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Machen soziale Medien uns sozialer? – Odyssee 2021 CW22

06.Juni – Innerlich zündete sich D ein ewiges Friedhofs-Licht an, als er einen weiteren Zeitpiraten in seinem Leben ausfindig machte. Es freute ihn so sehr, dass er in einem Erkenntnis-Rausch gleich mehrfach gegen diese Mafia, oder besser gesagt, gegen diese sekten-gleiche Religionsform vorging, dass er sich sichtlich bewegt und blitzartig dazu entschloss, sofort Klarschiff zu machen – nicht nur, weil er für Religionsfreiheit war, sondern vor Allem, weil er schnell bemerkte, wie erleichtert er sich nur wenige Stunden später fühlte!

Was war geschehen?

Es begann damit, dass D sich daran erinnerte, dass heute, am sechsten Juni, der gute Tom Araya 60 wurde. Alleine das, war schon mehr als einen Dujardeng wert, nicht nur, weil Tom, Kerry, Jeff und David – besser bekannt unter dem Namen Slayer – D’s Jugend und wilden Jahre nicht nur begleiteten, sondern auch ganz entscheidend mitbeeinflussten – warum: Sie gingen einfach ihren Weg, genauso wie Mozart und Beethoven, nur eben anders – aber genauso kompromisslos.

Nachdem sich D wieder ein paar starke Slayer Stück von „Reign in Blood“ und „Seasons in the Abyss“ reingezogen hatte, schwebte er auf einem höheren Energie-Niveau und stellte sich selber ein paar ernste Fragen, nicht solche, bei denen D im Voraus wusste, dass er gegen sich selbst verlieren musste, weil ja jeder mal irgendwann im Leben so abgebogen war, dass er hinterher in einer Sackgasse, oder in sonst etwas steckte, mitnichten, es ging D um die Frage, wofür er stand.

So brach plötzlich D‘s Vulkan aus.

Zuerst begriff er, dass ihm nach wie vor gedruckte Bücher am Herzen lagen; soweit war das keine Überraschung, immerhin bestand er seit Jahren darauf, dass alle seine Bücher ausschließlich in gedruckter Form und nicht als e-book oder Dergleichen zu vermarkten waren.

Das an sich hatte eine hohe Wertigkeit für D, weswegen er sich vornahm auch weiterhin keinen Millimeter zu weichen; noch dazu gesellte sich das Phänomen der begrenzten Zeit hinzu, was besagte, dass man nur eine Sache zur Zeit machen konnte, was in anderen Worten wiederum bedeuten musste:

Alle Zeit, die man in die wenig sozialen Medien steckte, bekam man genauso wenig zurück, wie jene, die man mit Freundin, Frau, Freunden, Kindern, Schreiben, Lesen, Musik, Kunst, Sprachen und ähnlich Schönem verbrachte, mit dem Unterschied, dass D erkannte, was zu tun war – und so geschah es.

In einem Anflug von maximalem Bewusstsein – wir sprechen hier wirklich nur von wenigen Sekunden und nicht von einer an Buddha erinnernden Dauer-Erleuchtung – erkannte D, dass aus seiner Sicht, dass:

A) die sozialen Medien, gar nicht so sozial in gesellschaftlichen Auswirkungen zu sein schienen, wie man meist oberflächlich dachte – das sie

B) nicht das soziale Verhalten der Menschen untereinander fördern, sondern das Gegenteil, sie eher a-sozialer machten – noch dazu mit einem erhöhten Maß, die Welt und andere in ein permanent andauernden Bewertungs-Sog hinab in den menschlichen Abgrund zu ziehen – und

C) das D den wirklichén und wahrhaftigen Nutzen im Vergleich zu den Alternativen nicht recht fassen konnte, so dass er sich – wie oben bereits erwähnt – blitzartig entschloss, seine Accounts mit sofortiger Wirkung bei Facebook und Twitter zu löschen.

Welch eine Befreiung!

Zuerst bemerkte D, dass die ganzen Benachrichtigungen ausblieben, wo man ihn darauf aufmerksam machte, dass in Kuhscheißenbrück ein Huhn, nach über 24 Stunden Pause – Gott sei‘s gedankt – endlich wieder ein Ei legte, sowie das es dutzende Menschen da draußen zu geben schien, die D kannten, oder umgekehrt.

Auch musste D schweren Herzens auf die vielen attraktiven Business-Möglichkeiten, wie zum Beispiel das wilde Dutzend Marketing-Coaches verzichten, die mit Filmen und Bildern aus Dubai, und oder Luxus-Karossen und schweren Chronographen, D irgendeine Form von Erfolg aufzwingen wollten – ohne das er je begriff, welcher, dass er sich, stirnrunzelnd bei den Bärten der griechischen Götter fragte, was sie da per online-training anboten und vermarkteten.

Doch – wie schön – brauchte D sich diese & viele andere Fragen nicht mehr stellen,

da er ja erfolgreich alle Accounts gelöscht hatte. Stattdessen genoss er in Ruhe ein paar Stücke von Stenkelfeld und Slayer, ganz frei nach dem Motto – Lebenszeit, mit möglichst viel Müßiggang gespickt, was konnte es Schöneres geben?

Und daher liebe Gemeinde, bitte ich euch alle, dass ihr euch und eure Gläser erhebt, damit wir anstoßen können. Herzlichen Glückwunsch zum sechzigsten Geburtstag,

Tom Araya!

Ein Jahr, ein ganzes Leben

Es ist vorbei. Ein ganzes Jahr.

Das ist hier tatsächlich meine 52zigste Morgengrauen-Geschichte der Neuzeit. 52. Das kommt mir ziemlich viel vor. Auch ziemlich lange. Ich glaube, wenn ich nicht aufpasse, verrinnt die Zeit im Sand. Aber wahrscheinlich verrinnt die Zeit auch, wenn ich nicht aufpasse. Ich glaube es macht gar keinen Unterschied. Manchmal kommt es mir so vor, als wenn ich meinem Leben zusehe, wie ich es lebe, wie ich die Dinge tue die ich tue, ohne ganz dabei zu sein. Es ist so wie der Wasserkessel der nicht kochen will, wenn man ihm dabei zusieht. Wenn ich hinsehe, passiert nichts. Wenn ich kurz auf Klo gehe, wird die Krim eingenommen. Es ist so, als wenn das Leben einen günstigen Moment abwartet, um mir eine Speise zu servieren, die ich nicht kenne. Oder um mir die letzte Flasche Rotwein aus dem Vorratsraum zu klauen. Ich glaube so in etwa ist das.

Heute ist mir ziemlich komisch zumute. Keine Ahnung was es ist. Vielleicht hat es mit dem verflixten ersten Jahr zu tun. Ein kleines bisschen bin ich sogar stolz. 52 Wochen lang habe ich ohne auch nur einmal zu spät zu sein, egal ob ich in Frankreich, Spanien oder sonst-wo war, jeden Sonntag pünktlich meine Geschichte fertig gehabt. Ich weiß nicht für was, aber für irgendetwas muss es gut sein.

(Nennt man das nicht Disziplin? Wusste ich es doch: Das kann ich.)

Seit einigen Tagen rumort es in mir. Wie fühle ich mich? Will ich weitermachen? Und was könnte ich zum Jubiläum schreiben? Was? Mir fiel partout nichts ein. Gar nichts. Gestern Abend? Nichts! Wenn ich an etwas besonders stark denke, dann passiert meistens nichts. Heute Morgen wachte ich auf. Nada. Immer noch nichts. Dann nahm ich mir vor, meine Gedanken über Bord zu kippen und nur heimlich zu denken. Vielleicht klappte das. Vielleicht spür ich ja dann irgendetwas.

(Bis jetzt geht es ganz gut, immerhin schreibe ich gerade darüber.)

Aber ist jetzt irgendetwas anders? Wie sieht mein Fazit aus? Diese ganze Schreiberei kommt mir mehr wie eine Aufreihung von ein paar Lampions, eine kleine Kette von Novellen vor. Fast wie eine Art persönlicher Reisebericht. Ich glaube, im Grunde ist es das auch. Das Leben ist ja eine schöne Reise. Noch dazu denke ich mir auch nichts aus. Ich schreibe halt die Sachen, die ich erlebe. Mehr nicht. Jetzt hab ich es: Ich fühle mich wie Sylvester. Das ist es. Jetzt habe ich nicht nur 3 Geburtstage, sondern noch einen zweiten Sylvester dazubekommen.

Was war denn passiert in diesem Jahr? Eine ganze Menge. Ich habe viel gesehen, viel erlebt und noch mehr gelernt. Besonders viel über mich. Freunde verschwanden, gingen auf reisen. Andere verwandelten sich, verpuppten sich, bis ein neuer Schmetterling entschlüpfte. Maya war einer. Susanna reifte in Südamerika. Wir hatten wieder Frieden. Kristina lernte ich auf der Geburtstagsfeier des Präsidenten kennen. Maria-Antonia wurde eine gute Freundin und ist eine Femme fatale, par excellance. Piero wurde eine Mischung aus Salvator Dali und Don Chijote. Mein Freund und Winzer Jean-Marc hofft auf die Zukunft. Und deutschland wurde Fußball-Weltmeister, wo ich 3 reizende Kolumbianerinnen kennenlernen durfte, sogar die Fermina Daza der Neuzeit. In nur einem Jahr, habe ich so viele tolle Menschen getroffen, dass ich jetzt gerade einen ziemlich dicken Kloß im Hals habe. Vor Rührung, ehrlich. Ich schaffte es sogar, einen ganzen Monat bei meinen Freunden in Estellencs zu bleiben. Es war herrlich. Ich werde es wieder machen.

Die schönste Überraschung ist Giulia. Mir kommt es so vor, als wenn ich sie jetzt das erste Mal richtig sehe. Dabei kennen wir uns schon ein paar Jahre. Aber jetzt ist es so, als wenn sie richtig da ist. Vorher hatte ich immer nur eine Ahnung. Ich meinte sie zu sehen, aber sie war nicht völlig materialisiert. So als wenn sie nach dem Beamen an zwei Orten gleichzeitig geblieben war. Eben ein bisschen durchsichtig. Halt nicht ganz da. Ich hatte ihr es mal gesagt. Aber entweder hatte sie mich damals nicht verstanden, oder ich habe mich damals nicht gut ausgedrückt. Das kann ich manchmal auch ganz gut. Es gibt sehr viele Menschen die mich nicht immer verstehen. Vielleicht lag es an mir. Vielleicht war sie immer da, nur ich nicht. Oder wir waren beide nur ein bisschen sichtbar. Dafür heute aber ganz. Ist schon komisch. Für Manches braucht es viel Zeit. Für Vieles ist die Zeit nicht reif. Jetzt aber glaube ich, ist sie es.

Morgen werde ich mit Giulia essen gehen. Aus doppeltem Anlass. Einmal um mein verflixtes erstes Jahr ein bisschen zu feiern und weil sie nach langer Zeit endlich mit ihrem U-boot aufgetaucht ist. So eine lange Tauchfahrt habe ich wirklich noch nie gesehen. Ein paar habe ich schon erlebt. Doch so wie sie war noch keine unterwegs. Nur sie hat diese ganz besonders ausdauernde Brennstoffzelle, mit der man Jahre, Jahrzehnte im tiefen dunklen Meer umherschwimmen konnte.

Die Tiefseewelt ist sehr faszinierend. Das ist eine völlig Eigenständige, genauso wie die oberhalb des Wassers. Ich kenne viele die kurz aufgetaucht sind, Luft schnappten und wieder abtauchten. Schwups, waren sie wieder weg. So war das ständig. Sonnenlicht ist sehr hell. Für einige sogar zu grell. Wenn man sich nur in tiefem Wasser aufhält reagiert man empfindlich. Manch einer verliert über die Jahre seinen kompletten Seh-Sinn. Wie ein Grottenolm. Am Anfang, direkt nach dem Auftauchen, blendet die Sonne sehr. Mir ging es genauso. Irgendwann merkte ich, dass sich meine Augen daran gewöhnt hatten. Sogar meine Haut, mochte die Sonne. Und heute? Heute geh ich nicht mal mehr schwimmen, obwohl ich das Wasser liebe. Ich dachte mir, wo Giulia jetzt endlich da ist, werde ich sie schwupp-di-wupp auf mein Festland entführen, bevor sie aus Versehen wieder abtaucht. Mein Land bietet genug Platz und Stille, dass so eine einzigartige Blume wunderschön wachsen und gedeihen kann.

Darum geht es im Leben. Wir sollten uns mit Menschen umgeben, die uns gut tun. Die gut für uns sind. Die uns Dinge geben, die wir brauchen. Mit ein bisschen Sonne, Wärme, Wasser und Liebe, werden Olivenbäume viele tausend Jahre alt. Und Giulia? Die läuft schlicht Gefahr glücklich, zufrieden und sie selbst zu sein.

Es ist Zeit für Veränderungen.

Ich lasse sie ungezügelt auf mich einstürmen. Wenn sie kommen, nehme ich sie an. Das Leben trägt uns ganz natürlich die Veränderungen heran. Wir müssen sie nur erkennen. Deswegen werde ich auch umziehen. Es ist Zeit. Ich muss aus meinem Haus raus. Ich kenne meine Nachbarn ein bisschen zu gut. Sie fangen schon an sich wie Verwandte zu benehmen.

Ich möchte auch mehr von der Welt sehen. Nicht nur davon reden und davon schreiben: Ich möchte es erleben. Es gibt noch so Vieles, das ich nicht kenne. So Vieles, das ich sehen möchte.

Und sonst? Ich glaube, ich schließe eine Episode meines Lebens ab. Es ist genug jetzt. Ich brauche neue Ufer, neues Land, neue Umgebung.

Ich habe auch Lust etwas anderes zu schreiben. Vielleicht mache ich das. Was es wird? Keine Ahnung.