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Sokrates Satire – Odyssee 2020 CW16

Sonntag, 19.April 2020 – genauer gesagt, Ostersonntag, wenn man gewohnt ist, den griechisch-orthodoxen Ritualen zu folgen; gerade bin ich wach geworden; normalerweise bleibe ich länger im Bett liegen und genieße das langsame auftauen, aber nicht heute. Zu mächtig war mein Traum, an den ich mich vollständig bis ins Detail, erinnere.

Irgendwie habe ich auf einem Berg meditiert, keine Ahnung wo das war, jedenfalls hatte er Wasser-Nähe; es sah eher nach Meer als nach einem See aus; ich meditiere da so vor mich hin, konzentriere mich auf existenzielle Dinge wie den letzten und nächsten Urlaub, sowie den letzten und nächsten Apéro, was einen vor erstaunliche Fragen stellt, jetzt mit dem verlängerten Confinement in La France, als mir auf einmal Sokrates erscheint, aber nicht so flaschengeistmäßig, so halb durchsichtig und so, sondern richtig in echt, direkt vor mir stehend; ich schrecke zusammen und merke, dass ich unsanft auf dem Kissen lande; jetzt steht also der Meister aller Meister vor mir, au Backe!

„Guten Morgen Don, du hattest nach mir gerufen?“ Völlig verdattert komme ich ins Stottern.

„Äh, Meister, äh, gerufen? Vielleicht eine e-mail, aber so mit Pferd und so machen wir das eigentlich nicht mehr….“ Kann man, darf man Sokrates eigentlich widersprechen…?

„Sei es, wie es sei, lieber Don; gestern kam ein Bote geritten, der mir die Nachricht überbrachte, dass du mich zu sprechen wünschest; so habe ich mich aufgemacht; was kann ich für dich tun….?“

Voll krass! Ich kneif mich in die Innenseite meines Oberschenkels, wo es besonders weh tut, um sicher zu sein, dass ich nicht träume; es schmerzt höllisch, verdammt, er steht wirklich vor mir; okay, sammel dich; was könnte ich ihn denn mal; so ein Mist, immer werden Wünsche war, wenn man nicht vorbereitet ist; beeindruckend tiefe Stirnrunzeln hat er; ganz schön lässig, wie er so mit Chiton, dem langen weißen Bart und den lockigen weißen Haaren vor mir steht und darauf wartet, mir, ausgerechnet MIR zu helfen……das glaubt mir niemand!

„Setz dich bitte, ja, du kannst mir tatsächlich helfen…“ Er setzt sich sehr langsam auf einen neben ihm liegenden Stein, wenn er jetzt den Kopf auf einen seiner Arme stützt, werfe ich mich sofort den Berg runter…..

„Ja, ich höre, womit kann ich dir helfen……?“ Er soll das mit der Hilfe lassen, es macht einen ja ganz wuschig; wie soll man sich auf etwas konzentrieren, wenn der große Meister dich besucht und ständig wiederholt, dass er ausgerechnet DIR helfen will; ich habe doch gestern Abend keine Drogen genommen, warum ist der Kerl denn jetzt da; hast du ihn dir herbeigewünscht? Merkwürdig; okay, konzentriere dich, also was könntest du? Ach ja, Corona! Nee, mit so etwas kannst du ihm nicht….oder doch? Ach, frag ihn doch erst einmal…..genau…..

„Sag mal, wie wir hier jetzt so zusammensitzen, weißt du eigentlich, was zwischen deinem Schluck aus dem Giftbecher und heute alles passiert ist…?“ Jetzt habe ich es! Ich muss seinen Geist geweckt haben, als ich sein Gefängnis im letzten Jahr besuchte; habe da ein paar Sachen vor mich hingemurmelt………

„Finde ich übrigens echt stark, dass du ihr Urteil aus Respekt vor dem Staat angenommen hast, Hut ab, mein Lieber! Da müsstest du heute lange suchen, um so einen zu finden, der aus ähnlichem Holz geschnitzt ist, das kann ich dir sagen…..!“ Aber echt, heute geht es den Herrschenden ja bloß um, ja worum eigentlich? Wissen wir das? Achtung, er lächelt, hör genau hin was er sagt, hörst du…?

„Lieber Don, sei dir gewiss, dass die Hintergründe meiner Urteilsanerkennung und die Verurteilung selbst, nicht ganz so stattgefunden haben, wie ihr es euch heute erzählt; nach so einer langen Zeit und all der furchtbaren Anhimmelung meiner Person, was ich grundsätzlich ablehnungswürdig finde, schlage ich vor, dass wir uns schlicht auf die wenigen geschichtlich wahren Fakten einigen, nämlich dass ich den Schierlingsbecher akzeptierte und ihn daher trank; wie du weißt, bin ich dann verschieden, einverstanden…?“

„Okay-okay, einverstanden…!“ Wie kann man das denn nicht sein? Nein, Sokrates, ich bin dagegen, ich habe einen besseren Vorschlag…? Ist ja lächerlich……

„Gut! Und zugegebener Maßen erinnere ich das ja bald selber schon nicht mehr, wie die Geschichte ging; aber zurück zu dir; womit kann ich dir helfen….?“

Stimmt, wir sind keinen Schritt weiter; was wollte ich ihn eigentlich; man bist du nervös; komm doch mal runter; ach so ja, jetzt hab ich es….

„Ich kann sonst auch später wiederkommen, wenn es dir besser passt…..“

„Nein-nein, bleib wo du bist…entschuldigung, will sagen……ich hab’s schon; also……“

„Ja-ha? Womit kann ich dir helfen, lieber Don…? Der macht mich wahnsinnig, mit seiner unaufgeregten Art und dem ständigen Wiederholen; okay, los doch, konzentrier dich; stell dir vor, er besucht dich nur einmal in deinem lausigen Leben; womit soll, kann, oder muss er dir helfen, was du nicht selber, alleine hier….okay, genau, das ist es…..

„Kannst du machen, dass sich die Menschen mehr mögen? Damit sie weniger Streit und Krieg machen und dieser ganze Kram, wie dem Errichten von Grenzen endlich aufhört? Vielleicht könnten wir dann endlich ein geeintes Europe werden, was meinst du…..?“

„Möchtest du, dass ich dir erst bei deiner Sympathie-Frage helfe, oder möchtest du zuerst meine Meinung zu deinem skizzierten geeinten Europa hören….?“ Boah ist der anstrengend, wie kann man jedes Wort auf die Waagschale legen, da musst du ja höllisch aufpassen, was du sagst; okay, sei dir klar, was du willst.

„Sympathie, zuerst die Sympathie bitte…..!“

„Wie du wünscht, lieber Don…also, zuerst einmal sollten wir zusammen feststellen, was du zwischen den Menschen verbessern möchtest; du sprachst davon, ob ich machen kann, dass die Menschen, ich zitiere dich…“sich mehr mögen“…ist das so richtig wiedergegeben….?“

„Genau, sie sollen einander mehr mögen, sich sympathischer sein…..…..“

„Warte lieber Don, nicht so hastig; lass uns zuerst einmal die Grundlage zusammen festlegen; ich habe dich also richtig verstanden? Das ist ein guter Anfang; meine Antwort ist NEIN.“

„Äh, wie bitte? Wie NEIN….du bist Sokrates, wer DENN, wenn nicht du kann machen, dass….?“

„Sei kein Narr, Don; ich bin lediglich ein alter Mann, der zu viele Fragen gestellt hat; wie im Namen aller griechischen Götter soll ich machen, dass sich alle Menschen; wie viele seit ihr noch? Acht Milliarden? Wie soll ich dir, gar allen Menschen helfen, gar MACHEN, dass sie sich mehr mögen? Abgesehen davon, bin ich nicht gerade bekannt dafür ein besonders sympathischer Mann zu sein, deinen / euren Wortgebrauch ausnahmsweise nutzend; ich verwende übrigens den Begriff und seinen Inhalt, also die Bedeutung des Wortes ganz anders, als ihr das tut; nein, hierbei kann ich dir und den Menschen nicht helfen; was kann ich sonst für dich tun?“

„Aber Sokrates! Was müsste denn geschehen, DAMIT, die Menschen mehr….?“

„Mein lieber Don; ich kenne die heutigen Menschen nicht; das ging mir schon damals so; kannst du mir sagen, was einen Menschen KENNEN für dich bedeutet? Ich weiß es nämlich nicht….“

„Jetzt hör aber auf, mich auf den Arm zu nehmen, geschätzter Sokrates! Du wirst doch wohl dich und deine Nächsten, Freunde und Familie genauestens…..?“

„Wie könnte ich? Selbst heute, über 2400 Jahre nach meinem Tot, verstehe ich die Mehrheit der Dinge um mich herum nicht; nehmen wir zum Beispiel meine Frau, wie sollte ich sie kennen? Sie kennt sich selbst ja nicht; wie soll ich sie dann…?“

„Moment mal! Du willst mir sagen, dass du deine eigene Frau nicht kennst; dass du nicht weißt, wer sie ist; willst du weiterhin Scherze mit mir treiben, oder können wir….?“ Langsam werde ich sauer; wie selten und geil, sauersein auf Sokrates; ich muss mir das Gefühl irgendwie konservieren und für später aufheben.

„Aber mitnichten, lieber Don; manche kennen sich nicht einmal auf dem Sterbebett; ich kann jemanden sympathisch, dem ursprünglichen Wort nach, finden; also das zugewandte Fühlen zu einer Person hin; ich kann dir sagen, dass meine Frau gut kochen kann, dass sie den Haushalt unheimlich gut organisiert und unser weniges Geld beeindruckend gut zusammenhält; dass sie Geranien lieber als Rosen hat und Wein dem Wasser bevorzugt; das wir uns auch heute, zueinander hingezogen fühlen, aber kennen……“

„Aber Sokrates! Wie können wir Menschen uns weiterentwickeln, wenn wir beide uns schon bei einzelnen Begriffen nicht einig und unterschiedlicher Auffassungen sind? Wie…..?“

„Wenn du die Antwort nicht kennst, lieber Don; wenn ich sie nicht, wenn niemand sie hat, wie denkst du, könntest du vorgehen?“

Ich habe den Eindruck, mehr Fragen als Antworten zu bekommen; das soll Sokrates sein; ist der aber was von anstrengend……

„Na wie schon, indem ich suche……?“

„Dieser Weg erscheint der passende für dich zu sein; suche, lieber Don und nimm es einem alten Mann nicht übel, nicht auf alles eine Antwort zu haben“

„Schon gut, du bist Sokrates, was du nicht weißt und kannst, was sollen wir dann schon….?“

„Ich bin nur ein alter Mann, der dir dabei versucht zu helfen, deine eigenen Erkenntnisse zu gebären; suche, soviel dir möglich ist……..“

„Okay-okay, ich hab’s verstanden; wie lange denn? Wie lange denkst du muss ich…..?“

„Bis du dich selbst erkennst……“ Ich ahnte es….

„Eine Frage habe ich aber noch, geht das…?“

„Nur zu; ich bin hier, weil du mich gerufen hast; womit kann ich dir helfen, lieber Don?“ Wenn er das noch einmal sagt, vergesse ich mich….!

„Warum haben dich die Athener eigentlich wirklich zum Tode verurteilt? Das kann unmöglich der überall nachlesebare Quatsch sein, dass du angeblich die Götter missachtest und zweifelhaften Einfluss auf die Jugend hast; all diese Dinge hatten doch überhaupt keinen Einfluss auf die Stadt und das öffentliche Leben und das Respektieren geltenden Rechts….?“

„Lieber Don…das Leben, mit allem darin ist viel einfacher, als wir Menschen wahrhaben wollen; Menschen zum Nachdenken und Hinterfragen einzuladen ist und bleibst die gefährlichste aber auch schönste Sache im Leben eines jeden Menschen; tun das viele und zeigen diese alle dankend auf dich, wenn man sie nach dem Grund befragt, wird jeder seinen Becher kriegen, mag er auch in unterschiedlicher Gestalt daherkommen…….Mit was kann ich dir noch helfen….?

„Ich glaube für heute langt es; nimm es nicht persönlich; ich spüre gerade eine ziemliche Lehre in meinem Kopf; könnten wir verabreden, dass….?“

„Allen meinen Schülern ging es wie dir; die Mehrheit hat es nicht offen gewagt zu zeigen und auszudrücken, wie du, lieber Don, aber ich kann es euren Gesichtern ansehen, wenn euch die Lust und Neugier vorrübergehend verlässt; entschuldige, ich hatte dich unterbrochen; was wolltest du vorschlagen……?“

„Können wir verabreden, dass ich dich wieder rufe, wenn ich eine Frage habe….?“

„Können wir so machen…..ich habe dir auch einen Vorschlag zu machen…..schreibe alternativ die Dinge auf, die du mich fragen möchtest und versuche, in einem fiktiven Dialog herauszufinden, ob du meine Antworten vielleicht schon kennst, einverstanden….?

„Einverstanden!“ Na da habe ich mir ja was eingebrockt….

„Ich würde mich dann wieder zurückziehen….ist das in Ordnung…?

„Natürlich-natürlich; war schön dich zu treffen, Sokrates. Merkwürdig, irgendwie weiß ich jetzt auch nicht mehr von dir, wie kommt das bloß…..?

„Aus Wiedersehen, lieber Don; hat mich auch sehr gefreut. Siehst du? Schon erlebst du den ersten positiven Effekt; du verstehst etwas nicht und beginnst sofort mit dem Suchen……Mach es gut,…..bis bald…….

„Tschüß……!“

Plötzlich schieße ich hoch und liege in meinem Bett und nicht mehr auf dem Berg. Vielleicht sollte ich jetzt langsam mal aufstehen und mir einen Kaffee machen……