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Egal und andere Irrtümer – Odyssee 2021 CW36

12.September – Seit zwei Wochen bin ich wieder in Tuluz; einen Alltag habe ich auch hier – die griechischen Götter sein Dank – gefühlt nicht; trotzdem mach ich hier andere Dinge, als auf Reisen; gerade zum Beispiel eine Gallen und Leberreinigung; ich dachte mir, es tut mal not bei all den Leckereien, die ich mir hier und dort gönne.

Wein ist ja nur ein Punkt auf der langen Liste; in der Anleitung stand, dass man sich viel Ruhe und Schlaf gönnen soll; überraschenderweise fiel mir dieser Teil leicht; mit der strikten Diät in der sechs-tägigen Vorbereitungsphase sah das schon anders aus.

Ganz ehrlich?

Man kann sich manchmal ziemlich über sich selbst wundern, wie tief verwurzelt Komfort und Gewohnheiten einem in den Knochen sitzen; na gut, dachte ich – und gab nach; also eine Woche Gemüse und Obst – über Nacht wurde ich sozusagen Veganer auf Probe.

Und ich muss sagen – es geht.

Natürlich geht es; ich muss sogar zugeben, dass ich mich echt leicht und unbeschwert fühle; das klingt jetzt irgendwie nach Ernährungsratgeber, geschrieben von einer Dame mit Doppel-Nachnahmen in den Spätdreißigern, oder einem medial präsenten Mediziner aus dem Süden Deutschlands  – jedenfalls für mich.

Wie dem auch sei,

so hangelte ich mich diese Woche von Tag zu Tag und harrte der Dinge die dort kamen; da ich einen Kumpel urlaubsbedingt länger nicht gesehen hatte, telefonierten wir, um einen Tag zu verabreden, an dem wir zusammen essen gehen wollten; als der Tag zur Sprache stand, sagte er, an welchen er nicht kann, was bedeutete, dass er an allen Tagen, außer Sonntag konnte.

Ansonsten wäre ihm der Tag egal.

Erfreulicherweise ließ das viel Planungsspielraum; dann kamen wir zur Zeit zu sprechen; auch hier war ihm alles zwischen 19 und 21:00 Uhr recht; denn innerhalb des Zeitfensters sei ihm die Zeit nämlich ziemlich egal. War es Mangel an Eisen und Proteinen, wie es nur saftige Entrécôtes lieferten,

das mir innerlich der Kamm schwoll?

War es das Fehlen anderer Nahrung oder Substanzen, oder war ich schlicht Höflich- und Freundlichkeit unter Kumpels nicht mehr gewohnt? Was verursachte diese Reaktion? Interpretierte ich, ausgelöst durch Ernährungsumstellung, die Freundlichkeit meines Kumpels etwa als Gleichgültigkeit, oder gar Desinteresse? Und überhaupt:

Wie war es denn bei mir?

Natürlich ist mir nichts egal, was nicht heißt, dass ich alle Meinungen, Gedanken oder Positionen ungefragt raushaue, als wäre ich ein Subwover in einer Ibiza-Disco; wie kann einem egal sein, das jede Minute zig Kinder vor Hunger sterben und wir Menschen den Planeten ratzekahl ausbeuten, um nur zwei einfache Beispiele zu nennen.

Ist so ein – egal

eine Form von Bequemlichkeit, die meinen Kumpel einlädt, mir Mupfel und Vertrauen zu geben, weil er sich über solche Dinge in diesem Moment keine Gedanken machen möchte – was ich mir unter uns gesagt, bei ihm vorstellen könnte, da er mir in manchen Dingen nicht unähnlich ist. Wenn ich beim Schlachter bin und der mich fragt was ich denn wünsche, dann antworte ich ja auch nicht,

ist mir egal, geben Sie mir irgendetwas, Hauptsache lecker!

Damit wird dem Mann nicht geholfen sein, im Gegenteil; damit bringe ich ihn garantiert in Verlegenheit, selbst wenn er die perfekte Lösung hat, denn ich wälze ja mein Wohlergehen auf ihn ab; ist es also mehr etwas, das mit Vertrauen zu tun hat?

Vermutlich.

Menschen die ich mag, erlaube ich nahezu alles; fast Narenfeiheit haben sie, was ziemlich das Gegenteil von für die anderen ist, die haben nämlich nicht die gleichn Rechte, was nicht heißt, dass ich meine Mitmenschen nicht alle sehr schätze und achte, aber man muss deswegen ja nicht gleich mit allen zusammen grillen und über früher reden.

Das mache ich nur mit wenigen.

Davon ausgehend, das meinen Freunden – weibliche, wie männliche – genauso nichts egal ist wie mir, muss somit das „egal“ ein freundschaftlich, geradezu liebevoll ggemeintes Wort sein, das signalisiert, dass ich mich in einem bestimmten Maß frei entfalten kann.

Vermutlich ist dann der geschwollene Kamm am Ehesten eine Laune meiner eigenen Natur, vermischt mit einem allmählich mit den Hufen scharrenden Appetit auf lecker Fisch, Fleisch und Wein. Genau weiß ich das natürlich nicht – es ist eher nur so eine Meinung, und ob die wahr oder falsch ist,

ist mir herzlich egal…

Lazazrus und der Thron

Ölig-zäh wie trauriger Harz liefst du mir den Rücken herunter – zogst mir die Haut in feinen Streifen ab, liefst erst hinauf, dann niederträchtig meinen gebeugten Rücken hinunter – der langsam, ganz langsam ganz krumm geworden vom Weg-schauen, als hättest du alle Weltenzeit,

dein schmieriger Glanz, der durchdringen will jede Ritze, jede Kammer, verspeisen jede Pore – dein Hunger, gewaltig wie die Unendlichkeit der Nacht, die uns überzieht des Abends, schwer, erdrückend, alles Lebendige aus uns herausquetschend, bis wir leer und matt vorm Trog der Schöpfung liegen,

giftige Anmaßung, ja die Deinige, die mich betäubt, meine Gebeine lähmt – will zersetzen mein Fleisch, meinen Geist – will verspeisen meine Seele, weil nicht kaufen du sie kannst,

kalt dein Strahlen, verlockend weit es scheint, weil gebaut du hast dich selbst – höher, immer höher, das weit wir sehen dein Licht, das verschlingen will alles, wahrlich alles,

verlockend du verdrehst unseren Kopf, rufst am Anfang leise, näher wir dir gekommen, immer lauter, bis wir kaum noch hören, das Rauschen des Wassers, die singenden Vögel, den brausenden Wind, der Bäume schüttelnd die Welt regiert,

alles du ziehst in deinen Bann – alle blind dir folgen, sie gerufen du hast in all den Jahren, die glücklich sich fühlen in deiner Versklavung – blind wie du, am Ende sich selbst verschlingende, wenn gefressen wurde alles mit Haut und Haaren, jeder Stein, jeder Baum, wenn gefällt du hast alles, weil unsere Gier uns blind macht Herz und Seele,

wenn wir verlassen unser Selbst – alles – bis wir sitzen alleine auf goldenem Gestühl, das uns zu hoffen glaubt, angekommen am Ziel, was niemals wir gesucht, erkennend, wir dich gewähren ließen, den Unhold, der zertrampelte unsere zarten Pflanzen im Garten unseres kleinen Lebens,

gebleckte Zähne wir zeigen, wenn wir sitzen auf dir – argwöhnisch hockend, wie ein verschlagendes Tier, wie ein Monster aus der Unterwelt, das verspeisen will alles Lebendige, das nicht merkt, das befallen es ist vom schaurigsten Leiden,

wenn gewandelt sich hat unser Selbst, wenn beschützen wir wollen, was uns nie gehört, erschwindelt, erlogen, zusammengegaunert auf dem Rücken der Leidenden, die gearbeitet im Schweiße ihres Angesichts, bis gezahlt wir sie haben, schäbig und billig, wie wir nun mal sind,

wenn wir glauben Gnade walten zu lassen, als wären wir selbst das Licht, wenn wir erkennen, doch meist zu spät, dass abkehren wir uns müssen, von dir, das alles Überstrahlende, weil sehen wir nur können im Schatten, verstehen das Vergangene, wenn erkennen wir uns selber, dass wir den warmen Glanz – du nur den Kalten in dir trägst,

wenn gemacht du hast alles aus Gold, Silber und Platin – wenn Seide, Feingewebtes uns umspannt, uns glauben lässt, das schöne Kleider, goldene Paläste, uns zu Leuten, Bürgern, gar Menschen werden lassen, merkt auch der Letzte, das verkauft er hat sein Leben,

verstanden haben die Armen die Gesetze der Menschlichkeit – wenn unsere Körper sich regen, wenn aufmachen wir uns müssen, um auszuwechseln unser Selbst, wenn wir suchen den Einen, den alle brauchen, wenn wir sind gleich, still, ruhig und bei uns, alleine, ohne Maske, wenn unser Körper spricht und wir lauschen, was uns sonst nur vergönnt am Anfang vom Jetzt und Wiedergeburt, dann wir für kurze Zeit ihn in uns tragen den Schlüssel zum Allverständnis – bis wir unbemerkt von unserem Selbst bemerken, das weggehängt wir ihn haben.

werde weiter dich meiden, mehr als je zuvor – Acht geben, das draußen du bleibst, sei ich auch der letzte Idealist, bevor du klopfst an meiner Tür mit glitzerndem Geschenk, das entpuppen sich wird, als Rettungsring aus purem Gold, der schnell mich sinken lässt, in deinen kalten Schoß, dessen Wellen über mir zusammenschlagen, klatschende Hände, von geifernden Jüngern blind geschwungen,

derweilen wir warten auf Unsrigen, warten auf deinen Untergang, wenn zerstört du hast dich selbst zum ungezählten Male, wenn jeder sich umsieht, überrascht davon, dass wieder mitgerissen du hast alle, die an deinen Röcken hingen, wenn ihr gemeinsam mit wehenden Fahnen vom Erdboden verschwindet, verschlungen von den Gezeiten des Daseins, bis nichts mehr von euch übriggeblieben, nichts als eine dumpfe Erinnerung, gleich einem Schmerz der nie war,

geblendete Augen die nicht sehen, nicht erkennen wollen die alten Mechanismen – einfallslos wie du bist, du, der nichts neben sich ertragen kann, der sich selbst als einzigartig umschreibt, sich selbst mit sich erklärt, weil hohl dein Haus, leer von Liebe, frei von Glück, dafür voll von Zwietracht, Gier und Neid, deine alles verschlingenden Leibesfrüchte, die gerne wären wie du,

wenn wir traurig lächeln, wenn all unsere Brüder und Schwestern an uns vorbeihetzen, um zu dir zu gelangen, alles aufs Spiel setzen, alles hinter sich lassend, als wäre das Verderben eine Urlaubsinsel, und alles ohne dich ein großes Nichts, nicht erkennend, dass es umgedreht ist, weil gestellt du uns hast vor unserem Ebenbild, vor unser Selbst, die wir nicht ertragen können die Wahrheit, weswegen die Antwort auf alles wir suchen in dir,

wie immer ist alles ganz anders, erkennen wir tun dies im Antlitz von Gedeih und Verderb, nur dann wir geloben Änderung, dann wir wollen von dir abschwören, ganz bestimmt, versprochen, wirklich für alle Zeiten, bitte so glaubt uns doch, wenn wir wieder mal Glück gehabt, davon gekommen und nach wenigen Wochen von Neuem gefangen im alten Trott, wieder deinen goldenen Thron jagend, als wäre unser Leid zuvor nur ein böser Traum,

dann wir werden warten auf den Moment, wenn wieder die große Verwirrung kommt, dein Zusammenbruch, den wir dir wahrlich nicht gewünscht, wissen wir doch, das wir es selber sind, die dich füttern, zu der dicken Hure haben gemacht, die mehr und mehr braucht, die wächst und schwitzt bis sie platzt,

wir werden dich überleben, wie alle vor dir, wir werden deine Reste und Überbleibsel zusammenfegen, wenn gegangen du bist, werden andächtig schweigen, doch nicht ernst, da der größte Witz und Unfug du bist selbst, den es je im Kosmos gab,

ein Irrtum, eine Laune der menschlichen Unnatur, die sarkastischste Form von Langeweile und jeder Arme erkennt, dass er reicher ist, als die Reichsten je gewesen,

gehab dich wohl, wir müssen jetzt gehen, nein, wir werden nicht länger bleiben – deine Lieder sind öde und trist – deine Klänge schrill, deine Umarmung kalt – nichts ist dir heilig, uns dafür viel – alles du tust nur für dich, wir stattdessen für die anderen – dich interessiert metallischer Glanz – uns Weisheit und Transzendenz – bezahlst Kriege, antwortest mit Vergeltung, wir wenden uns ab – gehen, ohne Zorn.