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31.Juli – KAMPF – Odyssee 2022

War es nicht erst gestern, als ich 30 war? Vergeht Zeit schnell oder langsam? Ist alles sinnlos, oder gilt stattdessen „jetzt erst recht“? Kann man Recht haben, ohne die Wahrheit zu kennen? Kann man schweigen, wenn man etwas weiß, oder muss man es sogar deswegen? Wieviel Erkenntnisse und Erfahrungen gilt es anzuhäufen, bis man Ruhe und Frieden findet?

Ich öffne die Augen.

Weiße Raufaserwände bewachen mich; Aquarelle von Meer.- und Dünenlandschaften senden gewollte Langeweile; in der Spiegelung eines des mit Glas verblendeten geschmacklosen Bilderrahmens spiegelt sich mein rollbares Stahlbett; Medikamente liegen auf dem Beistelltisch.

„Wo bin ich?“

Langsam kommen saure Erinnerungen hoch; der Gendarm, die zwei kräftigen Herren mit der weißen Weste; die Spritze Beruhigungsmittel, die sie mir in den Oberarm knallten; ihre leichten Ohrfeigen, die sie mir mit nur spärlich verstecktem Lächeln verpassten, um mich zu wecken; meine zornigen Blicke, die ihre Schaden-Freude vertreiben sollten, was mit stattdessen ’nen härteren Umgang bescherte.

Wechsel der Medikation – dann Einzelzimmer.

Wie Erdnüsse schmeiße ich morgens, mittags und abends Antidepressiva ein; langsam löst sich die Wut. Aufstauungen der Zeit gebildet. Tag für Tag setzt sich meine innere Häutung fort. Bald bin ich ganz und gar friedlich und gleichgültig. Zwischen meinen Ohren brennt kaum noch Licht. Es langt, um nicht einzunässen.

Am Arsch haben sie mich!

Wegen dem Lachen meines Nachbarn und wegen einer geborstenen Glasscheibe meiner Duschkabine. Was soll’s, dachte ich mir, sogar Weltkriege sind wegen weniger ausgebrochen. Wann werd ich endlich nichts mehr wollen? Wann bekomme ich endlich Ferien vom Leben? Ich lache beim kindischen Gedanken. Soweit ist’s schon gekommen.

Ständig gehen wir uns selbst auf den Leim.

Niemand kann verzeihen. Schon gar nicht wir uns selbst. Längst hatte ich entschieden nicht mehr im draußen, sondern nur noch im Drinnen zu kämpfen. Kein Krieg mit anderen, solange ich keinen Frieden in mir finde. Seitdem meide ich Helden und archaische Egoisten.- und Alpha-Arschlöcher, die welche werden wollen.

Zum Kotzen diese Kreaturen!

Kenn mich da aus; bin selbst so eine – gewesen. Hoffentlich. Sollen das andere beurteilen. Will nicht zu optimistisch sein. Kenne mich gut genug. Ich neige zu Übertreibungen, die sich bis zu Hysterie steigern können. Mit der richtigen Stimmung kann ich mich beliebig oft selbstentzünden. Am Ende können wir nur hoffen & warten.

Und von Zeit zu Zeit – nachschenken.

Dazwischen lesen, schreiben, einkaufen, essen, trinken, duschen, Zähne putzen, auf Toilette gehen, Knöpfe annähen, Hundescheiße ausweichen, Fingernägel kauen, Blumen kaufen, Müll rausbringen, Staub saugen, Überweisungen machen, Steuern und Rechnungen zahlen, bei Rot stehen bleiben, Geburtstage und Versprechen vergessen, übers Wetter reden, gleichgültig und garstig werden, sich zum Sport aufraffen.

Und immer wieder in Wein flüchten.

„Verdammter Brummer!“, fluche ich. Unermüdlich fliegt die skarabäus-farbene Schmeißfliege gegen Fenster und Neoröhren und durchkreuzt meine Gedanken, die dieser insektoide Hubschrauber aufscheucht. Ich spür wie meine Nerven wieder an den Nägeln kauen.

Meine Hände beginnen zu schwitzen.

Schon krallen sie sich in die Bettdecke. Zähneknirschend verfolge ich die Flugbahn. Auf der Haut kribbelt es plötzlich. Ein merkwürdiges Gefühl rauscht mir die Wirbelsäule rauf und runter, bis es sich nach dutzenden Schauerwellen im Wurzelshakra einnistet. Ich spüre, wie mein Herz immer schneller schlägt; schon hechle ich wie‘n Collie im Sommer.

Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.

Verzweifelt versuche ich mich zu beruhigen. Uuerst konzentrierte ich mich in meine Fußsohlen. Ne Zeit lang geht das gut. Ich schließ die Augen, atmete tief ein und aus. Ja so kann es gehen. Langsam geht der Puls runter. Auch die Hitze. Bald bin ich über’n Berg. Wie wild fliegt der Brummer zwischen den Neonröhren rum und erzeugt lautes Gesurre wie Hochspannungsleitungen bei Regen.

„Nein!“, schreit meine Vernunft hinter meinem Körper her,

als ich wutentbrannt aufspring und mit geballten Fäusten und Morgenerektion im Bett stehe. Welch Bild der Verzweiflung und Lächerlichkeit. Bis in die Ewigkeit allen Schwächen und Trieben unterlegen, so wahr mir die verfickten Götter jetzt nämlich nicht – helfen!

Plötzlich spring ich aus’m Bett.

Blutunterlaufene Augen suchen hektisch im Müllkorb. Schnell find ich ’ne Zeitung. Geübt zieh ich einen Teil heraus und faltet ihn fachmännisch. Ein paar Mal fliegt die Stubenfliege um meinen Kopf, was mich nur noch mehr anstachelt. Ein paar Mal schlag ich auf die weiße Raufaserwand ein.

Dann macht sie sich’s an der obersten Fenster-Ecke gemütlich.

Entschlossen packe ich den Stuhl am Kragen und schleife ihn vor die Fensterbank. Entfesselt fluchend bringt sich das Tier in mir in Stellung. „Komm her du kleine Scheißhausfotze! Ich mach dich fertig. Ich kill dich. Ich lege dich um; dich und deine ganze verfickte Dreckspiss- Scheißfamilie. So hier – nimm das – krepier du verdammte!“

Irre wie ich bin steig auf die Stuhllehne und schlag zu!

Plötzlich rutscht der Stuhl weg. Wie’n Schiffbrüchiger gehe ich mit meiner Schamlosigkeit unter. Wellenberge voller Pein und Niedertracht brechen über mir zusammen. Hilflos – bis auf die blanken Knochen erniedrigt paddele ich im Meer der Erbärmlichkeiten. Laut scheppernd, wie ’ne kaputte Wanduhr, deren allerletzter Gong ertönt, geh ich zu Boden und schlage hart mit dem Kopf auf.

Schwarze Nacht legt sich über mich…