Schlagwort-Archive: Holzbrinck-Verlag

Erotik & andere Missverständnisse – Odyssee 2019 CW48

Gestern hatte ich schon wieder. Quatsch, es war Vorgestern. Ein interessantes Erlebnis. Wie üblich, habe ich Mittag gegessen. Weil ich versuche mich gesund zu ernähren, achte ich darauf, dass es einmal am Tag Obst gibt. Vorgestern lachte mich eine Schale Mandarinen in meiner hektischen Kantine an. Sie sahen prall und saftig aus, ganz besonders eine. Noch dazu wunderbar geformt. Wenn ich ehrlich bin, habe ich unter Dutzenden nur deswegen jene eine ausgesucht, weil Form und grobporige Schale, erotische Gedanken in meinem Gedächtnispalast erblühen ließen.

Mag sein, das mich irgendeine Frau wieder mal Sexist nennt, weil ich die anderen Mandarinen vernachlässigt hab, obwohl sie bestimmt mindestens genauso zart in Fleisch und Biss sind, als die verträumte Schwester, für die ich mich letztendlich entschieden habe. Jedoch fällt es mir nicht minder leicht, diese Rufe mit leichtem Federstrich wegzuwischen, weil man(n) nämlich durchaus offen für Erotik, sowie ebensolche erotische Formen sein kann, ohne, ich wiederhole, ohne automatisch Sexist zu sein.

(Abgesehen davon, sind weibliche Leserbriefe, die mich als Chauvinist, Sexist oder Macho abstempeln, seltener geworden. Verwundert mich noch heute, dass ich welche bekam. Vermutlich hat‘s was mit unterschiedlichen Werten zu tun. Keine Ahnung. Eigentlich bin ich ganz umgänglich. Vielleicht war ich das früher weniger)

Nahezu immer, handelt es sich nämlich um reine Missverständnisse, weil wir in Zeiten von Social-Media zu schnell mit Urteilen bei der Hand sind. Eigentlich müsste man Social-Media in Asozial-Media umtaufen. Ein öffentlicher, digitaler, immer noch mittelalterlicher Pranger. Gibt keine Verbrennungen, Steinigungen und Auspeitschungen mehr. Abwarten, sag ich nur. Kommt vielleicht alles wieder. Vom Prinzip ist es jedoch das Gleiche, weil Betroffene zwar nicht verbrennen, dafür der Vorgang innerlich von statten geht. Erinnern wir uns. Man überlege gut, den ersten Stein…..

Erotik jedenfalls stammt vom altgriechischen Wort „Erotas“ ab – was übersetzt „Liebe, Leidenschaft und vieles mehr“ bedeutet, anstatt das, was wir darunter heute im deutschsprachigen Raum verstehen. Wenn man Erotik bei Google eingibt, springt einen hauptsächlich Schlüpfriges entgegen, was mehr in die Richtung von puren Sex geht, sprich körperliche, einvernehmliche Vereinigung, ohne Liebe. Jedenfalls habe ich die erotische Form der Mandarine als Grund identifiziert, die mich die Schachtel Mandarinen hat kaufen lassen.

Sowieso finde ich mehr und mehr, dass manch alte Sprache, Dinge besser beschreibt, als heutige Moderne. Erotik im Deutschen ist sehr klar, besonders gesellschaftlich, umrissen, im Vergleich zur weiten und großen Bedeutung, im Altgriechischen. Worten einen kontextabhängigen wandelbaren Raum zu geben, finde ich fantastisch. Macht das nicht immer Sprachen und ihre Weiterentwicklung aus? Natürlich, dürfte mir eine bekannte Sprachwissenschaftlerin zurufen, deswegen bedeutet Erotik ja heute im Deutschen, 2500 Jahre später was Anderes, als im Altgriechischen – nennt sich Weiterentwicklung. Bin grundsätzlich einverstanden, wenn Bedeutungen sich stärker fokussieren, wodurch sie in Art und Weise präziser werden.

Richtig, werden Linguisten mir zuprosten – Deutsch ist nicht umsonst und bekanntermaßen die Schrift der Dichter und Denker. Jawohl, entgegne ich mit loderndem Herzen. Stellt aber gewissermaßen eine gewaltige Verantwortung dar. Wenn eine Sprache unwahrscheinlich reich an Worten und gleichzeitig, unvergleichbar messerscharf in Bedeutung und Inhalt ist, müssen ihre Benutzer äußerst vorsichtig im Gebrauch sein. Zu schnell gibt es Verletzungen, die tiefe Narben hinterlassen, täglich bestätigt in TV, Radio, Internet und Social-Media. Wie rücksichtslos und brutal gehen wir miteinander um? Wiederhole hier meinen ständigen Aufruf.

Liebe Leute – gewaltfreie Kommunikation, bitte!

Natürlich können extrem dynamische, von Brutalität geprägte Zeiten dennoch ein Festessen sein. Unser letztes „Großes Fressen“ I’m wahrsten Sinne – Endgame – Alle gegen Alle. Wenn dein Unverständnis über gelesene Inhalte, Bedeutungen und Botschaften exponentiell wächst, befindet sich der Pessimist vor einem wachsenden Problem, der Optimist, im Paradies auf Erden. Ich zähle mich zu Letzterem, weswegen ich meistens Freude habe. Ein Beispiel: Sophie Passmann’s Kolumne im aktuellen Zeitmagazin #49. Kurz vorab:

Riesig meine Freude, dass es Frauen wie Sophie gibt. Ihre Art zu schreiben, wie sie Dinge herleitet, wie sich hinter ernsten Zeilen, lächelnder Witz, mit Selbstironie verbirgt, finde ich toll. Sie trifft Geschmack, Ton der Leser und schafft es, Distanz zu wahren. Müsste mir wünschen, dass sie ’ne Kolumne, in der BILD-Zeitung bekäme, um mehr Menschen zu erreichen und die Bild mehr Verantwortung als Boulevardzeitung übernähme. Schließt sich, wie ich finde, nur bedingt, aus. Alles Erschaffene, hat mit seinem Gedrucktsein hohe Verantwortung.

Habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was Entertainment tatsächlich für mich bedeutet. Für mich ist es das Gegenteil von Müßiggang. Konsumierende, passive Lebensüberdrüssigkeitspflege. Natürlich kann es unterschiedlichste Formen annehmen. Entertainment ist ein weites Feld. Viel spannender, nicht midner quälender ist daher die Frage, warum man’s wählt. Was das alles mit erotisch geformten Mandarinen zu tun hat?

Keine Ahnung. Mein Bauch jedenfalls meint – Alles.