eine verdammte Wüste! Kein Strauch, kein Baum, soweit das Auge reicht, keine Fatima, nicht mal eine oasige Fatamorgana, nichts, rein gar nichts, nur diese langsam kochende Hitze. Überall Sand, nichts als feiner, alles vereinnahmender Trockenschaum. Wie Dünengrass, meine störrigen Haare, planiert vom Sand unendlicher Welten-Zeit.

Quälend langsam rolle ich mich auf den Bauch, winkle, krümme, beuge Arme und Beine – Wüstenkrabbe des Irrsinns. Schaue mich um, weiß-glitzernder Sand, jetzt heiß, bald schon kochend. Müde gehe ich in die Hocke, knirschend richte ich mich auf, erloschener Leuchtturm, untergegangen am Gesäuge der Schimäre.

Sehe an mir herab, schwarze Schuhe, sowie Hose, weißes Hemd, schwarz auch das Jackett, auch der Schlips, verdreckt, versandet vom wüsten Planet – klopf mir Staub, Sand, Schmutz und Zeit vom Leib, abgebranntes Leuchtturmauge, wie es wieder rotiert, so wie einst – Gedanken rattern durchs Labyrinth – Monsieur Thalamus schläft wohl noch – hoffentlich kein Urlaub – sehe auf meine Handgelenke – finde keine Uhr, habe keinen Anhaltspunkt, wo sollen wir beginnen?

-Gehe langsam los, irgendwo muss es eine Straße geben, ein Café, dann sehen wir weiter oder nicht, immer gibt es ein danach, nie ist wirklich was zu Ende – gehe langsam ein paar Schritte, knabenhaft klein, mehr wanken und taumeln, Beine, Arme wollen nicht gehorchen – Wind lässt feine Schlangen Wüstenstaubs durch Beine gleiten – Sonnenstrahlen sich brechen in glitzernden Körnern, glänzend-leuchtend – schillernd-schöne Vergänglichkeit – funkelnd umzingelt meine Beine, verlangsamen meinen Gang – wo zum Teufel bin ich bloß gelandet?