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Odyssee 2020

Heute morgen, so zwischen dem zweiten und dritten Eigelblöffel, fragte ich mich, ob sich in 2020 irgendetwas anders anfühlt. Bis jetzt noch nicht, würde ich tendenziell sagen. Doch wenn ich ehrlich bin, müsste ich zugeben, dass ich keine Ahnung habe. DAS ist das einzige, was ich schon seit Jahren sage – das ich nur weiß, dass ich nichts weiß – und ehrlich gesagt, ist es bis heute nicht anders geworden, eher umgekehrt. Mein Nichtwissen ist mit jedem kleinen Baustein gewachsen, den ich mir mühsam erschließen durfte. Komisch, nicht wahr? Oder ist es gar natürlich?

Wenn wir uns bemühen Vernunft.- und Wahrheitsliebend vorzugehen, landen wir zwar bei vielen Dingen, die uns die Wissenschaften hinterlassen haben, von denen wir jedoch, sein wir mal ehrlich, kaum bis wenig verstehen weswegen wir es zu Recht nicht „Unser Wissen“ nennen können, weswegen sich ein „ich weiß…..“ per-se verbietet. Ich kenne Werner Heisenberg, auch was er im Groben gemacht hat, aber wissen tue ich es nicht. Und ob ich der langen Liste, Sigmund Freud, sowie eine Unmenge weiterer kluger Köpfe hinzufüge, wird sich nichts daran ändern, eher im Gegenteil.

Wir müssen uns auch nicht gleich mit der Gretchenfrage peinigen, die für sich genommen schon so schwer ist, dass sie einem jahrelang, ach was rede ich, ein ganzes Leben im Bauch liegt. Stattdessen können wir es mit etwas Schlichtem versuchen, mit einer einfachen Verabredung. Anhand dieses Beispiels, möchte ich zeigen, was uns, nach meinem Dafürhalten, in den letzten Jahrzehnten, eher mehr, statt weniger, abhanden-gekommen ist – betrachtet es als Teaser, als Entrée für das junge und frische Jahr 2020.

Eine Verabredung, zum Beispiel, zum Dinner. Machen wir es uns nicht zu schwer, indem wir ein Dinner mit der Familie, gar unseren Eltern wählen, sondern unter Freunden. Man verabredet sich „gegen 18:00 Uhr“ um einen gemeinsamen Aperitif zu trinken und um auf das neue Jahr anzustoßen. Bei der Verabredung mit dem wichtigen Schlüsselwort „gegen“ kann man schon sehen, dass es sich vermutlich um Menschen handelt, die beide über 40 Jahre zählen. Utopische erscheinende Präzision, wie die Nutzung des alternativ verwendbaren Wortes „um“, das eine selten anzutreffende Klarheit und nicht interpretierbare sprachliche Reinheit vorlebt, verwandelt solch simple Alltäglichkeit in nahezu 100% aller Fälle in unerfüllte Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen, die wir wie Fallobst, verfault und vergoren aufheben können, was impliziert, dass wir wieder einmal, nicht gut genug, oder schlicht, zu spät waren.

Daher ist anzunehmen, dass die beiden, vermutlich recht menschlichen Individuen, die sich erfolgreich auf „gegen“ geeinigt hatten, bereits ein gewisses Maß an Weisheit und Lebenserfahrung besitzen, oder, für den Fall, dass sie jünger sind, was man mit großer Freude, nicht ausschließen kann, ein überdurchschnittliches Maß an Reife mitbringen, ohne überreif geworden zu sein. Wenn wir also davon ausgehen, dass wir zwei menschliche Individuen vor uns haben, die sich zu einem gemeinsamen Dinner, „gegen“ 18:00 verabreden, bleibt die Frage im Raume stehen, was das bedeutet.

Sprache, ist nämlich, besonders die Deutsche, ein solch scharfer Skalpell, dass wir meist zu unbedacht damit umgehen. Die faktuelle Wahrheit, sich auf „gegen“ 18:00 Uhr verabredet zu haben, bietet nämlich ein gewaltiges Maß an Flexibilität und Bewegungsspielraum, der nur dann halbwegs erfolgreich ist, wenn beide Vertragspartner, das gleiche Verständnis haben – was in aller Regel, niemals vorher abgeglichen worden ist, wenn wir ehrlich sind.

Nun werden sich wieder viele an den Kopf fassen und fragen, was das Ganze soll – vielleicht täusche ich mich auch. Hintergrund ist, dass wir zu schnell sagen „ich weiß“ – ich spreche hier für mich selbst. Die oft verwendete Floskel „ich weiß“, wird von uns in Wahrheit meist unbewusst genutzt, weswegen wir es mit großer Wahrscheinlichkeit, zu häufig anwenden. Einen großen Teil meines Lebens habe ich nämlich damit zugebracht, die andere Seite zu verstehen, was mir, heute traue ich es mir zu es in aller Ehrlichkeit zum Ausdruck zu bringen, so gut wie nie, ich wiederhole, so gut wie NIE gelungen ist.

Egal welches Wort verwendet wurde, habe ich alle Wirklichkeiten in meine Realität erleben und kosten dürfen. Mal war ich „um“ 18:00 Uhr da, der Besuchte war noch gar nicht zuhause, bis hin zur „gegen“ 18:00 Uhr Dinner-Verabredung, bei der das Essen seit Punkt 18:00 Uhr auf dem Tisch stand, was einen erahnen lässt, dass es bei meinem Eintreffen „gegen“ 18:15 bereits lauwarm bis kalt war, was nicht nur für lautstarke Entrüstung sorgte, sondern auch in Wutausbrüche der Gastgeber endete, die nur mit größter Mühe und mit dem Hochhalten der allgemein gültigen Menschenrechte der Vereinten Nationen davon abzuhalten waren, in physische Gewalt auszuufern. In seltenen Fällen wurden volle Weinflaschen nach mir geworfen, denen ich nur mit größter Mühe ausweichen konnte. Die Weinflaschen-Werf-Vorfälle zähle ich übrigens zu den „nicht gewalttätigen“, für den Fall, dass hier Klarheit vermisst wird.

Was kann uns das sagen? Für meinen Teil, dass wir Worte mit unterschiedlichen Inhalten besetzen. Außerdem kommt dazu noch die genutzte Oberfläche des Wortes – hier spreche ich vom Unterschied zwischen, was „meint“ man und was „sagt“ man. Wenn jedes Wort also zwei Eigenschaften besitzt, Inhalt und Oberfläche – wie sehr vergrößert sich die Komplexität, wenn ich ihr Umfeld, ihren Kontext, Stimme und Körpersprache hinzuziehe? Lassen wir mal die physischen Komponenten weg, belassen wir es bei der reinen schriftlichen Form. Also die Wortumgebung und Kontext fügen wir hinzu. Damit können wir recht fundiert sagen, dass jedes Wort von einer vierfachen Komplexität umgeben ist, ohne dass wir begonnen haben zu kommunizieren.

Von den menschlichen Komponenten, wie geht es mir während ich schrieb, oder dem / der / den Besuchten? Wie ist das werte befinden? Geht es mir gut, oder schlecht? Bin ich frisch verliebt, oder frisch getrennt? Was für Dinge sind vorher geschehen und lustwandeln in unseren Köpfen herum? Welches Stress-Niveau haben wir, beeinflusst durch Gesundheit, Beruf, Umwelt und Lebensrituale? Je länger wir darüber nachdenken, stellen wir fest, dass es offenkundig mehr als vier weitere Komplexitätsebenen und Faktoren gibt. Natürlich können wir mit diesem Wissen jetzt nicht wie ein Großrechner, alle Wahrscheinlichkeiten durcharbeiten, um einen einfachen Satz, eine alltägliche Verabredung zu tätigen – mitnichten.

Aber es kann uns daran erinnern, dass wir in unserer Zwischenmenschlichen Kommunikation eine Menge Geduld, Gelassenheit und Respekt benötigen, um miteinander friedlich und harmonisch zurecht zu kommen. Wenn ein Mensch der mich mag, vielleicht sogar mehr als das, wenn Menschen aus alltäglichen Gründen, zu solch einer breiten Spanne von Regungen fähig sind, bei Menschen die sie mögen, vielleicht lieben, was wundert uns dann irgendeine Gewalttat auf diesem Planeten? Das Morden und Töten ist unser Alltag, egal ob selbst verübt oder durch fremde Hand.

Was schlummert alles in uns, wenn wir selbst mit dem geliebtem Menschen gewaltvoll umgehen, egal ob rein verbal oder gar physisch? Genau – Alles! Was Liebreizendes und etwas Zerstörerisches. Krieg und Frieden, Liebe oder Hass. Immer beides zur gleichen Zeit. Wenn ich möchte, dass Menschen mit mir gut und achtsam umgehen, dann muss ich zuallererst Gleiches mit ihnen tun – ich muss den ersten Schritt wagen, oder ich kann mein Leben lang vergeblich darauf hoffen.

Was das alles mit 2020 zu tun hat? Das schauen wir uns später an…..