Hohwacht – Odyssee 2024

Dunkle Wolken hingen über der Ostsee, als ich über den balligen Rücken der B202 Richtung Wasser fuhr … Leise surrte der Motor, ein laut quietschender Scheibenwischer ließ mich an Krimis denken … langsam ruckelte ich durch den Nieselregen …

Windböen schüttelten …

meine leicht geöffnete Fensterscheibe … „Guten Tag, schön dass Sie anrufen … Sie müssen bestimmt Herr … Wissen Sie schon, ob Sie heute Abend bei uns Essen? Wir haben frischen Steinbutt in Balsamico-Schaum, dazu Gnocchis und Saisongemüse, oder Kalbsrücken auf …“

die Rezeption hat was zu erzählen …

„Hallo? Hören Sie?“ … ich grüble über die vielen Fragen … von jeher tue ich mich schwer im Voraus über unbekannte Gerichte nachzudenken, geschweige Weine … in der Buchungsbestätigung bat man darum, den vollen Betrag idealerweise …

3 Wochen vor Ankunft zu überweisen …

sowie ungefähre Ankunft und Speisenwunsch rechtzeitig zu äußern … ein Teil meines Gedächtnispalasts springt auf Wort und Bedeutung von „rechtzeitig“ … vermutlich gibt es zwischen Norddeutschland und Südeuropa unterschiedliche Auslegungen …

„Hallo? Sind Sie noch dran?“

Mist! Offensichtlich habe ich nicht nur die zweite Hälfte der E-Mail überlesen … mich interessiert ob mein Zimmer bereit steht, sonst nichts … im Vorwege, drei Wochen vorher zu zahlen … finde ich irgendwie ungewöhnlich …

Hab ich’s deswegen überlesen?

Pünktlich gegen zwanzig Minuten nach vier komme ich an … „Herzlich willkommen im Hotel Seeschlösschen!“ … Was für ein Name, denke ich … Schlösschen … wann sagt man Schloss, wann Schlösschen … Noch immer kreist „rechtzeitig“ in meinem Thalamus rum …

„Sie haben die Junior-Suite, #46 …

Folgen Sie mir, ich zeig ihnen alles“ … er käme aus Rheinland-Pfalz sagt der kleine drahtige braunhaarige Mann von der Rezeption … sein lebendiges Fretchengesicht, dessen Biss schien er mit Ausdauersport und zölibatärem Fleiß in Form zu halten …

Eine kurzgeschorene …

Schlagermähne lässt seine Hände alle 5min durch die Haare fahren … jede meiner merkwürdigen Fragen und Anmerkung pariert er mit einer seidig-netten Erklärung, oder mit seinen häufig gebrauchten Worten … „Machen wir gerne! … oder … „Sehr gerne!“ …

Ein höflicher Mann …

Stolz führt er mich durch sein Schlösschen, das in Wahrheit ein Traum aus Glas, Granit und Edelstahl zu sein scheint … „Unser Wellnessbereich befindet sich im Keller; wenn Sie die Sauna benutzen kostet das 20€ extra … sagen Sie uns gerne“ … schon wieder dies Wort …

„eine Stunde vorher Bescheid!

Frühstück von 7:30 bis 11:00 Uhr; Abendbrot von 17:30 bis 20:00 … folgen Sie mir!“ … wir schweben durch viele Gänge, benutzen ’nen gläsernen Fahrstuhl … hin und wieder zeigt er hier hin und dort hin, während er herumtänzelt, wie Ricky Martin …

„Ich nehme den Fisch!“

Presse ich endlich hervor … was für eine schwere Geburt … wir preschen durch die Juniorsuite, ganz schön üppig, diese Maisonette-Bude … er lächelt mir schelmisch zu, als er mir das dritte Bett unter der Dachschräge zeigt … und seine Haare dabei nach hinten wirft …

Jetzt hab ich’s …

An einen Torero erinnert er mich … stolz, kerzengerade steht er vor mir … vielleicht hat er mal Leistungsturnen gemacht … seine lebendigen Augen werden von sorgfältig gezupften Brauen bewacht … wenn sich sein Oberkörper vor Lachen, Staunen, oder Wundern …

nach hinten biegt …

denke ich an Julio Iglesias und Alain Barrière und „Tu t’en vas“ … Alain reicht mir die Schlüssel und schwebt hinfort … mir schwirrt der Kopf … erschöpft lass ich mich aufs Bett fallen … und tatsächlich, ich ahnte es … segle ich für eine Stunde weg …

Irgendwann schieß ich hoch …

Mühselig rapple ich mich auf … „Wo bin ich? Achja, Hotel Seeschlösschen!“ … beim Eintreten entdecke ich eine Terrasse, auf die ich zielstrebig zusteuere und mich in einen Strandkorb fallen lass … ein netter Mann aus dem Baltikum kommt herangeflogen, lächelt mit …

40 Zähnen …

und vier Zahnlücken … zwei oben hinten rechts, eine oben links und eine unten hinten rechts, von ihm aus gesehen … „Schönen guten Tag, was wünschen Sie, kann ich Ihnen etwas bringen?“ … Kännchen Kaffee und Bier für denselben Gast bringen ihn …

aus dem Gleichgewicht …

Ein wenig weiter sitzen vier ehemalige Lehrer um einen Tisch herum, zwei Männer, zwei Frauen, gleiches Alter, 70-80, alle mit praktischer Kurzhaarfrisur … „Es ist so schade, dass die jungen Leute von heute nicht mehr arbeiten wollen … 35h, am besten vier Tage Woche …

unsereiner dagegen …“

Abwechselnd dozieren sie über Anstand, Erziehung und warum junge Generationen so fahrig & schlecht unterrichten … „Man muss den Umgang mit Zuwanderer-Kindern erst einmal lernen … deren Niveau ist nicht vergleichbar, mit dem Landesüblichen …“

Seufzen, gemeinsames Lachen …

Bei leidenschaftlichen Themen streichen sich die zwei Damen über ihre sorgfältig gebügelten Blusen und zupfen seidene Einstecktücher zurecht … am anderen Tisch sitzt eine ältere elegante Dame, deren wuscheliger Hund ständig bellt … weil er Stimmen hört …

Hunger hat, oder gelangweilt ist …

In allen Fällen bekommt er vom Stück Torte seines weißhaarigen Frauchens … kein Wunder, dass sein Bauch mit den kurzen Beinen beim Ausatmen gefährlich übern Boden streicht … ganz im Gegensatz zum Leinenende, dass einen asketisch-gepflegten …

Bewegungsapparat durchs Leben schiebt …

„Sooo, bitte-schön … ein Kännchen Kaffe“ … erfreutes Nicken meinerseits … „Sehr gerne … und das Klüvers, Rotbier dazu … sehr gerne … danke schön!“ … lautes Bellen … „Hörst du jetzt auf? Was ist denn bloß in dich gefahren?“ … wau-wau-wau … es nimmt kein Ende …

„Hör sofort auf jetzt!

Sonst gibt‘s gleich gar nichts mehr, hörst du? Schluss jetzt!“ … wau-wau-wau … „Ist das zu glauben! Mit dir kann man nirgendwo hingehen … wir gehen, wenn du nicht sofort“ … verzweifelt reißt sie am Halsband … plötzlich verstummt er … ohne Luft wird selbst …

Bellen schwer …

„Na endlich! Heute bist du wirklich eine Zumutung! Herr Ober?“ … Bata Illic kommt herangeflogen … „Ja bitte, sehr geehrte Dame, Sie wünschen?“ … „Die Rechnung bitte!“ … „Sehr sehr gerne!“ … Ah, sieh an! Bei Rechnungen gab‘s ein „Sehr“ mehr …

„Unser ganzes Schulsystem ist …“

Am Nachbartisch beschäftigt man sich detailliert mit der allgemeinen Schulbildung, seit dem zweiten Weltkrieg … „Eine Unverschämtheit, dass man heute immer noch“ … die Alleinstehende Dame fütterte ihren moppeligen Hund … „Ruhe jetzt, sonst geh‘n wir heim“ …

Bata Illic bekommt Verstärkung …

von Florina Georgescu … ich hab mein Rotes weggeschlürft, Durst sei Dank … Sonne kommt endlich raus … die Lehrer erörtern Vor.- und Nachteile von Rassen.- Geschlechtertrennung … die alte Dame mit dem lauten Bettvorleger greift ihre Pradatasche …

ich rühre Kaffee um …

während das Baltikum das untergehende Abendland betreut, um unseren abgesicherten Lebensabend mit Komfort, Zerstreuung und erstklassigem Service von Menschen aus Zweit.- und Drittwelt-Staaten zu genießen … ein Hoch auf Europa …

Hier begegnet man allen auf Augenhöhe …

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