Odyssee 2019 – CW34

Montag – eine neue Woche. Ich muss mir eine Unterkunft auf der Peleponnes Halbinsel und ein Motorrad besorgen, der Urlaub naht. Ich werde in Drepano fündig. D. ist ein kleiner Ort direkt am Wasser und Theodora eine nette Dame, die noch reichlich Energie mit sich herumträgt. Motorräder sind jedoch weniger leicht zu kriegen, noch dazu in einem vertretbaren Rahmen. Auf dem Festland sind die Preise deutlich höher, als auf Kreta. Um mich schnell den südeuropäischen Gepflogenheiten anzupassen, picke ich mir drei Anbieter raus – euphorisch beginne ich zu verhandeln. Nach und nach zeichnet sich ab, dass ich nicht der einzige bin – meine Verhandlungen laufen daher etwas zäh, bis ich eine alteingesessene Firma an der Strippe habe, die wieder die sprichwörtliche griechische Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft aufleuchten lässt. Wir werden uns einig, inklusive gutem Preis, Top-Case und zweitem Helm.

Dienstag – letzte Vorbereitungen für meinen Urlaub. Plötzlich fällt mir auf, dass ich noch gar keinen Flug gebucht habe! Verdammt noch mal, manchmal bin ich wirklich ein Traumtänzer, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht – doch das Glück ist mir hold – 57€ für ein One-way-Ticket ist nicht zu viel, noch dazu mit Aegan, die Mittag anbieten und mit Stolz von sich behaupten können, das netteste Kabinenpersonal auf dem Globus ihr Eigen zu nennen. Glück muss man haben. Langsam festigt sich meine Planung. Abends dann noch ein wenig Griechisch lernen und ab in die Falle.

Mittwoch – Frühstücken, Flug einchecken, ein paar Maschinen Wäsche durchjagen, Sachen packen und ein wenig Griechisch lernen – ich habe wirklich keine Lust, irgendein Wort dort auf Englisch zu sprechen. Doch dafür muss ich mich noch etwas lang machen, um eine leichte Konservation, einigermaßen anständig führen zu können. Mitten drin ein wenig an Horus schreiben. Abends noch einmal etwas Sport. Ein paar organisierende Telefonate, ein wenig lesen, noch einmal Griechisch pauken und dann ab ins Lummerland.

Donnerstag – Wecker auf halb Acht, endlich Urlaub! Ein gemütliches Frühstück, mit Zeitungslesen, Eiern und Kaffee sorgt dafür, dass ich recht zufrieden lächle und in eine gute Stimmung komme. Um zehn Uhr bin ich am Flughafen. Boah, wie ich das liebe, dass ich in Toulouse mit dem Motorrad direkt vorm Terminal parken darf – und das noch for free. Kurz Helm abgeschlossen, durch die Security und gemütlich zum Gate gepilgert. Direktflug nach Athen, mein erstes Mal aufs griechische Festland. Wir heben pünktlich ab. Leichte Turbulenzen sorgen dafür, dass unser Mittagessen ein wenig Zero-Gravity feeling bekommt. Pünktlich um 15:20 landen wir in Athen.

Die Sonne, brennt. Gefühlt haben wir vierzig Grad. Ein Fahrer wartet auf mich – ich lese meinen Namen beim Ausgang. Dimitrios ist ein stiller Intellektueller, der Literatur studiert. Sofort haben wir einen Draht und tauschen uns über Gott und die Welt aus. Es ist wie Juni auf Kreta: Griechen tragen ihr Herz auf der Zunge, wenn man sie lässt, einfach wunderbar. Als ich aussteige bedankt er sich dafür, dass ich ihm ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert habe. Ich gebe das Kompliment gerne zurück und wir hoffen beide, dass wir uns wieder sehen. Ein Motorrad muss man mir nicht weiter erklären – Savvas und sein Team machen es trotzdem, sie meinen es gut. Honda Transalp, ein Klassiker. Wir haben 39 Grad unter der Akropolis. Ich merke, dass ich die Wärme immer mehr mag.

Bestens gelaunt schwinge ich mich auf mein Pferd und reite raus aus Athen, schnurstracks Richtung Korinth. Wie ein gewaltiger Fön bläst mir die heiße Luft durch die Klamotten – links das Mittelmeer, rechts erste Hügel, die mich daran erinnern, dass die Hellenen bergisches Land bewohnen – träge wälzt sich Piräus, der Hafen von Athen an uns vorbei. Nach vierzig Minuten geht es runter von der Autobahn, die mit drei Maudstationen dennoch günstig sind. Eine kleine Straße windet sich Richtung Nafplio. Links und rechts säumen mich Olivenhaine. Hügel wachsen überall aus der Erde, als würden die Truppen Spartas noch gestern Staub aufgewirbelt haben. Nachdem ich mehrmals angehalten habe, um die atemberaubenden Landschaften zu genießen, erreiche ich meine Unterkunft in Drepano-Beach. Theodora ist ein Schatz und entlässt mich schnell zu meinem Apéro – die Muscheln danach sind genauso großartig, wie der lokale Weißwein. Irgendwann nach Mitternacht schlurfe ich müde in mein neues Heim. Zwei Uhr – Feierabend.

Freitag – mein erster Tag. Lange schlafen und Frühstück um zwölf. Gegen vierzehn Uhr packt mich Unternehmungslust und Neugierde, das Theater von Epidauros zu sehen. Schon fahre ich los und komme nach dreißig Minuten an. Ein wenig Schlange stehen und schon schreite ich andächtig die Stufen hoch, zu diesem Monument, griechischer Baukunst – und tatsächlich: Als sich das Theater in seiner ganzen Pracht öffnet, stockt mir der Atem! Das gibt es doch gar nicht. Das Stadium liegt, wie ein viel zu altes, oder zu neues Bauwerk in der Natur eingebettet vor mir. Wie ist das Bloß möglich, dass die alten Griechen so etwas vor über 2500 Jahren bauen konnten? Was für eine Eleganz und Perfektion.

Was machen wir Menschen eigentlich heute mit unserer Zeit? Ich steige ergriffen die Ränge hoch und setze mich auf die obersten Stufen, um das ganze Ausmaß seiner Dimension zu erfassen – was für ein beeindruckendes Bauwerk, noch dazu, mit der atemberaubenden Aussicht auf die schöne Natur – und das alles um die Ecke. Bestimmt sitze ich zwei Stunden, bevor ich andächtig auf die andere Seite gehe und dann den ultimativen Klangtest mache, von dem ich so viel gelesen habe. Ich stelle mich ins Zentrum und spreche in normaler Lautstärke – und tatsächlich: Es ist magisch, wie man seine eigen Stimme vom Raum absorbiert und auf allen Rängen gleich wiedergegeben fühlt.

Was für großartige Baumeister müssen das gewesen sein! Alle Ränge hat man nach den Regeln des goldenen Schnitts angelegt – Höhen und Tiefenverhältnisse – hier hat man alles perfekt gemacht, von Materialen, bis hin zur gesamten Architektur. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich und macht mich sehr nachdenklich. Touristen sind wenige da, weswegen ich das Stadium fast für mich alleine habe. Ich könnte jetzt ein ganzes Buch darüber schreiben, was sich in diesen paar Stunden in mir abgespielt hat, aber aus Respekt vor dem Bauwerk und den Griechen, schweige ich und lege dies Erlebnis vorsichtig in meinem Gedächtnispalast ab. Hier muss man hin und es selbst erlebt haben. Darüber reden bringt wenig. Abends gehe ich schweigsam in eine kleine Taverna, esse wunderbare Muscheln, trinke tollen lokalen Weißwein und lerne Yannis, einen Kellner kennen. Völlig überwältigt von all den Erlebnissen, schleiche ich in mein kleines Cottage, putze meine stillen Zähne und rolle mich schüchtern im Bett zusammen.

Samstag – zweiter Tag. Der erste fühlt sich schon wie eine ganze Woche an. Zu mächtig sind meine Eindrücke. Doch nicht genug, im Gegenteil. Heute geht es nach dem Frühstück nach Mykene. Auch das liegt 20min um die Ecke, also noch dichter, als Epidauros. Als sich die Festung vor mir auftürmt wird mir mulmig. Dieser Ort ist nicht leicht, luftig und magisch, wie Epidauros, sondern das Gegenteil. Geduckt und unheimlich wuchtig erschlagen mich die Megalitmauern, die mich sofort an den Herrn der Ringe denken lassen. Hier also hat König Agamemnon gelebt.

Als ich die Spitze erreiche, verschlägt es mir die Sprache. Dieser Ort ist über 1500 Jahre älter als Epidauros – und was er ausstrahlt ist bedrohlich und irgendwie düster. Schon auch magisch und beeindruckend, aber nicht leicht und kosmisch, wie das Stadium. Was war in dieser Ecke von Europa nur früher los? So viele mächtige Königreiche und Stadtstaaten dicht beieinander, nur ein paar Kilometer voneinander entfernt. Was für ein Schmelztiegel von Kultur und Macht.

Des Königs Gemächer liegen ganz oben. Von hier kann man die ganze Ebene überblicken – und – was mich völlig aus der Fassung bringt, die Festung von Argos, ebenfalls nur wenige Kilometer entfernt. Meine Eindrücke erschlagen mich. Meinen Empfindungen geht es nicht viel anders. Völlige Reizüberflutung. Ein sehr spätes Abendbrot lässt mich den heutigen Götterdienst abschließen. Mit zum Bersten gefüllten und geladenen Sinnen schleppe ich mich gegen Mitternacht ins Bett.

Sonntag – griechischer Kaffee, zum Wachwerden. Anschließend fahre ich nach Nafplio, der ersten Hauptstadt, des neuen Griechenlands, das unter König Otto neu emporstieg. Diese kleine Hafenstadt verbindet alle Südeuropäischen Kulturen, und das mit einem Charme, der den meisten Hauptstädten völlig abgeht. Hier ist alles nett und klein. Nicht groß und mächtig, wie man es heute so anstrebt. Die wunderschöne Altstadt ist von alten Festungen umgeben und lässt einen staunen, nicht nur, weil alle Fußgängerzonen des Zentrums mit Marmor ausgelegt sind – auch Nafplio liegt nur wenige Kilometer von all den anderen großen Stätten, nur 15min von Deprano entfernt.

Mein erster Apéro erinnert mich daran, dass ich heute gemütlich umherschlendere und mich treiben lasse, um die ersten zwei Tage zu verdauen – was mir, nebenbei gesagt – nicht leicht fallen wird, da diese schöne Stadt ebenfalls mächtig beeindruckt. Nachdem ich die Stadt besichtigt habe, ein gutes Lammgericht zu mir genommen habe, mit leckerem ortsansässigem Nemea-Wein, fahre ich gegen Mitternacht heim und beschließe, nicht auf das Dorffest zu gehen, dass mit reichlich Folklore lockt – für heute langt es mir und ich fange an, die ersten Zeilen zu tippen. Ich denke, dass ich gleich eine letzte Zigarette rauche und dann zu Bett gehen werde – gute Nacht!

 

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