Heute morgen hatte ich ‘ne Eingebung. Ging dabei um Nationen und so. Beim Drübernachdenken fiel mir auf, dass Nationalstolz im Grunde nur für Politiker und Regierungen und so – genau. Wenn man Deutsche und Franzosen fragen würde, was ihnen wirklich wichtig ist, dann vermutlich, dass alles bleibt wie es ist.
Stellen wir uns vor, wir können weiterleben wie wir‘s gewohnt sind,
müsste es uns dann nicht egal sein, zu welchem Land, zu welcher Nation wir gehören? Wenn Sprache, Umgebung alles bleibt wie’s ist, also wirklich alles, dann könnten wir morgen alle Russen sein, ohne dass man einen Unterschied merkte. In Frankreich würde sich lediglich die Reihenfolge der Tricolore ändern.
Selbst die Farben blieben gleich, was will man mehr.
Mit dem GröFaZ hatte man ja schon Erfahrungen gesammelt, wie man nahezu ohne Beschädigungen Paris einnehmen ließ. Lasst Lebenskultur statt Waffen sprechen, wer sagt bei Champagner, gutem Essen und Wein schon nein, noch dazu, wenn Frauen und Musik dich begleiten. Damals hatten die Franzosen den Dreh raus.
Und heute?
Heute würde ich wetten – auch. Man bräuchte seine Armee lediglich in nachlässig-elegante Kleidung mit Schal stecken, ein paar französische Redewendungen und Verhaltensweisen lernen lassen, wie z.Bsp. Rotwein geschickt im Sonnenlicht wälzen und um 12:30 jeden Napf in Frankreich besetzen, schon wäre ganz Frankreich besetzt.
Moment mal, ganz Frankreich?
Ja, ganz genau – ganz Frankreich! Wenn man dann nämlich um 13:00 zuschlägt, ist La France am Futtern und wird sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, bis nicht in aller Ruhe Nachtisch, Käse und Digestif sorgfältig verzehrt und verarbeitet wurden.
Wenn dann Wladimir im Elysee-Palast
eine erste Radio & TV-Ansprache halten könnte, wo er sich Arm in Arm mit Emmanuel zeigt und beide bekanntgeben, dass man sich erfolgreich in Russland integriert hat, weil die Russen im Gegenzug die französische Kultur annehmen, dann könnte man das doch eine gelungene Fusion nennen, oder nicht?
Deutschland würde sich wie von selbst anschließen,
bei der Aussicht, diesen Riesenladen durchoptimieren und organisieren zu dürfen. Allen wäre geholfen. Keine Toten, kein Theater, nur zufriedene satte Gesichter. Die Deutschen würden 100 Jahre brauchen, wenn sie’s überhaupt schaffen, weil die Franzosen mit ihrer Lässigkeit und gutem Wein und Essen den arbeitswütigen Deutschen allen Wind aus den Segeln nähmen.
Welch‘ Traumland wäre dies neue Russland.
Vielleicht könnten wir uns dann durch die Hintertür mit den Ukrainern einigen, dass ganz Europa und Asien halt „Ukrasien“ heißt. Nie wieder Probleme mit Ressourcen und Kultur, geschweige Krieg. Vorausgesetzt, Politiker machen Politik für Menschen und nicht für’s eigene Portemonnaie oder um das Ego zu befriedigen.
Okay – klingt utopisch.
Aber warum nicht, dachte ich mir beim zweiten Café? Na gut, mir ist klar, so einfach wird das vermutlich nicht. In la Trance, pardon – La France – spielen die Elite-Unis eine traditionell große Rolle. Zum Beispiel die École Polytechnique. Deren Motto lautet, Achtung bitte festhalten, jetzt geht sie nämlich los, die wilde Fahrt in die Vergangenheit:
Pour la Patrie, les Sciences, la Gloire
Kann man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Für’s Vaterland, die Wissenschaften und den Ruhm. Na wenn das nichts ist. Da steht nichts von wie zum Beispiel „für die Menschlichkeit, Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit“ Deserteure wurden hüben wie drüben standrechtlich erschossen. Man war Vaterlandsverräter, hat Opa erzählt.
Wen verriet man da eigentlich genau?
Sollte das nicht alles freiwillig sein? Sollte man sich das Land, zu dem man sich hingezogen fühlt nicht freiwillig auswählen können und dürfen? Macht man ja auch beim Partner. Zumindest bei einer Vielzahl von Nationen macht man das noch so. Wenn einer „nein“ sagt, dann eben nicht. Soll er halt weg.- wonaders hin gehen, oder nicht?
Mit „Chers compatriotes……“
Beginnen alle Ansprachen von Manu Macron. Klingt vielleicht irgendwie militärisch, heißt aber, wenn ich mich richtig erinnere, „liebe Landsleute…“. Wen meint er? Alle Franzosen? Vermutlich. Dann meint er mich damit nicht. Ich bin also seiner Ansprache zur Folge, ausgeschlossen, vermutlich so auch einige andere hunderttausende. Warum sagt er nicht „Liebe Bürger und Bewohner von Frankreich…“
Ginge das nicht – auch?
Wählen darf ich auch nicht, egal ob mit oder ohne geänderte Ansprache. Darf man nur als Franzos‘, also mit Pass und so. Dafür muss man aber einen Test machen. Dort wird geprüft, wie gut ich Sprache und Kultur kenne. Was bedeutet, dass, wenn ich sie eben nicht gut genug kenne – im Test durchfalle.
Kommt für mich also nicht in Frage.
Solange man meint, etwas an mir „abprüfen“ zu müssen, wird das nix. Bin lieber ein guter Europäer, als ein guter Franzos‘, was auch immer in diesem Zusammenhang „gut“ bedeutet. Zumindest fühle ich mich eher als Europäer, als irgendetwas anderes, und das nicht nur weil Εὐρώπη im Altgriechischen „Vielfalt“ heißt.
Wie komm‘ ich jetzt vom schweren Thema weg?
Nichts leichter als das. Als guter Franzos‘ der ich angeblich geworden bin, dreht sich alles um Essen und Trinken. Politik, Wirtschaft, Menschenrechte und so stören da nur. Hauptsache lecker futtern und gud‘n Wein. Dann klappt’s irgendwann auch mit umweltfreundlicher Atomkraft, Mülltrennen und menschenfreundlicherer Ansprache.
Bis dahin, vive l’Europe, vive les fêmmes…