„Kacke! So ein Mist!“ … Hatte ich doch gestern glatt vergessen, Petersilie und Koriander auf’m Markt zu kaufen … Es nützte alles nichts, fix rein in Schuhe und Jacke und ab zum Markt von Les Carmes, zu meinem Gemüse-Mann Eric … Seit kurzem duzen wir uns … Zwar fragte ich Eric gestern nach
den Kräutern,
aber wir plauderten und wurden von Kund*innen unterbrochen, weswegen die Kräuter uns beiden durchs Sieb fielen … „Macht ja nichts“, entschuldigte ich mich bei meinem Selbst … Bei der Gelegenheit nahm ich mein Leergut vom gestrigen Abend mit … Jeweils eine Flasche Bier und Flasche Wein, eigentlich ganz respektabel,
fand ich.
Es fing an zu nieseln … „Auch das noch! Naja, wollen uns mal nicht beschweren“ … Spreche immer öfter im Plural, wenn ich mit mir rede, keine Ahnung warum … Endlich drinnen im Markt … Wie eine neugierige Drohne umfliege ich Gänge und Stände … Märkte liebe ich seit ich klein bin, die
Gerüche, Farben, Menschen.
Auch mein gestriges Telefonat mit Kumpel K. dem Badenser rief sich in Erinnerung … K. ist ’ne echte Granate, unser Telefonat, kam völlig überraschend … War Rainer Zufall dass ich auf’s Handy sah, als er genau in dem Moment anrief … „Hä? Was will DER denn, noch dazu per Telefon. Merkwürdig“ … Aber meine Neugier blieb auch heute
größer als meine Faulheit
zu sprechen … Seit kurzem beobachte ich in mir ‘ne wachsende Unlust zu plaudern, hab wirklich keine Ahnung warum … Mutig nahm ich ab, da K. immer auf Zack ist als wär er beim Militär … „Servus Badenser“ … Lautes Schwarz-Weiß-Lachen, Stil Hofbräuhaus, meine Ohren klingelten wie die scheppernden
Sirenen einer Werft.
„Grüß Gott Preuße! Und? Was macht die Kunst?“ … gerade wollte ich antworten, da ballerte die Stalinorgel aus Baden-Baden schon los … „Samma, du hattes mich doch gestern nach Xy gefragt, nicht wahr? Darf man fragen, warum?“ … wieder holte ich Luft, nahm Anlauf, versuchte mit aller Kraft dieser kraftstrotzenden
Rheinischen Frohnatur
einen, oder beide Füße in die Tür zu stellen, vergeblich … „Xy ist ein Guter. Wie du weißt sag ich das nicht oft … Wenn du mich fragst, dann ist er“ … K. schüttete sich weiter aus, er lief richtig warm … Ganz klar gehört er zu jenen, denen ich gern zuhöre … Was zeichnet Baden-Badener, den wahren Badenser aus?
Was den Preußen?
Fragte ich mich, während K. weiter Pirouetten drehte … „wirklich, das hättest du sehen müssen, war ’ne Wonne dabei zu sein, also so eine geile Unverfrorenheit, dass keiner aufschrie und wutentbrannt den Raum verließ, ein Husarenstück“ … K. lacht mehr als ich, glaube ich … Sind Badensener etwa
Fröhlicher?
Mein Kumpel lief heiß … „was mich wieder zurück zum Anfang führt, du hast nämlich meine Frage nicht beantwortet, erinnerst du das? Okay, ich helfe dir: Warum hast du mich nach Xy gefragt?“ … Vielleicht klappte es jetzt … „Erinnerst du dich daran, dass ich letztes Mal darüber sprach, dass ich“ … Ich wollte, musste ihm irgendwie
die Hintergründe erklären,
damit er wusste was Sache ist … während meine Gedanken kopfüber in gestriger Unterhaltung steckten, drehte ich eine Runde um zwei Käsetheken, zwei Schlachter-Stände, sowie die zwei nebeneinander stehenden Fischhändler, bevor ich beim Stand von Eric landete … „deswegen dachte ich, das du vielleicht“
Weiter kam ich nicht.
K. fuhr wie eine Kreissäge zwischen meine Worte … „Sag mal, merkst du, dass du meiner Frage ausweichst, dass du mir gar keine Antwort gibst“ … Jetzt wurde es gemütlich, dachte ich … Geduld war, wie ich sehr gut weiß, nicht die Lieblingsmethode meines
Badener Kumpel,
um Unterhaltungen frisch, fromm, fröhlich und frei zu fördern … diesem zu Fleisch gewordenen AK-74 musste ich einen Stein ins Magazin legen, um ihn zu unterbrechen … „Boh-boh-boh, mein Lieber! Jesus Maria Mutter Gottes, beim Barte des obersten Rosenkräuzlers, Helge Schneider, ich bin keine
Maschine,
sondern ein Mensch! … Also wirklich, wir unterhalten uns doch nicht, als ob wir Tore schießen, du liebes Bisschen … Schau, ich möchte dir ein wenig den Hintergrund skizzieren, damit du“ … schon seit Jahren weiß ich, dass mein Kumpel es gerne knapp und kurz hat, gleich einer
Block-House
Bestellung, wenn du, kaum das du sitzt und die Karte aufgeschlagen hast, gefragt wirst, was du Essen, was du bestellen möchtest … „Gerne und Sofort“ der Slogan von Eugen Block … „Aber ein bisschen plötzlich!“ … Wohin man auch sieht, Effizienz, Exzellenz und Höchstleistung … nichts geht nur einfach mal so locker und gemütlich … Alles ist angespannt, steckt in Startblöcken und
selbigen Löchern.
„Wollen wir unsere Lebenszeit wirklich mit Einwortsätzen verschönern? Oder doch lieber“ … Welch schöner Moment … zwei gegensätzliche Charaktere kommen zusammen, prallen aufeinander, was ein Gerangel, bis man die goldene Mitte trifft … K. findet knappe Antworten … binäre Antworten wie
„Eins“ und „Null“
total gut … Alles in seinem Leben macht er so … Kumpel M. ist auch so ein Kandidat … Vollgas, oder Sofa, alles oder nichts … Irgendetwas dazwischen? Schwierig … Aber ich wollte K. nicht wuschig machen, langte ja wenn er das mit mir macht … „daher ist der Grund, dich nach Xy zu fragen nämlich“
„Okay, alles klar. Hab ich …“
Endlich konnte Kumpel K. seinen Dominostein an meinen legen … Wie schön, es konnte weitergehen … Längst stand ich bei Eric vorm Gemüsestand, als K’s Polonaise mir immer noch durch die Birne rauschte, wie der TGV von Paris nach Bordeaux … „verstanden, du musst nämlich wissen, das Xy in den
nächsten Monaten
eine neue“ … überrascht sah mich jetzt auch Eric an „Salut, na? Hast du was vergessen?“ … jetzt musste ich laut lachen … „allerdings, ich habe gestern Petersilie und Koriander vergessen, außerdem sieht dieser halbe Sellerie gut aus, siehst du? Zack! Den nehme ich auch mit“ … Rechts von mir steht
eine alte Dame,
elegant gekleidet, mit reichlich Chanel No.5 eingesprüht … sie versucht ohne Zähne zu sprechen, hat sie wohl im Wasserglas auf dem Nachttisch stehen, während Kukident-3-Phasen Tabletten sie schön „sauber und frisch“ sprudeln … erstaunlich, wie sich 80iger-Werbung unvergesslich tief in unsere
Synapsen gefressen haben,
ich meine etwas ähnliches wie Salat verstanden zu haben … begreife jetzt, warum mich die Formlosigkeit ihres Mundes so irritierte, dahinter versteckten sich lediglich Gaumen und Zunge … Eric schien sie zu kennen, hielt mir gleichzeitig das Lesegerät hin, damit ich währenddessen mit Karte zahle … „alles klar,
schönen Nachmittag“
Eric lief um seinen Stand rum, um der Lady zu helfen, während Kumpel K. weiter in Hochform in meinem metaphysischem Hippodrom herumfuhr … „jetzt weißt du über Xy Bescheid, hast du sonst noch ‘ne Frage? Übrigens, was machen eigentlich deine Pläne, in Richtung Hellas“ … jetzt spukten schon drei Stimmen in meinem
armen Kopf rum,
während ich den halben Sellerie, Kräuter und den Jutesack in Händen halt … Er ist tatsächlich aus Jute, man hält‘s kaum im Kopp aus … „kann ich den Sellerie so nackt reinlegen“ … gesellte sich meine eigene, die Vierte Stimme zu K. und Eric, der aus dem von zwei schlangenförmigen Lippen
umarmten Loch
dieser eleganten alten Lady versuchte, Worte und Bedeutungen herauszufischen, während sich Jutesack und der nackte Sellerie immer noch nicht verheiratet hatten … Heute war ein Tag zum Verrücktwerden, ja wirklich … Geduldig ließ ich die vier miteinander plaudern, packte das borstige Gemüse
beim Schopf,
schmiss es in den Stoffsack und zog von Dannen … Einen kleinen Umweg machend, um zu schauen, ob mein Viertel noch einigermaßen wiederzuerkennen ist, oder ob es sich mit noch mehr Hochglanz schmückt, seit ich 1,5 Wochen weg war … „Ach, Scheiße!“ … Jetzt fing es richtig an zu regnen.
„So ein Fuck!“
Wer fluchte da eigentlich? Wer ist dieser vermaledeite Kesselflicker, wo kommt er her? … Fragen über Fragen, ein ganzes Leben … Längst war Kumpel K. mit seinem TGV auf dem Weg zurück nach Paris, seine Stimmer ratterte mir durchs Gehirn, jeden Schuss seines AK-74 genüsslich rausrotzend, als gäb’s
kein letztes Mal.
Reste vom Chanel No.5 der eleganten alten Lady hielten sich in meiner Nase fest … Nieselregen pieselte mir ins Gesicht, Wind ließ meine lange Matte rumwirbeln, da war er nun, der Herbst … Rechts abgebogen in die Rue Pierre de Fermat … „Lass uns bloß flott nach Hause gehen“, redete ich mir Mut zu,
als plötzlich,
ganz schemenhaft, wie U-96, sich etwas aus dem Nebel und Regen erhob … zwischen den Mopeds & Motorrädern, da sprang mir ein merkwürdiges Kennzeichen ins Gesicht … War das nicht ein Deutsches? Eventuell sogar, warte mal … Was lese ich? Bad Oldesloe? Sieh an sieh an: Sogar ein Preuße! So-so, jetzt sind sie also schon wieder hier,
wie vor 80 Jahren …