6.Novem-bär – Kampf dem Krieg – Odyssee 2022

Mein ältester Kumpel wurde 50; nie macht er Wind um sich; so war uns klar, dass wir was im Hintergrund organisieren mussten; so geschah es; Frau und Freunde machten sich Mühe, was mit ‘ner gelungenen Überraschungsparty gekrönt wurde und ‘nen glücklichen Abschluss für Jubilar und Gäste fand; glänzende Augen und Umarmungen sprachen für sich.

Kurz & nüchtern beschrieben, ist die Geschichte hier zu Ende.

Wer sich beim gemütlichen Schmökern meines Blogs entspannen will, hört an dieser Stelle bitte auf; wer hier auf Zerstreuung und Wohlfühlerlebnisse hofft, der schaltet besser den Fernseher ein und schaut was mit Kai, Jörg, Richard und Markus, für die Mädchen, oder, Barbara, Julia, Bärbel und Florian für die Jungs; halt was Vorhersehbares, dass den Wohlfühlknorpel streichelt

und NICHT belastet.

Wer nach dem Trinken eigener Tränen neugierig geblieben ist, der sei herzlich willkommen, der hat sich alleine dafür schon meine Hochachtung verdient; doch Neugier ist‘n launisches Tier; wenn ich‘n Photo meiner Zahnbürste für den Titel wähle, schlafen Allen die Füße ein; wenn ich stattdessen ‘ne blutige Rasierklinge wähl, sieht die Sache – leider – anders aus.

Ab hier also für Neugierige, Welten-Zerstörer, Mütter & Väter.

Was wär, wenn der Rasenmähermann nebst Gattin – ihr erinnert euch, letzte Woche? – Gast auf der 50-Jahr-Party war? Was, wenn mein „Kurzen-Rasen-und-Fußball-liebender-Nachbar“ nicht der einzige seiner Gattung in der Siedlung ist?

Was wär,

wenn von 50 Gästen, die meisten Männer ähnlich sozial verträgliche Leidenschaften ihr Eigen nennen? Was, wenn Freundinnen und Frauen dieser Inseltalente sich ALLE durch Selbstzündung erleuchten müssen – was dann?

Könnte ein Vierzeiler dem Ganzen gerecht werden?

Als mein Kumpel und ich, wie mit‘m geheimem Festtagsgremium verabredet, gegen 18:00 eintreffen, haben sich fünfzig Freunde und Nachbarn versammelt; üblich an Samstagen in Schleswig-Holstein um die Zeit – man hat’n paar Gläser intus, und somit Vorsprung. Nüchtern ist man in SH schon ausgelassen; wie sind die alkoholisiert?

Einfach – unbeschreiblich.

18:30 – erst einmal Lage peilen: Laute Musik, viel Speis und Trank und Gewissheit zu den TOP 10% in Sachen Einkommen zu zählen; läuft doch, oder; noch dazu physisch wie psychisch gesund, was will man mehr; wie wär‘s mit sozialen Kontakten? Geht man in der Woche noch mal flott abends weg? Zum Beispiel auf‘n schnelles Bier mit Kumpels, oder auf‘n Weißwein mit den Mädels?

Keine Ahnung – vermutlich selten.

Der Hamburger Speckgürtel mit Vierteln wie der Siedlung, kann man auch „bewohnte Friedhöfe“ nennen, auf denen wir unsere alarmgeschützte Existenz mit Alkohol, Netflix und Amazon Prime ersaufen; mentale Hygiene und Erleichterung? Bekommen wir nur auf Fußballplätzen und im Urlaub – oder eben – auf Geburtstagparties.

An jenem Abend trug ich schwarz – auch vom Verhalten.

Beichten gab‘s zwar keine, aber die vielen Geschichten, die ’nen Garten voller Kuriositäten erschaffen, reichlich gewässert von Schnäpsen, Grölereien und Schulterklopfen, wirken wie ein Ventil. 19:00 Uhr, erhitzte Gemüter wetzen Messer.

Themen – Politik und Wirtschaft, gewürzt mit Religion.

Fabelhafter Cocktail, denke ich, hatte ich doch selber schon ein paar Gläser Wein drin und schien nicht mehr völlig nüchtern zu sein, wie ich mir ehrlicherweise gestehen muss, dafür aber mit gehöriger Portion Respekt und Selbstkontrolle bewaffnet. Schnell gab‘s Schuldige.

Südeuropa, wer sonst, all‘n voran Fronkreisch.

Parolen wie „diese faulen Schwaine, die sich‘s mit Teutschlands wirtschaftlicher Hängematte gutgehen lassen…“, gehören zu den harmloseren Faktenchecks; man kannte sich aus; ich war umgeben von Experten; man wisse doch wie‘s laufe; auf Chemtrails wartete ich heute vergeblich; überhaupt der Süden, da hat man ein bequemes Leben und streikt dann noch die

Überreste seiner marodierenden Wirtschaft kaputt.

Oft denk ich an diesem Abend ans „Günther-Phänomen“, an die quietschenden Reifen des Notarztes, an feuchtes Gras, an Wohnmobile und Elektro-SUV’s und verstopfte Rasenmäher, Dachrinnen und Toiletten; viel lerne ich über meine Mitmenschen; welch Inspiration; was gibt’s Schöneres, als gemeinsam an der seelischen Pissrinne zu stehen.

Einfach – wundervoll.

20:00 Uhr; ein schriller Schrei nach Rotwein ruft mich auf‘n Plan; als geleaster Franzose befinden weibliche Gäste, dass ich mich auszukennen habe; los Mundschenk – bringe er Rotwein, aber flott-flott; fix ‘nen Strauß Flaschen aufgezogen, um gierige Mäuler zu tränken; der Rote von Kumpel Jean-Marc verdunstet förmlich in den Gläsern.

21:00 – Männerhände klatschen auf Frauenärsche.

20:25 Glas geht zu Bruch; Musik wird lauter und schneller; man ist bei Elektro angekommen; auch der letzte Mann wechselt auf Havanna-Club-Cola und Gin-Tonic; Frauen beharren auf Wein, neuerdings Roten; Gespräche über Firmen, Menschen, Arbeit und Exfrauen.

Unmöglicher Balance-Akt des Lebens.

Quadratur-des-Kreises; ‘ne Scheißhausmischung von Surrealität und Paradoxien wie Holzeisenbahn, Gesundheitsversorgung, Zwangsverstaatlichung und Bananenbieger. 22:00 – man lacht lauter und rauer.

Ne zweite Buffet-Welle lässt Berge entstehen,

dass der schiefe Turm von Pisa dagegen verblasst; ich denk‘ an Reinhards Song „Schlacht am kalten Büffet“; haben die schon wieder Hunger? Offensichtlich. 22:30 – vorm Klo stehen Frauen Wache, obwohl drinnen ein Schlüssel steckt; 23:00 man schafft Platz, räumt Tische und Bänke weg; Menschen tanzen.

23:30 – muss sitzen, denk ich, also raus auf ‘ne Holzbank.

Endlich weniger Krach; ich schenke Wein nach; Jean-Marc ist ausgetrunken; ein Italiener blendet mich erfolgreich; gerade nipp‘ ich am Glas und denk‘ an Apulien, wo der Tropfen herkommen soll, obwohl er nach

Ahr und Spülmittel schmeckt

als Xerxes und Leonidas mir gegenüber Platz nehmen; ernst und gründlich, spült Leonidas sein‘ Rachen und futtert Salzstangen, um den Itakker gebührend zu kosten. 23:32 – Xerxes lacht schallend laut.

„Völlig sinnlos, außer Don schmeckt hier niemand mehr was…“

Sofort denk ich ans schwarze Loch von Sparta, in den Leonidas im Film „300“ den persischen Kurier hineinbittet; wie‘s heute wohl ausgeht; Xerxes hat‘n ansehnliches Alkohol-Level erreicht, zum Rasenmähermann-Club gehört er nicht.

Leonidas fühlt sich gut,

will / kann aber den ausgeteilten Schwinger an alle nicht stehenlassen; „Du meinst also, dass ich keine Ahnung von…“, Xerxes unterbricht feudal, „Hör doch auf mit dem Scheiß; gar nix schmeckst du; wir können Weine mischen und du würdest nix merken; wir sind alle besoffen…“

Fehdehandschuhe in frisch gemähtem Rasen.

Frieden ist ‘ne komische Sache, so wie Neugier und Gesundheit; man vermisst sie, wenn sie nicht da sind; ich höre Leonidas‘ kämpferische Natur schon zum Angriff schreien „DAS ist Sparta!“ Er wechselt das Wortregister; „Lass uns das beenden und einen schönen Abend haben…“, Xerxes ganz angestachelt, „Was redest du fürn Scheiß? Willst du mich hier etwa als den Bösen….“, Kriege beginnen mit Halbsätzen, denke ich.

23:45 – ziehe mir das Kettenhemd an.

Leonidas rasselt mit dem Schwert; „Langsam gehst du mir auf den Wecker; bis eben war der Abend nett und jetzt wirst du echt….“, Öl löscht am Besten das Feuer, denkt Xerxes „Willst du mich dafür verantwortlich machen? Hör mal wie du mit mir redest…“, Siedepunkt erreicht; bin gespannt, ob Leonidas sich beherrscht, oder sein Schwert für Nichtigkeiten einsetzt.

23:50 – für Sekunden sehen sich die Kontrahenten in die Augen,

sogar auf der Holzbank rutscht man auf Abstand; schlechtes Zeichen; bin sprungbereit, um auf Abstand zu gehen; außer Plastikgabel und Worte trage ich keine Waffen; Leonidas richtet sich feierlich auf; „Sorry, ich gehe; sonst haue ich den Penner hier um…!“, ausgesprochene Drohung, aber er hat die Vernunft siegen lassen – Hut ab.

23:55 – Leonidas ist weg.

Jetzt knöpft der gute Xerxes mich vor; streue verloren aussehende Argumente zur Verschönerung; Xerxes ist nur noch im Sendemodus; gibt noch erstaunlich fiel Unausgesprochenes zu reden; hinter uns beginnt die Nebelmaschine ihr Werk; ein Dutzend Menschen hotten zu Techno ab.

Xerxes lässt nicht locker.

Wortgewaltig donnert er vom Thron herab; „Scheiße, macht ihr mich hier jetzt zum Buhmann? Kann’s nicht glauben, was für‘ne Frechheit; soll dieser Leonidas ruhig wiederkommen, dann kriegt er eine Abreibung, wie er sie noch nie im Leben….“, ich wechsle das Thema, mal schauen, ob das klappt, „Unabhängig von Vielfalt und Allem, schmeckt dir der Wein…?“

Stille – Xerxes grübelt.

Gebannt warte ich auf ‘ne Reaktion, als plötzlich seine Königin am Horizont erscheint und ihn am Schlafittchen packt; wortlos erhebt er sich; feuert ein paar donnernde Blicke auf mich ab; „darüber reden wir noch; ist ne Schweinerei, mich als Bösen abzubügeln!“ Denke wieder an nassen Rasen, der den Nachbarn nicht abhielt, zu tun, was unbedingt zu tun war, obwohl die Natur mit Zaunpfählen winkte.

00:30 – Gäste machen‘s Xerxes und seiner Königin gleich.

Man verabschiedet sich; 6,5h können lang sein, wenn man schnell trinkt und isst; unendliche Weiten können‘s werden, wenn man vom Haben, statt vom Sein redet; avoir et être; zwei Wochen brauche ich um die Party zu verdauen; natürlich kann ich‘n Buch darüber schreiben.

Aber über was denn noch alles?

Antworten habe ich doch auch keine, stattdessen Fragen & Hoffnung, sowie den unbeugsamen Willen NICHT, NIEMALS auf keinen Fall aufzugeben, was auch immer passiert; wir sollten öfter zusammenkommen, vor allen mit Menschen die anders sind als wir selbst; gibt sonst zu wenig Impulse und Inspiration.

Ob ich was vermisse in Frankreich, fragte Xerxes.

Hamburger Kneipen zum Beispiel; in Frankreich gibt’s dafür Bars und Bistros; natürlich ist das Nachtleben anders, aber deswegen bin ich ja da; die Siedlung braucht dringend eins von Beidem; zuhause sitzen macht einsam und unglücklich; manchmal sogar traurig und depressiv, wie Ronja von Rönne und Kurt Krömer schreiben.

Ellenbogenmenschen finde ich anstrengend.

Egal in welchem Land, egal in welcher Sprache; Gemeinsinn scheint heute schwierig, Solidarität auch; Neugier zu kultivieren und pflegen genauso; ich glaube Krieg trägt man vor Allem in sich; kommt er jemals von außen; keine Ahnung; natürlich hat man ’ne Wahl, abgesehen von Angegriffenen; das antike Sparta hielt es mit der Weisheit

„Willst du Frieden, sei bereit für Krieg!“

Seit 2500 Jahren gibt‘s das antike Sparta nicht mehr; Kriege schon; Leonidas hatte die Wahl und zog sich zurück; ein Grund zur Hoffnung, wie ich finde; liegt vielleicht am Charakter und Umgang mit Reichtum; je mehr man besitzt, desto mehr muss man schützen; Menschen zählen nicht dazu; man besitzt sie nicht, auch wenn Manche anderer Ansicht sind.

Menschen gehören ausschließlich und exklusiv nur sich selbst.

„Was ist dir das Wichtigste im Leben?“, fragt Leonidas; ich antworte, „Lebenszeit! Je weniger Eigentum & Besitz ich habe, desto weniger Gedanken mache ich mir dann darüber und desto mehr Zeit ist für Menschen da, mich selbst eingeschlossen“ Kneipen & Bistros sind in Zentraleuropa zwar keine Kirchen,

aber je länger ich drüber nachdenke – eigentlich doch!

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