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Hört das denn nie auf? Odyssee 2019 – CW45

Gehe raus. Muss mal wieder an die frische Luft. Kannst nicht immer nur. Genau. Essen, trinken, schreiben, schlafen und von vorne. Kann man. Geht natürlich. Ist aber nicht gesund. Man verkauzt zu schnell. Implodiert irgendwann. Und niemand nimmt Notiz. War halt’n Einsiedlerkrebs. Schade eigentlich. Müssen wieder einkaufen. Porree, Gurken, Feta, Milch, Brot und so. Zur Tagesordnung geht man schnell wieder über. Eben noch schwarz getragen, morgen schon wieder fremd oder bekannt gegangen.

Gehe über die Pont Neuf. Meine Lieblingsbrücke. Sogar Sonne gesellt sich dazu. So neu ist sie glaube ich gar nicht. Bestimmt schon drei oder 4. Mindestens. Haben ewig gebraucht sie fertig zu machen. Fast hundert Jahre. Da hat der BER noch reichlich Zeit. Wahrscheinlich macht es mehr Sinn, ihn direkt in ein Museum umzubauen. Dann wären die Berliner ihrer Zeit voraus. Museum für Luftfahrt. Wisst ihr noch. Damals, mit Kerosin und so alles, bis wir dann mit Solar, Brennstoffzellen, dank Greta T. rumflogen.

Bleibe in der Mitte der Brücke stehen. Sehe mich um. Sonne. Herrlich. Zwar ist der Wind frisch. Halb so wild. Warm wird’s einem beim Gehen. Roller fahren träge an mir vorüber. Hier und da Räder. Paare, manche Hand-in-Hand. Viele nicht. Smartphones an Ohren. Oder Kopfhörer. Hier und da besetzte Bänke. Essensgeruch überall. Alles ran an den Napf. Schlendere weiter. Biege Richtung Westen ab. Cypress-Hill-Seite. Hotel Dieu. Gottes Hotel. Wusste nicht, dass es nur dieser kleine. Nicht die ganze Welt? Hm. Beschwindeln uns wo sie können, die Kirchen.

Viele Jogger. Alles Frauen. Zähle acht. Zwischen 25 und 35. Wo bleiben die Jungens? Sitzen vor der Konsole. Oder noch im Bett. Oder Machen den Haushalt. Greta. Finde beeindruckend, was die macht. Polarisiert enorm, die Gute. Kenne einige, die sie für’ne Populistin halten. Nenne keine Namen. Ist mir unangenhem. Pessimisten wittern überall Verrat, Verschwörung, Lug und Betrug. Kann man nichts machen. Lächeln, winken & weitergehen. Nicht schlimm. Stirbt aus.

Schreite weiter, zum kleinen Wasserfall. Nicht vergleichbar mit dem Rheinfall. Aber immerhin. Dann über die Katalanen-Brücke. Noch mehr Joggerinnen. Alles Frauen. Zähle zwölf. Zwischen 20 und 30. St.Cyprienne scheint jünger, könnte man denken. Netter Stadtteil. Schön öddelig. Ganz ohne gebügelte Messingschilder von Anwälten und Ärzten. Ansehen. Merkwürdige Sache. Scheint enorrm wichtig. Messingschilder. Schwarz eingravierte Namen, mit und ohne Titel.

Wechsle die Flussseite. Jetzt wieder nördlich. Seite der Gutmenschen. Reich und gut. Stehen auch mehr Kirchen rum. Gut und gläubig. Und schön. Bleibe am Place Saint-Pierre stehen. Gehe runter ans Wasser. Haben das Ufer nach langer Bauphase wieder freigegeben. Sonnenschein. Haben jetzt viele Bänke da. Super. Setze mich. Rein ins Sonnenlicht. Wunderbar. Döse ein wenig vielleicht 10. Könnten auch 20 oder 30. Auch hier, nur Läuferinnen. Zähle sieben. Zwischen 30 und 40. Dachte es mir. Großbürgerliche Puttengesichter.

Beobachte eine Möwe. Fliegt immer kleiner werdende. Stürzt sich plötzlich herab. Kommt mit ’nem Fisch im Schnabel wieder hoch. Große Gräte. Hat Mühe ihn im Schnabel. Nur wenige Sekunden später kommen zwei Weitere. Wollen ihr den Fisch abjagen. Nach ner halben Minute sind es 5, die ihr kreischend hinterher. Verzweifelt fliegt sie Zick-Zack-Kurse. Wirbelschleppe aus Brüdern & Schwestern. Ist es Hunger. Neid, Missgunst. Wahrscheinlich Sozial-Darwinismus oder so. Hoffe, sie hält durch & kann den Fisch genießen. Vieles wird einem strittig gemacht. Nicht nur in der Tierwelt.

Schaue hoch. Zieht sich zu. Jetzt aber. Gehe strammen Schrittes zur Place-de-la-Daurade. Quere Place-Esquirol, dann Place de la Trinité. Viele Plätze & Brücken hier. Fängt an zu regnen. Gutes Timing. Kurz in den Carfour-Express. Porree & Brot. Koche heute. Mag Gemüse. Fast jede Form. Fenchel ist speziell. Kann toll sein. Kriegt aber nicht jeder hin. Lass heute die Finger davon. Kurz zahlen. Kassiererin merkt nicht, dass der Porree zu lang für die. Stützt sich links und rechts ab. Zahle 15 Cent. Günstigster Porree meines Lebens. Wird super schmecken. Nieselt draußen. Als ich aufschließe kommt die Sonne wieder. Zehnter November. Wie Frühling. Fast.

 

Obdachlose

Liebe Hinz und Kunzt Redaktion

Seit Jahren lese ich euch und ich möchte euch sagen, immer sehr gerne.

Aber seit heute, Samstag den 27.01.2018 – nachdem ich eure aktuelle Ausgabe fertiggelesen habe, bin ich jemand anderes geworden.

Keine Ahnung warum, oder wieso – ist alles nicht wichtig – richtig ist jedoch,
dass ich die Ausgabe zur Seite gelegt und geweint habe – einfach so.

Die Tränen liefen und liefen – sie hörten gar nicht mehr auf – und sie tun es immer noch – während ich diese Zeilen hier schreibe.

Plötzlich sprudeln so viele Dinge aus meinem Kopf – auf einmal sind so viele Fragen und Bilder in meinem Gedächtnispalast – steht mir soviel Fassungslosigkeit im Gesicht und wuchert soviel haltloses Unverständnis in meinem kleinen Garten, dass ich diese Dinge loswerden muss.

Verzeiht mir daher bitte, wenn manche meiner folgenden Fragen naiv klingen, oder euch verlegen machen, weil ihr durch eure Erfahrungen soviel dichter am Leben seit – denn nachdem meine Tränen jetzt anfangen zu trocknen, überkommt mich Scham, Wut und Zorn – und das reichlich!

Scham, weil mich der Artikel über Nicole so sehr mitgenommen hat, dass ich wirklich nicht weiß, ob ich mein Leben, so wie ich es bis eben gerade geführt habe, so weiter vor sich hintröpfeln lassen kann.

Wut, weil ich den menschlichen Reflex, sich hinter Vorschriften zu verstecken, sich hinter ihnen immer mehr zur Regungslosigkeit zu verbarrikadieren, so peinlich und unmenschlich empfinde, dass es mich ankotzt.

Und zu guter Letzt – Zorn – weil Gesetzte und Vorschriften von Menschen für Menschen gemacht worden sind, um unser gesellschaftliches Leben, im Rahmen der Gesetze zu organisieren und zu fördern – daher sollten sie entweder schnellstens abgeschafft oder geändert werden, wenn sie den Menschen nicht oder nur teilweise gut tun und sei es nur ein repräsentativer Einzelfall – und parallel fangen wir endlich an, sie ab sofort als roten Faden mit Flexibilität und Bemessensspielraum zu sehen, um in unserem gemeinsamen Alltag der Wärme und Menschlichkeit Vorrang zu geben, auch wenn es heißt, eine Verordnung kurzfristig zu beugen!

Wie ist es möglich, dass in dieser reichen Hansestadt auch nur ein einziger Mensch obdachlos ist? Wie? Könnt ihr mir das mal erklären?

Wissen wir, wie viele in Hamburg auf Platte leben? (Ich bin mir sicher, ihr wisst das) Sind es so viele, wo doch unsere Stadt, unser Land so reich ist? Wie kann das sein?

Wieviele leerstehende Wohnungen haben wir in unserer Weltstadt Hamburg?

Können wir die Herzen der Menschen mit Vermögen nicht erreichen? Ist es so schwer, dem Hamburger die Augen zu öffnen? Halten wir Hanseaten uns nicht für modern, hilfsbereit und ehrbar genug, die Obdachlosigkeit mit allen Mitteln, mit vereinten Kräften abzustellen?

Ich halte fest: Fakt1 – wir haben vermutlich mehrere Hundert Obdachlose und vermutlich ausreichend Vermögen in der Stadt, um sie alle von der Platte zu holen, ohne dass auch nur ein Spender seinen Lebensstandard reduzieren muss.

Fakt2: Unsere Obdachlosen haben die gleichen Rechte, wie jeder andere Bürger und Mensch – Menschenrechte eingeschlossen. Ihnen gebührt der gleiche Respekt, die gleiche Achtsamkeit und Höflichkeit, wie jedem Anderen, mit einem großen Unterschied – sie sind mehr an der frischen Luft, mit widerstandsfähigen wetterfesten Appetit und haben daher eine robustere Gesundheit, weswegen sie in Gänze vermutlich weniger krank und auf der Coach sind!

Wenn ich also meine Synthese zusammenfassen darf, steht für mich Folgendes fest: Ich werde NICHT so weitermachen wie bisher – ich werd mir etwas einfallen lassen und zwar zeitnah – ich halte euch auf dem Laufenden – ich möchte, nein ich MUSS bei mir anfangen – sofort – ich hasse es, nur zu reden – ich werde handeln – das  verspreche ich.

Das schulde ich den Obdachlosen Bürgern und Menschen Hamburgs.

Don Tango