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04.September – Karl der Große – Odyssee 2022

Gegen Morgengrauen wachte ich auf. Keine Ahnung warum. Ich befand mich irgendwo in einem Loft, dass ich über AirBnB gemietet hatte. Großer Raum mit Küche, Essecke und integriertem Salon, bestimmt 100 Quadratmeter. Fenster mit durchsichtigen Vorhängen bis zum Boden,

direkt vor der Akropolis.

Draußen schnauften Reisebusse durch die engen Gassen. Irgendein Nachbar hustete sich die Seele aus dem Leib. Eine Frau schrie Unverständliches durchs Treppenhaus. Ein Mann schrie zurück. Ein Kind weinte. Hupende Busse, Autos und Motorräder. Athen.

Lag ich immer noch zu Füßen der Akropolis?

Sicher war ich mir nie. Manchmal wusste ich nicht mehr wer ich war, geschweige wo. Ein gespenstiges Gefühl, wie in ’nem unbekannten Körper aufwachen. Wie weißes Papier, unbefleckt, leer, ohne Inhalt und Geschichte. Zum Glück hielt das nie lange an. Ich wälzte mich im Bett von links nach rechts.

Nichts zu machen – WACH!

Langsam drehte ich mich auf den Rücken, blickte durch die offene Schlafzimmertür in den Salon, dessen breite Fensterfront von Jalousien abgedunkelt war. Olivenduft hatte über Nacht die Luft durchzogen. Rotwein, Sardinen, Orangen.- und Zitronen schwebten ebenfalls über’s Parkett.

Die Vorhänge schliefen noch.

Langsam sanken meine Augenlider nieder. Ich würde es den Gardinen und Sardinen nachmachen. Doch irgendwie blieb ich unruhig. Keine Ahnung wieso. Langsam hoben sich meine Lider wieder, ganz leicht, gerade so, dass Bud-Spencer-Sehschlitze Licht bekamen, um, ja was eigentlich? Keine Ahnung. Irgendwas machte mich unruhig.

Vermutlich mein Über-ES.

Herrlich der Übergang vom Dösen zum Wachwerden. Links von der geöffneten Tür stand ein stummer Diener. Rechts ragte ein Bettpfosten schemenhaft ins Halbdunkel, wie der „Phare de la Jumont“ vor Ouessant am Morgen, bei steifer Brise und Restalkohol.

Wie die Grabkammer des Tut-ench-amun schlummerte der Salon.

Das Sofa zeigte seine linke Schulter; seidenmatt glänzte das Parkett; mühsam beugte sich die elegante Stehlampe im Halbkreis über den Sofatisch; „ziemlich symmetrisch gerafft“, dachte ich, als ich die Vorhänge betrachtete und der Morgen begann, ungeduldig durch alle Ritzen zu drücken. Fast legte ich ab und segelte hinfort.

Doch halt – was war das?

Augen und Ohren horchten angestrengt ins Halbdunkel. Hörten wir was? Ein leises Trippeln, als wenn kleine Kobolde wie Pumuckl oder die Fraggles, die Bude unsicher machten? Oder hatte Herr S. Recht und ich wurde langsam paranoid?

Da war was! 

Wie Joachim von Ribbentrop vor der Urteilsverkündung lauschten Augen und Ohren. „Ich mag den cremefarbenen Ton der Chiffon-Vorhänge…“, murmelte mein Selbst. Plötzlich sprang mir ein dunkler Fleck ins Gesicht.

Was war das?

Am oberen Ende des Vorhanges, wo man den dünnen Chiffon, was auch immer man für ‘nen hauchfeinen Stoff wählte, doppelt oder dreifach zur festen Bordüre vernäht hatte, sah ich ‘nen dunklen Fleck. Bewegte er sich? War er vorher schon da? Oder hatte ich die Gardine gestern lediglich stärker gerafft, so dass sich Schatten bildete?

Vermutlich. Zufrieden döste ich ein.

Irgendwann schoss ich hoch. Vergessen waren dunkler Fleck und buntes Duft-Sortiment. Ich sah aufs Schmartfohn. Halb elch. Fühlte mich ibesser. Voller Energie sprang ich aus’m Bett, missbrauchte den chromfarbenen Metalltopf, der fürs Mixen von Getränken und nicht zum Kochen von griechischem Kaffee gedacht war.

Is like türkischer Mokka – oder umgekehrt?

Gedankenfrei sah mich die Wohnung an, während brauner Sumpf köchelte. „Nett gemacht; viel Raum, wenig Schieh-Schieh und Deko“ Ich öffnete die hinteren Jalousien zur Akropolis – „Licht reinlassen!“ Auf der gegenüberliegenden Seite massierte uns die Sonne. „Nee-nee“, lachte ich, „du bleibst schön draußen“ und blickte in Richtung Fensterfront, als ich vom Blitz getroffen – zusammenfuhr:

Ein dunkler Fleck!

Diesmal in frontaler Vorderansicht. Kein Schatten, keine Bordüre, oder dergleichen. Da saß etwas. Doch was? Eine Spinne? „Meine Güte, ist die groß…!“ Angst hatte ich nicht vor Insekten, aber ab gewisser Größe sagen wir mal – Respekt!

Langsam ging ich näher. Und näher.

Meine Schritte wurden kleiner, je dichter ich kam. ES hatte ‘ne stattliche Größe, fast mein Handteller. Zwei Meter bis zum Vorhang. Eins-fünfzig. Einen Meter. Unverändert starrte ich den Fleck an, der was zum Henker denn nun – war?

Eine gewaltige Küchenschabe!

„Du liebes Bisschen, bestimmt vier bis fünf Zentimeter lang; was für lange Tentakeln du hast; mindestens so lang wie die Schnurrbarthaare von Mantacore, dem weißen Tigger von Siegfried und Roy“ Längst dachte mein Gedächtnispalast an „Die Verwandlung“ von Kafka und den / das Video „Breathe“ von Prodigy.

„Ha’m wir‘ne Fliegenklatsche? Wird nicht langen, der Name sagt‘s schon“

In der Küche hörte ich leises Blubbern. Aus unerklärlichen Gründen dachte ich, dass jenes Geräusch vom großen Bruder der Küchenschabe kam. „Hat vermutlich gefeiert und lässt sich den Abend durch’n Kopf – hoffentlich – in die Spüle gehen!“ Bereit den Kampf aufzunehmen, rannte ich in die Küche.

War nur mein hellenischer Mokka, der mit den Fingern trommelte.

Unüberlegt griff ich nach dem verchromten Topf und hörte leises Zischen, als die Haut von Daumen und Zeigefinger brannte. Es dauerte nicht lange, bis Wellen des Schmerzes meinen Gedächtnispalast fluteten.

„Fuck-Fuck!“

Was für ein Tag. Wütend hielt ich meine verbrannten Finger untern Wasserhahn. Kurz darauf rannte ich zur Kommode, wo mein Motorradhelm lag und kramte meine Handschuhe heraus. „Ha-ha – jetzt bist du fällig; ich mach dich fertig, sag good-bye zur schönen Welt!“

Fix füllte ich kochenden Kaffee um,

wusch den Chromtopf, trocknete ihn mit speer-esker Sorgfalt, drehte auf dem Absatz, stürmte wie William Wallace bei Braveheart zum Vorhang und warf im Lauf meine Lanze auf den vermaledeiten Feind, äh – mein Geschirrtuch auf die Schabe. Sofort raste das riesenhafte Insekt die Gardine herab.

„Boah, bist du schnell, das kann ja was werden“

Bereit zum Kampf stoße ich den schweren Ledersessel beiseite, um freies Schussfeld zu haben; ich erinnerte „Karl der Käfer“ aus meiner Jugend; schon damals mochte ich den Song; währenddessen krabbelte Karl die Gardine wieder hoch.

„Großartig – grenzt an Märtyrer-Todt; hast du‘n letzten Wunsch?“

Sekunden stand ich vor Karl dem Großen am Fuße der Gardine in seinem Kaiserpalast. Karl bewegte sich mit dem Saum, der mich an den Umhang von Clark Kent erinnerte. „Wie weit können Schaben springen“, fragte ich mich.

„Was, wenn er springt und sich an Kopf oder Hals festbeißt?

Wir wissen was Zecken können, was soll da erst so’n Brummer auslösen, ne neue Pandemie?“ Kurzfristig dachte ich an Helm. Mut einredend klatschte ich die Lederhandschuhe zusammen. „Los komm schon, sei kein Feigling!“

Höhnte ich und bekam Angst, als ich mir zuhörte.

Karl saß fest. Feierlich stieß ich Tisch und Sofa beiseite. Exekutionen brauchen Platz. Entschlossen schüttelte ich Karl wie Fallobst vom Baum. Krachend schlug sein Chinin-Panzer auf den Boden. Klang erwachsen. Doch sein kaiserlicher Glanz war dahin. „So schnell kann’s gehen!“ Karl rannte los. „Verdammt bist schnell!“

Wie Carl Lewis rannte ich hinter ihm her.

Ben Johnson würden wir nicht unterbieten, aber nur wenige bewegten sich diesen Morgen so schnell wie wir. Karl schaltete den Turbo ein. „Wahnsinn, was‘n Glück das du kein Springer und Flieger bist; nicht auszudenken, wenn du mir bei voller Fahrt gegen den Motorradhelm knallst!“. Genau jener Gedanke machte meine Mission – groß!

Schon sprang ich.

Wie Supermann flog ich über Karl und sah, wie er sich unter mir abstrampelte; schon bekam ich Mitgefühl. Was, wenn er Familie hatte? Vielleicht war alles nur ein Missverständnis und wir sollten als Europäer miteinander reden.

Aber griechische Schaben?

Ich tue mich schon mit Deutschen schwer. Lykurg und Leonidas jedenfalls hätten mich ausgelacht, wenn ich jetzt zögerte. Vermutlich lachten sie sowieso, weil ich Handschuhe trage, um‘ne Schabe zu erschlagen, während die mit Sandalen auf Perser losgingen.

Ich gehe mit Sandalen nicht mal vor die Tür,

geschweige nach Persien! Es gab kein Entrinnen für Karl. Ich entschloss zuzuschlagen. „Bamm!!“, schon sauste meine Vollstrecker-Hand nieder und schlug so stark auf‘s Parkett, dass die stille asiatische Touristin im Stockwerk über mir vor Schreck einen Pups machte und errötete.

„Hab ich dich! Ein Schurke weniger!“, frohlockte ich.

Und rannte siegreich zur Küche, um mein Kalumet zu entzünden und mit den Göttern Friedenspfeife zu rauchen – und – mir Wein einzugießen. „Ist schon Mittag“, dachte ich. „Doch zuerst Tatort reinigen“ Mit Haushaltstuch bewaffnet sah ich Karl platt vor mir liegen. Als ich ihn packen wollte, strampelte er plötzlich mit Beinen und Armen.

Erschüttert fuhr ich zurück.

Was für ein Lebenswille. Kam Karl aus Sparta? „Warum habe ich Karl nicht einfach rausgetragen? Er könnte mit Kumpels einen Trinken! Zu spät, hättest du früher drauf kommen sollen!“, ging ich mit mir hart ins Gericht. Jetzt musste ich Karl erlösen, oder in die nächstbeste Asklepios-Klinik bringen. Dort heilt man ähnlich lebensverlängernd.

Ein zweites Mal donnerte meine eiserne Faust aufs Parkett.

Diesmal spürte ich, wie Karls Leben durch meine behandschuhten Finger rann. Voller Respekt und Pietät nahm ich seine irdische Hülle und legte sie feierlich auf den Balkon des Nachbars unter mir in die warme Athener Sonne.

„Mögest du größeren Tieren

ein Festmahl sein und den evolutionären Kreislauf moralisch wertvoll schließen, wie eine erfolgreiche Bilanz am Ende eines zufriedenen Lebens!“, schloss ich meine Andacht. Karl der Große wäre so oder so, wie wir alle, irgendwann gestorben.

Ein glorreiches Ende in ruhmreicher Schlacht,

vermutlich der sehnlichste Wunsch eines maskulinen virilen Lebewesens in zweiter Lebenshälfte. Karl aus Sparta – und ich – der fünfzig jährige Vollstrecker aus Theben. Hätte nicht gedacht, dass ich mal Sparta besiege.

Doch am Ende gab’s ausgleichende Gerechtigkeit.

Insekten überlebten uns

Menschen…