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10.Juli – Freundschaft & Wu-Wei – Odyssee 2022

Kumpel K war an diesem Wochenende in der Stadt. Natürlich hieß das Apéro bei Jota & Beta, gemeinsame Freunde und Nachbarn. Über dreißig Grad mit Weißwein und Austern zu genießen ist vermutlich nicht das Schlechteste. Und wieder wurde mir klar, was ich für’n Glück habe, so tolle Freunde zu haben.

Für manchen mag‘s kitschig klingen, aber Freunde sind wichtiger als Familie.

Erstere kann man sich nämlich aussuchen. Hat man aber welche – richtige Freunde – besitzt man das Wertvollste und Wichtigste im Leben – gleich nach Gesundheit. Deswegen springt mir immer wieder ins Gesicht, wie groß die Bedeutung der Familie im Süden ist. Vielleicht ist sie nicht heilig, wenngleich Antoni Gaudi sogar seine Kirche sogar so nannte, aber weit davon ist man nicht.

Bei Hellenen verstehe ich‘s, wenn man 400 Jahre Türken-Joch erinnert.

Deine Sprache unter solchen Umständen zu bewahren lässt Unbedarfte und Unbeteiligte nur erahnen, wie‘s der hellenischen Kultur zu der Zeit ging. Und doch gibt’s klare Prägungen. Auch im Norden ist einem Familie nicht gleichgültig. Nur erscheint mir die gefühlte Distanz dort größer zu sein. Oder anders gesagt, scheint es nordischen Menschen leichter zu fallen, auf Distanz zu gehen.

Keine Ahnung warum – aber so erlebe ich sie.

Mein Vater zum Beispiel hatte zwei Brüder – beide schon lange tot. Mit dem ältesten hatte er 30 Jahre keinen Kontakt, bis er von seinem Tod erfuhr. Nur wenige Male riefen sie sich in all den Jahrzehnten an. An eines der Telefonate erinnere ich mich noch heute. Sie sprachen über‘s Wetter und den Schäferhund des Älteren Brüderchens. Ich war noch Teenie und fragte mich, warum die miteinander sprachen,

wenn sie nur über Belangloses redeten.

War’s ’ne Art Pflichtgefühl, so etwas wie Familientreue, gar Familienbande? Man lebt an unterschiedlichen Orten, hat eigene Freundeskreise und Interessen und nicht selten eigene Familien gegründet – vielleicht entwickelt man sich noch in unterschiedliche Richtungen; außer zu Geburtstag und Weihnachten hat man dann keinen Anlass mehr. Ich find’s okay. Familie ist mir nicht wichtiger, oder gar heiliger, als meine Freunde.

Im Gegenteil.

Auseinanderleben nennt man das. Ich kenn das. In Partnerschaften ist das ähnlich, vermutlich in allen menschlichen Beziehungen, ob Familie, Freund.- oder Partnerschaften. Sogar Partner können Freunde sein, oder werden. Umgekehrt eher selten. Vermutlich so’n Egoding. Ist wie mit’m Surfen, Segeln und Bergsteigen. Wenn man Surfer ist, hat man mehr mit solchen Typen zu tun; wenn du nach zehn Jahren das Brett an den Nagel hängst und die Stiefel anziehs, umgibst du dich mit Bergsteigern.

So einfach ist das – oder nicht?

Oder ist’s meine Pflicht, Kontakt mit allen Freunden meines Lebens zu halten, das sie sich wie kleine Wellenberge hinter Schiffen in der Unendlichkeit verwerfen, in Wahrheit nie zur Ruhe kommen? Muss es so sein? Oder ist’s ein ständiges Kommen und Gehen, je nachdem, wie man sich weiterentwickelt und wieviel Gemeinsamkeiten man hat?

Modelleisenbahn.- und Briefmarkensammler haben eigenen Kreise.

Bestimmt andere, als Fußball.- Handball.- oder Rugbyspieler; Motorradfahrer haben andere Freunde, als Porschefahrer; Millionäre andere Hobbys als Milliardäre – usw. und so fort. Wenn mein Bruder reich ist, ich stattdessen arm, dann haben wir beim Apéro unterschiedliche Gäste, mit unterschiedlichen Interessen.

Klingt das ungewöhnlich, gar unmoralisch?

Aber aufgepasst: Lasst Religion raus. Sittlichkeit, Ethik und Moral kann man nämlich überall und nirgendwo finden. Geduld nicht. Sie ist rar gesät. Wenn zum Beispiel ein Bruder viele Erwartungen an Geschwister hat, die andersherum jedoch wenig oder keine,

dann liegt ein Ungleichgewicht vor.

Wenn ein Bruder bevorzugt, dass sich alles natürlich von alleine entwickelt, während der andere viele Anstrengungen unternimmt, seine Willen und Wünsche zu erfüllen, werden sie sich selten begegnen, weil sie unterschiedliche Wege beschreiten.

Klingt ganz natürlich – finde ich.

Manche halten mich für schräg und merkwürdig; alles zu hinterfragen, um die Dinge verstehen zu wollen, finde ich für mein Menschsein natürlich; vielleicht ist es sogar DIE einzige Pflicht, die ich anerkenne. NEUGIER empfinde ich als DIE menschliche Eigenschaft schlechthin; oder in anderen Worten, unsere Fähigkeit für etwas zu brennen; handle mit Leidenschaft, oder lass es sein. Einziger Unterschied zu Tieren.

Als Mensch muss ich Dinge tun, die nur Menschen möglich sind.

Alles andere betrachte ich als Notwendigkeit; sich morgens waschen, zum Supermarkt, oder auf Toilette gehen; Zähneputzen, Kleidung anziehen; Broterwerb, einer Arbeit nachgehen, wenn man nicht genug auf der Kante hat; Ärzte, Steuern und Strafzettel zahlen; gerissene Schnürsenkel tauschen; unendlich ist die Liste, aber kurz, die Zeit des Menschsein.

Wu-Wei hilft, sie zu maximieren.

Alles was hilft, heiße ich

herzlich willkommen.

Alles andere,

kann weg!