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Gefangen im Schneckenhaus

Drriiiinnggg!

Drriiiinnggg!

Drriiiinnggg!

Ich reiß die Augen auf, starre auf mein nervendes Smartphone, dass mir mit seiner gehässigen Weckfunktion mächtig den schockgefrosteten Morgen vermiesen will.

„So eine verfluchte Scheiße; ich habe mich doch eben erst hingelegt!“

Mühsam, wie ein Seehund bei Ebbe, rolle ich mich aus dem Bett, kratze mich unterm Bauchnabel und bewege vorsichtig, leicht kreisend meine Arme, als wären es die versteinerten Äste eines alten Olivenbaums, der regungslos und knöchern der Zeit beim Altern zusieht. Acht Uhr morgens. Die Stadt erwacht. Draußen hupen sich früh Genervte ihren Weg ins Büro; vielleicht auf eine Baustelle, auf ein Amt oder zur Bäckerei. Ich geh zum Fenster, schmecke den struppigen und stark verfilzten Teppich, den der Whiskey gestern Nacht in meinem Rachen hinterlassen hat. Zum Glück ist er in guter Gesellschafft. Meine Zunge fühlt sich an wie eine verschlammte Moräne, auf deren Haut kleine Pilze sprießen, die nach einem düsteren Abend im Dreck, schwer angeschossen und verträumt mit den Augen blinzelt, während ich aus dem Fenster sehe.

Bing!

Bing! Bing! Bing!

Bing! Bing!

Whatsapp-Nachrichten prasseln auf mein Telefon ein, wie ungeduldige fette Tropfen eines frühsommerlichen Wolkenbruchs. Ich seufze, lasse mich und meine Schultern ein wenig hängen. Datenregen. Informationskompost, der mich durch den Ausguss der digitalen Welt mitreißen und verschlingen will.

„Was sind wir doch für eine Bande von abhängigen Sklaven. Null und Eins. Schwarz und weiß. Die Maschinen haben längst gewonnen.“

Schwer stöhnend meckere ich ein wenig herum. Fühle mich gut dabei. Seelischer Stuhlgang. Ich kriege schnell Verstopfung, wenn ich alles runterschlucke. Weit entfernt schneidet eine stumpfe Kreissäge feinen Holzschnee aus schlafenden Bäumen, der dumpf und leise zu Boden rieselt. Als ich meine Hand flach auf den Bauch lege merke ich, dass es mein knurrender Magen ist, der da verzweifelt vor sich hin-sägt. Ich entschließe mich vor dem Frühstück zu laufen. Alles braucht Ordnung und Disziplin. Besonders mein Sport. Schnell schlüpfe ich in meine schwarzen Sportklamotten, stecke in Laufschuhen, greif nach dem Zimmerschlüssel, öffne und verschließe die Tür in einer fließenden Drehung und gehe zum Aufzug.

„Bonjour Monsieur. Bonne Journée.“

„Bonjour. Merci, bonne Journée aussi.“

Dunkelhaariger Zimmerservice. Vermutlich Marokkanerin. Mitte Zwanzig. Schüchtern. Hübsch. Starke Behaarung an den Unterarmen, vermutlich auch Woanders. Augen wie große dunkle glänzende Murmeln. Kräftiger Mund, mit einer etwas zu obszönen Oberlippe. Gibt ihr was Billiges. Züchtiger langer Rock. Hässliche flache Schuhe. Großmutterstyle zum Schutz vor Männern mit nervöser Libido und Doppelnamen.

Der Aufzug kommt. Sanft rollend geht er leicht quietschend auf.

„Bonjour Messieures.“

„Bonjour.“, antworteten mir die zwei grauen Geschäftsmänner im Chor. Siegelring und Manschetten. Flache filigrane Uhr. Wahrscheinlich Weißgold. Mittelgroß, vielleicht 1,75. Graues Haar. Maßschuhe, vermutlich mit Leisten in London. Franzose, vermutlich Diplomat, ENA Absolvent. Sieht ein wenig wie BHL’s jüngerer Bruder aus. Der Mann daneben ist größer und schlanker. Hohe Stirn. Hat was Aristokratisches. Ebenfalls schwerer Ring an der Hand, aber kunstvoller, mit merkwürdigen Linien darauf. Feiner Zwirn. Tief liegende Augen, keine Uhr. Dunkelgraue kurze Haare. Italiener. Mailand oder Rom. Wahrscheinlich Letzteres.

Die glänzenden Schiebetüren rollen wieder zusammen, schließen den Aufzug sanft aufeinanderprallend. Langsam, den Rücken den beiden Anzugträger zudrehend, blicke ich gedankenversunken auf die mit Schrammen und Kratzern übersäte Innenseite der Blechtüren. Leicht verzerrt, wie bei gebogenen Spiegeln einer Geisterbahn, sehe ich ihre matten Spiegelbilder auf den Metallblechen hin und her-huschen. Sie rascheln ein wenig mit der Kleidung herum. Sehen geradeaus, der Franzose zwischendurch hin und wieder auf die Uhr, oder an die Decke. Betretenes Fahrstuhlschweigen. Jeder fragt sich, wie und wohin man am besten wegschauen kann, ohne das es aussieht, als würde man bewusst den zu nahen und aufdringlichen Blicken ausweichen, so als wären es Schwerter der Tafelrunde. Ruckend bleibt der Fahrstuhl stehen, fährt die blechernen Vorhänge zur Seite.

„Rez de Chaussée.“, säuselt eine schmachtende Frauenstimme, als würde sie bei FIP einen Song ansagen. Gemütlich aber bestimmt gehe ich in die Empfangshalle, nicke kurz der Rezeptionistin zu, schlender durch die langsam rotierende Drehtür, entschließe mich spontan heute mal links herum zu laufen und schlage nach wenigen dehnenden Ausfallschritten in meine an Nachlässigkeit erinnernde übliche Laufgeschwindigkeit, bei der ich nicht hechle wie ein sabbernder Boxer, aber auch nicht zu langsam rumbummle, als wäre ich ein Rentner, oder ein Professor für Philologie. Straßenlärm. Knatternde Scooter, die zwischen Autos herumwuseln, wie panische Ameisen, die einen Ameisenbären gewittert haben. Wie ein Grubenarbeiter schaufle ich mir in Schlangenlinien einen Weg um die Passanten herum, die Zigarette und Anderes rauchend alles in ein Meer von Farben, Gerüchen und Lauten tauchen, das sich mit seinen Reizen an meine Sinne klammert, wie ein leckgeschlagenes Schiff, dass den Seenotkreuzer zum Bleiben bittet.

Ich überquere eine Straße. Eine Zweite. Dann eine Dritte. Ich habe meinen Rhythmus gefunden. Fühle mich gut. Arme und Beine schwingen tänzelnd über die Gehwegplatten, als müsste ich spielerisch und chaotisch verstreuten Pfützen ausweichen. Fühle mich wie ein Teenie. In einiger Entfernung hält kurz vorm Einmünden in die Hauptstraße ein Postwagen. Vielleicht ist es auch ein Geldtransporter oder so etwas. Er ruckelt kurz, lässt den Motor an und fährt wieder eine Fahrzeuglänge zurück in die Straße, aus der er kam. Sehr umsichtig, denke ich und entschließe mich, dort links abzubiegen und die Strecke zu vergrößern. Fühle mich gut. Leicht und beschwingt. Vergnügt, mit einem Hauch gespannter Neugierde sehe ich mir die Fußgänger an. Jeder Dritte, bestimmt sogar jeder Zweite hat sein Telefon am Ohr. Jeder redet mit Jedem, ganz isoliert auf seiner eigenen Insel, umringt von Tausend anderen. Ich laufe in einer gedehnten S-Kurve um zwei Pärchen, ein paar Jugendlichen und Studenten herum, Dann biege ich links ab.

Ich denke an meine Liste, schwenke ab und denke an meine Füße, spüre in sie rein; dann fühle ich mein Herz und Blicke der Passanten; sehe die penibel geputzten hohen Fenster der großen Stadthäuser. Ein paar Radfahrer kommen mir entgegen. Andere fahren auf der Straße. Autotüren klappen. Billige und Teure. In einiger Entfernung öffnen Busse zischend ihre Türen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Schiebetür des Lieferwagens zur Seite rollt, während mir eine schöne Frau in einem bordeauxroten Kleid entgegen kommt, dass sehr körpernah und figurbetont geschnitten ist und zeigt, dass wir noch keinen Sommer haben. Frischer Wind verlangt ihr viel Disziplin und Stehvermögen ab, um die kalten Wege im Freien zu ertragen, zu Gunsten ihrer aufreizenden Kleidung, wo doch jede Pariser Frau schon als kleines Mädchen weiß, sollte sie auch nur halbwegs etwas auf sich halten, dass jeder Schritt in Paris dem Catwalk auf dem Laufsteg gleichkommt. Ich sehe ihre schönen langen Beine, höre gedämpftes Rascheln; ich glaube es kommt von rechts. War das nicht……? Bumm!

Dunkelheit.

Dröhnend pocht mein Kopf, gleich einer verbeulten Kesselpauke. Jemand, oder Etwas hat mich niedergeschlagen. Blitzartig ist mein Verstand wach. Was war das? Wo bin ich? Ich sehe nichts, habe meine Augen auf, bin aber blind. Man hat mir einen Sack über den Kopf gezogen, mich an Armen und Beinen gefesselt. Kabelbinder schnüren ins Fleisch, drücken an den Gelenken. Okay. Ruhe bewahren und warten. Mein Kopf donnert wie ein Hauptbahnhof, bei dem alle Züge mit Höchstgeschwindigkeit durchrauschen und ohne Passagiere ziellos umherrattern, bis ihnen der Saft abgedreht wird. Ich glaube, ich trage Kopfhörer oder so etwas Ähnliches und spüre wie mein Blut durch die Adern rauscht. Ich höre nur mich und meine Gedanken. Kein einziges Geräusch. Ich versuche mich ganz auf meinen Geruchssinn zu konzentrieren. Was ist denn das? Was ich rieche kommt mir bekannt vor. Aus Kindertagen. Was ist das bloß? Was war das noch gleich? Ich komme nicht auf den Namen. Verdammt. Doch, natürlich: Ich hab es! Man hat mir Wick-Vaporub oder so etwas Ähnliches unter die Nase geschmiert. Profis. Verdammt. Okay. Mein Notprogramm läuft sofort an.

„Wo bin ich? Wer konnte mich entführt haben? Warum? Was weiß ich? Welche Fakten habe ich?“

Offensichtlich sitze ich auf einem Stuhl. Er ist leicht gepolstert. Meine Füße berühren den Boden. Sie stecken immer noch in meinen Laufschuhen. Bis auf die Kabelbinder an Ellenbogen und an den Knien, ist alles okay. Sonst bin ich nicht gefesselt, weder am Stuhl selbst, noch an der Lehne. Schüchtern, ein wenig vorsichtig bewege ich mich und beuge mich leicht nach vorne. Argh! Scheiße! Was ist das! Plötzlich stürmt ein ohrenbetäubendes Kreischen in meine Ohren. Verdammt, es sind Kopfhörer und kein Gehörschutz! Diese Schweine. Schreckliche bis auf meinen tiefsten Grund bohrende Frequenzen schrauben sich durch meine Ohren, direkt in mein Gehirn; es tut höllisch weh, als wenn es einem das Gehirn zerfrisst. Wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel, nur tausendmal schlimmer und lauter. Ich merke, wie mir langsam schwarz vor Augen wird. Plötzlich komme ich auf die Idee, meinen Oberkörper gerade aufzurichten und wieder an die Lehne zu drücken. Sofort herrscht totale Stille.

So also wollen sie mich kontrollieren. Was für eine elegante Quälerei. Mein Herz wummert; ich spüre wie es pocht; wie mein Atem immer schneller und schneller geht; all das Training hilft nur begrenzt. Angst kommt mir bitter den Rücken raufgekrochen. Ich denke an Wüste, an Hitze. Was ist denn das? Meine Lippen sind spröde und gerissen; mein Mund völlig ausgetrocknet; mein Magen hängt in den Kniekehlen. Um Speichel zu bilden, beiße ich mir verzweifelt mit einem Backenzahn auf die Zunge. Scheiße tut das weh! Es brennt fürchterlich. Tränen schießen mir in die Augen; sofort füllt sich mein Mund mit Wasser; nicht viel aber etwas; wenigstens kann ich wieder schlucken.

Wie lange bin ich hier? Und vor Allem, was wollen die von mir? Ich denke an Hemisync, das Institut zur Gehirnforschung. Töne können mächtig sein, im Guten wie auch im….schnell entschließe ich mich den Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Dafür fahre ich mich immer weiter runter; langsam immer weiter und weiter. Erste Regel bei Kidnapping: Ruhe bewahren. Energie sparen. Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Zähle ihn langsam rauf und runter. Einatmen, dann wieder ausatmen.

„Los, jetzt konzentrier dich. Rein und wieder raus. Lass die Luft langsam reinströmen, so ist es gut. Sehr gut. Und wieder rausströmen. Besser. Viel besser.“

Ich merke wie mein Puls weiter runtergeht, sich normalisiert, wie das Adrenalin zurückgedrängt wird. Nach einer Weile bin ich wieder auf humanere hundert Herzschläge pro Minute runter. Komm schon. Weiter. Weiter, ganz langsam ein.- und dann; genau; langsamer, noch langsamer. Viel besser.

Mein Kreislauf stabilisiert sich. Nach einer Weile komm ich auf zwei Atmungen pro Minute, jedenfalls schätzte ich das ungefähr so ab. Doch verdammt noch mal, was soll das alles? Wer sind die? Und vor allem, wo bin ich?

„Schön weiter machen: Ein und wieder ausatmen. Ganz langsam.“

Ich höre meinem eigene Atem, meiner eigenen Stimme zu. Endlich konnte ich wieder klar denken, die Situation analysieren. Okay, Gegenwehr ist sinnlos; wenn ich Anstalten mache loszukommen, werden sie mir den Schädel mit ihren verfluchten Tönen sprengen; wenn ich anfange loszureden, einen Dialog zu beginnen, werden sie mir mit ihrem verfluchten Konzert des Wahnsinns auch das Licht ausknipsen. Was bleibt? Warten? Nur warten? Wirklich nur das? Also warte ich.