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Lona Misa

Schon Februar – keine Ahnung, was ich im ersten Monat gemacht, was ich alles gelassen habe – viel war es nicht. Diese nassen dunklen Tage, furchtbar. Stundenlang sitze ich vor dem Fenster und spähe hinaus. Uboot-Ausguck, allein auf hoher See – ständig hoffe ich, dass es aufhört. Jetzt, schau nur – da hinten kommt strahlendblauer, doch nicht. Das gleiche Grau.

– Aber jetzt, sieh nur, da hinten – kannst du den Scheiß jetzt mal lassen? Es ist Januar. Das Wetter ist immer Mist, da kannst du so lange warten wie du willst.

Nach einer Weile sehe ich mir die Regentropfen an, wie sie sich am Glas der Fensterscheibe vereinen, dann schneller fließen, Abzweigungen nehmen – so gut wie nie, den direkten Weg nach unten wählen – hin und wieder innehalten, bis die Oberflächenspannung die Luft anhält und am Ende, reißt – die Ansammlung aller Tropfen freigibt, dass sie sich auf den Weg machen, hierhin, dorthin, wohin auch immer, während ich ihnen auf der anderen Seite zusehe, wie sie Schneckenspuren hinterlassen.

Alles ist in so’n leichten Grauton getunkt – Häuser, Straßen, Autos, Mülltonnen, Menschen, als würde er alle Farben aufsaugen und langsam, ganz sachte verdauen, bis nichts mehr von ihnen übrig ist, als dumpfer, grauer Brei, mit dem man die Welt anstreicht – Wände, Kleidung, Fenster, Brillen, Klodeckel – alles schmeckt nach Maggi.

„Herr Tango – sieh haben gleich ihre Anwendung; machen Sie sich bitte bereit – aber vor allen Dingen, ziehen sich etwas an!“

Kaum zu glauben, woher kommen bloß all die Wolken? Gerade im Januar. Alles riecht nach feuchtem Hund, Turnhalle und saurem Abfall. Der Zwiebel und Kohlgeruch im Treppenhaus ist noch schwerer als sonst. Wie ein tropischer Duschvorhang hängt er vor der Tür – totsicher musst du irgendwann hindurch. Resigniert lassen Bäume ihre graubraunen Schultern und Arme hängen. Alles ersäuft im Dauerregen – die fehlenden Farben sind viel schlimmer; sie erinnern mich daran, dass die Sonne keine Freude und Wärme verteilt.

Gestern im Supermarkt habe ich ein Lächeln von der Kasse bekommen – keine Ahnung warum. Sonst ist nicht viel passiert. Nur das Übliche – Einkaufen. Habe ein wenig gelesen; später auf Papier herumgemalt; könnte unendlich lange schreiben; ewig, bis zum jüngsten Tag; doch irgendwie finden meine Worte den Ausgang nicht; mittags ein leichtes Essen, dann Spaziergang, um graue Gesichter herum. Leere Blicke – Gullimurmeln, verstopft vom Rollsplit des Lebens. Hier und dort Hundekot, ein paar gelbe Rinnsale; Zwei.- und Vierbeiner.

Hubschrauberknattern, Polizeisirenen jaulen ein paar Straßen weiter. Übles Frauen-Gekreische im Stock über mir. – Dieser ständige Regen weicht mich mehr und mehr auf. Nagender Trommelwirbel am Fenster. Hab aufgeräumt; nicht hysterisch gründlich, nur ein bisschen der Vernunft willen. Ein paar Sachen konnte ich weschmeißen; Ich mag meinen Staubsauger; er hat am Heck zwei große schöne Räder, mit kräftiger Gummierung; ein zentrales Lenkrad vorne, eine gelungene Konstruktion – fast saugt er so gut, wie er rollt – und leise ist er, ein Wahnsinn.

Habe Müll rausgebracht, ein paar kaputte Kleidungsstücke weggeschmissen. Im Hof steht das Wasser zentimeterhoch. Auch die Wolken sehen aufgeweicht aus. Sieh nur! Habe Post bekommen; die Elektrizitätswerke. Ich soll nen Wisch unterschreiben und zurücksenden, wenn ich per Dauerauftrag überweisen möchte; muss man jedes Jahr neu beauftragen; finde das gut; muss alles seine Ordnung haben.

Müsste meine Schuhe wieder putzen und am Horus weiterschreiben. Irgendwie male und zeichne ich mehr, wenn es ohne Unterlass….gestern abend dann ein überraschendes Gespräch mit einem Freund. Er hat gefragt wie es mir geht – ich ahnte, dass es ein schwieriges Gespräch wird.

– Ganz gut, und dir? Wie ist das Wetter auf Mallorca? – So lala. Es regnet viel, noch dazu der Wind. Du, wir können uns nicht mehr sehen! – Totenstille in der Leitung. – Wie meinst du das? Wir kennen uns seit bald zwanzig. – Ich weiß; schau wir leben in unterschiedlichen Welten, ich bin viel älter als du, ich habe nicht mehr viel Zeit – wie meinst du das, nicht mehr viel Zeit? Wovon redest du? Bist du krank? – Nein, nein. Ich will dir nur sagen, dass wir uns nicht mehr sehen. Du lebst dein Leben und ich meins und fertig; jeder für sich, mit Respekt.

– Ja, ich meine, nein! Wieso den das? Ich kapiere es nicht;  – Es ist besser so. – All die Jahre, wir haben so viel zusammen unternommen, soll das alles…..  – Du willst es nicht verstehen, oder? Irgendwann wirst du; mach es gut – ciao!

Lautes Knacken in der Leitung. Dann Grabesstille. Merkwürdig, dies 2019. Alles lässt los, nabelt sich ab. Was Jahrzehntelang herrlich, wunderbar schien, verabschiedet sich binnen Minuten und Stunden – abgetrennt durch kurzen Schnitt. Merkwürdig – haben Werte, Erinnerungen und Wärme keine Bedeutung mehr?

Habe mir Salat gemacht, griechische Art, Salatgurke mit halbierten Cocktailtomaten. Gurke längs aufgeschnitten und in Ecken geschnippelt – etwas Salz, Pfeffer, Oregano und reichlich Olivenöl, fertig. War total lecker. Hab ein paar Eier dazu gekocht. Ein Glas Rotwein dazu, fertig. Gerade bricht die Dämmerung herein. Es regnet immer noch – vielleicht ist es weniger geworden, aber nicht viel.

Mein Verlag hat sich in den Kopf gesetzt, meine Bücher in Französisch zu übersetzen, keine Ahnung wie er darauf kommt. Der Buchmarkt wäre lebendiger, als der Deutsche. Man hielt mir ne lange Rede, von wegen trockene Wüste, Monokultur und schlechter Dünger; ist richtig wütend geworden, keine Ahnung warum – wir verkaufen doch, oder nicht? Wahrscheinlich ist es der Regen, so wie bei meinem Kumpel auf Mallorca. Irgendwie lösen sich die Menschen auf. Sie werden grau, ganz wässrig. Kein Wunder bei dem vielen Wasser. Bestimmt werden wir bald alle Fische sein.

Nach dem Salat, habe ich eines der Eier gegessen. Ich mach immer ein paar mehr, so kann ich eins zwischendurch oder zum Frühstück essen. Habe beim Aufräumen ein paar Bücher gefunden; kannte sie gar nicht; teilweise waren die Widmungen über zehn Jahre alt. 2006, alles Gute zu Weihnachten und so; war ganz gerührt; habe ich die alle nicht gelesen? Mensch, das ist dreizehn Jahre her. Wo warst du da eigentlich? Achja, du bist nach Hamburg gekommen, bist von einer Insel aufgebrochen, um auf einer Neuen zu landen, gelernt ist gelernt.

Huch, mein Glas ist alle – das ist das Schöne am Regen – reichlich Grund zum Nachschenken.