30.Okto-bär – Rasender Rasen – Odyssee 2022

Samstag 9:17; mein Nachbar startet den Rasenmäher; zwar ist der Rasen patschnass, aber er ist nun’mal dran; was will man machen; 9:25, die sorgsam vom Rasen getarnte Steinsammlung des fünfjährigen Sohnes lässt das Rasenmähermesser keuchen, gefolgt von ohrenbetäubenden Prasseln.

Einer der Steine donnerte ans Küchenfenster.

Glück, wenn man Mehrfach-Scheiben verbaut hat, die solcher Attacke standhalten; Pech, wenn man als fürsorgliche Hausfrau hinter der Scheibe Gemüse putzt und sich vor Schreck in den Finger schneidet;

ein markerschütternder Schrei

lässt den warmgefahrenen Rasenmäher ersterben; zwar ging der Schnitt nicht auf den Knochen und hatte – Gott sei’s gedankt – weder Sehnen, noch andere Dinge beschädigt, außer eben – Adern, doch die lassen sich nicht lumpen.

Schon bildet sich auf der schneeweißen Arbeitsplatte eine veritable Pfütze.

Frau Nachbar schreit wie am Spieß, ihr kleine Junge beginnt zu weinen, während Herr Nachbar mit nassen, erdverschmierten Siebenmeilen-Gummistiefeln über den frisch gesaugten cappuccino-farbenen Teppich läuft, dass man noch Jahre später, Schuhgröße 47 messen wird.

Kurz nach ihrem Schrei, überlege ich meine Hilfe anzubieten.

Entscheide mich aber dagegen, während ich mein‘ Kaffee umrühr‘; bestimmt haben die Nachbarn alles im Griff; 9:55 – leises Wimmern der Nachbarin wird hin und wieder vom giftigen Keifen unterbrochen, wenn ihr Gatte versucht sie zu beruhigen. 

Vorsichtig nippe ich am warmen Getränk.

9:59 – mit ohrenbetäubendem Krach tobt ein Notarztwagen der Marke Mercedes die engen Straßen unserer Siedlung hinauf; hin und wieder hört man Reifen in der Zone 30 quietschen; beachtlich, wenn man die vielen Kinderchen bedenkt, die um diese Zeit auf zierlichen Laufrädern unterwegs sind und die man, sein wir mal ehrlich,

so schnell übersieht!

10:00 – dank überragendem Anti-Blockier-Bremsssystem, kommt der bunt-bemalte Kombi mit leichtem Gewimmer vorm Edelstahltor der Nachbarn zum Stehen; ein vollbärtiger Notarzt kommt aus dem Auto geschossen; kurz vorm Einsatz verrichtete er seine Notdurft auf der Dienst-Toilette, einen ruhigen Dienst erwartend,

als der überraschende Einsatz der Leitzentrale eintraf.

Leider unterlief ihm beim Verkürzen des Abwischvorgangs ein folgenschwerer Fehler; normalerweise nimmt er zwei Lagen des 100% ungebleichtem recycleten Toilettenpapiers, was er diesmal vergaß, weil er gedanklich abgelenkt war und sich fragte, was man wieder angestellt hatte, um ihn zu rufen.

So blieb’s keine Überraschung,

dass er die dünne Lage durchstach und sich einen widerstandsfähigen braunen Rest unter den Fingernagel schob, den er im Sinne der lebensrettenden Pflichterfüllung, nicht mehr schaffte zu entfernen. Offene Gartenpforten erwartend, rennt der Arzt zum polierten Edelstahlzaun, den Griff energisch niederdrückend,

was dieser ergeben tut,

jedoch nichts daran ändert, das der sicherheits-liebende Nachbar die Angewohnheit hat, vorm zu Bettgehen abzuschließen; mit lautem Fluchen, fällt der Notarzt über das einladend aussehende, aber resolut verschlossene, gegen alle Feinde gewappnete Gartentor.

Glücklicherweise bleibt’s bei Schrammen & verstauchtem Mittelfinger.

Aus den Augenwinkeln den rettenden Notarzt in Richtung Gartenzaun hastend, überkommt Frau Nachbarin Erleichterung; mittlerweile hat die Blutung nachgelassen, auch ihr Puls ist erfreulich niedrig; als dann jedoch der freundlich aussehende Mediziner von der verschlossenen Edelstahlgartenpforte zu Boden geschickt wird,

während sein Verursacher auf den Schreck

ein gekühltes Jever öffnet und in einem Zug zur Hälfte leert, öffnen sich ganze Staudämme jahrelang aufgestauten Frusts, welcher in ihr eine unbekannte kalte Flamme entzündet; zum ersten Mal in ihrem bürgerlichen Dasein überkommt sie – blanker Hass.

10:03 – einen tödlichem Blick zum Ehemann schickend,

der mögliche Fußballspiele inklusive Ergebnisse und Tabellenplätze mit seinen Kumpels über Whattsapp diskutiert, entschließt sie sich, ihr Leben zu ändern und aus diesem wahnsinnigen Kreislauf aus Fußball, Grillen, Baumarkt, Autos und Garten auszubrechen, während ihr Gatte am kühlen Flaschenhals nuckelt.

Mit Zorn geflutetem Körper,

drückte sie den Fetzen Küchenrolle auf die Wunde und öffnet dem Mann in Weiß. 10:05 – Stille liegt über der Siedlung; ich trink letzte Reste meines Kaffees und komm zum Entschluss einen zweiten zu trinken; 10:10 – immer noch liegt Stille über der Siedlung; langsam vermischen sich Kaffee, Milch und Zucker im Becher.

10:15 – leise öffnen die Nachbarn ihre Haustür.

Grüßende Worte schickt man dem Arzt hinterher, während sich meine Nachbarin am Arm des Nachbarn schmiegt, ein Bild perfekter Harmonie abgebend; stählern kracht das Gartentor ins sperrangelweit-geöffnete Schloss; beruhigendes Brummen des schwäbischen Kombis kriecht im Schritttempo durch die Siedlung, bis es im Wald verstummte.

10:18 – mein Nachbar startet den Rasenmäher;

feuchtes Gras verstopft wenige Minuten später den saubergeputzten Mäher der Marke Husquarna, den er für einen 30% reduzierten Preis im Baumarkt erstand. 10:19 – fluchend stellt er den Motor ab, befreit das Mähwerk vom Rasenschnitt, der gerissen, statt geschnitten wird, da man seit Wochen das Schärfen des Messers verschiebt;

10:20 – die erste Whattsapp-Nachricht der Frau Nachbarin

geht beim freundlich aussehenden Notarzt ein, der sich vor neun Monaten, zwei Wochen und drei Tagen von seiner Frau trennen durfte; während der barmherzige Samariter sich den Schnitt ansah, sprach man über Bücher und fand heraus, dass man auch bei Musik ähnlichen Geschmack hat.

So kritzelte eine Hand mit braunem Fingernagel,

eine Handynummer auf den Jever-Bierdeckel des Gatten, der in der Zwischenzeit Nachschub aus dem Keller holte, um das Rasenmähen anschließend gebührend zu würdigen und zwängt seinen Strauß Flaschen vorbei am Roséwein der Gattin.

10:22 – Notarzt und ich lächeln unsere iPhones an.

Er, weil er sich fürs nächste Wochenende mit meiner Nachbarin verabredet hat, weil mein Herr Nachbar mit Kumpels nach Manchester zum Fußballspiel fährt; ich, weil sich Freunde zum Mittagessen angekündigt haben, was Apéro und Kochen bedeutet.

Mit manchen Nachbarn geht’s mir wie mit Hunden.

Viele sind totalnett, manche richtig knuffig; kommen sie angerannt würde ich mich am Liebsten auf Bäume retten, oder in Luft auflösen; ständig diese Aufmerksamkeit; noch dazu haaren viele was das Zeug hält und verpesten die Luft mit Fürzen, Weichspüler und Aromen von nassem Tier.

Zuzusehen, was am Wochenende um mich herum passiert,

entpuppt sich als neue Leidenschaft; spazierengehen, um palastähnliche Häuser zu bewundern, die von Burgmauern umzäunt sind, hinter denen man Bataillone elektrischer SUV’s, Fahrräder, Roller sowie hochpreisige Edelstahlgrill-Maschinen hortet, ebenfalls,

denn sein wir mal ehrlich, das kleine Glück ist so nah…

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