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Osterhasen

Ich habe ihn wirklich verloren. Eben wollte ich noch 5 Liter Öl bezahlen, fummel 35 Euro aus meiner unsortierten Scheinsammlung, die ich in meiner Hemdentasche habe, als mir einer entwischt, zu Boden gleitet und sich versteckt. War sowas zu glauben? Wenn etwas meine Aufmerksamkeit verliert, entschwindet es immer gleich. So ging es mir auch mit den Menschen. Egal ob Freundin oder Freund. Wenn sich die Dinge veränderten und nicht mehr zueinander passten, kam in meinem Leben immer etwas Neues und das Alte wurde höflich zur Tür raus gebeten. Aber ich machte das nicht aktiv. Es passierte mir mehr, als dass ich darauf Einfluss nehmen könnte. Natürlich weiß ich, dass es in Wirklichkeit anders ist, aber ich schiebe viele Dinge auf mein Unterbewusstsein, weil es sowieso die meiste Zeit hinterm Steuer sitzt.

Ständig lief das so ab. So wie mein Leben in Hamburg nach und nach blasser wurde, wie Kuchenteig, den man zu dünn ausgewalzt hat, bis er am Ende dann doch reißt, ist das Neue, meine Saat im Süden gerade erst dabei aufzugehen und fängt an zu wachsen und zu gedeihen.

Seit ich wieder zuhause bin, ist mein Leben auch wieder sehr überschaubar: Einkaufen, kochen, trinken, Essen, abwaschen, Siesta machen, trinken, rauchen, Wein kaufen, lesen und schreiben sind eine angenehme Melodie, mit der es sich für mich zu leben lohnt. Ich habe bestimmt ein paar Dinge vergessen, aber es geht mir hier unanständig gut. Die 50 Liter Weißwein die ich am Montag aus Binissalem geholt hatte, sind schon recht weit ausgetrunken. Nach fast einer Woche war das recht beeindruckend. Die Anreise von Gaetano und Jean-Francois hat sehr dazu beigetragen. Und wieder einmal bin ich zum Abwaschen degradiert worden. Logistik und Wartung ist hier immer mein Fachgebiet, wenn ich mal vom Schreiben absehe. Hier kocht jeder so dekadent gut, dass ich mich nicht nur gar nicht erst melde, kochen zu wollen, sondern ich glaube auch, die würden mich gar nicht vor die Gasflammen lassen. Die haben genauso keine Lust auf Kompromisse wie ich. Und nachdem ich hier ein paar Kostproben in Sachen Südeuropäischer Cucina bekommen habe, ist die Sache klar: Außer zum Espresso kochen, halte ich mich von den Gasbrennern fern.

Gestern hab ich nach den Autos gesehen. Wir haben zwei, ein Rotes und ein Grünes. Einen alten Ford Fiesta und einen etwas neueren, ungefähr 16 Jahre alten Suzuki Baleno. Beide sehen schon ziemlich mitgenommen aus. Besonders der Suzuki, nachdem er schon ein paar Mal von der Straße abgekommen ist und ein paar Meter tief stürzen wollte. Ihre eingedrückten Gesichter, die halbabgerissenen Stoßstangen, die einen wie Zahnlücken anlächeln, die üblen Kratzer und Beulen die sie überall tragen, sorgen leichter dafür, dass man an Mad Max denkt, statt an moderne und saubere Lenkräder mit Airbags und Einparkhilfen. Ich sah nach Öl. Das ist ziemlich wichtig, weil so ein Motor sonst trocken läuft und kaputt geht. Selbst hier bei so viel Sonne. Der Grüne war okay. Ich hoffte, der Rote wäre es auch. Ich irrte mich. Der alte Ford, schlürfte munter Öl. Oder er verlor es irgendwie. Im Alter halten die Dinge ja nicht mehr so dicht. Am Peilstab war er schon unter Minimum. Ich musste was tun. Ich entschied mich, am Ostersonntag zur Tankstelle nach Esporles zu fahren. So war mein Plan. Da ahnte ich noch nicht, was diese Fahrt mit mir machen würde.

Ich bin ziemlich friedlich, würde ich sagen. Wirklich. Das sage ich nicht, weil friedlich gerade modern oder en vogue ist. Ich bin so. Sicherlich, ich kann auch anders. Besonders früher. Aber das ist etwas anderes. Terrorist würde es ganz gut beschreiben, so wie ich früher war. Heute bin ich aber ein Pazifistischer, der seine Waffen brav in den Schrank gehängt hat und Love statt War propagiert. Nur sehr wenige und außergewöhnliche Persönlichkeiten, wie zum Beispiel der Dalai Lama und noch eine Hand voll mehr, schaffen es Frieden zu propagieren, ohne den Krieg zu kennen. Ich zähle nicht zu diesen Auserwählten. Ich habe meine eigene Ochsentour gedreht und nur langsam und sehr mühsam gelernt.

Wir hatten Ostern. Ich mach mir aber trotzdem nicht viel aus Jesus. Überhaupt finde ich das Christentum nicht sehr spannend und attraktiv, wenn ich daran glauben wollen würde. Das soll nicht heißen, dass ich die Story nicht klasse finde. Das ganze nageln und wieder aufstehen ist schon eine eindrucksvolle Geschichte. Ist es im Grunde heute auch noch, sonst würden wir es ja nicht überall feiern. Ich persönlich finde das Alte Testament spannender und nebenbei auch viel toleranter. Nicht so ernst und düster wie das Neue. Mit den protestantischen Schriften, egal aus welcher Feder, will ich gar nicht erst anfangen. Protestanten haben schon von Haus aus einen Ablehnungskredit bei mir. Die sind mir einfach zu trocken und ernst, obwohl es viele Nette unter ihnen gibt, die ich sehr schätze. Natürlich heißt das auch nicht, dass ich nicht glaube. Ich glaube auch. Aber an was, an wen oder woran und warum, würde den Rahmen schnell sprengen. Außerdem habe ich auch gar keine Lust, darüber zu grübeln.

Die Insel quillt über vor Terroristen. Entschuldigung: Touristen. In unserem Ort, ist es noch überschaubar, aber auch hier rennen mittlerweile aufgeregte Fotoapparate und Smartphones durch die Straßen, krabbeln über unsere lieblichen Berge und machen unsere Schafe nervös, weil fast jeder mit Rucksack und irgendwelchen Mützen, Hüten und Helmen bewaffnet ist, dass man denke könnte, es ist Krieg. Und das ist nun wirklich das Letzte was Schafe und Osterhasen wollen. Als ich mich heute am Oster-Sonntag-Mittag aus unserer Neben.- auf die Hauptstraße einfädeln wollte, glänzte diese eher mit einer zu viel befahrenen Bahntrasse, auf der nie-enden-wollende Güterzug entlang donnerten, anstatt mich mit Leere und Stille, wie früher, einzuladen. Ich fand kein Loch, wo ich reingepasst hätte, wobei mir das eigentlich immer gelang. Heute war alles anders: Rennradfahrer, Sportmotorräder, Touristen in zu großen Mietautos, mit Hartem und weichen Dach und Reisebusse soweit meine Augen reichten. Es hörte nicht auf. Nach vielen Minuten, ließ mich ein alter R4 rein. Einheimische wussten am ehesten, wann sie zusammen halten mussten.

Endlich floss ich mal mit dem Strom, wenn es auch nur um Verkehr ging. Unsere engen und kurvigen Straßen finde ich wunderschön. Wenn aber so ein Pariser, Hamburger oder Berliner kommt und seine üppig ausgebaute Périphérique und Ringstraße im Kopf hat, dann denkt er beim Autofahren hier an der Westküste schnell an Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer. Bergab waren die Rennräder ziemlich schnell, so schnell, dass die vorsichtigen Touristen sie nicht überholen mochten. Das wiederum lud schnellere Rennräder ein, uns Autos zu überholen. Für Motorräder gab es das Thema mangelnden Platz und Leistung sowieso nicht: Sie fingen nach kurzer Zeit an, Alles gleichzeitig zu überholen. Manchmal sogar Rechts, wenn man den Sicherheitsabstand zu den Rennrädern zu groß ließ. Dann konnte es schnell passieren, dass einem schon das ein oder andere Moped hindurchschlüpfte. Als Fußgänger und Läufer dazukamen, wurde die Situation ziemlich unübersichtlich. Nicht für Autofahrer, wir brauchten nur Acht auf die anderen geben. Aber einige von ihnen wurden ängstlich, fingen an zu bremsen und zu hupen, als wenn das irgendetwas ändern würde. Solche Situationen liebe ich: Sie bergen ein ungeahntes chaotisches Potenzial und ich freue mich immer wieder, wieviel Glück wir Menschen haben. Wir kriegen das zwar oft nicht mit, wieviel wir davon zugeteilt bekommen, was uns einer Menge Freude und Spaß beraubt, aber prinzipiell passieren wenig Unglücke.

Ich war also auf meiner Lieblingsstraße, die ich mit 2,0 Promille und ohne Licht um 3 Uhr Nachts sicher und flott befahren kann. Meistens jedenfalls. Heute war ich bergab mit 50, oder bergauf mit 20 Stundenkilometern unterwegs. Mittlerweile konnte ich das sehr lange machen. Es dauert sehr lange, bis derPuls schneller geht. Wirklich ziemlich lange. In Banyalbufar, nach ca 7 Kilometern, fuhr ich immer noch ganz brav hinter dem gleichen schweren, weißen Audi-Cabrio hinterher, mit den gleichen Weißhaarigen Insassen wie am Anfang in unserem Dorf.

Als wir aus dem Ort kamen, ging es wieder bergauf. Langsame Tauchfahrt. Die Weißhaarigen vor mir wurden unruhig und wollten unbedingt vorbei. Nach weiteren 4 Kilometern bergauf, ging es wieder bergab. Das Cabrio fuhr irgendwann hupend an den 50 Rennrädern vorbei, die zu Zweit oder Dritt nebeneinander her fuhren, obwohl die Kurven nicht gerade ideal dafür waren. Keine war einsehbar. Doch wir hatten alle Glück: Kein Gegenverkehr und keiner der ausscheren musste. Als ich auf einer langen Geraden überholte, es ist die Einzige und sie ist maximal 500 Meter lang, mit einer Kuppe in der Mitte, bekam ich die Schimpfkanonaden ab, die eigentlich für die Weißhaarigen bestimmt waren. Da kam der Terrorist zum Vorschein: Kurzfristig dachte ich an so etwas Diabolisches wie eine Vollbremsung, mit anschließendem Rugby-mäßigen Begrabenwerden, unter Dutzenden von Gebeinen und komisch abgewinkelten Extremitäten. Ich musste lächeln, weil ich es natürlich nicht machte. Sowas gibt eine Riesensauerei und die lieben Rennräder haben auch Familien, oder wollten vielleicht mal welche haben, falls es noch nicht geklappt hatte und ich die vielen Pferdeschwänze richtig gezählt hatte. Und trotz dieser sehr alten inneren Regung, ging mein Puls nicht einen Schlag hoch: Das fand ich schön und freute mich am Meisten.

In Esporles angekommen, hieß es erst einmal Straßensperrung. Eine Prozession, fuhr den Auferstandenen quer durch die Gegend und ich hatte den Eindruck, dass ihm das gefiel. Jeder hat gerne Aufmerksamkeit, mehr oder weniger. Die Weißhaarigen standen vor mir in ihrer materialistischen Edelschleuder und kauten schon auf den Nägeln herum, obwohl sie vermutlich im Urlaub waren. Nach weiteren 20 Minuten war die Straße frei. Ich fuhr schnurstracks zur Tankstelle und suchte einen geeigneten Kanister Öl. Beim Bezahlen passierte es dann: Ein Schein flatterte zu Boden. Ich blieb gelassen, zahlte und schaute zu Boden. Doch der Schein war nicht zu sehen. Wie konnte das sein? Ich sah den Tankwart an, der meine Gedanken erahnte. Wie ein Trüffelschwein suchte ich den Boden und die Auslagen ab; selbst unter ihnen machte ich nicht halt. Nichts. Nada. Ich kniff mich und hoffte irgendwo anders wach zu werden. Doch außer dem Schmerz tat sich nichts. Ich war immer noch in der gleichen Tankstelle, ohne auch nur die leiseste Spur oder Ahnung zu haben, wo der vermaledeite Schein hin sein konnte. Ich dachte an lange Nägel; an Osterhasen, die bunt bemalte Eier versteckten, um sie von Kindern finden zu lassen; an die Auferstehung des Geldes, meines Geldes; ich sah die Truppe Rennräder an der Tankstelle vorbeirasen, just in dem Moment, als ich das Wort Nägel vor der Stirn leuchten hatte; ich dachte an Loslassen und daran, dass es wohl so sein sollte und für irgendetwas gut sein musste. Irgendwann dachte ich sogar an meine Sünden und all die Bußen, die ich nie getan hatte und mich trotzdem immer noch gut fühlte. Dann fiel mir auf, dass es mich nicht mal interessierte, wie groß er auch immer gewesen sein mochte. Die Suche war mehr ein Reflex. Und als ich das realisierte, erhob ich mich und machte meine eigene Auferstehung: Lass ihn gehen. Vielleicht hattest du dich getäuscht? Vielleicht nicht und jemand anders findet ihn und kauft damit guten Wein? Das war doch ein schöner Gedanke.

Meine Rückfahrt war cremig und flüssig, wie es schöner nicht sein konnte. Das genaue Gegenteil vom Hinweg. Ich lächelte die Landschaft und die wild herumstreunenden Ziegen an, die einem plötzlich vor die Haube springen konnten; ich sah das Meer, die wunderschöne Landschaft und rollte durch sie hindurch, mit zunehmendem Hunger und großer Vorfreude auf die französische Rillette-Vorspeise von Jean-Francois und die leckere Lasagne von Piero.

Ich glaube der Osterhase ist etwas total Heidnisches und hat mit Christentum nichts zu tun. Warum er Ostereier legt, anmalt oder versteckt, habe ich als Kind schon nicht verstanden. Heute fiel es mir nicht leichter. Dass die Menschen eigentlich ganz okay sind, auch ohne so prominente Sachen wie Auferstehung, weiß ich schon lange. Ich mag sie sogar. Dass sie oft mehr Glück als Verstand haben, ist auch nicht neu. Aber das die Menschen so gar nicht merken, wen sie alles mit ihrer Ungeduld im Straßenverkehr in Gefahr bringen, bleibt mir ein Rätsel, obwohl Ostersonntag ist.

Solche Gedanken halten bei mir nie lange vor. Nach dem Essen ging ich runter ans Meer.

Siesta am Wasser, in der prallen Sonne, ist für mich der Gipfel, besonders zu Ostern. 3 Stunden saß und lag ich auf meinem Felsen. Poseidon prahlte mit kräftigen Wellen, wie ich sie lange nicht gesehen hatte.

 

Die Sonne strömte in satten Flüssen zur Erde herab und der Wind war leicht und angenehm. Außer mir und meinen Gedanken, war niemand zu sehen. Ich war allein. Weit und breit keine Menschenseele